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Nummer 149 — 27. Jahrgang «rlchetnl «mal wöchentl. mit dm illustr. Gratisbeilagen .Di« «ei«' und .Für »Niere «leinen Leute', sowie den repbetlagen ,«t. Benno-Biatt'. .Unterhaltung und Wissen'. .Di- Welt der Frau'. .AerzliiLer Ratgeber'. .Da» gute Buch'. .Ftlmrund. schau'. Monatlicher Be,«g«V»etS S Mk. einschl. Bestellgeld. Gtnzetnummer 10 Sonnabend- u. Sonntagnummer 20 Hauptichrtstleiter- Dr. B. Tesezhk. Lrerde». MNSüchMe Mittwoch» den 4. Juli 1928 >ve»lag»»rt, Dresden Anzeigenpreis«, Die >gespaltenePetitzeil« !»<> ^.Familien, anzeigen ».Stellengesuche 201. Die Petttreklamezeil«^ 8Smm breit, 1 Für Anzeige» autzerhalb des BerbreiiungSgebietes -I01. die PetitreNamezeile I .:tO^.Offer1engeb.2N 1. Im Fall« höherer Gewalt erlischt seds Beipflichtung auf Lieserung sowie Ertüllung v. Anzeigen.Auilrägen u. Leistung v. Schadenersatz^ Gelchäslltcher Teil: Artur Lenip Dresden. Geschäftsstelle. Druck „.Verlag! Germania. A>S. iür Beriag und Druckerei.Filiale Dresden.DreSden.A-1. Doliersiratzel?. FernrusLIVlS. Postlchecklonto DreSdm 2707. Vanklonlo Stadtbant Dresden Nr. «1719 Für christliche Politik und Kultur Redaktion der Sächsischen AolkSzeitung DreSden-Altsiadt 1. Poiierstratze 17. Fernrui 2MII und 21012. Die Scheidenden Marx — Brauns — Köhler. Drei Männer des Zentrums sind mit der Neubildung des Kabinetts aus der Regierung ausgeschieden. Zwei davon sind infolge ihrer langen Regierungstätigkeit und infolge der Aufgaben, die sie in diesem Zeitraum der deut schen Politik an führender Stelle trotz vieler persönlicher Widerwärtigkeiten und großer sachlicher Schwierigkeiten erfolgreich gelöst haben, mit eisernem Griffel in das Ge schichtsbuch der deutschen Republik eingeschrieben. E s sind die Namen von Marx und Brauns. Der dritte, Neichsfinanzminister a. D. Dr. Köhler, hat im Rahmen der Reichspolitik erst eine kurze, aber nicht minder arbeitsreiche Etappe hinter sich. Es wird für alle, die dem Zentrum auch im letzten Jahre des Sturmes treu geblieben sind, ein Herzensbedürfnis sein, diesen Männern aufrichtig und offen den Dank auszusprechen, den sie sich, wahrlich nicht in den rosigsten Zeiten und nicht in den angenehmsten Tagen, um Schicksal und Ausstieg des deutschen Volkes er worben haben. Denkt der politische Gegner gerecht und stellt er die Parteipolitik für einen Augenblick zurück, dann müßte auch er bereit sein, sich diesem Danke anzuschließen. Oder sind wir schon so voneinander abgeschlossen, daß die sachlichen Verdienste nicht mehr a>>s der parteipolitischen Polemik herausgenommen und anerkannt werden? Reichskanzler Marx hat vier Kabinett« geführt. Manche haben es ihm verdacht, daß er sich vier mal zur Verfügung gestellt hat. Sie haben ihn deshalb persönlich und politisch angegriffen: ja, sie haben ihm sogar Gesinnungswechsel vorgeworsen. Wir sind es Marx schuldig festzuftellen, daß er, der am längsten amtierende und jetzt scheidende Reichskanzler, dessen Schlichtheit zur Genüge be kannt ist, gehandelt hat aus dem Pflichtbewusstsein, daß ihm, dem Deutschen und Katholiken, wie selten sonst einem innewohnt. Wenn heute die Deutsche Republik gesichert und gefestigt ist. wenn wir uns nach der schweren Katastrophe de: Kriegsjahre das Vertrauen des Auslandes wiedererworben haben, wenn staat liche Ordnung auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens nach den Tagen von Aufruhr und finanzieller Zerrüttung wieder eingekehrt ist, dann gebührt dem Reichskanzler Marx an dieser inneren und äußeren Er neuerung des deutschen Volkes ein Anteil, der, wenn man ihn an den Verdiensten anderer politischer Persönlich keiten des neuen Deutschland mißt, nicht an letzter, sondern eher an erster Stelle steht. Die Menschen sind gar schnell lebig. Es ist gut, daß sie in