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Wöchentlich erschein«? drei Nummern. PränumeratienS- PreiS 22^ Sgr. (; Thlr.) vierteljährlich, L Lßlr. sür da« ganze Jahr, ohne Sr- hdhuug, in allen Theilen der Preußische?? Monarchie. Magazin für die Mail pränumerirt aus diese» Beiblatt der Altg. Pr. StaaiS- Zeilung in Berlin in der Expedition (Mohren-Straße Nr. Z4); In der Provinz s» ivic im Auslande bet Le?? Wohllbbl. Posi-Aemtern. Literatur des Auslandes. 145. Berlin, Montag den 4. Dezember 1837. Frankreich. Die Tonkunst und ihre Jünger in Paris. Lon Emilien Pacini. Die Künste und die Künstler baden seit einiger Zeil, die ersteren in unseren Sillen, die Letzteren in unserer Gesellschaft, eine so be deutende^ Stellung eingenommen, daß man sich mit ihrem Schicksal eben so sehr beschäftigt, wie mit dem der Völker. Und daran thut man wohl. Völker giebl es immer, Künstler aber — man frage nur unsere seine» Kenner, namentlich in der Musik, wie viel echte Genies ste zu nennen wissen. Boilean'S Vers in Bezug auf die tugendhaften Frauen findet hier fast seine Anwendung: „Wcnn's hoch kömmt, drei!" Und ist es bei den unermeßlichen Hülfsquellcn jeder Art, die ein Land wie Frankreich darbielet, nicht traurig, die große Opcrnbühnc, die mit ihren <>20,0W Franken jährlichen Zuschusses, mit ihrer geschickten Verwaltung und mit der Gunst eines aufgeklärten Publikums an der Spitze aller Theater Europa'» stehen müßte, von so wenigen Franzö sischen Talemen ausbeuten zu sehen? Der Erfolg ist hier fast zu einem Monopol geworden, und wir treiben cs mit der Gastfreundschaft, die wir der ausländischen Muse erzeigen, ein wenig zu weil; warum sollten wir nicht auch unsere Französische Schule haben können? Auf diese Frage muß man alle diejenige?? aufmerksam machen, deren Hand allein den Mängeln unserer Bübuen-Einrichlung abhelfen und eS dahin brin gen kann, daß wir mit demjenigen National-Ruhm, den uns Niemand abstrcilet, mil der Ausführung nämlich, noch einen anderen unbezweisell höheren Ruhm vereinigen, einen Rudin, dessen Unsterblichkeit die Nach welt anerkennen und bestätigen würde. Genug, wir bedürfen noch dauernder Monumente. Wir wollen fürs erste die Oper, zu welcher die Bahn noch nicht gebrochen ist, belscitlicgen lassen und etwas weiter auehcben. Was geschieht in Frankreich für das Gedeihen der Tonkunst, besonders in Hinsicht auf die Compostlion k Man giebl viel Geld aus und belohnt das Talent nach Gebühr, da« ist Alles. ' Man müßte es aber ausbeuten. Wenn die Zöglinge des Konservatoriums, die sich des Studiums der Eomposilion befleißigt haben, diese Mustcrschulc verlassen, die jährlich so viel junge Virtuosen, vorzüglich Instrumentalisten, hervorbringl, so gehen sie daran, sich um den großen Preis des Instituts zu bewerben. Von drei oder vier Kantaten wird eine gekrönt und für die beste er klärt, aber von wem? Ma?? sollte glauben, von den Musikern des Instituts. Weit gefehlt! Diese Herre,'? gehören allerdings zu der Jury, bilden aber nur einen geringen Theil derselben. Die fünf Sektionen der Akademie der schönen Künste, Malerei, Architektur, Bildhauerei, Kupfer- stechcrkunst und Musik, sind alle zusammen bccusen, über die Werke der Prcwbcwerber zu entscheiden. Es besitzt also nur ein Fünftbeil davon, sowohl sür die Musik wie jur die anderen Künste, wahre Sach- kenntniß. Kann dabei wohl ein gerechtes und einsichtsvolles Verdikt herauskommen? Von allen