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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.02.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-02-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000219022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900021902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900021902
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-02
- Tag 1900-02-19
-
Monat
1900-02
-
Jahr
1900
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Neclamen unter dem Redactionsstrich l4gv- spalten) 50 vor den Fanitliennachrichlen sttgespalten- 40 Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsup nach höherem Tarif. — «»rtra-Beilagen lgesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung ^ll 70.—. .'Xnnahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig ^81. Montag den 19. Februar 1900. St. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 19. Februar. Den demokratischen Gegnern der Alatlenvorlage ist ein Schreck in die Glieder gefahren. Bisher, so klagt die „Franks. Ztg.", habe da» bayerische Centrum den„Ruhm" genossen, „es in Militär» und Marineangclegenheiten am genauesten zu nehmen", und nun müsse man in der „AugSb. Postztg." über eine von dem Reichs- und Landtagsabgeordneten vr. Jäger in Kempten gehaltene Rede einen Bericht lesen, in dem e» heiße: „Wenn man «ine Flotte haben wolle, dann müsse man eine starke Flotte haben oder gar keine. Aber deswegen brauche man noch nicht eine Flotte zu haben, die es mit jedem Gegner auf nehmen kann. Zugegeben sei, daß wir eine starke Flotte brauchen. Aus diesem Grunde ist Redner auch dafür, daß die Flotte ver stärkt wird. Jedenfalls aber dürfen die Mehrkosten nicht durch neue indirecte Steuern ausgebracht werden: die Kosten mühen den stärkeren Schultern aufgebürdet werden, wie eS bereits in der letzten Flottenvorlage erforderlichen Falles vorgesehen ist, und die Deckung-- frage muß gelöst werden, ehe die Flotte bewilligt wird." Diese Auffassung, so klagt die „Franks. Ztg." weiter, sei auch in der Versammlung deS katholischen Männervereins, in der Herr Jäger gesprochen, durch eine Resolution zum Aus drucke gekommen, denn in dieser Resolution werde gesagt: „Wir halten eine starke deutsche Kriegsflotte, deren Schissszahl auf Grund eingehendster Berathung vom Reichstage sest- zufetzen ist, für rin Gebot patriotischer Pflicht. Wir sind uns darüber klar, daß die Schaffung und Erhaltung einer solchen Flotte ohne Erschließung neuer Finanzquellen nicht durchführbar ist: wer eine starke Flotte will, muß auch zu zahlen bereit fein." „Bereitet sich demnach" — in diesem Stoßseufzer klingt die Klage des Frankfurter Demokratenblattes aus — „im Ceutrum rin neuer Umfall vor und soll diesmal das Signal dazu gerade auS Bayern kommen? Auch in Oberschwaben agitiren Centrumsleute schon für die Flottenverarößerung!" Ja, eS ist weit gekommen im deutschen Reiche! Wenn sogar in Bayern katholische Männervereine die Schaffung einer starken deutschen Kriegsflotte für ein Gebot patriotischer Pflicht erklären, dann ist auch die Zeit nicht mehr fern, in der dieses Reich sich wie zu Lande, so auch zur See gegen die Anschläge seiner Feinde undNeider zu schirmen vermag. Und daS trotz der unendlichen selbstlosen Mühen, mit denen besonders die süddeutsche Demokratie beflissen gewesen ist, die Zahl der Centrumsmandate zu vergrößern! Schaudervoll, höchst