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SllMImgti Tageblatt und Waldenburger Anzeiger 6^3 Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Sonntag, de» 26. September 18«« Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 50 Pf. Alle Postanstaltsn, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. *Waldenburg, 25. September 1880. Die Arbeiterversicherungsfrage. Auf dem Festmahle, welches die Ausschußmit- glieder des Centralverbandes deutscher Industrieller dieser Tage in Düsseldorf vereinigte, gelangte, wie bereits gemeldet, ein Schreiben des bekannten protectionistischen Landtagsabgeordneten, Commer- zienrathes Baare (Bochum) zur Verlesung, worin derselbe auf Grund ausdrücklicher Ermächtigung der Versammlung mittheilte, er habe über die Frage der Arbeiterverficherung, die der Reichskanzler unter dem Beirath Sachverständiger mit allem Nachdruck zum Abschluß bringen wolle, mit dem Fürsten Bis marck in Friedrichsruh eingehend conferirt. Diese Mitlheilung, welche von den anwesenden Großin- dustriellen mit lebhaftem Beifall ausgenommen wurde, läßt deutlich erkennen, daß unser leitender Staats mann, der unlängst auch an die Spitze des preußi schen Ministeriums für Handel und Gewerbe ge treten ist, von der bei Beralhung des Socialisten- gesetzes wiederholt betonten Nothwendigkeit eingreifen der Reformen auf socialpolilischem Gebiet und um fassender Maßnahmen im Interesse der arbeitenden Klassen mehr denn je dnrchdrungen ist. Wie gemeldet wird, haben über die hochwichtige Frage der Arbeiterversicherung im Bundesrathe schon mehrfach Erwägungen stattgefunden und zwar im Anschluß an die mit ihr in engem Zusammenhang stehende, auch im Reichstage bereits erörterte Angele genheit einer Erweiterung bezw. Verschärfung des Haftpflichtgesetzes. „Es ist nämlich" — läßt sich die „Schl. Ztg." berichten — „an maßgebender Stelle die Frage aufgeworfen worden, ob nicht bei einer Verschärfung des Haftpflichtgesetzes, namentlich durch Erleichterung der dem beschädigten Arbeiter auferlegten Bemeispflicht, dem einzelnen Arbeitgeber die Möglichkeit zu gewähren sei, sich durch eine all gemeine Versicherung ferner Abeiter vor allzu drücken den, aus einer erweiterten Haftpflicht möglicherweise erwachsenden Lasten zu schützen. Der bisherige Reichsstaatssecretär des Innern, Staatsminister Hof mann, hatte denn auch im Reichstage s. Z. offen erklärt, daß die Arbeitgeber sich entweder einer ver schärften und erweiterten Haftpflicht unterwerfen oder ihre Arbeiter gegen alle Unfälle, verschuldet oder unverschuldet, nach gesetzlich festzustellenden Normen zu versichern haben würden. Der Rechts streit über die Ursachen des Unfalls, der bei dem jetzigen Stande der Gesetzgebung häufig unvermeid lich sei, obwohl er auf das Verhältniß zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber meist sehr ungünstig einwirke, solle thunlichst beseitigt werden." Ob oder inwieweit Fürst Bismarck sich bei seinem Vorgehen von diesen Gesichtspunkten leiten lassen wird, bleibt abzuwarten; seinen Vorschlägen zur ^öelung der Arbeiterversicherung sieht man jeden falls allseits mit lebhaftem Interesse und in weiten Kreisen auch mit warmer Sympathie entaeaen S-« d!