Künste'» ist aber die Musik vielleicht die jenige, deren Beurtbeilun.g gerade die genaueste theoretische Kenntniß erheischt. Ein Musikstück von so ernstem und gelehrtem Stil, von so strengen Verhältnissen und so schwierigen Bedingungen, wie es bei einer Preisbewerbung gefordert wird, kann nur von vollendeten Tonlünstlern, die sich auf den Kontrapunkt und die Fuge verstehen, die in alle?? Musik-Gattungen unterrichtet sind und den größten Theil der Werke älterer und neuerer Meister von Grund aus kennen, gehörig gewürdigt werden. Leute, die keine Sachkenntniß haben, können den Werth einer Compofllion nicht bcurtheilen. Zwar sind die Schönhcitsbedingungen eines lyrischen Werkes dem Eindruck untergeordnet, den es hervorbringl; aber es giebl nichtsdestoweniger in jeder Kunst eine erhabene Sprache, die ihre Erfordernisse und Gesetze Hal, von denen die große Masse nur die oberflächliche Wirkung faßt, ohne den wissenschaftlichen und geheim- »jßvollen Bau zu begreifen, in welchem die äußeren Formen, deren An blick die Menge bezaubert, ihre Grundlage haben. Man gebe den Malern, Kupferstechern, Architekten und Bildhauern deS Instituts einen Musard scheu bonlretanz und die Menuett aus der t^-moll-Symphonie zu höre??, ohne die Namen dec Autoren zu nennen, und es ist hundert gegen eins zu wetten, daß Beethoven nicht der Er- wähstt der Akademie sevn wird. Wer erinnert sich nicht der Iurv sür die Malerei, die ein von einem junge» romantischen Künstler cingereich- les Gemälde der Zulassung iu den Salon für unwürdig hielt? Nach dieser Zurückweisung gestand der Künstler ganz ehrlich, er habe den ge lehrten Areopag dieser Herren nur aus die Probe stellen wollen, indem er ihnen einen Ribeira, dessen Spur sich seil langer Zeit verloren, zur Prüfung vorgelegl. Und im vorigen Jahre erst wurde die musikalische Seclion, um einen näher hierher gehörige?? Fall anzuführen, als ste die zu krönende Kantate bezeichnet halte, von de?? andere?? Sektionen, die ihre Stimme und den Preis anderswohin wandle», förmlich Lüge?? gestraft. Wenn der Preis des Instituts einmal gewonnen ist, seh es mit Recht oder nicht, mehr oder minder Talent besitzt der Gekrönte doch immer, so begiebt sich dieser auf Staatskosten nach Rom, um dort drei Jahre zu studiren, und waS wohl? Die Sitte», Trachten und Merkwürdigkeiten; wahrlich für eine?? Musiker eine sehr sruchlreiche Arbeit! Man begreift, daß Maier, Bildhauer und Architekten von ihrem Aufenthalt in der Hauptstadt der christliche?? Well bedcuienden Nutzen ziehe?? können. Die Denkmäler, die Statuen, die Gemälde aus der große?? Schule, woran jene Stadt so reich ist, tiefer?? den junge» Zöglinge?? dieser Künste mannigfaltigere und seltenere Vorbilder. Aber die Musiker, was wolle» die in Rom? Das dortige Theater siebt jetzt auf niedriger Stufe; Neapel, Florenz und Mailand besitze» weil ausgezeichnetere Bühnen. Die Musik also ist es nicht, was die Musi ker dort studiren können. Feri? von uns scy die verwegene Absicht, die unzählige?? erhabene?? Meisterwerke der Ztaliänischcn Tonkunst im geringste?? verkleinert? zu wollen. Alle Schule?? verdanke?? ihnen zu viel, sie sind voi? zu viel Glanz und Ruhm umgebe??