schaudervoll! Und schrecklicher noch als die Gefahr einer erheblichen Verstärkung unserer Flotte ist die, daß trotz der Reden des Abg. Vr. Jäger und der übrigen bayerischen Centrunisagitatorcn die Vorlage erst nach Mu- wahlen durchgeht, bei diesen Wahlen aber die Demokratie nur noch auf socialvemokratische Unterstützung hoffen darf und demgemäß im neuen Reichstage noch schwächer vertreten sein wird, als sie im fetzigen vertreten ist. Jammer über Jammer! Auf den Meeren eine mächtige starke Flotte und im Reichstage vielleicht nur noch eine halbgebrochene Säule als Zeugin vergangener demokratischer Pracht — muß daS nicht selbst dem harten Steine Fluthen von Thränen erpressen? In Preußen ist man im vergangenen Jahre „unge gessen" von der Gesetzgebungstafel ausgebrochen, wenigstens was die Hauptaerichte anlangt. Deswegen müssen in dieser Tagung aufgewarmte Speisen genossen oder — wieder zurück gewiesen werben. Allerdings nicht allein aufgewärmtc, sondern auch mit Zuthaten versehene Speisen. In den verflossenen Sessionen handelte eS sich nm den Mittellandkanal, der mit einem Eomnnalmahlgefetze garnirt war und wegen dessen die seit Langem alljährlich übliche Vor» läge über Srmeiterun» tzeS Eisenbahnnetzes auSgeblieben sein soll. ES wurde und wird heute geleugnet, daß die Regierung mit diesem herkömmlichen Verkehrsgesetze auS dem Grunde zurückgehalten habe, weil ihr die Erinnerung gekommen sei, daß Kinder, die die gelben Rüben verschmähen, dennoch zu dem verhaßten Gemüse greisen, wenn sie nnr durch dieses Opfer den Fleischgenuß erkaufen können. Hat die preußische Negierung vor einem Jahre wirklich so cal- culirt, so muß man ihr heute nachsagen, daß sie zu gesünderen pädagogischen Grundsätzen zurückgekehrt ist. Die Canalvorlage ist noch nicht wiedergekehrt und schon hat das preußische Abgeordnetenhaus über eine stattliche Eisenbahnvorlage — finanzieller Belang: 115 Millionen Mark — zu verhandeln. Und das Commnnalwahlgesetz ist soeben wieder erschienen, in nicht unwesentlich anderer Gestalt, wie ja auch die Canalvorlage selbst eine von der älteren recht verschiedene Physignomie zeigen wird. Der Inhalt des neuen Gemeinde wahlgesetzes ist im Morgenblatt vom Sonntag skizzirt worden. Einiges ist zur Erläuterung noch zu sagen. Preußen hat für die Gemeinden wie für den Landtag das Dreiclasfenwahl- system, das aber durch die Steuerreform zu Beginn deS vorigen Jahrzehntes erhebliche Verschiebungen in den Wähler rechten herbeigeführt hat. Diese zu Gunsten der Reichen und Hochbegüterten mechanisch durch die neuen Steuergesetze herbei geführten Veränderungen auszugleichen, eine restitutio in integrum herbeizuführen, ist der Zweck veS Gesetzes. Eine grundlegende Reform des Wahlsystems ist weder beabsichtigt noch erwünscht, denn man hatte bis zum Jahre 1892, wo die neuen Steuergesetze in Kraft traten, allen Grund zur Zufriedenheit mit dem WahlmoduS; daS Dreiclassenwahl- system kann auch künftig in den Augen der Gerechtigkeit und der Gemeindewohlfahrt bestehen, aber eS bedarf wegen der sckärferest Heranziehung der sehr leistungsfähigen Bürger zu den direkten Steuern im Interesse der Minderwohlbabenden unbestreitbar und unbestritten gewisser Modifikationen. Der vorjährige Entwurs glaubte diesem Bedürfnisse zu genügen, indem er daS Dreiclassenwahlsystrm dahin „corrigirte", daß jeder Wähler, der mehr als den auf einen Stimmberechtigten in der