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Nummer 33 — 25. Jahrgang 8»ial wöch. Bezugspreis: für Januar 3.— einschl. Bestellgeld. Anzeigenpreise: Die Igesp. Petitzetle 89^, Stellengesuche 20 H Die Petitreklamezeilr. 89 Milli« meier breit, 1 -K Ofsertengebiihren für Selbstabholer 20 L bei Uebersenüung durch die Post außerdem Portozuschlag Einzel-Nr. 10 L. Sonntags-Nr. 15 Geschästlicher Teil: Ioäef Fohmann. Dresden. Mittwoch, 10. Februar 1926 Im Fall« höherer Gewalt «ritscht jede Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v. Anzelgenauiträgen u. Leistung v. Schadenersatz Für undeutl. u d. Fern« ruf übermitt Anzeigen übernehmen wir keine Ver« antwortuna Unverlangt etngelanöte u m. Rückporto nickt versehene Manuskripte wero nicht aufbewahrt. Sprechstunde d Redaktion 5 bis 0 Uhr nachmittags. Hauptschristleit.: Dr. Joseph Albert. Dresden. «»ttchitf« stell., Druck uud Brrla«, «aronia- Duchdruckkr-, GmbH.. DreSd.n.st. IS, HolbelnNr^bees. gemrul WM. PolllLstNonlo Dresden 117«7 BnnNmUlN ««Nenne » glrlnt».. Dre-'ben. Für christliche Poliltl, und Kultur .»edatti«« der Siichsttit,«« Volk«»«««»», TreSdcn-AUU. 18. Holbeingratze 18. gerim» 3272t nn» IS5R. E n grotzer Tag im Reichslage Der christlich-soziale Parteitag in Wien Von unserem österreichischen Zg.-Vertreter. Als im Jahre 1922 der damalige Bundeskanzler Dr. Sei pel mit dem Rettungsring für Oesterreich aus Genf nach Wien zurückkehrte, trat ein außerordentlicher Retchspartettag der Christlichsozialen zusammen, um dem Genfer Werke seine Zu- stiimnung zu geben. Selcher ivar Dr. Seipel das Programm, der Genfer Pakt die gebundene Marschroute, es erübrigte sich, eiuen Netchsparteitag abzul>ol>en. Inzwischen trat Dr. Seipel hinter die Bühne und Dr. Ramek ging als sein Nachfolger in der Regierung den vorgczeigten Weg bis znm Gipfel. Und nun kommt eine neue Epoche. Oesterreich tritt aus der Vormund schaft des Völkerbundes heraus uns tragt nun der Fesseln frei selbst sie Verantwortung, die ungeheuer ist, da es gilt, das Ver trauen des Auslandes, das bisher auf dem Glauben an die Völ kerbunds-Kontrolle beruhte, i» der Selbständigkeit als Frucht eigener Bemühungen zu erwerlien. Bleiben auch die Genfer Richtlinien weiterhin die Wegweiser der österreichischen Regie rung, so treten doch eine Reihe neuer Ausgaben an die Regie rung heran. Sich über diese mit der Partei, die dis Trägerin der Regierungsgewalt ist. ans.rusnrechen. war der erste in die Augen springende Sinn des christlich-sozialen Reichsparteitages a-m 2. Februar in Wien. Da das Schicks«! Oesterreici>s auf das innigste verknüpft ist mit dem Gedeihen der chri-stlichsozia-ien Partei, kam dieser Tagung eine Bedeutung zu. die über den Rahmen eines Parteitages weit hinausragt, was auch dadurch äußerlich in Erscheinung trat, daß die gesamte Presse des In landes. welcher Schattierung immer, in sralten-langen Artikeln den Parteitag in ihrer Art würdigte. Rach dein Wunsche des Obmannes der christlichsozialen Reichspartei, Bundeskan'lers a. D. Dr. Seipel, wurde diese Tagung im wahrsten Sinne des Wortes ein Arbeitstag. Im Bewußtsein ihrer Verantwor tung ls-aben die Delegierten nichts Wesentliches nnbesproclzen gelassen. Alle können zudem bestätigen, daß all das, was so oft und seit so langer Zeit über unüberbrückbare Gegensätze inner halb der christlichsozm-len Partei, über angebliche Bestrebungen, -die Partei auseinanderzureißen und über.einen beginnenden Zerfall gesagt und geschrieben worden ist, unzutreffend ist daß wohl Meinungsverschiedenheiten vorhanden sind, daß aber di« Einigkeit und Geschlossenheit innerhalb der Partei unerschütterlich fest ist. Die christlichsoziale Par tei bleibt das. was sie war. die Partei des Volkes, aus dem sie hervorgogange» ist und in dem sie wurzelt. Sie bleibt auch die Partei -mit der Einstellung zum Ewigkeitsge danken, unter dessen Gesichtspunkte sich die Richtlinien