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des Vivaldischen Opus 3. Die vehemente, spielerisch-leichte Tuttimotivik, mit der der er ste Satz (Allegro) beginnt, hat grundsätzliche dramaturgische Bedeutung für den Satzver lauf, liegt sie doch, mehr oder weniger abge wandelt, allen Tuttiabschnitten sowie den mei sten Soloteilen zugrunde. Nur 14 Takte um spannt das poetische Largo, eine „große or namental geformte Solokantilene von elegi scher Inbrunst" (R. Eller), bei der die Conti- nuoinstrumente schweigen. Das virtuose Pre sto ist ein Finale von sprühendem Tempera ment, dessen Tutti-Solo-Verhältnis wie das des ersten Satzes auf die Wiener Klassik vor- usweist. Ein kurzer Epilog übernimmt einzel ne figurative Glieder aus dem ersten Satz und demonstriert Vivaldis zyklisches Gestal ten in diesem Konzert. Die erste seiner beiden 1928 komponierten Rhapsodien für Violine und Orchester widme te der ungarische Komponist Bela Bartok seinem Landsmann und Freund, dem weltbe rühmten Geiger Joseph Szigeti, der das Werk 1929 sowohl in der Fassung mit Klavier als auch mit Orchester — diese in Königsberg un ter der Leitung von Hermann Scherchen — ur aufführte. Beiden Rhapsodien liegen — in lockerer, eben rhapsodischer Verknüpfung — authentische, überwiegend siebenbürgische rumänische Volkstänze zugrunde, und beide Werke fügen zwei Tanzsätze aneinander, einen langsamen und einen schnellen — es handelt sich um volkstümliche Tanzmusik mit straffem Rhythmus und Werbetanzcharakter, die sich zum langsamen Satz formt. Es war ein langer Weg gewesen, bis Bartok — sicher auch unter dem Einfluß seines Freundes, des Komponisten Zöltan Ködaly — den Werbetanz, den „Verbunkos“, wieder als gleichberechtig tes, positives Element in seine Werke aufnahm, ’enn seine systematische Erforschung der Bauernmusik hatte ihn vom überholten, zur manierierten Mode verflachten Nationalstilweg zu den echten, tieferen Schichten der ungari schen Volksmusik hingeführt, so daß er sich lange Zeit von der falschen Volkstümlichkeit, von der billigen Art, ungarisch zu sein, wie er sie in seiner Kindheit kennengelernt hatte, abwandte. Die immer gründlichere Kenntnis der instrumentalen Volksmusik seiner Heimat führte ihn jedoch Schritt für Schritt zurück zum Stil der aus der Folklore stammenden und zur Folklore gewordenen historischen ungarischen Tanzmusik. In dem Maße, wie Bartok das Volk als geschichtliche und soziale Wirklichkeit begriff, übernahm er den Werbetanzcharakter in sein kompositorisches Schaffen. In der 1. Rhapsodie für Violine und Orchester werden die Volksmelo dien in ihrer Originalform verwendet, die Tänze sind so aneinander gereiht, daß ein fache, übersichtliche Formen entstehen. Der langsame erste Satz (Moderato) beginnt mit einer im Charakter sehr rumänisch, von „stol zer Melancholie" geprägten „Verbunkos"-Me- lodie. Nach volksmusikalischem Brauch verän dert sich bei der Wiederholung der Melodie nicht nur die Klangfarbe, sondern auch die Fi guration ,der Begleitung. Auch eine zweite sanft schaukelnde ungarische Weise wird in variierter, ausgeschmückter Form wiederholt. Die Wiederkehr des ersten Themas rundet den Satz ab. Der schnelle zweite Satz (Allegretto moderato) folgt unmittelbar und beginnt mit einem stampfenden rumänischen Tanzthema (in der Violine), dem sich eine Melodie aus dem Banat anschließt ,ein Crucea genannter Tanz, darauf erklingt ein trippelnder Tanz mit Dudelsack-Begleitung. Das vierte Thema ist ein wild ausgelassener, rustikaler Reigentanz, der plötzlich abbricht und der Anfangsmelo die des ersten Satzes Platz macht. Eine virtuose Violinkadenz beendet das Werk. Der Abstand von „Till Eulenspiegels lustigen Streichen“ zu Richard Strauss' näch ster Tondichtung ist sehr groß. Der junge Nietzscheaner hatte das Bedürfnis, die Stim mungen und Reflexe aus der Lektüre von „Also sprach Zarathustra" in einem Stück Programmusik niederzulegen. Die zeternden Zeitgenossen bekamen es schon bald zu spüren: mit „vertonter Philosophie" hatte das nichts zu tun. Was man in diesem neuen feuertrunkenen Tongedicht zu hören bekam, war weder das klangliche Porträt des frechen „Übermenschen" noch die tönende Widerspie gelung des pathologisch übersteigerten Welt bildes des Dichter-Philosophen. In Wahrheit hat Strauss hier nicht die Philosophie Nietz sches in Klänge übertragen, sondern nur den lyrisch-hymnischen Gehalt des Zarathustra- Buches zum Ausgangspunkt seines Werkes genommen. Daß es letztlich nur eine musikali sche Volksausgabe Nietzsches wurde, gerade das Gegenteil einer intellektuell scharfen, ge danklich klaren Komposition, muß in diesem Falle geradezu versöhnlich stimmen. Der große Prophet steigt vom Berge herab — aber so gründlich, daß er im Tiefland einer