Gemeinde entfallenden durchschnittlichen Steuer betrag entrichtet, aus der dritten in eine der höheren Wähler klassen versetzt wird, beiläufig bemerkt, das mit einer weiteren Modifikation, welche den Zugang zur ersten Wählerclasse im Vergleich zum Zutritt zur zweiten erschwert. Dieses „Durchschnittsprincip" hätte in feiner allgemeinen Anwendung die Folge gehabt, im Westen Preußens, vorzugsweise in der Rheinprovinz, die Verwaltung blühender Gemeinwesen den lokalen CentrumSconventikeln auszuliefern, das Gemeinde schulwesen herabzudrücken, aus allen kommunalen Gebieten den konfessionellen Frieden zu stören. Die Nationalliberalen des Westens wehrten sich denn auch — offenbar in Ueber- einstimmung mit den dortigen Conservativen und verständigen Freisinnigen, aber zum stärksten Verdruß der Sorial- demokraten, und sie gaben sich verständiger Weise auch nicht zufrieden, als in der Commission des Abgeordnetenhauses ein Compromiß abgeschlossen wurde, wonach es den Gemeinden freigestellt sein sollte, ob sie sich an daS erwähnte Durchschnittsprincip oder an die sogenannte Zwölftelung halten wollten. Die Zwölftelung vereinbart die durch die Steuerreform entstandenen Forderungen der Gerechtigkeit mit dem Dreiclassensysteme, indem sie statt der bisherigen Drittelung der ersten Wählerclasse b/„, per zweiten «/,» und der dritten ^/iz der Gesammtsteuersumme zuweist. Die Sache hätte sich sehr Wohl hören lassen, wenn nicht, auf Verlangen des Centrums, der Griff zu diesem Auskunftsmittel von der Zustimmung einer Zweidrittel- Mehrheit der Gemeindevertretung ab hängig gemacht worden wäre. Der neue Entwurf — der vorjährige war in der Commission untrrgegangen und nicht zur zweiten Berathung im Plenum gelangt — verbessert jenes Compromiß, indem er, daS Durchschnittsprincip seines Vorgängers als Regel deibehaltend, zuläßt, daß die Vertreter jeder einzelnen Gemeinde, die über 10 000 Ein wohner zählt — auf kleinere Gemeinden soll da» vor geschlagene Gesetz keine Anwendung finden —, durch einfache Mehrheit die Zwölftelung beschließen können. Die Vorlage weiß jedoch noch einen dritten Weg. Die Gemeindevertretung kann, ebenfalls mit einfacher Mehr heit, bestimmen, daß statt des auf einen Wähler entfallenden durchschnittlichen Steuerbetrages ein höherer und zwar ein bis zum Anderthalbfachen erhöhter der Wählervertheilnng zu Grunde gelegt werden kann. Diese letztere Handhabe giebt der Entwurf mit der einleuchtenden Begründung, vaß daS nackte Durchschnittsprincip vieler Orten zur Demo- kratisirung deS Gemeindewahlrechtes führen kann, da, „wie die Vorgänge in industriellen Commune» zeigen, den Wählermasscn Dank der allmählichen Verbesserung der Lohn- und Erwerbsverhältnisse immer neue Wahl berechtigte ans dem Kreise der kleinsten Steuerzahler hin zutreten." Eine Demokratisirung deS Gemeindewahlrechtes ist keiner deutschen Partei außer der socialdemokratischen, deren französische Schwester aber gerade ein abschreckendes Bespiel der Demokratisirung gegeben, erwünscht. Wenn die „Ger mania" dennoch gegen die neue Vorlage sofort mobil macht, so geschieht dies im Hinblick auf die besonderen Verhältnisse rhei nischer Städte, wo «in starker kleinbürgerlicher Bruchtheil der Bevölkerung dem Klerus zur unbedingten Verfügung steht, selbst auf die — bei klerikalen Stadtverwaltungen fast aus nahmslos sich verwirklichende — Gefahr bin, daß ihre, der Kleinbürger, wohlverstandenen