/ sie habe?? sich die allgemeine Bewunderung mit zu guten? Rechte erworben, als daß die Geringschätzung cs wage?? dürfte, sich bis zu ihnen zu erheben. Man muß jedoch bedenken, daß die materielle?? Bedingungen der musikalischen Studie?? mit denen der anderen Künste gar keine Aehnlichkeit haben. Um schöne Gebäude und schöne Slawen des Allcrlhums zu sehe?? und zu studiren, ist es nothwendig, de?? Ort zu wechseln; aber die schöne» Partituren der große?? Komponisten findet man in Paris eben so gut wie ii? Rom. Der strenge Befehl Leo'S X., daß Allcgri'S Miscicre nur in der Sixtinischen Kapelle ausgeführl werde?? solle, hinderte einen der berühmteste?? Tondichter nicht, das von den, heilige?? Later er lassene Verbot der Kopirung dieses Werkes zu vereiteln, und den? guten Gedächtnisse MozarlS, der dasselbe vom bloße?? Höre?? niedcrschrieb, verdanke?? wir es, daß das Monopol zu Gunsten der heilige?? Stadt sür dieses Meisterwerk eben so wenig mehr besteht als sür jedes andere. Daß .junge Künstler mit solche?? kostensreien Reise?? nach dem . schönsten und an Erinnerungen reichsten Lande Europa'S unter dem jncl eines poetischen Ausfluges belohnt werden, ist erklärlich; wen?? aber von Entwickelung des Talentes die Rede sevn soll, so läßt sich keil? traurigeres, unsruchlbarcrcs System denken, besonders den? Staal gegenüber, der die Wanderjahrc so großmütbig bezahlt. Weniger unge reimt wäre es, in Nom eine Pflanzschule für Dichter zu begründen; die Nähe so vieler bedeutender Dinge, der Heerd der großen Erinne rungen des Allerthums, der Anblick der herrlichen Denkmäler, die thcils noch stehen, theils in Trümmer?? liegen, das bcredle Schweigen jener Hauptstadt der Well, wo jeder Schrill ein so mächtiges Echo weckt, die lraurige Einsamkeit dieser große?? Stad«, die so mannigfache Schick sale gehabt, jene Ruinen, Straße», Kampfplätze, Forums, Triumphbo gen und Tempel, welche zwanzig Jahrhunderte vor uns so viele be rühmte Männer, Könige, Konsul??, Kaiser, Feldherren, Redner, Dichter, Geschichtsschreiber und Künstler gesehen; dann in der Campagna das Gemälde einer so abwechselnden und gewaltige?? Natur, hier dürr, vcr- senAl und wild, dort lachend und. frisch, überall großartig und uner meßlich; dies Alles ist wohl dazu geeignet, in der Seele des Dichters dei? natürlichen Keim, den der Himmel hinein gelegt und der oft, dieser hohen Lehren beraubt, stch nur dürftig entwickel», energisch zu besruch- ten. Der Genius vermag aus eigener Kraft und angeborenen Mitteln nicht zu ersetzen, was ihm die Eindrücke der äußere?? Welt mitibeilen, und es ist wohl nicht zu kübn, zu behaupten, daß Lord Byron, wäre er in London geblieben, niemals der Lord Byron Venedigs und Griechen lands geworden sevn würde. Beethoven aber brauchte nicht zu reisen. Die Musik lebt nicht von denselben Elements?? wie die andere?? Künste. Das Anschaucn großer Dinge, welches in jeder Künstlerstcle die Be geisterung weckt, kann zwar auch aus bei? Musiker wirken; seine Kunst aber, die vielleicht an die Spitze der schöne?? Künste zu stellen sei,» möchte, ist so unbestimmter, geistiger, überirdischer Natur, daß ste in ihren Werken kein genaues und deutliches Bild von dem Gedanken, der sie bewegt bat, zu geben vermag. Es ist merkwürdig, wie in der Musik gleichartige, ja ost ganz entgegengesetzte Leidenschaften dieselbe Sprache leihen können, ohne daß das Musikstück an wahrem Ausdruck irgend etwas verliert. Wozu nützt es also junge,? Tonkünstlcrn, be stimmte Anregungen aufzusuchen? Und wenn sie etwa noch bei ihrer Rückkehr nach Frankreich in Folge der Studien, die mai? bei ihnen roraussetzt, Gelegenheit erhielten, ihr Talent zu zeigen, so wären die