ihrer Politik bewegen Am 31. Januar begann die Tagung der christlich-sozialen Reichspartei mit der Sitzung der Reichs,mrteileiiung, der am 1. Februar jene des Parteirates folgt«, die sich beide mit der Vorberatung der Tagesordnung des Relchspartsitaoes beschäf tigten. Am Vorabend des isZarteitagcs fand ein offizieller Bc- grüßnngsa-benü statt, auf dem insbesondere die Vertreter des Zentrums: der zweite Vorsitzende der Zenirums-'arlei, v. Guerard, die Reichstapsnntglieder Dietz und Weg mann und der Vertreter der „Germania", Legatlansrat Rü ger. sowie der deutsche Gesandte Dr Pfeiffer und drei Ab geordnete der deutschen chr i ftl i ch s o zt a lc n Voiks- partet in der Tschechoslowakei unter stürmischem Betfa'k heimlichst begrüßt wurden. Der Neichsparteitag selbst begann mit einem Festgottes- d'ien-st in der Vativkirche, den Bundeskanzler a D. Prälat Dr. Seipel zelebrierte, der uni 10 Uhr die Tagung eröffnet« und in sei ner Begrüßungsansprache 1-esonders der Mrtreter des Zentrums gedachte u. a. mit den Worten: „Bei dieser Begrüßung habe ich Gelegenheit, an die deutschen Volksgenossen Glückwünsche darzubringe» Die Politik, deren Träger gerade das üe-utiche Zentrum ist. hat dazu geführt, daß seit wenigen Togen die Me tropole des Rheinlandes, Köln, wieder frei ist. Ich gebe der Zuversicht Ausdruck daß wir dieses Ereignis als ein S u m- b ol werten dürfe», daßdas deutsche Volk überhaupt wieder auf dem Wege zur Freiheit ist und daß da mit die Sicherung des Friedens in der Welt wieder möglich wer den wird." Diese Worte, die stehend angehört wurden, führten zu einer siwn-tanen Kundgebung für Deutschland, das Zentrum und das befreite Köln, wie sie herzlicher und inniger nicht ge dacht werden kann. Reichstags,nliglic-d v. Guerard erwiderte tief ergriffen: „Wenn man nach Wien Kommt, umschleicht einem das > Gefühl tausendjähriger Zusammengehörig keit. Als die Revolution ausbrach, waren es gerade di« Par teien, denen wir augehöre», kvaren cs Sie in Oosi-erreich und -wir Im Reiche, die nicht verzweifelte» an der Zukunft unseres Vaterlandes. Beide Parteien fußen a u f d c r g-l c i ch e n Welt anschauung. Und wenn hier bei Ihne» Ordnung geworden ist. wenn Sie wieder im Aufstiege sind, verdankt das Oesterreich in erster Linie dem große» Führer Dr. Seipel. Ich darf wohl sagen, daß wir im Reiche dem Beispiel Dr. Seipels folgen wollen und gefolgt sind. Auch unsere Zentruinspartei stand immer in der ersten Reihe -im Kampfe, wohl nicht als die stärkste, aber als die ausschlaggebendste Partei. Wir gehen jetzt auch in den Völkerbund nicht leichten Herzens, aber mit festen, Willen, dort zu wirken für das Deutschlum in der Welt und mit Ihnen wahrzunchmen die Rechte der deut schen Minderhei te n." Schließlich fügte er noch die Grüße des gewesenen Reichskanzlers Dr. Marx an. Berit», 9. Februar. Auf der Tagesordnung der heutigen NeichStagssitzung, die nachmittags V-9 Uhr beginnt, stehen die Interpella tionen über die Rede des italienischen Ministerpräsidenten. Zunächst will der Abg. Hoetsch (Du.) die Interpella tion seiner Fraktion über die Vorgänge in Südtirol begrün den. Abg. Scholz (D. Bp.) soll dann- eine gemeinsame Erklärung der Regierungsparteien zur Begründung ihrer Interpellation verlesen. Darauf wird N e i ch s außen- minister Dr. Stresemann antworten, worauf sich eine Aussprache anschließen wird, in der au erster Stelle der sozialdemokratische Abg. Stampfer spricht. Die Redner der anderen Parteien stehen noch nicht endgültig fest. Die Interpellation der Regierungsparteien hat fol genden Wortlaut: „In der Parlamenrssitzung vom 6. d. Mrs. hat der italienische Ministerpräsident unter Bezug nahme auf die Lage in Südtirol Ausführungen gemacht, die das Verhältnis des Deutschen Reiches zu Italien be rühren. Wir fragen an: 1. Ist der Reichsrcg:cru»g der amtliche Wortlaut dieser Ausführungen bekannt, 2. ist d.e Reicheregieruug in