Interessen Noth leiden. Wir haben uns über den preußischen Gesetzentwurf etwas ein gehender verbreitet, weil er nicht nur wieder mit der Canal angelegenheit zusammengekoppelt werden wird, sondern auch nach einer verständlichen Andeutung der „Germania" in die eine Schale der Waage gelegt werden soll, in deren anderer die Flottenvorlage ruht. Die Rechte der katholischen Kirche in der französischen Republik und die Beziehungen zwischen dem Klerus und der Staatsregierung sind noch heute durch das von Bonaparte als Erstem Consul der ersten Republik am 15. Juli 1801 mit dem Papste geschlossene Concordat geregelt. Zusätzlich bat Napoleon I. durch Dekret vom 25. Februar 1810 unter Zustimmung des Erzbischofs von Paris die unter Ludwig XlV. von Bossuet redigirten und von einer außerordentlichen Kirchenversammlung, an der 35 Bischöfe theilnahmen, 1682 proclamirten „vier Artikel der Gallicanischen Kirche" aus» Neue als Reichsgesetz verkündet. Ihr Hauptinhalt ist die Unabhängigkeit der weltlichen von der kirchlichen Gewalt, die Unterwerfung des päpstlichen Stuhles unter die Beschlüsse der allgemeinen Kirchenversammlung, der Schutz der in Frankreich hergebrachten Grundsätze und Einrichtungen, die Verneinung der päpstlichen Unfehlbarkeit in Glauben-fachen, wenn die Kirche ihrem Oberhaupte nicht zustimmt. Tic Juli-Negierung von 1830 hat die volle Freiheit aller Confessionen erklärt und geistlichen Orden nur Duldung ge währt, wenn die Kammern ihrer Zulassung beigepflichtet haben würden. Gleichwohl haben, so führt die „Berl. Börs.- Zeitung" aus, viele Orden und Congregationen sich gebildet, ohne jene Voranssetzung zu erfüllen; die Jesuiten sind 1845 in Folge einer Interpellation von Thier- verbannt worden. Napoleon III. räumte der Kirche großen Einfluß auf die Schule ein, was manche Orden sich zu Nutzen machten. In der dritten Republik kam ein Rück schlag 1880 durch die Ferry'schen Unterrichtsgesetze, aber die Geistlichkeit hat einen erfolgreichen Kampf gegen sie geführt, indem sie, durch die klerikal gesinnte Mehrheit der Bevölkerung mit Geldmitteln reichlich unterstützt, freie Schulen einrichtete, die den staatlichen überlegene Concurrenz machten durch tüchtige Lehrkräfte, unentgeltliche Lehrmittel und mannigfache Unterstützung der Lernenden und ihrer An gehörigen. In den letzten Jahren begann eine neue Be wegung gegen die Kirche und die Orden, die namentlich zur Einführung der Besteuerung deS Vermögens der geistlichen Gesellschaften führte. Die Bischöfe suchte» daS Gesetz abzuwehren, aber ohne Erfolg. Die heftige Sprache in den Protesten wurde von Leo XIII. nickt gebilligt, er hat wiederholt die Katholiken zum Gehorsam gegenüber der staatlichen Obrigkeit ermahnt und die Bekämpfung der republikanischen Staatsform untersagt. Doch sind leiden schaftliche Kundgebungen, die zum Theil auch chauvinistischen Charakter hatten, mehrfach erfolgt, z. B. bei den Jahres feiern zum Gedächtnisse der Jungfrau von Orleans. Bei dem Dreyfus-Handel standen Bischöfe und niedere Geistliche auf der Seite der Generale. Als im vorigen Jahre bei einerHauSsuchunz im Stift der Ässumptiouisten große Geldsummen und compromittirende Papiere gesunden waren, hat der Streit einen schärferen Charakter angenommen, eine nochmalige Intervention des Papstes war wirkungslos. Feindselige Hirtenbriefe hat die Regierung mit der Einbehaltung der Gehälter der Bischöfe beantwortet, diese