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Selbstübersteigerung, durch Hinzutritt immer neuer und höherer Instrumental stimmen, die rasch nacheinander einfielen, alle verfügbare, bis dahin gesparte Fülle gewann, für einen flüchtigen Augenblick, dessen wonnevoll-vollkommenes Genügen aber die Ewigkeit in sich trug. Der junge Faun war sehr glücklich auf seiner Sommerwiese . . . Hier herrschte das Vergessen selbst, der selige Still- Istand, die Unschuld der Zeitlosigkeit . . Das Konzert für Klavier und Orchester in G-Dur von Maurice Ravel gehört mit dem zur gleichen Zeit — 1930 31 — entstandenen Konzert für die linke Hand zu den letzten und reifsten Kompositionen des großen französischen Komponisten. Es zeigt Ravel auf dem Höhepunkt seiner kompo sitionstechnischen und stilistischen Entwicklung. Am 7. März 1875 in dem Pyre näenstädtchen Ciboure geboren, studierte er bei Gabriel Faure und gelangte stark in die Einflußsphäre Claude Debussys. Gleich den Werken dieses großen musikalischen Impressionisten ist auch in den imponierenden frühen Kompo sitionen Ravels eine starke Auflösung der Form zugunsten schillernder Impressionen zu bemerken. Die Schulung an Rameau und Couperin („Le Tombeau de Couperin"), ein starker Hang zur tänzerischen Geste („La Valse") und eine enge Verbundenheit mit der vitalen Folklore des benachbarten Spanien („Bolero“!) lassen jedoch in seiner kompositorischen Entwicklung immer mehr eine klare Zeichnung und ein gestaltendes Formbewußtsein Raum gewin nen. Davon gibt das G-Dur-Klavierkonzert, für die berühmte Pianistin Marguerite Long geschrieben, deutlich Zeugnis ab. Ganz klare thematische Erfindungen sind zu beobachten, die in knapper und präziser Form spielerisch und mit viel Sinn für klangliche Delikatesse vorgetragen werden. Dabei fällt dem Soloklavier eine brillante Rolle zu. Die Harmonik atmet glasklaren romanischen Geist, fern jeder Schwülstigkeit und Überladenheit. Den Ton des ersten Satzes gibt ein heiteres Thema der Pikkoloflöte an. Das Soloinstrument trägt eine lyrische Stimmung hinein. Vor einer ausladenden kadenzartigen Solostelle des Pianisten steht eine klanglich interessante Horn- kantilene, von raschen Holzbläseriäufen begleitet. Dann setzt sich die heitere Anfangsstimmung wieder durch. Von wunderbarer Ausgeglichenheit ist der zweite Satz — Adagio assai —, der durch einen ausdrucksvollen, liedhaft empfundenen Klaviersatz eröffnet wird. Die expressive Weise wird später vom Horn übernommen und von filigranartigen Klavierfiguren umspielt. Den kon stanten Untergrund bildet eine ostinat durchgehende Achtelbewegung im Baß des Klaviers, die erst im vorletzten Takt verändert wird. Von klassizistischer Heiterkeit erweist sich der letzte Satz — Presto. Nach einer schwirrenden Quintbewegung des Solisten wechseln sich die Bläser mit einem kecken Thema ab. Eine G ’ s -Episode ist von besonderer Brillanz. Der ganze helle, sonnige Satz ist von großer Durchsichtigkeit, von typisch französischer geistiger Prägnanz und Delikatesse. Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 2 B-Durop. 19, zarter und sparsamer instrumentiert als das erste und nach eigener Aussage des Komponisten noch vor diesem komponiert, erklang zum ersten Male wahr scheinlich in einer der Wiener Akademien des Meisters im Jahre 1795. Drei Jahre später überarbeitete er das Werk — wie auch das erste Konzert — und spielte beide Schöpfungen 1798 in Prag. Der offensichtlich zunächst mehr improvisierte Solopart des B-Dur-Konzertes wurde erst für die Drucklegung 1801 endgültig fixiert. Der Charakter des Werkes ist lyrischer, gedämpfter als der des ersten Konzertes. Doch tritt im Gesamtverlauf neben die Sensibilität auch die Vitalität des Ausdrucks. Chromatische Wendungen in den ersten beiden Sätzen erinnern an Mozart. Das B-Dur-Hauptthema, mit dem die ausgedehnte Orchestereinleitung des ersten Satzes (Allegro con brio) beginnt, wird aus einer energisch-markanten und einer - gegensätzlichen — gesangvoll-melodischen Motivgruppe gebildet. Der lyrischen Entwicklung des Satzes, die dabei auf kraftvolle, virtuos-figurative Partien nicht verzichtet, dient auch das cantable zweite Thema in Des-Dur. - Im zweiten, reich figurierten Satz, träumerisch-poetische Adagio-Variationen, stellen zunächst die Streicher das etwas zerklüftete Hauptthema vor, das dann vom Solisten übernommen und abgewandelt wird. Das Orchester greift gegen Schluß die Grundgestalt des Themas nochmals auf. — Keck-kapriziös, den zweiten Taktteil betonend, ist das Hauptthema des Rondo-Finales (Molto allegro). Es ahmt den Kuckucksruf nach und ist mit seiner Synkopierung das treibende Element des abwechselnd melodisch und brillant konzertierenden Schlußsatzes, der einen an folgende Worte Beethovens über den Schaffens prozeß erinnert: „Woher ich meine Ideen nehme? Das vermag ich mit Zuver lässigkeit nicht zu sagen; sie kommen ungerufen, mittelbar, unmittelbar, ich könnte sie mit Händen greifen, in der freien Natur, im Walde, auf Spazier gängen, in der Stille der Nacht, am frühen Morgen, angeregt durch Stimmungen, die sich bei dem Dichter in Worte, bei mir in Töne umsetzen, klingen, brausen, stürmen, bis sie endlich in Noten vor mir stehen." Die Sinfonie B-Dur KV 319 von Wolfgang Amadeus Mozart gehört in seine mittlere Schaffenszeit. Er hat sie 1779 in Salzburg komponiert, in einer Zeit, in der er mit ungeheurer Konzentration arbeitete. Ein Jahr vorher war seine Mutter in Paris gestorben, die ihn auf seiner großen Reise über München und Mannheim nach Paris begleitete hatte. Diese Reise galt der Vertiefung der musikalischen Bildung Mozarts. In den bedeutenden Musikstätten Europas nahm er gierig alle Bestrebungen und Richtungen des musikalischen Lebens in sich auf, die er in seinen Werken verarbeitete und ausschöpfte. So lernte Mozart in Mannheim die Orchesterbehandlung und die Formenwelt der Mannheimer Schule kennen, während er in Paris die Eigentümlichkeiten des französischen Schaffens mit seinem Hang zur Präzision, zur geistvoll-knappen Aussage und zur Ironie bewunderte. Die viersätzige Sinfonie ist ein konzentriertes Werk voller Geist und zärtlichem Gefühl. Wer die Sprache des musikalischen Handwerks versteht, kommt aus dem Staunen und dem Entzücken über die Fülle und die Art der Verflechtung der Motive und Themen nicht mehr heraus. Hier ist eine Feinarbeit festzustellen und zu bewundern, die nur den größten Meistern eigen und möglich ist. Der erste Satz, frisch und klar im Klang, bringt die vorgeschriebenen zwei Themen (Grundgedanke), wobei sich, nach mozartischer Eigenart, das zweite als lyrisches (gefühlvolles) Thema etwas chromatisch gibt. Zu bewundern ist weiter hin, daß Mozart mit den sparsamsten Mitteln arbeitet und eine durchsichtige Musik schreibt, die bis in die letzte Note hinein zu hören und zu verstehen ist. Der zweite (langsame) Satz ist voller Empfindungen, die einen etwas schmerz lichen Charakter haben. Vielleicht erinnert sich Mozart des Todes seiner so sehr geliebten Mutter? Das übersichtliche Menuett mit seinem schlichten Trio offenbart viel Sinn für Humor. Auch das Finale ist in der Sonatenform gebaut: mit zwei Themen, mit einer Durchführung, die Ansätze zu kontrapunktischer Schreibweise zeigt, und einer Reprise. Aber die geistsprühende, lebendige Art Mozarts zu musizieren läßt den Hörer vergessen, mit welcher Genauigkeit und mit welchem Können dieses Werk gearbeitet ist. Obgleich diese Sinfonie nicht sehr bekannt ist, so kündet sie doch von der hohen Meisterschaft Mozarts, der in der kurzen Spanne seines Lebens zu den höchsten Gipfeln der Musik emporstieg Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1970 71 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Die Einführung in die Mozart-Sinfonie schrieb J. P. Thilman Druck: veb polydruck Werk 3 - 111-25-12 1,5 ItG 009-98-70 ohilHarooomio 3. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1970/71