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Wöchnullch erschein!» drei Nummerri. Pränumeration!. Preis 22; Sgr. (j Thir.) l'iertcliährlich, Z LHIr. für daS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen LHMen der Preußischen Monarchie. für die Man pränumeriri auf dieses Beiblatt der Ällg. Pr. Staats- Zeitung in Berlin in der Expedition (Friedrichs-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei drn Wohllöbl. Post-Aemtcrn. Literatur des Auslandes. 71. Berlin, Mittwoch den 13. Juni 1838. Frankreich. Chateaubriand's Kongreß von Verona"). Herr von Chateaubriand gicbt in dem vorliegenden Werke die Geschichte seiner politischen Thätigkeit als auswärtiger Minister Ludwig'« XVIII. in den Jahren 1822 — 1824, mit Einschluß dessen, was er bereits vorher als Französischer Gesandter auf dem Kon greß von Verona gewirkt hatte- Dasselbe soll zwar nur ein Vor läufer seiner Memoiren seyn, die nach seinem Tode hcrauskom- men und Thaisachen und Personen der Gegenwart dann mit völliger Offenheit berühren werden; allein auch die jetzige Skizze ist von hohem Interesse für die Zeitgeschichte- Der Verfasser selbst legt seinem Buche besonders den Werth bei, mehrere ver kannte historische Tharsachen zu berichtigen; so seyen es, sagt er, vor Allem drei Wahrheiten, an welche man glauben lernen muffe: daß der Kongreß von Verona niemals den Spanischen Restaurations-Krieg von I82Z gewollt, daß dieser Krieg eine vom Interesse Frankreichs gebotene Unternehmung, daß endlich die Ordonnanz von Andujar ein politischer Fehlgriff gewesen sey. Man sicht, daß zwei dieser neuen Aufschlüffe auf unsicheren Füßen stehen: ob eine Maßregel vom Interesse Frankreichs geboren, ob eine andere ein Fehlgriff gewesen sey — das scheint beides mehr in das Gebiet des Unheils als des Faktums zu gehören und nach dem Standpunkte jenes Unheils sehr verschiedener Beantwortun gen fähig zu seyn. Und was den Kongreß von Verona beirifft, so bleibt Herrn v. Chateaubriand's Behauptung doch nur immer in äußerst beschranktem Umfang dahin zu verstehen, daß bei einigen Mächten, auch außer England, allerdings Bedenken gegen die Französische Unternehmung gegen Spanien vorwalteicn. Es begegnet sogar Herrn v. Chateübriand seltsamer Weise, im Ver lauf seiner politischen Geständnisse diese Bedenken gewissermaßen selbst zu rechtfertigen. Allein wir sind nicht gesonnen, das hohe Interesse verleugnen zu wollen, welches das Buch des berühm ten Autors uns eingeflößt hat. Vom Standpunkte des Historikers aus, der den Schmerz über veröffentlichte Geheimnisse der Di plomatie nicht zu theilen vermag, möchte nämlich Herrn v. Eha- teaubriand'S Schrift leicht als das Lesenswenheste erscheinen, was in den letzten Jahren über die politische Geschichte der neuesten Zeil geschrieben ist- Besonders ist dies in Rücksicht des historischen Materials der Fall, welches sowohl an Umfang als an Bedeutung den eigentlichen Text bei weitem überwiegt. Es kann sich ein Historiker schon glücklich preisen, wenn er durch offizielle Dokumente, Traktate, Noten, Instructionen, Depeschen u. s. w. die sicheren Haltpunkte für das Gebäude der politischen Geschichte gewinnt. Allein Vieles bleibt doch hierin unverständ lich und unverstanden, weil es nur durch Umstände des Augen blicks erklärt werden kann, die eben nur Wenigen bekannt ge worden sind. Will man den innersten Gedanken der Handlungen kennen, so wird man sich weniger an die Dokumente der offi ziellen Korrespondenz und mehr an die vertraulichen Geschäfts- Briefe halten, welche die Staatsmänner, wo es Noth thur, unter sich zu wechseln pflegen, die jedoch nur in sehr seltenen Fällen zur öffentlichen Kennlniß kommen und hierzu gewiß dann noch viel seltener bestimmt sind, wenn dieselben, wie hier, noch der Gegenwart so nahe angehören. Diese Quellen sind an sich ge wiß vortrefflich; ob man aber so indiskret seyn darf, dem Bei spiele des Herrn v. Chateaubriand noch recht viele Nachfolger zu wünschen, darüber wollen wir uns jedes Ausspruches enthalten. Es findet sich hier der äußerst interessante Briefwechsel, den der Amor vor dem Beginn des Spanischen Feldzuges mit seinem Freunde Canning, damals gleichfalls Minister des Auswärtigen, geführt hat. Man erinnert sich, daß England damals den Spa nischen Krieg um jeden Preis zu verhindern trachtete. Canning's Briefe sind Englisch — er schrieb das Französische nicht sehr ge läufig — und tragen das Gepräge jenes ungeschmückten Gehen- laffens, jener derben, kraftvollen Argumentation, welche Englische Staatsmänner aus der Ungebundenheit des Parlaments gern in ihren GeschäftS-Stil hinüber zu nehmen pflegen. Wir leugnen nicht, daß Herrn v- Chateaubriand's Antworten, welche den Spanischen Krieg in eine