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Wßchcmtich erscheine» drei Nummern. Pränumeration«, Preiß 22^ Silbergr. (^ Tdlr.) vierteliShrlich, 3 Tdlr. für das gan^e Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin dei Beil u. Camp., Iäaerüraße Nr. 28), so wie von allen König!. Post-Aenneru, angenommen. Literatur des Auslandes. 14Z Berlin, Donnerstag den 4. Dezember 1845. Polen. Indien in Rom.") Das Volk der Sehnsucht kann auch nur Kunstwerke der Sehnsucht her vorbringen. Dies bat schon früher der berühmte Mickiewicz dargethan und dies beweist neuerdings Krasinski, der anonyme Verfasser des vorliegenden ästhetischen Werks. Die Sehnsucht ist diejenige GemüthSbcwegung drS Men schen, welche nicht, wie andere Leidenschaften, durch die Zeit geschwächt wird, sondern vielmehr mit ihr in einem potenziellen Verhältnisse wächst. K. hat schon früher das Pathos seiner Sehnsucht in anderen poetischen Produkten auszudrücken gesucht; er hat schon die „ungöttliche Komödie", er hat schon „morgenländische Erzählungen", von einem inneren Drange dazu geleitet, zu Tage c . «ordert; auch diese schon schlugen an die Saiten derselben GemüthS- verwandlschast seiner Nation mächtig und nachhaltig an. Allein den höchsten Grad der sehnsuchtsvollen Erregung erreicht der Dichter in seinem letzten poetischen Ergüsse. Der höchste Grad der Sehnsucht ist nun eben die Ver zweiflung, der poetische Mystizismus, die mystische Allegorie. Der Gegenstand der Sehnsucht Jridion'S ist die politische Restauration des Volkes, aus dem er entsprossen. Welcher andere könnte der unseres Dich ters scyn? Ein Kunstwerk, welchem eine große Tendenz zu Grunde liegt, muß nicht mit dem Verstände, sondern mit dem Gefühle gelesen werden, und sein tieferer Zweck kann nicht ergriffen, sondern nur herauSempfunden werden. Doch sehen wir zuerst nach dem Stoffe des Stückes. In Bezug auf die Form ist «S ein dialogifirteS Drama, in welchem aber von dem, was man dramatische Handlung nennt, käum eine Spur zu finden. Eine Nation, die politisch gefallen ist, hat und kann nur Gedanken haben; ihre Handlungen sind weiter nicht» als Reflexionen, und selbst diese treten nicht als eigene, sondern als fremde auf, und noch überdies in der Gestalt eines entfernten und unheimischen Inhalts. Wie sollte eine solche Nation ein Kunstwerk produziren können, welches seiner praktischen Bestimmung ent gegeneilt? In Ansehung des Inhalts müssen wir zuerst den Helden, nach dem unser Kunstwerk benannt ist, ins Auge fassen. Den Namen „Jridion" hat uns das Alterthum, so viel mir bekannt, nicht hinterlassen ; er scheint daher des Dich ters Phantast« anzugchören. Allein waS liegt am Namen, wenn die Sache, wenn die Person wahr ist? Die Zeit der Handlung im vorliegenden Stücke ist das dritte Jahrhundert nach Christus. Der Zustand des römischen Reichs war damals der des AbsterbenS, der Auflösung, der Desorganisation. Drei Systeme standen neben einander: das abstcrbende Hcidenthum, in Rom noch gewaltsam vertreten durch alle Religionen des Orients; das zwar auflebende, aber noch formlose Christenthum, und endlich der Barbarismus, roh und be- wegsam wie das Meer im Sturme. Der letztere, in den römischen Legionen blind und furchtbar, gleich Naturkräften, bald für, bald gegen Rom wirkend, beginnt jetzt, sich mit dem Christenthum, wie der Körper mit dem Geist, zu verbinden. Die Cäsaren, um den heraneilenden neuen Zustand unbekümmert, schwelgten bei ihren Festmahlen, während Volk und Sklaven in allen Theilen des Reichs in großem Elend schmachteten. Zu diesem materielle» Zustande kommt nun noch eine große Stille des geistigen und moralischen Lebens, wel ches sich der Völker Roms bemächtigte. So waren Rom und seine Welt, als Indien, der racherfüllte, der sehn suchtsvolle nach einer besseren Gestaltung der Dinge, in der Siebenhügelstadt lebte. ES war seine Bestimmung, die Frevel, welche Nom an der ganzen da mals bekannten Erde begangen, an der Frevlerin zu rächen. Deshalb muß der griechische Held AmphilochuS mit der deutschen Priesterin Odin's, der Toch ter des Königs der Meere, ein Geschlecht (Jridion und seine Schwester) er zeugen , das dem Gedanken der Vergeltung Gestalt giebt und den Brand legt an die morschen Stützen der Weltstadt. Während Heliogabal seine syrischen Götzen im Römischen Pantheon aufstellt, neigt Alexander Severus, ge tränkt mit dem Geiste der weisen Mammea, seiner Mutter, sich vor dem Kreuze; und zwischen ihnen steht Jridion, erfüllt von der hohen Sendung deS jüdischen Messias, sich aber in gleicher Sendung und in der Berechtigung wähnend, seines Vorgängers Werk nur als Mittel für seine eigene Bestim mung zu brauchen. Ihm sind für seinen Zweck keine Mittel zu kostbar, kein ') Jridion in Rom. Nach dem Polnischen bearbeitet. Zum Beste» deS Berliner Frauen Vereint jur Unterstüfung der deutsch, katholischen Gemeinde. Berlin, Wilh. Kennet, lötö. Opfer zu hoch; um ihn zu erreichen, giebt er die geliebte Schwester Elsinoe