der Lage, dem Reichstage über ihre Stellungnahme zu diesen Ausführungen Auskunft zu geben'?" Der Auswärtige Ausschuß des Reichstages ist heuie mittag 12 Uhr zu einer Vorbesprechung zusanimcngeircten. Der Zweck dieser Beratung ist, die Meinungen der Fraktionen im Einver nehmen mit der Regierung so weit zu klären, daß mau für die Diskussion im Plenum mit einer Einheitsfront aller großen Parteien — vielleicht mit einziger Ausnahme der Völ kischen und der Kommunisten — rechnen kan». Möglicherweise kann das Ergebnis dieser Verhandlungen sein, daß der Außen minister selbst die Debatte eröffnet und die Parteien aus eine Erklärung verzichten. Der Eindruck in Amerika Neuhork, 9. Februar. In Washingtoner politischen Kreisen wird die Rede Mussolinis lebhaft besprochen. Nsgieruugskreze erklären, d:e Rede des italienischen Ministerpräsidenten stärke die amerikanische Opposition gegen die Ratifizierung, des ita- Vundeskanzler Dr. Ramel:, der hierauf den Rechen schaftsbericht erstattete, skizzierte in groß:,: Umrissen auch die bereits bekannten Richtlinien der Regierung, die sich vornehm lich mit der Wied-eraufrichiung der zusammengeürochenen Pri vatwirtschaft besckmstlgten. Bemerkenswert waren seine Aus führungen über den Föderalismus, der zu einem wirk lichen Föderalismus ausgestaltet' nach Ueberwinüung des Miß trauens eine ständige «ufbanende Zusammenarbeit von Bund und Ländern geivährleisteu soll. Biel besgroclM werden auch seine Darlegungen über das Verhältnis der Regierung zur sozial demokratischen Opposition. Nach einer unzweideutigen Rbleh »ung einer parlamentarische» Umgruppierung durch eine schwarz-rote Koalition erklärte der Bundeskanzler die Notwen digkeit. den Kampf mit der Opposition »ich! zu suche», sonder» vielmehr bemüht zu sein, jede Bereitwilligkeit zur sachlichen Zusammenarbeit anznnehme», »m der Wirtschaftskrise, soweit dies aus eigenen Kräften möglich ist, Herr zu werden. Schließ lich kündigt« er bei Besprechung des FiiiauzpcoLlenis die Acnde- rung des Abgabenieilungsgesetzes an. Ungemein scharf und sehr bestimm! waren die Worte, die der Parteiobmanu Bundeskanzler a. D. Dr. Seipel im An schluß an das Ncserai Dr. Romei,s über „Organisation und Politik in der chnstlichsozialen Partei" an seine Par teifreunde richteie. Ausgehend von der Kontinuierlichkeit des Wesens der Partei betonte er besonüeis. daß die christlichsozia-le Partei eine Weltanschouungsrariei ist, die keinerlei Zugeständ nisse in Fragen der Schule, der Eh-.".«form, der Leibessrucht- abtreibung usw. machen kann: denn die Partei ist nicht in jeder Hinsicht «uton-v'.n. weil viele Fragen, die die Politik beschäftigen, an höhere Rücksichten gebunden sind und nicht mit politischer Taktik -und Klugheit ausgeiragen werde,, könne-». Alle Ein -wände »ui Rücksicht auf den wirtschaftlichen Ausbau in diesen Frage» den Friede» um jeden Preis zu hatten, zerschellen an der Tatsache, daß die Partei nicht von, Broie des wirtschaft liche» Lct-ens allein lebt. Auch Dr. Seipel beioiiie de,, Ausgleich zwischen Zentralismus und Föderalismus, den die Partei in sich selbst suchen muß. Auch die Frage „Neuwahlen" schnitt der Redner an und erklärte: „Wir fürchten uns nicht. Oppositions Partei zu sein, aber wir dürfen die Opposition nichi suchen, weil dieser pariamentarischc Zustand alle freisinnigen Kräfte einigen würde. Die Partei hat lvi Nenivahlen nichts zu ftirchicn. wenn lienisch-amerikaulscheu Schuldenabkvmmens. Der Zeitpunkt für diese Rede sei sehr unglücklich gewählt, dem, d:e Oppo sition werde dafür sorgen, daß nunmehr auf Italien e.n stärkerer Druck ausgcübt werde, wenn das Schultenabkvm- men dem Senat zur Ratifizierung vorgclegt werde. D e Sympathien, die Mussolini durch seine Rede verloren habe, würden sich dem eutwassueteu Deuischland zuwenden. Im Laufe des Montag habe» sich weiter hervorragende politische Persönlichkeiten der Vereinigten Staaten