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'„'-Ha? Ar. »S» 18. Jahrg. «Ichiist-stelle ««d «rdakti-nr L«»de»»A. IS, Holbeinstrahe 4« Donnerstag,IK.Oktober l 919 Fernsprecher 21S6S Postscheitlkonto Leipzig Nr. 147»? Be»«M»re«», RterleljS-rttch tn der «esiyästSstelle oder von der Post »«geholt U«»g-,l>« 1 4.08 Ausgabe » M. Ja Dresden und »an« Deutschland frei Hau» AnSgab« d 4 08 AuSgab« » 4.08 — Die Sächsisch« > erscheint an allen Nachenta^n nachmittag». — Sprechstunde der Redaktion: 11 bi» IS llhr vormittag». «a,eigen, klnnahme von Geschäft»»»,eigen bi? I« Uhr. von FcimMeiianzeigc» bi» 11 Uhr vorm. — PreiS siir di« Pettt-Spallzctte 80 1. im Reklameteil I ^k. Fa mitte». Anzeigen 40 ^ — Für »ndcntlich geschriebene, sowie durch Fern sprecher ausgegebene Anzeigen kSnne» wir dt> Berantwortlichkcit sür die Richtigkeit des Leite» nicht übernehmen Vor einem Znhre Don unserem Berliner Vertreter Dunkle Erinnerungen steigen ans! Das Gedächtnis an die schmerzlichen Erlebnisse vor einem Jahre gräbt sich brennend in unsere Herzen! Die 'dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte werden lebendig. Wir, die wir den glanzvollsten Aufstieg des deutschen Volkes miterlebt, die wir dann die Schicksalsstunde dieses grossen mächtigen Reiches dnrchgeinaclst haben und die wir unsere Jahnen siegreich in Feindesland getragen sahen, mutzten dann die Bitternisse eines jähen, unsere Seelen auf das furchtbarste erschütternden Absturzes aus stolzer Höhe durchkosten. Dor einem Jahre begannen sich die Fäden zu Win gert, die unser Schicksal knüpften, das uns in drn Abgrund zog. Schon am 2. Oktober 1919 lietz die Oberste Heeres leitung den Parteiführern des Reichstages Mitteilen, datz die militärisch)« Lage hoffnungslos und ein wwrtiges Waffenstillstandsangebot zu machen sei. Man mutz heute noch die Frage aufwerfen, ob es nicht besser gewesen wäre, zuvor die Gegner zu Verhandlungen zu bringen, ehe inan durch ein überstürztes Waffenstillandsangebot die Schwäche, ja, die Unhaltbarkeit unserer militärischen Position zu er kennen gab. In diesen Wochen, die sich vor einem Jahree abspielten, und deren furchtbare Ereignisse auch hellte noch in ihrem ganzen Umfange dem deutschen Volke noch nichr^ bekannt sind, wurde des deutschen Volkes Lebenskraft der- nichtet. Entnervt und geschwächt bot die durch einen fünf jährigen Krieg zermürbte und in ihrem Marke ausgezoaene moralische und körperliche Widerstandskraft des deutschen Volkes keinen Rückhalt mehr. Der Sturz n>ar zu jähe und unvermittelt,, zu tief und fürchterlich. Als die militärische Lage im Laufe des Monats Oktober kleine Lichtblicke er kennen lieh, fand das in Hoffnung auf den Frieden sich ver zehrende und mit brennenden Äugen nach Waihingtoi» blickende Volk «keine Kraft mehr, um dem Ruf zur natio nalen Verteidigung Folge zu leisten. Nach Lage der Dinge, die wir ja heute einigermaßen zu überblicken ver mögen, können wir ja nun freilich sagen, datz in diesem Augenblick eine nationale Verteidigung allerdings nnsinen Niedergang nicht aufgehalten hätte. Die gegnerische Uebermacht war zu überwältigend geworden, als datz wir ihr auf die Dauer hätten erfolgreichen Widerstand bieten können. Wenn nunmehr der ehemalige Kronprinz in einem Schreiben an seinen eheinaligen Ordonnanzoffizier fest- stellt, daß er, der Kronprinz, sich bereits iw Herbste 1914 klar darüber gewesen sei, daß der Krieg rein militärisch nicht mehr zu erfolgreichen Ende geführt werden konnte, und daß darum ein baldiger Friede mit Frankreich zu er streben sei, so muß man heute die Frage anfwcrfcn, wie weitere vier Jahve mit ihren fürchterlichen Leide» und Opfern, Verlusten und Entbehrungen verstreichen konnten, ohne datz die berufenen Stellen