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Wkkcntlich «rläamtn drei Nummern. PränunierationS- Preis 22j Sgr. (j LHIr.) »ierteljükrUck, Z Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Prcuftisüen Monarchie. M Literatur a g a z t n für die Ma» peönumerire auf dieses Literatur-Blatt m Berlin in der Expedition dar Allg. Pr. Staai'-Zeitung (Friedri6>«sir. Nr. 72); in der Provinz f» wie im ÄuSlande bei den WotMdl. Post -rlemicw. des Auslandes. .Berlin, Montag den Ist. März 184« Schweiz. Der große Sankt-Bernhard. lAus der Reise-Maovc eine« Schweizers.) Wir saßen im Hospiz des großen Sankt-Bernhard, die Füße am Feuer, der Prior bei uns. Der Letztere, nach mancher durch unsere Fragen veranlaßten Erzählung, sagte endlich; „Im Uebrigcn, meine Herren, ist unser Sankt-Bernhard mehr berühmt, als gekannt...." „Und ich will Ihnen sagen, warum, lieber Pater", unterbrach ihn ein dicker Herr, der, zue Rechte» ves Kamins sitzend, nvch kcincn Theil an der Untcrealtung genommen; „man kennt ihn wenig, weil er so oft beschriebe» worden ist. Es ist mit Eurem be rühmten Berg wie mit so vielen Schriftstellern des Tages, die auch berühmt sind und die wir Pnbftkum aus den Feuilletons, aus den Biographieen, aus den Knpftrstichcn keimen. Die Feuilletons wollen Witze machen, die Biographieen lügen, die Bilder schmeicheln: ÄltteS ist so falsch wie eine Grabschrift!" Der Herr schwieg. Ick, der doch auch zum Puolikum gehöre, fühlte mich durch diesen Ausfall unaugeilehm berührt. „Erlauben Sie", sagte ich, „die Grabschriftcn...." Er ließ mich nicht vollen den. „Die Grabschriftcn! Wollen Sie vielleicht die Vertheibigung der Grabschriften übernehmens Dann möchte ich Sie nur auf eine Stunde nach dem Kirchhofe des Pore Lacha»sc schicken. Sic werden doch nicht leugnen, mein Herr, daß unter diesem Boden einige Teufel liegens Die Grabschriftcn wissen von nur von Engeln!" „Mötzlich", sagte ich. „Es ist sehr begreiflich, daß die Ucbcr- lebenden m dem Uebermaß ihres Schmerzes...." Er unterbrach mich aufs neue: „Sic sind jung, mein Herr, sehr jung. Sic wissen noch nicht einmal, daß cs nie per Schmerz, sondern die Eitelkeit oder die Freude ist, welche diese Hügen diktlrcn und bezahlen." — „Die Eitelkeit", rief ich, „das geht noch; aber Freude, mein Herr, Freude auf dem Kirchhof, a» einem Grabe!" — „Ja, Freude, mein Herr, oder, wenn Sie lieber wollen, Wonne; jene innige, stumme Wonne, in die der Heimfalt einer reichen Erbschaft versetzt.... Durch ein Gefühls das übrigens sehr natürlich ist, aber mit dem Schmerz nichts gemein hat, wird man angetricbcn, sich auf irgend eine Weise für das uns angethanc Gute erkenntlich Zu zeigen, und da bedient man sich der Grabschrist. Es ist die bequemste,' die wohl feilste Weise, dir daher auch von jeher in Anwendung gekommen. Grabe, Bildhauer, grabe tief, schneide Tugenden eins immer zu, trage de» Tribut unserer-innigen Dankbarkeit gegen den Verstor benen ab, unserer vollkommenen Zusricdcnhcit, unserer Wonne, die innerlich um so lebhafter, um so wärmer ist, als cs ihr für den Augenblick versagt ist, sich zu äußern ...." „Es gicbt Ungeheuer", nahm ich mit Unwillen vas Wort, „welche so beschaffen sind, aber...." — „Junger Mann, nehmen Sie dieses Wort zurück und sparen Sie es für gehässigere Dinge. Was nur eine Schwäche ist, eine Schwäche, welche unserem Ge schlecht ayklcbt, kann man nicht ohne Ungerechtigkeit monströs nennen. Ich rede von ganz gewöhnlichen Thatsachcn, von einem Egoismus, der mehr häßlich, als schändlich ist, von einer Heuchelei, die noch die anständigste unter allen Heucheleien ist; ich spreche von dem, was solche-Ungeheuer, wie Sie und ich, thnn könnten. Dieselben Unge- hcuer, wenn sic wirklich betrübt sind, denken weder an Mausoleen, noch an Grabschriften. Der Schmerz lebt von sich selbst; er ist furchtsam, schüchtern, scheut die Oeffentlickkelt; selbst die Trauer- ^itldcr- dw iy,n per Gebrauch anferlegt, sind ibn», indem sie die Blicke aut uw ziehen, zuwider. Der Schmerz beweint das ganze Wesen, mtt semcn Mängeln, die er entschuldigt, mit seinen Tugcn- dm, die er verehrt und denen er den geheimen Kultus.der bitteren Seufzer und der verborgenen Thränen darbringt. Der echte, tiefe Schmerz, statt sich ans hiwz drängen, laßt sich kaum sehen, und wenn ich als undankbarer Sohn die heute von mciucm Schmerz überzeugen wollte, so würdc ich mich vor Allem hüten, einen Mar- inorstetn aus das Grab meiner Marter zu setzen." Der Herr, der so sprach, mißfiel mir. Auch der Prior gefiel mir nicht, welcher