- „«ssi-nUHch.Iib-r-,; die im allgemeinen den wirthschafls- und social- polrttschen In enüonen des Fürsten Bismarck wenig Beifall zollt, begrüßt die angekündigte Initiative des Reichskanzlers, „an sich mit großer Befriedigung" Nach der Natur des Fürsten setzt sie voraus, daß seine Vorschläge zur Regelung der Arbeiterversicher ungsfrage „von sehr viel entscheidenderer Natur sein werden, als es der Standpunkt mit sich brachte, den Staatsminister Hofmann vertrat," ja sie hält es nicht für unwahrscheinlich, „daß diese Verschiedenheit des Standpunktes in der Versicherungs-und in derJn- nungsfrage an dem Portefeuillewechsel zwischen dem jetzigen und dem früheren preußischen Handels minister wesentlich betheiligt ist." Die „National- Zeitung" hegt den dringenden Wunsch, daß die Frage nunmehr in einer Weise angefaßt werde, welche allen dem Unternehmen an sich Günstigen zum Sammeln und Zusammenwirken den Boden ge währen kann. Schwer werde es sein, den großar tigen Plan durchzuführen, und es dürfte daher unter Umständen selbst ein gewisser Zwang zu Hülfe genommen werden müssen. *Waldenlmrg, 25. September 1880. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Wie die „Nordd. Allgem. Ztg." versichert, ist es der Aufmerksamkeit der sehr thätigen politischen Polizei in Berlin gelungen, in den letzten Tagen nicht weniger als 3000—4000 Exemplare ver botener socialdemokratischer Broschüren und Druck schriften bei den dortigen Socialdemokraten mit Beschlag zu belegen. Bischof Hefele von Rottenburg, der so lange Zeit hindurch als der einzige unter allen deutschen Kirchensürsten den Beschlüssen des letzten vatikanischen Concils gegenüber eine an Unabhängigkeit streifende Zurückhaltung sich bewahrt hatte, ist nun auch nach Canossa gegangen. Er erschien am 15. d. auf der großen Katholikenversammlung in Constanz und vollzog öffentlich seine Unterwerfung. Man weiß von dem Bischof Hefele, daß er nicht blos über die Grundlosigkeit des neuen jesuitischen Dogmas von der päpstlichen Unfehlbarkeit, sondern auch über die Verderblichkeit desselben sich sehr bestimmt aus gesprochen hatte. Nach einem Telegramme der „Agence Havas" aus Stuttgart hat Herr v. Varnbüler formell er klärt, daß er niemals irgendwelche Mittheilung über angebliche Verhandlungen zwischen Frankreich und Rußland erhielt, von denen er in seiner improvisie ren Rede in Ludwigsburg gesprochen, sondern er hatte sich einfach zum Echo der Journalgerüchts ge macht, die seit dem vergangenen Jahre dieselben Mel dungen wiederholten. Die deutschen Vereine des Rothen Kreuzes, d. h. diejenigen Männer- und Frauenvereine, welche sich die Pflege im Felde verwundeter und erkrankter Krieger znr Aufgabe gestellt haben, werden am 27. und 28. d. zu Frankfurt a. M. den zweiten allge meinen Vereinslag abhallen. Seit der Beendigung des französischen Krieges ist die Thätigkeit dieser Vereine, bestehend in der Sorge für die Opfer des Feldzuges und der Vorbereitung der Hilfe für einen künftigen Krieg, zwar eine geräuschlose, aber dennoch höchst segensreiche gewesen. Man darf daher sehr interessanten Verhandlungen auf jenem Vereinstage entgegensehen. Auch die deutsche Kaiserin beab sichtigt den Verhandlungen in Frankfurt beizuwohnen. Frankreich. Die neuen Minister haben am 24. d. ihre Func tionen übernommen. Präsident Grevy ist am selben Tage in das Juradepartement abgereist. Holland. Das holländische Budget pro 1881 weist in der Ausgabe 126'/, Millionen Gulden auf, das hier nach sich ergebende Defizit von 21'/« Millionen Gulden soll provisorisch durch Ausgabe von Schatz anweisungen gedeckt werden, außerdem wird die Aufnahme einer Anleihe zur Deckung der Ausgaben für Verbesserung der Kanäle nothwendig sein. Im