höchst un philosophischen, gesund-diesseitigen Stim mungsmusik anlangt. Und doch ist auch der Lebenshymnus „Zarathustra" ein gutes Stück Strauss. Man braucht nur die der sinnenhaft leuchtenden, spürbar südlich empfundenen Partitur mitgegebenen Nietzsche-Verse anzu führen: „Zu lang hat die Musik geträumt; jetzt wollen wir wachen. Nachtwandler waren wir, Tagwandler wollen wir werden." Der Widerspruch zwischen dem diesmal rein abstrakten Ideenprogramm des philosophie renden Dichters und des nachempfindenden Musikers läßt sich nicht übersehen. Während Nietzsche sich aus Siechtum, Gehemmtsein und Lebensrausch in eine ersehnte Wirklichkeit schmerzvoll hineinträumte, trat Strauss mit der bajuwarischen Vitalität seines geistigen und körperlichen Wesens an diese Weltanschauung heran. Mögen die dithyrambisch-ekstatische Sprache Nietzsches und einzelne erschaute Ge dankenbilder die Phantasie des Komponisten beflügelt haben: eine solche „Tondichtung (frei nach Nietzsche) für großes Orchester" konnte in seinem Gesamtschaffen nur Aus druck der „Verwegenheit" sein —- ein Suchen nach neuen Ausdrucksformen. Sich selbst hat Strauss bei der tondichterischen Beschwörung des Nietzscheschen „Übermenschen" bestimmt nicht gemeint. Die August 1896 in Mün chen abgeschlossene und im gleichen Jahr in Frankfurt am Main uraufgeführte Partitur enthält dafür keinerlei Anhaltspunkte. Sicher hat Romain Rolland recht, wenn er schreibt: „Das Programm, das sich Strauss gestellt hat, verliert sich keineswegs in unbedeutende, ma lerische und anekdotische Einzelheiten, son dern wird in einigen ausdrucksvollen und ma jestätischen Zügen umrissen." Aber er, der später von einem „schwachen Werk" sprach, übersieht, daß dies populär-weltanschauliche Kompendium von Diesseitigkeit und Mystik, von gelösten und ungelösten Welträtseln auch in solch klangsinnlicher Gestalt die Hörer ver wirrt und den Zugang zu den musikalischen Schönheiten erschwert. Dabei ist gerade bei diesem Stück, das seiner Struktur nach gehört und nicht gesehen werden will, der Anteil des Formkünstlers und Klangzauberers Strauss be deutend; aus seinen klangsinnlichen Reizen resultiert wohl auch in neuerer Zeit eine stär kere Verbreitung. Formal erkennt man mühe los eine sinfonische Fantasie, die ihre Anre ¬ gung aus verschiedenen Partien der Dichtung empfängt. Das Grundproblem, das Nietzsche und somit auch Strauss bewegt, ist das Verhältnis des Menschen zur Welt — zur Natur. Sonnenauf gangspoesie, anknüpfend an den als Geleit wort vorangestellten ersten Teil des Hymnus an die Sonne, eröffnet die Partitur — diese nicht leicht zu überschauende Introduktion mit ihren raschen Dur-Moll-Schaltungen und ex tremen Kontrasten von Licht und Schatten wächst aus dem lapidaren, der Trompete übertragenen C-Dur-Urmotiv der Natur her aus ,das nichts anderes als die durch die Quint geteilte Oktäve ist. Daran reihen sich acht geschlossene, gleichwohl kunstvoll mitei^B ander verbundene Gebilde, „Nummern", we™ man so will. Im Gegensatz zu den denkbar unphilosophisch einfachen Klangsymbolen für die strahlende Sonne (erstmals verwendet Strauss die Orgel), die Sehnsucht, Freuden und Leidenschaften stehen die dunkleren Klangbereiche der Einsamkeit, des Rätselvol len. Höchst eindrucksvoll, wie der Kompo nist beim abschließenden „Nachtwandlerlied" die H-Dur-Helligkeit des Diskantes gegen das surrende C der Bässe, den Grundton der Na tur, setzt. Zur Charakterisierung der „Hinter- weltler" klingt das „Credo in unum Deum" in den Hörnern an; in neue nervös-pathetische klangliche Räume stößt Strauss beim vielge teilten, wunderbar strömenden Streichermelos des Gesangs des Glaubens vor. „Von der gro ßen Sehnsucht" wird auch musikalisch zum unaufhaltsam sich steigernden Drängen und Emporstreben. Der Glorifizierung des Irdischen („Von den Freuden und Leidenschaften") folgt das Funebre des „Grabliedes". Bei der Ironie der Fuge, deren Reihenformung man allen Ernstes als frühes Beispiel einer Anwendung der Zwölftontechnik herangezogen hat, wird die Musik, dem Thema „Von der Wissenscha^i entsprechend — „scholastisch". Der „Genesr^B de" kehrt sich nochmals dem sinnenfrohen, l^ chenden Leben zu; und beim beschwingten, merkwürdig wienerisch eingefärbten „Tanz- lied"tritt der Musiker in naiv-unbekümmerter Daseinsfreude auf den Plan. Doch selbst die ser „Tanz der leichten Füße" vermochte nicht, Nietzsche den Menschen nahezubringen. Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dr. habil. Dieter Hartwig Die Einführung in „Also sprach Zarathustra" schrieb der Strauss-Biograph E. Krause Spielzeit 1979/80 — Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Druck: GGV, P.od.-Stätte Pirna 111-25-12 ItG 009-26-80 EVP 0,25 M 8. ZYKLUS-KONZERT 1979/80