aus dieser Erkenntnis die erforderlichen Folgerungen gezogen haben. Wir we'deu ja in Klärung dieser Dinge noch io manche Debatte i»it- znmachsn haben, die uns an das ganze Elend und die ganze Trostlosigkeit unserer Lage erinnern werden. Man möchte es um des Andenkens unseres Volkes in einer spä teren Zeit ja ani liebsten vermieden wissen datz diele Selbstentzweiung und Selbstzerfleischung in den neiichie- denen Lagern in Deutschland noch weiter einietzt und um sich greift. Und dennoch wird schon um der historischen Wahrheit willen restlose Klärung all dieser Dinge nicht zu vermeiden sein. Es kam dann der Dag von Kiel; der 4. November, und mit ihm schritt das» Unheil durch das Land. In wenigen Tagen rollten die Kronen von zwei Dutzend Monarchien auf dem Stratzenpflaster, das marxistische politische Ziel schiev.erreicht. Mit einer überraschenden Leichtigkeit setzte sich dir „Revolution" durch, so zwar, daß man vielen Orts keinen andren Eindruck als den eines Karnevalticioens haste. Die augenblickliche Befreiung von einer drückenden seelischen Last verleitete freilich zu unverzeihlich aeringer, man möchte sagen, zu unpolitischer Einschätzung dieser Vor gänge. Schwerz und Scham zugleich übermannen uns, ivenn wir uns daran erinnern, daß der als unwiderstehlich gehaltene monarchische Staatsban im Ne'che wie in den Einzelstaatsn innerhalb weniger Stunden von einer Hand voll dunkler Elemente in Fetzen geschlagen wurde. Man kann den damaligen Regierungen und vielen anderen Stützen des alten Regimes den Vorwurf nicht ersparen, daß sie ganz anders die von ihnen vertretene Macht und Autori tät hätten wahren müssen. Wie kläglich erscheint die Ka pitulation. Wie unverständlich, daß dieses „Meisterstück" einer Revolution einen so durchschlagenden Erfoli batte. Zum Schaden allerdings des ganzen Volkes. Scheidemann hat freilich etwas voreilig die sozialistische Republik ver kündet, später tat man gezwnngenerweise etwas Wasser in 'diesen Wein. Wir haben heute nach scksiveren Verfassimgs- kämpfen und nicht ohne tätige Anteilnahine der bürgerlichen Parteien dem Namen nach eine demokratische Republik. Wir sehen über in dem jetzigen Zustand noch keinen end gültigen, da gegen ihn selbst aus den Reihen Sturm ge laufen wird, die ihn herbeiführen halfen. Darüber ist kein Zweifel, datz große Kreise der Mehrheitssozialisten mn. Angst vor der Flucht ihrer Anhänger ins radikale Lager am liebsten mit den Unabhängigen das Scheidemannsclie „Ideal", die „reine Arbeiterregierung" in offenem Kampfe gegen das gesamte Bürgertum erriclstcn würden. Man Würde sich täuschen, wenn man sich dem Glauben hingäbe, datz die Nevolutionsepoche in unserem Vaterlands mit der Sckzaffting der Reichsverfassung abgeschlossen sei. Wir wollen nicht davon sprechen, daß in den Kreisen der äußer sten Linken Feuer und Schwert gegen diesen VerfassungS- zustand gepredigt wird und daß von jener Seite Be wegungen begünstigt werden, die zu noch viel ernsteren und blutigeren Auseinandersetzungen führen würden, als wir sie in den Revolutionskämpfen und in den Wochen der Berliner Spartakusherrschaft erlebt haben, Dinge, an die wir uns nur mit Schaudern und Scham erinnern. Es wird vielmehr gerade Aufgabe der bürgerlichen Kreise sein müssen, in Erinnerung an die Tinge vor einem Jahre und rn Erinnerung dessen, was in dieseni Jahre sich alles zn- getragen hat, die Basis für eine Gemeinschaftsarbeit in nationalem Sinne, im Sinne der Wicderaufrichtung eines geordneten, seine nationale Ehre und Würde nach allen Seiten hin verteidigenden Staatswesens, zu schassen. Man kann dem Bürgertum den Vorwurf nicht ersparen, datz seine Entzweiung vor einem Jahre mit zu dem kampflosen Siege der Sozialisten beigetragcn hat, zu einem „Siege", von dem niemand niehr überrascht nmr, als diese Sozia listen selbst. Die Sozialisten aller Richtungen fordern jetzt schon ihre Anhänger zu einer „würdigen" Feier des 9. November auf. Für uns wird dieser Tag ein Trauertag sein, ein Tag schaudernder Erinnerung an den furchtbaren Niedergang, an den gräßlichsten Selbstmord eines hochstehenden Volkes. Wir möchten wünschen, datz die Sozialisten wirklich die Forderung des „Vorwärts" wahrmachten. daß am 9. 