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Schönburger Tageblatt Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. 1884 Mittwoch, den 12. November -V 28». Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis nachmittags 8 Uhr des vorhergehenden Tages. Expedition: Waldenburg, Kirchgasse 255. und aldenburger Anzeiger Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. «S Pf. Einzelne Nummern 5 Pf Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Filial-Expedition in Altstadtwaldenburg: bei Herrn Kaufmann Max Liebezeit. Bekanntmachung. Diejenigen, welche von der nach tz 8, Abs. 6 des für hiesige Sladt be stehenden Anlagen Regulativs eingeräumlen Selbftabschätzung zur Ge meinde-Anlagen-Einschätzung für das Jahr 188S Gebrauch zu machen gedenken, werden hiermit ousgefordert, ihre diesfallsigen Erklärungen bis zum 18. dieses Monats bei Verlust des Rechts der Selbstabschätzung in der Rathsexpedition schriftlich abzugeben. Waldenburg, den 11. November 1884. Der Stadtrath. Helbig. R. II. "Waldenburg, 11. November 1884. Der deutsche Reichstag und jedes seiner Mit glieder hat versaffungsgemäß, ebenso gus wie die Reichsregierung resp. der Bundesrath, das Recht, Gesetzentwürfe auszuarbeiten und zur Berathung zu stellen. Es ist dabei jedoch die Schranke gezogen, daß solche Gesetze, welche von einem Reichslagsab- geordneten im Reichstage eingebrach! werden, min destens 15 Unterschriften anderer Mitglieder der Volisvertretung tragen müssen, welche damit für den Inhalt des Gesetzentwurfs einstehen. Man hat durch diese Vorschrift offenbar verhüten wollen, daß das Parlament n it Gesetzanträgen überhäuft wird, sowie ferner, daß einzelne extreme Parieichen zu sehr sich mit weitgehenden Forderungen in den Vorder grund drängen. Diese Fünfzehner-Bestimmung hat der socialdemokratischen Partei im Reichstage bisher großen Zwang auserlegt; sie zählte höchstens 14 Mitglieder, war also nicht im Stande, ihre Pläne selbstständig in Gesetzesgestalt zur Berathung für den Reichstag zu formuliren. Trotzdem hat es freilich nie an Gesetzanträgen der Socialisten ge fehlt, bei den Demokraten namentlich und auf dem linken Flügel der Fortschrittspartei fanden sich wiederholentlich Abgeordnete, welche einen von den Socialisten ausgehenden Antrag mit unterschrieben. Es muß aber wohl beachtet werden: alle diese An träge trafen den Kern der socialistischen Forderungen nicht, sondern bewegten sich auf allgemeinem Grunde: In der Darlegung ihrer ureigensten Gedanken waren somit die Socialdemokralen lediglich auf Einflech tungen bei der Debatte über andere Gesetzentwürfe angewiesen. Jetzt wird die Sache anders! Die socialistische Partei zählt im neuen Reichstag bereits 15 Mit glieder und wird sicher noch einige Sitze erreichen. Mögen das nun viel oder wenig sein, so viel steht schon fest, die Socialdemokraten können im nächsten Reichstage Alles das, was sie wollen, selbstständig in Form von Gesetzen beantragen und der Reichs tag wird darüber, wie über jede andere Vorlage zu entscheiden haben. Jetzt erst also beginnt eine wirk lich lebendige Thätigkeil der socialdemokratischen Partei im Reichstage, jetzt kann sie und wird sie Alles das sagen und offen fordern, was bisher nur in Wahl- und Agiiationsreden sich breit machte. Unterschätzen wir die Folgen eines derartigen Vor gehens nicht, aber überschätzen wir sie auch nicht. Die Fürsorge für den vierten Stand ist eine der hervorragendsten Tcgesfragen geworden; rollen die Socialdemokralen das ganze Phantasiegebilde