dem rasenden Tempo der modernen Zeit viele Widerwärtigkeiten vergessen, von denen sie noch unlängst befallen und heimgesucht gewesen sind. Wollen wir aber den Politiker Marx richtig wür digen, dann müssen wir uns noch einmal zurückversetzen in den Strudel jener Tage, in denen man nicht wußte, ob das deutsche Volk über ihn hinwegkommen oder ob es in seinen immer mehr sich verengenden Kreisen versinken wird. Als nach dem verderblichen Ruhrkampf das Inflations- gewirrdie innere und äußere Kraft des deutschen Volkes aufzuzehren drohte, als das Ausland drauf und dran war, sich von Deutschland völlig abzukehren, es aufzugeben und eine neue Front gegen das Herz Europas zusammenzu schweißen, als eine unendliche Regierungskrise im Jahre 1923 die Gefahr der wirtschaftlichen und damit «uch politischen Diktatur heraufbeschwor, da hatte Marx den Mut, im undankbarsten Augenblick die Zügel der Re gierung zu ergreifen. Dem heute gefeierten Stresemann waren die Zügel damals glatt entglitten. Noch nie war die Parteieifersucht und die Parteiunschlüssigkeit so groß ge wesen! Marx hat den Wurf gewagt. Und wenn er heut« keine anderen Verdienste aufzuweisen hätte, als daß er damals, wo niemand wollte und jeder die Verantwortung floh, in die Bresche der höchsten Verantwortung sprang, so sollten ihm Freunde und Gegner und vor allem die Republikaner dafür dankbar sein! Damals war Gefahr im Verzug! Der Republikaner Marx ist in der ganzen Folgezeit dieser seiner inneren Gesinnung treu geblieben, auch wenn Parteipolitik etwas anderes, Gegenteiliges, be haupten möchte. Weder die Uebernahme der Geschäfte in der letzten Reichsregierung, noch sein Austritt aus dem Reichsbanner berechtigen zu dem schweren Vorwurf des Gesinnungswechsels. Es waren Schritte, denen sachliche und taktisch« Erwägungen zugrunde lagen, und die von jeder mann auch nur so und nicht anders gewertet werden sollten. Oder hätte sich Marx sonst mit solcher Entschiedenheit gegen über den Deutschnätionalen für die Verlängerung des Republikschutzgesetzes eingesetzt? Auf dem Wegs der Kanzlerschaft Marx stehen neben vielen kleinen Erfolgen drei große Eckpfeiler, die er für das deutsche Volk aufgerichtet hat: Seinem aufrechten Charakter ist es in den Londoner Verhandlungen des Jahres 1924 gelungen, ein Vertragswerk zum Abschluß zu bringen, das die Außenpolitik der Folgezeit wesentlich be einflußt hat. Die Annahme der Dawes-Eesetze, die er in starkem, innenpolitischem Kampf durchgesetzt hat. ist. politisch gesehen, der Ausgangspunkt dafür geworden. Ixrk die Revarationsfrage aus der oolitikiben Atmosphäre Sie MW M i>M WM Ausführliche Regierungs - Erklärung Berlin. 3. Juli. Heute nachmittag 3 Uhr ist der Reichstag zusammen, getreten, um aus dem Munde des Reichskanzlers Hermann Müller die Erklärung der neuen Regierung ent gegenzunehmen. Die neuen Minister wollen mit Ausnahme des Außenministers vollzählig an der Sitzung toilnehmen. Die Regierungserklärung ist entgegen den urspriinglici>en Absichten sehr ausführlich und dürste last eine Stunde beanspruchen. Sie wird fast alle jene politischen Fragen be rühren. die schon bei den interfraktionellen Besprechungen über die Regierungsbildung eine Rolle spielten. Insbesondere losten die Fragen der Steuerreform sLohnsteuersenbungl. des Nationalfeiertages und der Amnestie ausführlich erörtert werden Auch die Schulfrage wird Hermann Müller berühren. Die Regierungserklärung soll auf lange Sicht eingestellt sein. Sie dürste auch an den Problemen der Verein, heitlichung des Verwaltung?