Uebrigen hält die Regierung die dauernde Vermehrung der Einnahmen erforderlich und rechnet auf die Bewilligung einer Steuer auf Renten. Rußland. In Jarzewo find unter den 3000 Arbeitern einer Fabrik Ruhestörungen vorgekommen. Der Gouverneur, der Staatsanwalt und der Chef der lokalen Gendarmerie haben sich nach Jarzewo bege ben, zur Wiederherstellung der Ordnung ist auch ein Militärcommando dahin abgegangen. Die Ruhe störung soll durch eine plötzliche Herabsetzung des Arbeitslohnes veranlaßt worden sein. Türkei. Die Vertreter der Mächte in Dulcigno treffen Anstalten, ihre Familien nach Ragusa zu schicken, wenngleich trotz der stürmisch gehenden Wogen der Bewegung die öffentliche Sicherheit noch leidlich ist. Allein, wenn einmal die Act on vor Dulcigno ihren Anfang nehmen, und wenn nament lich durch das Eingreifen der Montenegriner Blut fließen sollte, würde der fanatisirte Pöbel schwerlich in den Schranken der Ordnung erhalten werden können. Bei der hochgradigen Erregung der Ge- müther muß man leider darauf gefaßt sein, daß der erste bei Dulcigno abgefeuerte Schuß das Sig nal zu sehr bedenklichen Ausschreitungen geben könnte. Aus dem Muldenthale. *Waldenburg, 25. September. Im Laufe des heutigen Vormittags wurden durch die Geistesgegen wart eines unserer Mitbürger, des Herrn Steuer- controleur Teubert, im benachbarten Thiergarten nicht weniger als vier Menschenleben gerettet. Der selbe war im Begriffe, nachdem er seine Geschäfte im Dorfe erledigt hatte, wieder zurückzukehren, als er aus einem nahen Hause ein klägliches Kinderge schrei vernahm. Er näherte sich dem Hause und bemerkte, daß in der parterre gelegenen Stube ein dicker Qualm sich entwickelt haben müsse, denn die Fenster hatten ein milchartiges Aussehen. Herr Teubert öffnet schnell entschlossen einen am Fenster angebrachten sogenannten Schieber, worauf mehrere kleine Kinder im Alter von 2 bis 4 Jahren an der Oeffnung sich bemerkbar machten; drei derselben wurden durch Herrn Teubert sofort durch die Oeff nung herausgezogen; aus Andeutungen der Kinder, die erst einigermaßen wieder zu Athem kommen mußten, schloß er, daß noch ein Kind in der Stube sich befinden müsse, worauf er, soweit es der heraus strömende Qualm zuließ, sich hineinbog und am Boden liegend noch ein zweijähriges Kind erfaßte und an die frische Luft brachte, wo es wieder zu sich kam. Um nun der Ursache des Qualmes nach zuspüren, holte Herr Teubert den dortigen Steuer einnehmer, ließ den Gemeindevorsteher rufen und als noch weitere Hilfe erschien, wurde das Fenster ausgebrochen und ein Arbeitsmann stieg in die Stube, derselbe konnte jedoch nichts ausrichten, bis auch die Thüre erbrochen war und der entstehende Luftzug den Qualm einigermaßen vertrieben hatte. In der Stube entdeckte man dann hinter einem alten Kanapee, das in der Nähe des Ofens stand, eine sog. Mulde mit glimmendem Torf, der bei der hin zutretenden Luft bald lichterloh ausflammte; die Mulde wurde sofort mit dem brennenden Torfe ins Freie gebracht und damit weiterer Schaden verhütet. Wäre Herr Teubert einige Minuten fpäter dort vorbeigegangen, so hätten die eingesperr ten Kinder unfehlbar ersticken müssen; denn wie Nachbarsleute erzählten, wären die Kinder tagtäglich früh und nachmittags während der Zeit, in welcher sich das eine 6jährige Mädchen in der Schule be finde, eingeschlossen und das Geschrei derselben etwas Gewöhntes. In der Stube wohnen die Maurer Müller'schen Eheleute, denen zwei der