ihrer abenteuerlichen Pläne scharf und offen auf, so wird's nicht nur tin Reichstage manch heißen Kampf setzen, sondern auch unter den Waffen, welche Mitglieder der socialistischen Partei in den Reichstag entsandten, wird sich der Rückschlag äußern. Unzufriedenheit und ungestümes Verlangen gleicht einem Spreng stoff; fällt dahinein ein diese Begierenden auf reizender socialdemolratischer Gesetzentwurf, so wird die Explosion immer mehr mißmulhige Geister gewinnen. Das ist die gefährliche Seite, und es wäre sicher lich besser gewesen, die Socialdemokralen hätten den „Fünfzehnten" nicht erreicht. Sehen wir nun aber auch die Rückseite der Medaille. Jetzt müssen die socialdemokratischen Abgeordneten auch praktisch auf weisen, was sie können, jetzt auch wird den Ocd- nungsparteien reiche Gelegenheit gegeben, die Arbeiter über das Können und Wollen ihrer Anführer auf zuklären, jetzt wird sich's ja herausstellen, ob nicht alles Planisiren der Agitatoren an der Schwelle der Wirklichkeit seiner eigenen inneren Unmöglichkeit wegen in sich zusammenbricht! Redenhallen, weit schweifige Versprechungen machen, Alles das ist vor der Wahl zur Genüge geschehen, aber alles das ist nicht die Hauptsache! Auf das Vollbringen komml's an, aus die That; schlägt die fehl, oder strauchelt der Fuß schon beim Anlauf, so finkt das Stroh feuer der Begeisterung, das ungemessene Ver sprechungen hervorgerufen, bald wieder in sich zu sammen. Wer sehen will, der wird es in der binnen Kurzem beginnenden Session des Reichstages reiflich können, nur die Augen ausgemacht und die Ohren nicht mit Gewalt verstopft gehalten! "Waldenburg, 11. November 1884. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der deutsche Kronprinz ertheilte Sonnabend Nachmittag dem Regierungs-Vizepräsidenten von Puttkamer in Koblenz Audienz. Am Sonntag verweilte der Kronprinz bis zum Nachmittag auf seinem Gute Bornstedt und conserirle nach der Rückkehr von da mit dem Grafen Hatzfeldt. Am Montag nahm die Staatsrathssitzung, zu welcher der Kronprinz gegen Mittag erschien, schon um 10 Uhr in Gegenwart des Reichskanzlers ihren Anfang. Die nächste Gesammtsitzung findet dem Vernehmen nach Donnerstag statt. Kaiser Franz Joseph von Oesterreich übersandte, wie man der Frkf. Zig. meldet, dem Fürsten Bis marck als Andenken an Skierniewice sein lebens großes Portrait. Aus Braunschweig geht der „Nat.-Zlg." folgende Mittheilung zu: „Der Herzog von Cambridge bot dem deutschen Kaiser an, er wolle von England aus die vormundschaftliche Regierung für den Sohn des Herzogs von Cumberland führen, falls diesen der Braunschweiger Thron gewährleistet würde. Der Vorschlag wurde abgelehntl" Das genannte Blatt bemerkt dazu: „Daß ein solcher Vorschlag, dessen Ablehnung selbstverständlich war, gemach: worden, würde von wunderlicher Verkennung der Verhältnisse zeugen. Wir geben die uns zuge gangene Mittheilung wieder, ohne sie vertreten zu wollen." Die Nachricht ist ganz unwahrscheinlich im Hinblick auf das Folgende. Der Herzog von Cumberland hat unterm 4. November an die deutschen Fürsten, mit Ausnahme Sr. Majestät des Kaisers, sowie an die freien Städte ein neues Rundschreiben gerichtet, dem wir folgende markante Stellen entnehmen: „ Die Ausübung meiner Regierung im Herzogthum Braunschweig ist zur Zeit auf Hindernisse gestoßen. Das Recht aber meiner Thronfolge steht nach Landesverfassung und fürstlicher Familienordnung fest und ist von keiner (!) Seite angefochten. Eben sowenig steht meiner persönlichen