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klingenden Romantik über den Impressionismus zum atonalen Konstruktivismus ging. Ein Weg, der etwa mit Beginn der zweiten Hälfte seines Werkes in die abso lute Vereinzelung führte, ist Verzicht auf die Tonalität, athematisches Prinzip, diffuse Rhythmik, Verschleierung des Taktgefüges. Vielleicht aus der Negierung des Zeitgeschehens um den i. Weltkrieg herzuleiten, führte Schönberg den Übergang zum Zwölftonsystem und die Orientierung an barocken und klassischen Komposi tionsprinzipien nicht aus seinem grenzenlosen Subjektivismus heraus, der nicht nur vom Interpreten das Letzte an Selbstlosigkeit, sondern auch vom Hörer ein Höchstmaß an gedanklicher Mitarbeit forderte. Die Kunstanschauung ihres Meisters vertreten — wenn auch in sich unterschiedlich, wobei die größeren Gestaltungskräfte beim Erstgenannten liegen — Alban Berg und Anton von Webern. Bergs Streichquartett op. 3 aus dem Jahre 1910 ist gekennzeichnet durch letzte Subtilität der Ausdrucksmittel, die jedoch unter dem Zwang der vom Konstruktiven her bestimmten Anlage das Melos nur gelegentlich zu unmittelbarer Wirkung gelangen lassen. Feinstgliedrige Rhythmik, absolut selbständig geführte Stimmen, kaum eindeutig festlegbare Farben ordnen das Werk der Endstufe einer Entwicklung zu, aus der — wie Hindemith es prakti zierte — nur ein Weg wieder in die lebendige Musik hineinführte: der über neue Formen der Gebrauchsmusik. Ist bei Berg die Zweisätzigkeit des Werkes schon seine Absage an die überkommene zyklische Form, so geht Anton von Webern, Schönbergs getreuester Parteigänger, in seinen „Fünf Sätzen“ op. 5 konzessionslos den letzten Schritt in Gebilde, die es nicht mehr gestatten, mit herkömmlichen Be griffen zu operieren. Form, Thematik, musikalische Gestalt weichen Klängen ohne Verbindung zueinander, Bewegungen ohne erkennbaren Ursprung und Ziel. Stän diger Wechsel des Zeitmaßes, dynamische Extreme in unmittelbarer Nachbarschaft, Konzentration auf ein Mindestmaß an Ausdehnung der einzelnen Sätze - und den noch kein Neues, nach vorn Weisendes, sondern, um es in ein Wort zu fassen, Er gebnis eines Auflösungsprozesses. Wie so ganz anders das letzte Werk des Programms, auch dem Ende einer Entwick lung zugehörig, aber eben det echten Entwicklung zu einer Höhe der Meisterschaft, die der Betonung etwa von Kraft oder musikantischem Überschwang getrost ent- raten kann. Unter den Werken der letzten Schaffensperiode Johannes Br ahms ’ befindet sich — in der Nachbarschaft zu anderen Kompositionen mit Klarinette wie dem Trio für Klavier, Klarinette und Violoncello op. 114 und den beiden Sonaten op. 120 für Klavier und Klarinette — das Quintett für Klarinette und Streichquartett op. 115. Die Bevorzugung der Klarinette im Rahmen von Kompositionen einer letzten gro ßen Ernte des noch nicht Sechzigjährigen ist zurückzuführen auf Brahms’ mehr fachen Aufenthalt in Meiningen, wo ihn die Kunst des Klarinettisten der Hofkapelle Richard Mühlfeld so fesselte, daß er sich mehrfach von diesem Stücke vorspielen ließ, die ihm die klanglichen Eigenarten des so vielseitigen Instrumentes bis in alle Einzelheiten vermittelten. Mühlfeld war es auch, der am 24. November 1891 bei der Uraufführung in Meiningen den Klarinettenpart sowohl des Trios op. 114 als auch des Quintetts op. 115 blies. Brahms — in der Anlage der genannten Werke für einen Künstler von ganz bestimmtem Format übrigens auf den Spuren seiner großen Vor gänger in dieser Gattung, Mozart und Weber, wandelnd — befand sich vor der Kon zeption der Werke 114 und 115 in einer Krise, die, durch ihm ungewohnte Krank heitszustände und Eigenbeobachtung scheinbar nachlassender Schöpferkraft geför dert, seine Gedanken um das Ende des menschlichen Lebens kreisen ließen. So liegt auch über dem Klarinettenquintett die Ruhe und Abgeklärtheit dessen, der sich an schickt, sein Haus zu bestellen (und das ist wörtlich zu nehmen: Außer den oben ge nannten Werken entstehen völlig neu nur noch die „Vier Ernsten Gesänge“ und die „Elf Orgelchoräle“, während alles andere aus der Sichtung früherer Entwürfe her vorgeht), es liegt darüber auch die meisterliche Weisheit eines, der in seinen frühe ren Werken alle Seiten des kompositorisch Möglichen abgetastet hat und nun ohne Anfechtungen von dem Erworbenen Gebrauch zu machen weiß. Einheitliche The matik bestimmt den Zuschnitt des gesamten Werkes, in dessen einzelnen Sätzen - bei aller Eigenwüchsigkeit der formalen Gestaltung — die Orientierung am Haupt thema das Wesentliche ist. Nur scheinbar hie und da ein Auseinanderfließen: Immer wieder weiß die Hand des Meisters zu sammeln und zu straffen, und wenn im Finale — durch Variationen leicht abgewandelt — Bauelemente des gesamten Werkes noch einmal zusammengefaßt werden und das Ganze sich mit dem Zurückgreifen auf den Beginn des ersten Satzes rundet, so offenbart sich einmal mehr die sichere Beherr schung alles Formgebundenen im Dienste einer Aussage, die es nicht nötig hat, nach „Unerhörtem“ zu greifen. Walter Bänsch LITERATURHINWEISE Kalbek, Johannes Brahms (Brahms-Gesellschaft 1912) Moser, Musik-Lexikon, Sikorski, Hamburg 1955 Vorankündigung: 5. Außerordentliches Konzert am 17. Januar 1961, 19.30 Uhr Dirigent: Prof. Heinz Bongartz Solisten: Christa Maria Ziese, Leipzig (Sopran), Wilfried Krug, Dresden (Tenor) Richard-Wagner-Abend 18. Januar 1961, 19.30 Uhr — Anrecht C Programm wie 17. Januar 1961 ! 2. Kammermusikabend Anrecht D 1960/6 6028 Ra III-9-5 161 0,5 ItG 009/60/88