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freilich noch in keiner der älteren Quellen vorkommt. Daß Haydn nicht nur von sorgloser Heiterkeit erfüllt war, sondern als echter, wahrer Künstler um alle menschlichen Gefühle wußte, zeigt sich nicht zuletzt in diesem f-Moll-Werk, das von leidenschaftlich-subjektiver Aussage erfüllt ist und zu einer Zeit entstanden sein soll, als Haydn ein Trauerfall besonders naheging. Die beiden ersten Sätze haben hier die Rollen getauscht. Der langsame Satz steht am Beginn (es han delt sich nicht um die für den späteren Haydn typische langsame Einleitung), der Hauptsatz im schnellen Zeitmaß an zweiter Stelle. Ein ausdrucksvoller Adagiosatz in f-Moll, der sich fast einer gewissen sanften Schwermut hingibt, eröffnet die Sinfonie. Der zweite Satz, in gleicher Tonart und in feurigem Zeit maß (Allegro di molto), bringt dann jenes von gesteigertem Ausdrucksbedürfnis bestimmte leidenschaftlich-erregte musikalische Geschehen, das den Beinamen des Werkes ausgelöst haben mag. Aus dem stark bewegten Hauptthema, das in übergroßen Intervallen von beiden Violinen gebracht wird, denen Bratschen, Bässe und Oboen in aufgeregter Achtelbewegung im Einklang und in der Oktave entgegentreten, spricht ein Übermaß leidenschaftlichen Wollens, ja ein fast fieberhafter Ausdruck. In gemessener Bewegung schreitet dann das Menuett daher, während das f-Moll-Finale (Presto) wieder an den erregten, leiden schaftlichen Ton des zweiten Satzes anknüpft, Die Szene der Berenice für Sopran und Orchester schrieb Haydn auf einen Text aus Pietro Metastasios Operndichtung „Antigono" für eine der berühmtesten Primadonnen seiner Zeit, die Italienerin Brigitta Giorgi Bauti (1759—1806), die die Komposition in seinem letzten Londoner Konzert am 4. Mai 1795 im Haymarket Theatre unter seiner Leitung erstmalig darbot. Metastasios „Antigono" war nach der Dresdner Premiere 1744 (mit der Musik von Johann Adolf Hasse) 16mal vertont worden, darunter von Gluck, Galuppi, Piccini, Anfossi, Paisiello u. a. Ob Haydn den Text in London selbst auswählte oder vorgelegt erhielt, ist nicht bekannt. Daß er eine einzelne Szene aus dem Gesamtgefüge des Dramas herausgriff, war für die damalige Zeit nichts Un gewöhnliches, betrachtete doch das Publikum die dramatische Handlung mehr als Folie für die im Vordergrund des Interesses stehenden Arien. Es handelt sich um die große Soloszene der weiblichen Hauptgestalt in der Oper „Anti gono", den tragischen Höhepunkt unmittelbar vor der glücklichen Lösung. Bere nice, die Braut des Antigono, und dessen Sohn Demetrio sind in Liebe zu einander entbrannt. Demetrio wählt jedoch den Tod, um nicht am Vater schuldig zu werden. Er verläßt Berenice, und diese gibt ihrer Verzweiflung ungehemmten Ausdruck. Die äußere Form der musikalischen Gestaltung der Gesangsszene hält sich, dem Text folgend, an das übliche Schema. Dem einleitenden Rezitativ folgt eine langsame Arie, die vorzeitig abgebrochen wird, um einem neuerlichen Rezitativ die Allegro-Arie folgen zu lassen. Unter fast völligem Verzicht auf Koloraturen erweist sich hier Haydn als dramatischer Komponist großen Stils, gelangt er zu tonartlicher Freiheit und harmonischem Reichtum, insbesondere im Rezitativ. Haydns „Szene der Berenice" ist eine der bedeutendsten Konzert arien des 18. Jahrhunderts; in unserem Zyklus möchte sie nachdrücklich auf dieses Schaffensgebiet des Komponisten hinweisen, dessen zahlreiche Bühnen werke von seinen großen Leistungen als Instrumentalkomponist im Andenken der Nachwelt ganz zurückgedrängt worden sind. Eine ganz eigene Stellung nimmt im sinfonischen Schaffen Dmitri Scho-, stakowitschs, des am 9. August 1975 in Moskau kurz vor Vollendung des 69. Lebensjahres verstorbenen großen sowjetischen Komponisten, die Sinfonie