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Erscheint Sonnabend Rbend PiftHTUS Ev. Joh. Kap. 18,38. Sachsenstimme. Sächsische Sonntagszeitung. Inserate 25 Pf. die 4 gespaltene Kleinzeile. Die 2 gespaltene Keklamezeile 1 Mk. Bezugspreis: in Dresden 1 Mk. das Vierteljahr und 35 Pf. den Monat, durch die Post bezogen 1 Mk. 20 Pf. das Vierteljahr. Expedition: Fürstenstrasse 34. Geschäftsstelle für Leipzig-Stadt: Zoephelsche Buchhdl. Wintergartenstr. 15. Buchhändlerischer Zentral ve. .rieb: Staackmannsche V erlagsbuchh andlung Leipzig, Quei ’tr. 10. Alle Briefe, Sendungen etc. erbeten an die Adresse des Herausg. Rudolf Lebius, Dresden, Fürstenstrasse 34. Verantwortlich für die Redaktion und Inserate: Rudolf Lebius, Dresden. — Druck: Kunstanstalt Wilhelm Hoffmann A.-G. Dresden. Nr. 40. 30. Oktober 1904. 1. Jahrgang. Der Pilatus wird Schank allen im Dresdner Adressbuch verzeichneten Hotels, Weinstuben, Cafös und Pensionaten, Speise-, und Gastwirtschaften zugestellt. Das Blatt ist u. a. Organ der sächsischen Gewerkvereine. Politische Wochenschau. Der König von Sachsen hat anlässlich seiner Thronbesteigung eine umfassende Begnadigung erlassen. Unter den Begnadigten befindet sich auch das Fräu lein Frau Rosa Luxemburg, die in Zwickau eine Gefängnisstrafe verbüsste. Leider sind in dem Straf erlass die letzten Opfer des Löbtauer Prozesses nicht berücksichtigt worden. Ende nächsten Monats tritt der sächsische Landtag zusammen, um in acht tägiger Sitzung die Zivilliste des Königs zu regeln. Die Zivilliste des verstorbenen Königs Georg betrug 3 550000 Mark. Die vom Kronprinzen Friedrich August bezogene Apanage von jährlich 300000 Mk. kommt jetzt nach seiner Thronbesteigung solange in Wegfall, bis Kronprinz Georg grossjährig wird. Die Apanage der Prinzessin Mathilde soll auf 40000 Mk. festgesetzt werden. In der Presse ist eine Diskussion über die Tat sache entstanden, dass die sächsische Wahlrechts änderung vom Jahre 1896, die zum Ausschlüsse der Sozialdemokraten aus dem Landtage führte, keine Revolution verursachte. Auf dem Amsterdamer internationalen Sozialistenkongress wurden die säch sischen Sozialdemokraten deswegen bekanntlich von dem französischen Sozialistenführer Jaures verspottet. Der soz.-dem. Reichstagsabgeordn. Edmund Fischer bestätigte darauf in den Sozialistischen Monats heften, dass die grosse Masse der sächsischen Ar beiter die „Entrechtung“ ruhig hingenommen hätte. Jetzt verteidigt der Reichstagsabgeordnete Gradnauer in der „Neuen Zeit“ die sächsischen Sozialdemokraten gegen den Vorwurf der „Feigheit“. 1896, sagt er, sei Sachsen noch nicht das rote Königreich gewesen. Es hätte damals erst 7 soz.-dem. Reichstagsabgeordnete besessen. Erst infolge der Entrechtung sei Sachsen rot geworden. Eine Revolution wäre aussichtslos ge wesen. Wir finden dieses Spielen mit dem Feuer der Revolution höchst verwerflich. Wir leben in einem Rechtsstaate. Entschied sich die Parlamentsmehr heit für die Wahlrechtsänderung, so mussten sich gerade die Sozialdemokraten aus Achtung vor dem demokratischen Prinzipe dem Beschlüsse fügen. Wahre Demokraten dürfen Parlamentsbeschlüssen keinen ge waltsamen Widerstand entgegensetzen. Sie werden ausschliesslich versuchen, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen. Bringen sie die Parlamentsmehr heit auf ihre Seite, so steht ja einer abermaligen Wahlrechtsänderung nichts im Wege. In Eerlin sind wiederum Flugblätter des Grafen Püokier erschienen, die zur Ermordung der Juden auffordern. Sogar der konservative Reichsbote wundert sich, dass der offenbar geisteskranke Mann in seinem gemeingefährlichen Treiben von den Be hörden unbehelligt bleibt. Diese Toleranz harmoniert wenig mit der Intoleranz preussischer Behörden z. B. gegen die Dissidenten. Im preussischen Abgeordneten hause ist ausführlich über den Fall Mirbach verhandelt worden. Die Parteien gingen aber mit dem Herrn verhältnismässig glimpflich um, wahrscheinlich des halb, weil er inzwischen seinen Oberhofmeisterposten bei der Kaiserin eingebüsst hat. Das wollte die öffent liche Meinung durch ihren papierenen Protest er reichen. Nun da der Zweck erreicht war, scheint das Interesse an dem Gegenstände erschöpft zu sein. Klarheit hat die Debatte im Abgeordnetenhause nicht gebracht. Wo die 325 000 Mk. aus dem Konto K. der Pommernbank verblieben sind, weiss man auch heute noch nicht. Dem Wiener Oberbürgermeister Dr. Karl Lueger sind zu seinem 50. Geburtstage grosse Huldigungen zu teil geworden. Von Hause aus war er Rechts anwalt. Als Kommunalpolitiker ging er im Rathaus zuerst mit den herrschenden Liberalen, fand aber hier nicht die Würdigung, die seine Talente verdienten. Die Führer der Partei waren unfähig genug, diese grosse Begabung nicht zu erkennen oder falls sie sie erkannten, sie misstrauisch fernzuhalten; denn diese Liberalen wollten mit dem „Volke“ möglichst wenig zu tun haben. Lueger verliess ihre Fahne und irrte nun Jahre hindurch bei kleinen politischen Gruppen herum. Lange war er Demokrat. Sein populärer Ruhm als Advokat und als Volksmann stieg mittler weile schon hoch. Dann kam die grosse Gelegenheit seines Lebens. In den achtziger Jahren regte sich zuerst der kleingewerbliche Antisemitismus in Wien. Lueger näherte sich ihm, bemächtigte sich bald der Bewegung, organisierte sie, führte sie zum Siege. 1889 warf er die Liberalen aus der Herrschaft im Gemeinderate hinaus, trat dann auch in den niederösterreichischen Landtag und wurde von 1894 bis 1897 fünfmal zum Bürgermeister von Wien ge wählt. Erst im letzteren Jahre bestätigte ihn die Krone; seitdem regiert Lueger in der Stadt und im Landtage. In Frankreich macht die parlamentarische Aktion, die auf Trennung von Staat und Kirche hinsteuert,