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auch für seine ganze Generation eine Notwendigkeit darstellte: das Hinfinden zu neuen Organismen, zu Formen der Musik, die aus dem Melodischen als dem Musi kalisch-Primären, aus dem In-Beziehung-Setzen solcher von der Linie her bestimm ten musikalischen Gestalten ihre Substanz herleiteten. Vorhergegangen war eine Absage an Überholtes, vom Harmonischen her Übersteigertes, vom Rhythmischen her Abgenutztes. Versuche, hierfür Erschreckendes, Unerhörtes zu setzen, erwiesen sich nicht als tragfähig. Blieb also nur das Bekenntnis zu neuen Ordnungen, die sich durchaus nicht von historisch weit zurückliegenden Gepflogenheiten zu ent fernen brauchten, um der Musik ihre Funktion unter den Menschen zurückzugeben. Hindemith ging konsequent — und als anerkannter ausübender Musiker — den Weg zu solchen ,,neuen Ufern“. Die Befreiung von den Fesseln eines in der Romantik beheimateten Subjektivismus und die neue Bindung an (wirklich nur scheinbar eigengesetzliche) Gegebenheiten des thematischen Materials machte den Weg frei für Werke, die — obwohl in der Tradition verhaftet — von ihrer Zeit zu sagen wußten. Dem Musikanten Hindemith, dem im praktischen Gebrauch einer Vielzahl von Instrumenten Beheimateten, wurde dabei der Weg leichter als manch anderem, der vielleicht mit der gleichen Einstellung, aber ohne das profunde Wissen um ihre Realisierung, zu Werke ging. So offenbaren sich die fünf knappen Sätze der ,,Kleinen Kammermusik für fünf Bläser“ als ein spielfrohes, instrumentengerechtes, sowohl die Zeit als auch die Persönlichkeit ihres Schöpfers charakterisierendes Werk, das dem thematischen und motivischen Material die Möglichkeiten abzugewinnen wußte, die aus drohender Stagnation wie auch aus unträchtigen Versuchen angestrebter Ein maligkeit herausführten. Zu ähnlich verpflichtender Bindung an das mit dem Thema gegebene Material bekennt sich auch Nationalpreisträger Johannes Paul Thilman, Professor für Komposition an der Dresdner Carl-Maria-von-Weber-Hochschule, wenn er for muliert, daß sein Streichquartett op. 84 seine Substanz im wesentlichen aus zwei bereits in den ersten beiden Takten des Werkes unisono vorgetragenen Motiven her leitet, die in vielfachen Varianten das Werk durchziehen. Zehn ineinander über gehende Teile, sehr dicht gearbeitet und klanglich bis dorthin geführt, wo die tonalen Beziehungen gerade eben noch gewahrt bleiben, machen dieses Quartett zu einem äußerst intensiven, von ausdrucksgesättigten Kontrasten angefüllten Beleg des Musikschaffens unserer Tage, das sowohl der Weiterentwicklung dessen, was die Tradition uns gebietet, als auch dem Aussagewillen einer Übergangszeit verpflichtet ist, die, keineswegs einseitig gebunden, der sich im Werk offenbarenden Persönlich keit allen für ihre Entwicklung nötigen Raum gibt. W. Bänsch LITERATURHINWEISE: Albert Quantz: J. J. Quantz — Schönewolf: Beethoven in der Zeitenwende Strobel: Paul Hindemith Vorankündigung: 11. und 12. Februar 1961, jeweils 19.30 Uhr, 8. Außerordentliches Konzert 1 3. KAMMERMUSIKABEND 6058 Ra III-9-5 261 0,5 It-G 009/15/61