guezxiou route kr-mxais« zu verwandeln *) Oooglvx Veron« — Ooerre — ^lvxoeiatiou'i — kvlouie« — i»ar ^r. tie DtisteLnkriand. oder kroekkari'i riu«-, 18Z8. streben, nachdem man indessen zu Verona sich wohlbedächtig des Bejstandes von ganz Europa versichert hatte, gegen Canning's Stil, insoweit die Eigemhümlichkeiten der Französischen und Englischen Sprache eine Parallele in dieser Beziehung überhaupt zulaffen, in Schauen rreien. Aus dem Spanischen Kriege selbst folgt alsdann eine sehr reichhaltige vertrauliche Korrespondenz zwischen Herrn v. Chateaubriand und dem Grafen Guilleminot, Chef des Gencralstabes des Herzogs von Angouleme; ferner mit den Gesandten zu Wien, London, Berlin und Petersburg; später hin, nach Ferdinand's VII. Restauration, auch mit dem Franzö sischen Gesandten zu Madrid. ÄabinetS-Schreiben der Europäischen Souveraine, desgleichen Briefe ihrer Minister, sind mit einge- mischt, freilich von weniger allgemeiner als persönlicher Bezie hung für den Autor. Man sieht, an Interesse kann es dem Buche nicht fehlen, auch wenn es nicht Chateaubriand zum Verfasser und dessen viel bewunderte Kraft der Darstellung zum Träger hätte. Allein wir bekennen, daß uns diese Darstellung nicht überall befriedigt hat, gerade da am wenigsten, wo sie am meisten ge fallen soll. Chateaubriand ist kein Historiker nach unserem Sinn; er ist Redner und Romantiker: er hat nicht die Kunst der Wahr heit, sondern der Dichtung. Diese schwere, aber schöne Kunst der Wahrheit, die nichts hineinträgt in die Begebenheiten, son dern von ihnen empfängt, welche die Dinge bald einzeln, bald in Massen geordnet austreren und von sich selber zeugen läßt, die das Faktum, statt es auszuputzen, einfach und lebendig mit raschem Zuge zeichnet und dann vorübergeht — diese Kunst der Geschichte besitzt er nicht. Geistreich, frei und liebenswürdig überall in seiner Korrespondenz, überall, wo das Leben selbst ihn nöthigt, zu reden und zu schreiben, wird er alsbald selbstbewußt, schwulstig und unnatürlich, wo er Geschichte schreiben will. Seine Geschichte ist kein Drama, es sind lebende Bilder: Musik ertönt, ein blendender Lichtglanz fällt auf die schönen Gestalten, aber sie reden nicht. Wir greife» ein Beispiel aus der historischen Einleitung über die letzten Jahrzehende Spaniens heraus, die das Buch eröffnet. Ls ist der Augenblick, wo König Ferdinand VII., unmulhig über die Schmach des revolutionnairen Zwanges, sich in die Einsam keit des Escurial zurückgezogen Hane nnd einen Augenblick an die Eonrre-Revolution aus eigenen Mitteln dachte. „Dag Escurial", sagt Herr von Chateaubriand, „ist ein ernstes Denkmal, eine weite Kaserne von Mönchen, von Philipp in Form eines Maner-Rostes und zum Andenken eines unserer Unfälle erbaut; es erhebt sich auf einem festen Moorboden zwischen schwarzen Hügeln; es enthält gefüllte oder zu füllende Königs- Gräber, eine Bibliothek ohne Leser, Raphael's Meisterwerke mo dernd in einer öden Sakristei; feine 1100 Fenster, zu drei Vier theilen zerbrochen, öffnen sich auf die stummen Raume des Him mels und der Erde. Zweihundert Mönche und der Hof brachten ehemals Von Welt und Einfamkeit zusammen. Neben dem mäch tigen Bauwerk, das einer in die Wüste vertriebenen Inquisition gleich sieht, ist cin Park, mit Giesler verwachsen, und ein ver lassenes Dorf: das Versailles der Wüste Hane nur Bewohner beim flüchtigen Verweilen der Könige; wir haben auf seiner durchlöcherten Bedachung die Haide-Drossel sitzen sehen. — Fer dinand verschanzte sich in diese Zuflucht der Hieronymiten, um von dort aus einen Ausfall auf die Gesellschaft zu versuchen; aber verborgen in diesem heiligen düsteren Bau, halle er nicht die Höhe, die Miene, die Strenge, die schweigsame Erfahrung, den unbesiegbaren Glauben dieser ernsten Pfeiler, dieser geweih ten Pilaster: steinerne Einsiedler, die die Religion auf ihren Häup tern trugen. Er, der auferstandenc Tobte, in seinem Sarge sitzend, konnte seine Arme von Staub nicht der Zukunft entgegen- stemmen. Die ohnmächtige Camarilla, die ihn umgab, war ihm nutzlos; die Zeit war am Fuß der alten Institution ange kommen; die Eunuchen des Honorius umgaben ihn mit ihrem Nichts, während Alarich unter Ravenna's Mauern lagerte. An stalt eine jener tragischen Maßregeln zu ergreifen, welche plötz lich einen ungewöhnlichen Charakter enthüllt, gab Ferdinand, der Mann alten Verlangens und neuer Sitte, dem General Cara- vajal Befehl, den Gaspard Vigodet, Militair-Kommandantcn der Provinz Madrid, zu ersetzen; Marius, an den Thoren Roms »«gekommen, träumte keine Absetzungen. Dies einfältige Hülfs» mittel, im Escurial für heroisch gehalten, verschlimmert das Uebel: die permancme Deputation fängt Feuer, die Klubs eröffnen sich