replicirten in rücksichtsloser Weise, der Erzbischof Gouthe-Soulard von Aix hat in öffentlichem Schreiben den Cultus- minister einen Dieb, die Republik einen räuberischen Staat genannt. Nun ist von der Regierung der Kammer der Antrag überreicht worden, die Bischöfe und Cultusbeamten unter daS Zuchtpolizeigericht zu stellen, was zur Folge hat, daß weitere feindliche Kundgebungen mit Ge- fänznißstrafe geahndet werden können. Die Lage ist ungefähr so, wie sic in Preußen nach dem Kriege mit Frankreich sich gestaltet hat. Aber die Spannung zwischen den französischen Richtungen ist für den Staat gefährlicher, weil 98Procenl der FranzosenKatholiken sind. Unter ihnen bilden die der Kirche entsremveten jedenfalls die Minderheit. Bei Weitem der größte Theil des PeterspsennigS geht aus Franreich nach Rom. Die geistlichen Aemter sind sehr zahlreich, 17 Erz bischöfe, 67 Bischöfe, 185 Generalvikare, 695 Domherren, 3450 Pfarrer, 37 933 Pfarrverweser und Vikare sind vor handen. In 416 Orden und 3798 Congregationen zählte man im Jahre 1880 Ordensgeistliche 30 287 und Nonnen 127 753. Ein Theil, insbesondere alle Jesuiten-Nieder- lassuugen, sind damals aufgelöst worden, als der gesetzlichen Autorisation ermangelnd, aber die meisten haben sich durch das Verbot nicht stören lassen. Da gegenwärtig das Con- Frurlletsn» Hans EicksteLt. Roman in zwei Bänden von Anna Maul (M. Gerhardt), Nachdruck »erdoilii. „Fräulein Pilgrim zu Hause?" fragte er. „Nein, bedaure — Fräulein Pilgrim hat den Hausschlüssel bekommen. Herr Henning hat sie adgeholt ins Theater. Soll ich vielleicht was bestellen?" Hans fühlte sich bitter enttäuscht. „Wollen Sic ihr — diese Blumen — oder kann ich vielleicht selber in ihrem Zimmer ein paar Worte schreiben und die Blumen deponiren? Ich bin Doctor Eickftcdt, ein Verwandter von Fräulein Pilgrim. Sie können mich ruhig hineinlassen." Er steckte die Hand in die Tasche. „Treten Sie nur hier ein, Herr Doctor", erwiderte das Mädchen freundlich und eilig und öffnete die nächste Stubenthür. „Ich kenne ja Herrn Doctor — nur, es ist hier noch nicht auf- geräumt — das Fräulein war gerade dabei, als Herr Henning kam. Ich bringe die Lampe —" „Nicht nöthig, es ist ja noch hell." „Und hier ein Glas zu den Blumen. O danke, Herr Doctor —" Das Mädchen ließ sich das Trinkgeld vergnügt in die Hand stecken und lief hinaus. Hans wickelte seine Blumen aus dem Seidenpapier und that sie in das Wasserglas. Dann setzte er sich an den Tisch, der mitten im Zimmer stand, mit allerlei Kram darauf, Büchern, Kästchen, Zirkeln und Reißschienen. Ueberhaupt war daS Zimmer ein Chaos. Auf den Stühlen und dem Sopha lag bemalte Lein wand und Studienblätter, ein paar Staffeleien lehnten an der Wand, die Kommodenschiebladen standen offen. Vielleicht würde sein Eindringen hier Gertrud'» mädchen hafte» Zartgefühl verletzen. Aber jetzt war e» geschehen. Er zog seine Brieftasche herau», suchte eine Karte und begann zu schreiben. Da wurde im Nebenzimmer die Eorridorthür geöffnet und nicht allzu sanft geschlossen. Absatzstiefelchrn trappten — ein breiter Lichtstreifen drang durch die Thür, die, wie Han» jetzt erst bemerkte, nicht geschlossen war, sondern fußbreit ausrinander- klaffte. Er sprang auf, die Thür zu schließen, blieb aber auf srinem Platz stehen und starrte durch die Spalte in das Nebenzimmer, dessen mittleren Theil er übersehen konnte. Der Lichtschein dort kam von