- und Verfassungsrechtes nicht vorübergehen. Schon der letzle Reichstag hat in einigen Entschließungen Reformen verlangt, gegen die eigentlich keine erheblichen Widerstände bestehen und deren Notwendigkeit auch von den grundsätzlich föderalistisch eingestellten Parteien an erkannt wird. Dabei ist vielleicht an die Vereinheitlichung des Etatsrechtes und an die einheitliche Vorbildung der Beamten, Richter und Rechtsanwälte gedacht. Aus dieser einheitlichen Vorbildung ergibt sich eine erhöhte Freizügigkeit. Auch die Frage der Reichsangehörigkeit dürfte eine Roste spielen. Bis heute gibt es keinen deutschen Reichsbürger, sondern nur einen preußischen, hessischen oder bayerischen Staatsbürger, lieber die a u ß s n v o l! t i lche n Fragen. die in aer Regierungserklärung behandelt weröen, ist mit dem Neichsaußenministerr Dr. Stresemann eine Fühlungnahine er- folgt. Tr. Stresemann hat sich damit den Ausführungen, die der Reichskanzler heute zu machen gedenkt, durchaus einverstan den erklärt. Diese Ausführungen werden sich insbesondere auf die Frage der Räumung der besetzten Gebiets, die Reixirations- lrage und den Kellogschen Kriegsächtungsvoischlag bestellen. Am Mittwoch wird dann die große politische Aus sprache beginnen. Sie wird voraussichtlich erst am Freitag geschlossen werdet«. Danach wird zunächst eine kurze Pause von drei bis vier Tagen in den Vollsitzungen eintreten. Inzwischen werden die Ausschüsse sich mit den Aufgaben beschäistgen. die ihnen der .Reichstag noch als dringlich überweisen wird. So wird der Rechtsausschuß bereits am Mittwoch die Amnestie anträge in Beratung nehmen. Die Amnestievorlage dürfte als erstes Gesetzgeüungsmerk nach der politischen Ansvrack>e noch vor den Ferien, die von Mitte Juli bis zum Herbste dauern, verabschiedet werden. Tie neue Reichsregierung will aber auch alsbald die Vorlage vor den Reichstag bringen, durch die im Sinne der Beschlüsse des Neicbsrates der 1t August, der Tag der Weimarer Verfassung, zum Nationalfeiertag gemacht werden soll. In weicher Form die Regierung die Entscheidung vor dem Reichstag suchen wird, ist noch nicht sicher Wir wurden der Meinung sein, dag die Regierung sich nicht mit abgelehnten Migtrauensanträgen, die von deutschnationaler und kommu nistischer Seite zu erwarten sind, begnünqe sollte, sondern dag sie, dem Sinn des parlamentarischen Systems entsprechend, den Reichstag vor die Probe des positiven Ver trauensvotums stellt. Man hofft, daß der Reichstag am 11. Juli in die Som me r f e r i e n gehen kann, die bis zum November dauern sollen. in die wstrtschaftlich-sachliche Behandlung kam. Damit wurde gleichzeitig der Weg freigelegt z u r politischen Verständigung, zur Wiederherstel lung unserer Vertrauenswürdigkeit nach außen, und letzten Endes zur Befreiung der ersten Rheinland zone. Was Wirth begonnen hat, wurde von Marx fort gesetzt. Künftige Erfolge der deutschen Außenpolitik fußen auf dieser Grundlage. Die innereStaatskonsoli- di erring, die mit der Inflation völlig in die Brüchs gehen wollte, wurde durch die Stabilisierung der Mark eingeleitet und durchgeführt und gerettet. Wird heute das Zentrum mit Marx wegen der damaligen, ein schneidenden, schweren, ja barbarischen Maßnahmen an gegriffen, ja sogar von manchen seiner Freunde verlassen, dis Nachwelt wird gerechter sein. Sie wird die Rettung aus der Inflation als die zweite Wiedergeburt des Nachkriegsdeutschlands ansehen. Niemals haben wir behauptet und tun es auch heute nicht, daß die Politik der letzten Jahre fehlerfrei gewesen sei. Wer aber die g r o ß e n L i n i e k 'ucht — und aus diese kommt es an — der wird finden, daß ,ie gerade verlaufen. Die Republik steht fest, die Außenpolitik ist trotz der gegen wärtigen Stagnation entspannt und die Gesetzgebung wesentlich gefördert. Die Front der Republik hat Marx da durch gestärkt, daß im letzten Kabinett die Deutschnatio nalen die Bürde der Verantwortung m'ttragen mußten. Natürlich bleibt noch Arbeit genug übrig. Wenn Marx jetzt in dis Reihen der Abgeordneten zurücktritt, dann darf er