den Gelüsten eines Heliogabal'S preis, gebraucht er den welterlösenden Ge danken deS Gottgesandten als Mittel zum Zwecke. Jridion, der Grieche (von Vaters Seite), will Hellas Schmach an Nom gerächt haben; Jridion, der Deutsche (von mütterlicher Abstammung), will Germanien aus Roms Fesseln befreien und, wie von einem dunklen, ergreifenden Gedanken geleitet, dem selben das freie Scepter in die Hände geben. Jridion, der Sohn des Odin, ist dem Einflüsse der nördlichen Natur unterworfen; man erkennt in ihm gleichsam einen Mangel an Hoffnung, gleichsam eine ewige Verzweiflung, verbunden mit roher Heldenkraft, die immer vorwärts schreitet, nicht beach tend, daß das Ende gefahrvoll und furchtbar scyn könne. Jridion, der Grieche und Deutsche, verbindet in sich die Klugheit eines Ulysses und die Tapferkeit eines Sigurd (im Nibelungenliede). Heliogabal wird zwar durch unseres Helden Klugheit und Tapferkeit gestürzt, allein er sieht Alexander Severus den Thron der Welt besteigen, zwar einen Christen, aber einen Römer. So sehr ihm auch die mildere Natur des christlichen Kaisers die Hand zum Frieden reicht, — er ergreift sie nicht. Rom steht noch, und Jridion stirbt unversöhnt und sehnsuchtsvoll. Wer erkennt hier nicht Polen und seine Schicksale? Polen ist Hellas, und der große herrschende Nachbarstaat ist Rom, und Germanien ist Germanien, die Zufluchtsstätte der Verzweiflung und der Sehnsucht. Jridion gebrauchte die entstehende christliche Lehre als Mittel zum Zwecke; dem gefallenen Staate der modernen Zeit ist der fertige Katholizismus die letzte Grundveste, das Mittel, an das er seine Restauration anknüpfen zu dürfen glaubt. Doch wozu sagen, was sich jedem denkenden Leser von selbst aufdringen muß! Außer den bereits erwähnten kommen noch mannigfache Figuren im Stücke vor, welche sich um die bereits hervorgehobenc» mehr oder minder gruppircn. SS sind Christen, dem Gedankenkreise deS Kaisers Severus angehörig; Römer, den Leidenschaften der Zeit fröhnend und dem Heliogabal zugethan; und endlich Jridion und seine Schwester, in Ideen der Zukunft lebend und sich ihnen oder doch ihr LcbenSglück opfernd. Wenn Jridion, der Zeit vorgreifend, Ideen der Zukunft schon jetzt auf den Thron setzen will, so mag dies das Unberechtigte in seinem Charakter und auch das tragische Moment i» seinem ganzen Daseyn bilden; wen» aber der Dichter den Helden mit dem Leben davonkommen läßt, so dürfte dies manchen Leser unbefriedigt lassen, wenigstens fehlt hier das Moment der Versöhnung mit sich selbst und dem Schicksal, welches nur in dem Tode gegeben scyn kann. Jridion'S Pathos ist auf keine Weise so unberechtigt, daß sein ferneres Leben als Strafe für sein unberechtigtes Wollen, wie unge fähr daS eines Kreon in der Antigone, sollte angesehen werden. DaS peinliche Gefühl hierüber muß sich im Leser noch um so mehr steigern, als er daS Be- wußtseyn hat, daß Jridion Ehre und Leben seiner Schwester, ohne seinen dop. pelten Zweck, die Erfüllung der Rache und der Sehnsucht zu erreichen, dem Bösewicht geopfert. Jndeß mochte Jridion im Tode Heliogabal'S den baldigen physischen Tod Roms voraussehen, und wen» diesem i» unseren Tagen der moralische nachfolgt, so mögen die Manen Elsinoe'S in der Schattenwelt ob der erfüllten Rache und einer besseren Gestaltung der Dinge jubeln. Wenn man den Mysterien deS Mittelalters vorgeworfcn hat, daß sie, an statt Personen in ihrer konkreten Erscheinung uns vorzuführcn, uns bloS mit verkörperte» Leidenschaften, Lastern und Tugenden bekannt machen, so trifft derselbe Vorwurf auch unseren Dichter- Wir haben hier keine Shakespearschen Figuren, welche, indem sie die ganze Gattung repräsentiren, doch zugleich diese spezifischen Personen find, sondern wir haben hier abstrakte GemüthSbcwegungen, Leidenschaften, welche sprechend aufgeführt werden. ES liegt jedoch dieser Mangel vielleicht weniger an der poetischen Fülle des Dichters, als an dem Pathos, das er zum Nerv seines dramatischen Stückes gewählt. „Sehnsucht" gehört nicht der äußeren, sondern der inneren Welt an, gehört nicht zu den Sphären der That, sondern zu denen des Gedankens. Der Gedanke, die Reflexion aber ist nicht konkret und spezifisch, sondern abstrakt und allgemein. Konnte doch kaum der große Brite ein solches Motiv in seinem Hamlet zu einem seinen übrigen Produkten — wenigstens in Ansehung der fortschreitenden Handlung — ebenbürtigen Drama verarbeiten! ES hat vorliegendes Stück mit dem ebengenannien viel Ähnlichkeit. Dort wie hier ist eS die Rache, welche den Helden begeistert; dort wie hier mischt sich in die GemüthSbewegung der Rache noch die der Sehnsucht. In der That muß die Sehnsucht immer die Rache begleiten; denn diese allein würde den Helden zum gewöhnlichen Individuum herabwürdigen, waS bekanntlich der tragische Held nicht seyn soll und seyn darf, da alsdann wohl der Untergang desselben, aber nicht das Mit leid darüber molivirt wäre. Je nach den Umständen, kann nun die Sehnsucht