'No vember «die Jahresbilanz und zwar „ohne jede Beschönigung" gezogen wird. Ist es etwa besser ge worden inr republikanischen Deutschland gegenüber dem monarchischen? Sind unsere Arbeiter heute zusried.ner als vordem? „Selbstmörderische Bruderkämpfe" nennt der „Vorwärts" die, die Sozialisten unter sich betrieben. Müssen wir uns nicht aber auch Rechenschaft darüber geben, daß auch innerhalb der bürgerlichen Parteien eine partei liche Zersetzung am Werke ist, die abermals den so bitter notwendigen Zusammenschluß aller positiv schassenden Kräfte vereitelt? Ter cinzige Wunsch den wir der „Feier" des 9. November mitzugeben vermögen, ist der bitterernste, aus tief bekümmerter Seele sich ringende Ruf Seid einig! Zwa»ssanleihe oder Retchsnotopfer Bei der Frage, wie man den- Besitz zur Tragung der gegenwärtigen Lasten mit heranziehcn kann, wird in der letzten Zeit des öfterer, eine Zwangsaulrihe cmvfvhlen. Dabei weiß das große Publikum meistens gar nicht, wvS sich unter einer Zwangsanleihe eigentlich denken wll. Zwar legt schon der Name, uw w-rZ es «ich Handel:, aber wie im e'.zelnen eine ZwanMnInhe gesta'tet sein mutzte, t?.:- nbc- sind sich bcvlt: Müsen des Volkes noch nicht klar. Eine Zwangsanl-nhe kann unter den heutigen Verhält nissen bloß anjg'.'l'gt werden, wenn man vorher eine Er hebung des Veruiö.ensbest.mdes bei den Staatsbürger! vornimmt und nach Maßgabe des Vermögens dann von dem einzelnen r-erimgt, daß er dem Reiche einen ent'pre- chenden Kredit gewährt, eine entsprechende Summe von Anleihe zeichnet, oie un lieg! das Wesen des Zwanges bn solchen Anleihen. Es komm: aber noch ein Weiteres hinzu einem Zinsfüße, der unter dein herrschenden Normalzins- futz und bedeut n dan i sür die Gläubiger keine weitere Schädigung. Sie können aber auch gegeben werden zu Zwcmgsanleihen können gegeben we-den zum Normal zinS- suße steht. Dies ist möglich, weil eben der Staat kraft sei ner Herrschergewalt von dem einzelnen die Zftchnnng der Anleihe verlangen kann. Wird der letztere Weg gewacht, so ist die Anleihe niclsts anderes a'-s eine verschleierte Foui- der Vermögensbesteuerung Nun wird von einzeln-r der Voiuhl iz gen.acht ,»,m solle statt des Reichsnot oostrS. statt der großen Vcrmög''ns- abgabe eine riesige Zwangs inleihe im Volke anfnehmen und dadurch die Mi'g'ichkelt schlaffen, unsere jetzigen finan- ziellen Zustände zu -eise,«'. Man jagt sich, bei einer solchen Nn'cihe wird Geld und alte Kriegsanleihe umgetawchL -werden in ZwangsauKihe. Wenn eine An'eihe von 29(1 Milliarden zustande komm' und statt fünf Prozent nur ein! Prozent Zins gezahlt wird, dann spart man nicht weniger wie acht Milliarden Mark im ReichSetat, eine Dumme, die tatsächlich die Finanzieform erleichtern würde. '.Ink bei all dem würde, so meinen die Vertreter dieser Idee, das« Vermögen eigentlich gar nicht geichmälert, da ja für '90 Mark Kriegsanleihe der betreffende Pflichtige U19 Mark Zwang.anleihe bekäme. Scheinbar wird daS Volks ver mögen auf solche Weise gar nicht angegriffen, Rwei ober! trotzdem dem Reiche eine riesige Summe von Ausgaben erspart. , Diese Art der Finanzreform kann vielleicht einem finanzpolitschen Neuling als das „Ei des Kolumbus" er scheinen, denn für das nngeschulte Auge manches