mit Recht von sich sagen, daß er sein Leben nicht umsonst gelebt hat. Josef Wirth hat in einem Artikel, den am Sonnabend dte „Germania" veroyenttichl hat, Dr. Brauns „den großen Sozialpolitiker Deutschlands" genannt. Das Zeug nis, von einem Manne ausgestellt, der politisch nicht immer mit Brauns konform gegangen ist, wiegt schwerer als die Anerkennung manches Freundes. Tr. Brauns hat, was die sachliche Materie angeht, die er vertrat, ein Mini sterium geführt, das immer mitten im Kreuzfeuer scharfer Auseinandersetzungen gestanden hat. Daß Dr. Brauns dieses Amt acht volle Jahre verwalten konnte, ist allein schon ein Beweis dafür, wie stark er für diese Aufgabe prädestiniert war. Wir sind überzeugt, dag ihn niemand gern scheiden sieht: seine Freunde nicht, weil sie seine Arbeitskraft, seine Kenntnisse, seinen praktischen Sinn und seine wirk liche Befähigung schätzen, kennen und anerkennen. Seine Gegner nicht, weil sie wissen, dag Dr. Brauns für sie ein angenehmer Prellbock war, wenn er als Zentrums mann Entscheidui^en treffen mußte, die mitunter tief in da« koiiale Leben eingegriffen haben, und weil n« weiter wissen, daß ein Ersatz, wenn auch äußerlich möglich, so sachlich zu den undankbarsten Ausgaben gehört. W e n n Gesetzgebungswerk besitzen, dann wird es D r. Br a u n sverdankt. Es kommt uns heute nicht so sehr darauf an, die Tätigkeit von Dr. Brauns ans Grund von Einzelheiten zu betrachten: es kommt darauf an, ans- zuzeigem daß hier planvoll und umfassend ein Werk gestaltet worden ist, aus einem schöpferischen Willen heraus, dem man die einheitlich geschlossene Auffassung auf den ersten Blick ansteht. Das ist das Entscheidendes daß alles aus e i n e m G u ß ist. Der Fachmann Brauns ist überall anerkannt. Ein Gesetz faßt wie ein Räderwerk wir heute in Deutschland ein in sich ge schlossenes, gefestigtes sozialpolitisches in das andere. Arbeitsvermittlung. Arbeitslosenversiche rung. Arbeitsgerichtsbarkeit, Reichsknappichartsgesetz und Arbeitszeiroerordnung bilden das grandiose Fundament, auf dem die neue deutsche Sozialpolitik ruht. Daran schließen sich Pensisns-, Fürsorge- und Wohnungswesen. Kommt hinzu, daß Tr. Brauns in den Lohnkämvren sozu sagen der r u h e n d e P o l in der Erscheinungen Flucht ge wesen ist. Natürlich konnte es nicht fehlen, daß Dr. Brauns und das Zentrum Angriffen von allen Seiten ausgesetzt ewesen stnü, zv.mal in einer Zeit, wo dis wirisch aft- ichen Verhältnisse so labil sind wie die unsrigen. Dennoch werden Tr. Brauns Arbeitgeber und Arbeitnehmer dafür Dank wissen, daß er manche ernsten Arbeitskämpfe durch seine persönliche Initiative und Ver antwortung verhindert hat. Nicht weniger als Marx ge bührt ihm. dem nunmehr scheidenden Minister, der Dank von Partei und Vaterland. Mit diesen beiden erprobten Männern ist auch Dr. Köhler aus dem Kabinett ausgelchiedsn. Ein Jahr hat er die Finanzen des Reiches verwaltet. Seins Täftakeit ist tn eine Zeit gefallen, in der dis Entwicklung der Finanzen eine besonders sorgsame, pflegliche Behandlung nötig halte. Die Balancierung des Etats, Einsparungsmaßnahmen in Verbindung mit oer Verwaltungsreform und knappe Haus haltungswirtschaft machten die Arbeit schwer. Tie Erats- lage hat dennoch Fortschritte gemacht, vor allem dadurch, daß es gelungen ist, den Anleihebedarf im Extra- Ordinarium zu vermindern. Die Auseinandersetzungen mit dem Reparationsagenten zeigten bereits das künftige große Tbema an. das die deutsche Finanzpolitik künffia beweaen wird. Umstritten auch in den eigenen Reihen wegen der Beamtenbesoldungsreform, hinterläßt Dr. Köhler seinem Nachfolger eine geordnete Finanzwirtschaft. Noch im aktivsten Mannesalter tritt Kühler als Abgeordneter in die Fraktion zurück, in der er. wie wir hassen, ein guter und tücbtiaer Berater «ein wird.