Thronfolgefähig keit irgend welches rechtliche Bedenken entgegen. Die Versagung meiner Anerkennung und die Hin derung meiner Regierung als Herzogs von Braun schweig würde daher von Reichswegen nicht ohne einen Eingriff in die Rechtsordnung, auf welcher das deutsche Reich selbst beruht, möglich sein, einen Eingriff, zu welchem die Reichsverfassung keine Er mächtigung giebt und welcher um so bedeutender und gefährlicher sein würde, als er mit der Beein trächtigung meines souveränen Fürstenrechtes zugleich das souveräne Recht aller Mitglieder des deutschen Reiches gefährden würde. Das souveräne Recht und die Unabhängigkeit der Mitglieder des deutschen Reiches ist durch die Reichsversassung und die Ver träge, auf welche diese Verfassung sich gründet, nur insoweit beschränkt, als es in den Verträgen und der Verfassung besonders bestimmt ist. Vergeblich aber würde darin nach einer Bestimmung gesucht werden, welche zu Eingriffen in die nach Landes und Fürstenrecht des Einzelstaates wohl begründete fürstliche Erbfolge von Reichswegen berechtigte. — — Vertrauensvoll gebe ich mich der Hoffnung hin, daß jede vom deutschen Reich ausgehende Hinderung meiner Thronfolge und Regierung im Herzogthum Braunschweig baldigst werde bejeingt werden und Eure .... ersuche ich angelegentlich, bundesfreund lich hierauf hinwirken zu wollen, indem ich die Ver sicherung voller Erwiderung bundesfreundlicher Ge sinnung gegen alle Mitglieder des Reiches von meiner Seite wiederhole. Ich schließe mit dem Ausdruck meines lebhaften Bedauerns, daß ich nach der Ablehnung meines Schreibens vom 18. v. M. s seitens Sr. kaiserlichen und königlichen Majestät i des demschen Kaisers und Königs von Preußen leider Bedenken habe tragen müssen, zur Zeil ein diesem entsprechendes Schreiben auch an Allerhöchst denselben zu richlen. Gmunden 4. November 1884. (m. x.) Ernst August .—. Die Antwort daraus ist einfach: Die ReichSregierung handelte thörichr, wenn sie einen Feind der bestehenden Reichsordnung unter die Glieder des Reiches aufnähme. Wo sind denn die Bürgschaften, mit denen der Herzog garantirt, daß er die bestehenden Verhältnisse achten will? Der Herzog befindet sich dem Reich als solchem ge genüber „im Kriege", kann er sich wundern, wenn er als Feind behandelt wird?" Die „Nordd. Allg. Zta." theilt mit, daß die Be» rufung des Reichstages wegen der theilweise sehr spät angesetzten Stichwahlen noch nicht habe erfolgen können, bedauert dies, zumal nach dem Wahlreglement die Stichwahlen spätestens 14 Tage nach der amtlichen Feststellung der Hauptwahl statt finden sollen. Der „Münch. Allg. Ztg." zufolge steht die Ver lobung des Prinzen Wilhelm von Württemberg mit dec Prinzessin Hilda von Nassau (geb. 1864) bevor. Das kriegsgerichtliche Erkenntniß in Sachen der gescheiterten Brigg „Undine" unterliegt, wie der „Voss. Ztg." gemeldet wird, der kaiserlichen Bestätigung und wird bis dahin geheim gehalten. Corvellen- kapitän Cochius hat vorbehaltlich der Allerhöchsten Genehmigung das Commando über die Brigg Rover übernommen. Hofprediger Stoecker hat in Siegen mit Hilfe der Nationalliberalen den freisinnigen Candivaten in der Stichwahl mit großer Majorität geschlagen. Dafür stimmten in Köln die Freisinnigen nicht für den nationalliberalen Candidalen, der mit einem Cen» trumsmann zur Stichwahl stand, so daß der Sieg des letzteren sicher ist. In Herrn Hobrechts ehe maligem Wahlkreis Marienwerder ist der sreicon- servative Landrath Müller gewählt. Der polnische Gegenkandidat unterlag.