Laien er scheint finanzpolitisch nichts einfacher als eine solche Rege lung. In Wirklichkeit aber ist die Durchführung einer sol chen Zwangsauleihe direkt rinmöglich. ES ici hier incht auf die einzelnen Gründe eingegangen, die . egen eine Zwangsanleihe in solchem Umfange an sich sprechen. Hier sei nur der innere Widerspruch heworgehoben, der sich er gibt aus der Meinung, als ob mit der Zwangs.mleu.e das Natn: advenirögen nicht angegriffen würde. Setzen wir einmal den Fall, es wäre möglich — in Wirklichkeit ist eÄ aber nicht möglich — eine Zwangsanleihe in Höbe von 290 Milliarden im Volke au-fzubringen und die ein z.Inen Aiileihestücke dann auszustaiten mit einer Verzinsung von 1 Prozent, ivaS wäre denn dann praktisch geschehen? Wäre wirklich ein Zwangsanleihestück, das auf 100 Mark Nenn wert lautet, in der Tat auch 100 Mark im Verkehr weit? Das ist selbstverständlich nicht der Fall. Der Verkehrr-wert wäre, falls der Normalzins 6 Prozent beträgt, bei ft.srn solchen Zwangsanleihepapier nicht höher als höchstens 20 Mark. Wahrscheinlich würde er sogar noch viel, > iek niedriger sein, weil bei einem so niedrigen Kursstand eines Papieres das Vertrauen zu demselben erst recht zusammen bricht und die Gefahr einer völligen Entwertung be/etzt. Aber nehmen wir einmal an, es würde tatsächlich der Ver kehrswert dieser einprozentigen Zwangsanleihe 2 > Mark sein, was wäre dann geschehen? Tann würde jeder. der solche Zwangsanleihe hat annehmen müssen, vier Aünfte! dessen verloren haben, was er eingezahlt hat. Das pri '.ite Volksvermögen wäre aber, falls wirklich eine Zwang-»» anleihe in Höhe von 200 Milliarden erzielt werden könnte, um nicht weniger als 160 Milliarden gekürzt, und das mit einem einzigen Schlage! Man kann sich sofort vor« stellen, wie ein solcher Versuch volkswirtschaftlich wirken müßte. Eine riesige Vernichtung von privatem Kapital wäre gegeben und dabei wäre noch das sonderbare, datz dis nominelle Verpflichtung des Reiches hinsichtlich der Schuld» höhe um keinen Pfennig geringer geworden wäre. Denn einmal müßte, rein rechtlich genommen, das Reich die Zwangsanleihe zum Nennwert einlösen, aber zu einer so:» chen Einlösung wäre es nie in der Lage. Aus der Naiionalversammli'-' Stiininnnasbild aus der Nationalversammlung von unserem parlamentarischen Vertreter Auf der Tagesordnung zur Mittwochsitzung der Natio nalversammlung stehen drei wichtige Gegenstände zur Be» ratung: Ein Gesetzentwurf betreffend den deutsch-pol nischen Vertrag über die Entlassung festgehaltener Per sonen und die Gewährung von Straffreiheit, die zweite Beratung des Etats für den Reichspräsidenten und weiter die Erledigung des Neichspostetats. Aber wenn man ge» glaubt hat, in Anbetracht solcher Materien ein gilt ge» sülltes Hans und rege Anteilnahme bei den Erschienenen zu finden, so sieht man sich sehr enttäuscht. Längere De batten finden nur bei der Beratung des 'Reichspostetats statt. Das Gesetz für de» deutsch-polnischen Vertrag und die Feststellung des Etats für den Reichspräsidenten wer den fast ohne jede Aussprache erledigt. Etwas Leben kommt erst ins Haus, als Präsident Feh«rcnbach den Neichsposietat zur Debatte stellt. Der Slbgeordnete B « uerm a n n von der Deutschen Dolkspartei geißelt in seiner Rede die Mitzständ«, die sich heute überall im Post- und Telegraphenverkehr bemerkbar machen. Dringend fordert er eine bessere Uebenvachung der Postbeamten, aber auch das Publikum müsse mehr Selbstzucht üben und Rücksicht auf die Uebc'tzlastung der Arbeitskräfte nehmen. Es klinge fast unglaublich, daß in Berlin an einem Tage im September allein 101 000 Tele» gramme aufgeliefert wurden, während vor dein Kriege in einem ganzen Jahre in der Reichshauptstadt nur 90 000