Volltext Seite (XML)
Elbeblatt für Riesa, Strehla und deren Umgegend. ^§23 Dienstag, den 7. Juni 1853. Die türkische Frage. l. Die Aufmerksamkeit des ganzen gebildeten Europa ist in der neuesten Zelt vor Allem auf die Vorgänge in Konstantinopel gerichtet, weil sich nicht verkennen läßt, daß gegenwärtig hier der Schwerpunkt der europäischen Politik liegt und hier auch der Ausgangspunkt der größten und wichtigsten Ereignisse der nächsten Zukunft zu suchen ist. Die türkische Frage ist aber so weit schichtig und so verschlungen, daß ihre Besprechung nicht mit zwei Worten abzumachen ist. Wir wer- den um so mehr Gelegenheit finden, darauf zu rückzukommen, je weniger sie ihrer endlichen Er ledigung nahe ist; in diesem ersten Artikel möge zuvörderst ein Rückblick auf die allcrneuesten Vor gänge am goldenen Horn geworfen werden, wo durch eines Theils die erfolgte Abreise des russi schen außerordentlichen Gesandten, des Fürsten Mentschikoff, von Konstantinopel ihre Erklärung finden, andern Theils aber auch die in den Zeit ungen mannichfach umlaufenden und sich ost schnur stracks widersprechenden Nachrichten über geschehene Ausgleichung und das Gegentheil in Einklang ge bracht werden dürften. ES ist bekannt, daß bei Beginn des Krieges der Pforte gegen die Montenegriner Oesterreich den Grafen von Leiningen als außerordentlichen Gesandten nach Konstantinopel sendete, um gewisse Forderungen daselbst durchzusetzen. Der Zeit punkt war außerordentlich günstig deshalb gewählt, weil damals der einflußreiche und kluge englische Gesandte Stratford de Redclüffe, von welchem der Divan sich hätte Raths erbolen können, nicht auf seinem Posten war. Die Sendung des Gra fen von Leiningen war aber von einem beispiello sen Erfolge begleitet; Oesterreich setzte in kurzer Zeit alle seine Forderungen durch und gewann unter den Osmanli ein Ansehen, welches das der andern Großmächte nothwendiger Weise in den Schatten stellen mußte. Rußland wird durch seine weltgeschichtliche Stellung nach dem Süden und nach dem Bospo rus hingetrieben; es muß die Straße nach dem Ocean gewinnen, denn ohne das Uebergewicht zur See ist keine Weltmacht denkbar. Seit Peter dem Großen hat sich denn auch die russtche Herr schaft langsam aber sicher nach dtn Gestaden des BoSporuS hin auSgebreitet. Alle Welt weiß e», daß das türkische Reich seiner Auflösung nahe ist, und gerade in der Nähe dieses entscheidenden Moments wurde durch den Sieg Oesterreichs der russische Einfluß in Konstantinopel bedroht, die Mühe und Arbeit eines Jahrhunderts schien ver geblich gemacht worden zu sein, und eS war da her Rußland durch die Nothwendigkeit gezwungen, irgend einen Schritt zu thun, um seine Autorität wieder zur überwiegenden zu macken. Das St. Petersburger Kabinet sandte einen dec höchsten Würdenträger, den Fürsten Mentschikoff, nach Stambul; hinter ihm aber standen kriegsbereite Armeen und eine zahlreiche Kriegsflotte. Die politische Weltlage war zu der Zeit, al» Mentschikoff in Konstantinopel anlangte, den Plä nen Rußlands höchst günstig und der Fürst beeilte sich, davon den größtmöglichsten. Nützen zu ziehen. Er trat mit einem imponirenden Glanze auf und ließ den Osmanli und insbesondere dem Divan die Ueberlegenheit seines kaiserlichen Herrn sogar bis zu dem Grade fühlen, daß er die gewöhn lichen Regeln der diplomatischen Artigkeit außer Acht ließ. Der Pelzrock und die beschmutzten Stie seln des Fürsten, in welchen er zur Audienz bei dem türkischen Minister deS Auswärtigen erschien, haben in Europa große Sensation gemacht. ' Die Forderungen des Fürsten bezogen sich zu nächst auf die Verhältnisse des heiligen Grabe»- in Jerusalem. Die Pforte hatte in dieser Be ziehung Frankreich mehre Begünstigungen, unter Anderem das Recht eingeräumt, dcn Schlüssel zur Hauptpforte der heiligen Grabkirche zu führen. Rußland sah dadurch die Rechte der orthodoxen Griechen in der Türkei, welche in dem russischen Kaiser ihr Oberhaupt zu erblicken gewahrt sind, beeinträchtigt, und forderte daher die Aufhe bung der an Frankreich erthcilten Begünstigung. Auf diesem Punkte standen fich mir Frankreich u. Rußland gegenüber; England hatte kein Interesse an der Sache und rieth daher der Pforte in die sem Punkte zur Nachgiebigkeit. Der Streit, so- weit er die Frage wegen der heiligen Stätte be trifft, ist denn auch zu Gunsten Rußland» erledigt worden, weshalb denn seiner Zeit die Nachtlicht durch die Zeitungen die Runde machte, Rußland sei mit seinen Forderungen durchgedrungen. Außer der Heiligen-Grabfrage war inmittrlst