einer Lampe, die nicht stillstand, sondern sich hin und her bewegte, und zwar in der hochgehobenen Hand eines jungen Mädchens. Sie leuchtete hierhin und dorthin, so daß die Petroleum flamme bald aufflackerte, bald zu erlöschen schien. Dabei summte sie ein Liedchen und ging dann in ein flottes, keineswegs ge dämpftes Pfeifen über. Dabei klappten ihre Absätze, rückten die Stühle, die Tische. Plötzlich sah Hans sie auf einem Stuhl stehen, den Hammer in der Hand, im lustigen Tact einen Nagel in die Wand schlagen. Sie wandte ihm natürlich den Rücken, aber er konnte ihre ganze beleuchtete Gestalt sehen, die ihm groß, schlank und an- muthig schien. Sie trug ein enges, dunkelblaues Tuchkleid mit blousenartiger Taille, mit einem breiten, gelben Ledergürtel ge schlossen, und Schuhe von derselben Farbe. Der Saum des Rockes und der Rand des breiten Matrosenkragens war mit drei Reihen weißer Litze besetzt. Goldglänzendes Haar, lose geflochten und zusammengebunden, fiel in reicher Fülle in den Nacken und über den Kragen. Hans brannte darauf, ihr Antlitz zu sehen. Plötzlich fiel dcr Hammer zu Boden. Aus dem Munde des Jungfräuleins kam ein herzhaftes: „Donnerwetter!" Sie sprang vom Stuhle, bückte sich aber nicht nach dem Hammer, sondern ging tänzelnd auf und nieder, trat dann zu dem Flügel, klappte ihn auf. griff ein paar Accorde und fang mit halber Stimme einige Tacte. Hans hatte nur einen flüchtigen Schimmer ihres Gesichts erhascht. Er wollte und mußte sic ganz sehen. Leise trat er hinter dem Tisch vor, hob vorsichtig die Füße und schlich nach der Thür. Aber unversehens stieß er an etwas, das lose gegen einen Stuhl gelehnt war und mit nicht unbeträchtlichem Gepolter zu Boden stürzte. Hans stand wie angedonnert. Der Gesang drinnen brach ab. „Sind Sie da, Fräulein Pilgrim?" rief die junge Dame vom Flügel her. Jetzt konnte Hans sie sehen. Ach, sie war schön wie ein Engel! Und al» sie keine Antwort bekam, rief sie: „Wer ist da? Ist Jemand da?" — erfaßte die Lampe und trat in die Thür. Han» stand vor ihr und verbeugte sich. „Erschrecken Sie nicht, gnädiges Fräulein! Doctor Eickftedt, ein Verwandter von Fräulein Pilgrim. Ich habe hier an ihrem Tisch ein paar Worte an sie geschrieben und war im Begriff, mich zurückzuziehen, al» mir da» Unglück begegnete —" „Wer hat Sie denn eingelassen?" fragte die junge Dame bestürzt. „Das Dienstmädchen. Haben Sie keine Furcht, Gnädigste, ich bin kein verkappter Raubmörder. Hier meine Karte. Wün schen Sie weitere Legitimationspapiere zu sehen?" „Danke!" erwiderte das junge Fräulein, die Unterlippe etwas hochmiithig vorschiebend, und wandte sich achselzuckend ab. Dann stellte sie die Lampe fort, schüttelte die blonden Locken aus den Augen und brach in ein Lachen aus. Hans lächelte gleichfalls. Ihre Stimme hatte einen Hellen Silberton, und in ihrem runden, kindlich weichen Antlitz bildeten sich zwei bezaubernde Grübchen. Sie war übrigens keine regel rechte Schönheit, wie Hans beim näheren Zusehen sich eingcstehen mußte. Die Nase war ein keckes Stumpfnäschen, die Augen von zu Hellem Blau, und die kleinen, weißen Zähne standen nicht dicht neben einander. Das wundervolle Goldhaar fiel über die Stirn bis an die Augenbrauen und schlängelte sich auf dem schlanken Halse bis an das Grübchen, das der tief aus geschnittene Matrosenkragen ließ. Die Hautfarbe war weiß und rosig, zart und frisch, wie bei einem jungen Kinde, und