äußerst scharf gegen die Erklärungen Mussolinis ausgesprochen. Senator Dill erklärte in einer Unterredung, daß Musso lini anders gesprochen hätte, wenn es sich um Frank reich oder um England oder um ein anderes bewas ncte-s Land handeln würde. Es sei leicht, Deutschland gegenüber eine solche Sprache zu führen. Senator Will: s saz:e. daß sich Mussolini sehr irre, wenn er glaube, daß derarttge Kriegsdrohungen die Weltmeinuiig beeinflussen könnte». Die Welt habe durch den Krieg genug gelernt. Die gestrige Abendprcsse verurteilt e:nstim- mig Mussolinis Rede, die hier die Sensation des Tages bildet. „Eoenina World" befürchtet, solches Säbelra ein bringe blutige Auseinandersetzungen. „Erening Post" er klärt. Mussolinis Rede zeige, warum Europa te.ne Lust habe abzurüsten. Als Jmperckust denke er, nach dem nahen Osten und dem Balkan schielend, natürlich nicht daran, abzurüsten. Die offiziöse Pariser Auffassung Paris, !1. Februar. Der Londoner Berich;erstat:er des „Petit Journal" melde!: In britischen voliUsche,, Krei sen seien die Erklärungen Mussolinis über d« Minder!,e.ren Ziidrirols mit einer gewissen Kühle ausgenommen worden. D.e Ansicht der öficiitftchen Meinung geh: dahin, daß d:e von dem Führer einer Regierung, die M lglied des Völker bundes sc:, gesprochenen Worte nach dem Vertrage von Locarno Anlaß zu lebhafter Kritik geben uud daß der Vertrag Mussolini verpflichte, seine Sprache zu mäßigen. Zumindest sei aber eine derartige Rede deplaziert, in dem Deutschland seine Zulannng zum Völkerbünde fordere. sie nur mit derselben Entschiedenheit wie bisher die Interessen -unseres Volkes und Landes allen anderen voranstellk. Dieser Optimismus ist bas Ergebnis der Kenntnis der Partei. Ich -fand nichts, was an dem Mark der Partei frißt, was „ns in wesentlichen Dingen zu einem Stellungswechsel dränge» könnte. Aber eines sehe ich noch: Wir müssen den andere» Par teien gegenüber natürlich Politik machen, aber nicht untereinander. Wenn wir alle nichts anaeres sind als schlicht und einfach — Christlichsoziale. dann ist die Partei stark und dann bleibt sie gesund". Um diese beiden Reseraie, die im Mittelpunkte des Par teitages standen, gruppierten sich die Wechselrede». Anträge und Entschließungen. Bon den Anträgen verdient jener, ein Par teiprogramm herauszugebe», hervorgehoben zu werden. Bislang besaß die christlichsoziale Partei kein Programm etwa im Sinne der Sozialdemokraten, sie l>atte es auch nichi nötig: denn ihr Programm war in ihrem Gründer und in ihrem gegenwäriige» Führer Dr. Seipel verankert: Dr. Lueger und Dr. Seipel waren das lebende Programm. Da Wünsche laut wurden, dieses schrift lich festzulegen, wurde dem Reichsparteitag ein solches zur Be guiachiung vorgelegt. das auch die Billigung der Delegierten fand. .Hervorgehoben zu werden verdient, daß das Programm die Frage der Siaatssorm nicht zu in Partei grundsatz macht. Der Wunsch der Vorarlberger, das Be kenntnis zur Republik sestzuiege». sand keine Bcrücksichiigung. -wohl aber betont das Parteiprogramm die Forderung nach wahrer Demokratie. Tagesfragcn wurde» nichi in das Programm ausgenommen, so auch nicht die Frage des Anschlus ses an Deulschiand. ohne damit sagen zu wollen, daß die Partei Gegnerin des Anschlusses wäre. Die Portei ltzilt die Anschluß beweguug für eine Volks- und nicht für eine Parteisache. Ist diese einmal spruchreif, weiß die Partei sich eins mit dein Boiks- ivillen, der wohl ziemlich einstimmig den Zusammenschluß Oester reichs mit Deutschlands herbeisehnt. Große Beachtung fand auch die Stellungnahme der aPrtci zur Schule, worüber das letzte Wort zu iprecheu, die Partei sich nicht für berufen erklärte und dieses dem Episkopat überläßt, der allerdings bis heute »och kein« einheitliche Linie bezogen hat. Die Stellungnahme der Partei' beschränkt sich daher nur auf rohe Umrisse unter Bcdnchinahme der bestehenden Verhältnisse. So bekennt