Nr. 9 Es-Dur op. 70 ein, die am 3. November 1945 von der Leningrader Philharmonie unter Jewgeni Mrawinski uraufgeführt wurde. Am 28. Februar 1947 brachte sie Prof. Heinz Bongartz mit der Dresdner Philharmonie zur vielbeachteten deutschen Erstaufführung. Hinsichtlich Form, Instrumentation und musikalischer Aussage hat man dieses unbeschwert-unproblematische Werk zu Recht Schostakowitschs „Klassische Sinfonie" (in Haydnschem Geist) oder auch — im Hinblick auf Tschaikowski — seine „Mozartiana" genannt. In der Tat stellt die „Neunte", verglichen mit der sonstigen dialektisch gespannten, konfliktreichen, monumental-tragischen Sinfonik des sowjetischen Meisters, ein Intermezzo dar. Von relativ kurzer Dauer, besitzen drei der fünf Sätze (der erste, dritte und fünfte) Scherzocharakter. Es ist ein Werk der Lebensfreude, der Grazie, ja des Humors und eines feinen, geistvoll-ironischen Witzes. Im transparenten ersten Satz (Allegro), einem knappen Sonatenhauptsatz, kann der Hörer klassische Formenstrenge und Dichte bewundern, eine Leichtigkeit des Satzes und Stiles, wie sie uns von Haydn vertraut ist, obwohl sich Schostakowitsch in keiner Note verleugnet. Das unvermittelt einsetzende Hauptthema ist unge zwungen fröhlich, dabei graziös und geistvoll. Die tänzerische Gelöstheit dieser Musik hat fast etwas Strawinskyhaftes. Völlig anders, übermütig keck ist der Charakter des Seitenthemas, das die Pikkoloflöte über einer schlichten Streicher(pizzikato)- und Schlagzeuggrundierung bringt und später vom Blech wiederholt wird. Nach der Wiederholung der Exposition beginnt die phantasie volle musikantische Durchführung des thematischen Materials. Fortissimo wird die Reprise eröffnet und mit einer Coda des Seitenthemas beschlossen. Den zweiten Satz (Moderato) trägt ein romanzenartiges Thema (zuerst in der Klarinette). Das heiter-lyrische, melodiöse Geschehen unterbrechen in einem Mittelteil chromatisch auf- und absteigende Gänge der Streicher und Hörner. — Spielerische Brillanz kennzeichnet den dritten Satz, ein stürmisch dahineilendes Presto-Scherzo mit einem unbekümmmerten Tanzthema. Im Mittelteil fällt ein etwas theatralisch anmutendes Trompetensolo mit Streicherbegleitung auf. Die Fröhlichkeit des Satzes wirkt gegen Ende leicht überschattet. Unmittelbar schließt der vierte Satz an, ein kurzes Largo mit einem expressiven Fagottrezitativ über ausgehaltenen Akkorden der tiefen Streicher. Drohende Posaunen- und Trom- peten-Unisoni folgen. Die rezitativischen und düsteren Perioden wechseln ein ander ab und gehen unvermittelt über in das geistreich-witzige, fröhliche Finale (Allegretto). Dieser fünfte Satz, dem formal wieder die Sonatenform zugrunde liegt, ist ein effektvoll zündender, farbig-musikantischer und übermütiger Aus klang, ja der eigentliche Höhepunkt der gesamten Sinfonie. Eine virtuose Coda (Allegro) beschließt dieses Werk, das sich durch eine geradezu volkstümliche Sinnfälligkeit des Ausdrucks auszeichnet. Dr. habil. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNGEN: Achtung! Terminänderung! Mittwoch, den 18. Februar 1976, 20.00 Uhr, Anrecht C 1 Donnerstag, den 19. Februar 1976, 20.00 Uhr, Anrecht B Festsaal des Kulturpalastes Dresden Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Dr. habil. Dieter Härtwig 5. KONZERT IM ANRECHT C UND 5. ZYKLUS-KONZERT Dirigent: Hartmut Haenchen Solist: Josef Schwab, Berlin, Violoncello Chor: A-cappella-Chor des Philharmonischen Chores Dresden Werke von Haydn, Weber und Mendelssohn Bartholdy Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1975/76 — Chefdirigent: Günther Herbig Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: GGV, Froduktionsstätte Pirna - 111-25-12 2,85 T. ItG 009-2-76 (•(nilkrsrnoonio 4. KONZERT IM ANRECHT C UND 4. ZYKLUS-KONZERT 1975/76