die lachenden vollen Lippen glichen einer eben aufgeblllhten Centifolie. „Da Sie einmal hier sind, mein Herr — Doctor —" „Eickftedt", half Hans ein und verbeugte sich abermals. „Eickftcdt! — Gott, welch ein gräßlicher Name — so schwer au»zusprechen!" „Gnädiges Fräulein besitzen jedenfalls einen viel schöneren", muthmaßte Hans artig. „Freilich! Aber was hilft einem Mädchen sein schöner Name! Irmgard Steinhäuser, da Sie es zu wissen wünschen. Mein Vater ist der Locomotiven-Steinhäuser — der Locomotiven- könig in Oberbeken — na, Sie wissen ja!" „Natürlich, ich habe mit dem ersten Blick gesehen, daß Sie eine Prinzessin sind." Das junge Mädchen brach in Lachen aus. „Locomotiven-Prinzessin, nicht übel! — Wissen Sie wa», Doctor, da Sie einmal hier find, so könnten Sie mir helfen, den Flügel zurechtrücken. Die dummen Stockfische von Kerls haben ihn gerade vor den Pfeiler gestellt. Ich muß doch Licht vom Fenster haben." „Mit tausend Freuden, gnädiges Fräulein!" „Nicht so!" commandirte sie, da Hans Hand anlegte. „Gott, wie ungeschickt! So! Noch ein wenig mehr rechts! Sind Sie auch musikalisch?" „Passiv, gnädiges Fräulein." „Was heißt das?" „Ich bin ein guter Zuhörer. Ich liebe Musik — verstehe sie auch leidlich. Mit meiner Fertigkeit ist cs schwach bestellt." „Aber Sie spielen überhaupt Clavier?" „Ich hatte seit zwei Jahren kein Instrument. Bin also voll kommen aus der Uebung." „Schade! — Haben Sie Ihre Karte geschrieben? Wollen Sie meine Lampe?" „Danke. Die Karte ist fertig. Wenn Sie die Güte haben wollten, em wenig zu leuchten, damit ich meinen Hut finde, ohne hier weiter Unheil anzurichten —" Sie nahm die Lampe und leuchtete ihm. Der Aermel ihres Kleides war nicht lang und halb offen und fiel etwas zurück, indem sie die Lampe hochhob. Arm und Hand waren blendend weiß, aber nicht so weich und gerundet, wie bei Damen, die höchstens eine Stickerei vornehmen, sondern schlank und muskulö- Jhre Bewegungen hatten etwas knabenhaft Rasches, ein wenig Eckiges, das zu ihren burschikosen Redensarten stimmte und zu ihrem lieblichen Kindergesicht einen reizenden, pikanten Contrast bildete. Sie gab Hans zum Abschied die Hand und sagte: „Danke schön für Ihre Hilfe!" Er fand keinen Vorwand, länger zu säumen, zog sich also zurück, in einer Stimmung, so übermiithig fröhlich, daß er meinte, dieser Tag müsse besonders gefeiert werden. Er ging, da der Regen noch immer nicht nachgelassen hatte, nur die Straße hinunter, bis zum Potsdamer Platz, setzte sich bei Landvogt in ein gemüthliches Eckchen, ließ sich eine Flasche Rheinwein geben, zündete eine Cigarre an und begann, indem er blaue Ringel vor sich hin blies, an sein neues Stück zu denken. Aber es brauste und sang und klang ihm in Kopf und Herzen von anders gestimmten Weisen. Als er ziemlich spät aufstand, trug er in seinem Taschenbuch eine Anzahl Strophen mit nach Hause, die, wie er fühlte, das Beste waren, was dem Lyriker in ihm bis jetzt geglückt war. Zu Hause auf seinem Tische fand Hans eine Karte mit dem Namen: Eickftedt — Groß-Perkitten — und den mit Bleistift auf die Rückseite gekritzelten Worten: „Bitte mich morgen zwischen zchn und elf Uhr früh zu erwarten." Betroffen ließ Hans die Karte fallen. Sein Oheim war hier, hatte ihn aufgesucht, ohne ihn zuvor zu benachrichtigen. Seltsam immerhin! Er sorgte dafür, daß am anderen Morgen sein Zimmer
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