einer Ansicht beizntrcte» erklärte, die mir eben so abschreckend als parador schien. Um nicht widerspreche» und auf etwas Anderes das Gespräch zu lenken, saqxc ich; „Mit den Grab- schriftcn mag's hingedcn, mein Herr; aber wir sprachen eben von Beschreibungen, Biographieen, Schriftsteller-Portraitsi" .... „Ich glaubt diesem Allem eben so viel als den Grabschriften; damit ist nicht gesagt, daß ich gar nicht daran glaube. Jene Teufel des Pire Lachaisc können auch gute Teufel gewesen scpn; jedenfalls hatte» sic auch ihrc guten Eigenschaften, und die Grabschrift lügt vielleicht eben so sehr in denjenigen ihrer Tugenden, die sie ver schweigt, als in denen, die sie ihnen andichtct. Sv ist cs auch niit den Portraits unserer Berühmtheiten; sie sind nicht ohne Achnlich- kcit, ater es ist eben so Schönes, bas falsch, mit Wahrem, das un- voUständig ist, zusammengcworfcn. Man giebt u»S nicht das Gesicht des Menschen, sondern daS des Unsterblichen, nicht den häßlichen, in eine Perrückc vergrabenen Kops Fenclon's, sondern eine prächtige, für das Publikum nnd die Nachwelt ausstaifirte Maske.... Sonst überließ mau es dem Publikum, den Geist, den die Schriften er schlossen, auf dem häßlichen Gesicht wiedcrzufinben; jetzt hat dasselbe Publikum die Mühe, in den Schriften die Begeisterung, die Origi nalität, Vic Humanität wiedcrzufindc», die auf dem Gcsicht ausge drückt sind. Da haben Sie die Grabschrift, mein Herr. Auf allen diesen lithographirten, gestochenen oder gemalten Masken lese ich in großen Eharaktcren: Das ist der größte der Dichter! Das ist der erhabenste der Lyriker! Der war mager vom Denken; Jener war hohl vor Tiefe; der Dritte ausgeschwollen vor Genie! Gradschrift, mein Herr, Alles ist Grabschrift!" „Aber um auf den große» Sankt-Bernhard zurückzukommen..." In diesem Augenblick ließ sich ein Lärm in dem uutcrcn Theile des Hospiz hören, und vas Bellen der Hunde übertäubtc die Stimme unseres vicken Herrn. — „Es sind neue Ankömmlinge", sagte der Prior, und verltcß unS, um sie zu empfangen. Der dicke Herr rind ich blieben zurück, Jeder damit beschäftigt, zu errathen, was da kommen würdc, ohne weiter an die Gradschriften zu devkcu. Nach einigen Minuten trat ein Herr in den Saal. Dieser Herr war ein Tourist von ungefähr »»Jahren, sehr.gut gekleidet und sehr mitthcilsam. „Ihr Diener, meine Herren." Er nahm einen Sitz, wir rückten uuS, um ihm Platz zu machen. „Um Verzeihung, aber das Feuer thut gar zu wohl, wenn inan aus der Lawine kommt!" — „Eine Lawine!" sagte der dicke Herr. — „In dieser Jahreszeit?" fügte ich hinzu. — „Und «iuc sehr schöne, ich versichere Ihnen, wenigstens eine Biertelmcile groß." Ich wußte nicht, was ich von der Lawine dieses Herrn halten sollte. Wir hatten Ende Juli und waren also in einer Jahreszeit, wo, da die Spitzen in der Nähe von Schnee ganz entblößt waren, dieser Schnee, der nicht da ist, nicht als Lawine heradstürzcn kann. Doch wagte ich nickt zu widersprechen und bat diesen Herrn bloß, uns sein Äbentener zu erzählen. „Sehr gern", sagte er. „Wir verließen die Cantine um sechs Uhr. (Die Eantinc ist von Wallis aus VaS letzte bewohnte HauS vor dem Hospiz.) Fünfzehn Schritte vor mir ging eine Gesellschaft: es sind dich welche jetzt ankommcn. Zwei Herren, ein junges Mäd chen, hübsch, aber brustkrank. Sie führen sie nach Italien, wo sie den Winter zubringen soll. Der eine von ven beiden Herren ist ihr Vater, der andere ihr Verlobter, ein langer, phlegmatischer Hans, so lebendig wie eine Statue. Diese Schweizer sind alle so. Arts der Lawine augckommcn ...." Hier suchte ich cinzufallen: „Erlauben Sie, mein Herr, gc- wöhnlich ist cS die Lawine, die auf den Menschen kommt...." — „Warten Sie nur. Lluf der Lawine angekommen, sehe ich, daß die Mauleseln» dieser Dame bis an den Bauch einsinkt, und daß sie.sich nicht hcrausziehcn können wegen des Führers, dcr von der Leitung eines ThicrcS nichts versteht. Ich trete hinzu, stoße ven Bauer bei Seite, nehme vie Zügel in die Hand uav bringe ihnen die Maul eseln» in den Gang, daß cS eine Lust lvar! .... Aber auf eunnal kriegt das Fräulein einen Schreck, der Vater wird ärgerlich, der Verlobte schreit, so daß die Mähre eigensinnig wird mid dcr Führer sich einmischt, der es nicht leiben will, daß ich sie zu Schanden schlage. Parble«! sagte ich ihm, da haben Sie Ihre Mauleseliu, und werft ihm den Zaum zu. Mein HauS Dcuupf verfehlt ihn, das Thier bäumt sich, un^dic Dame rollt in die Lawuieihuiem." „Aber erlauben Sie", unterbrach ich noch einmal,.... „sonst ist cS immer die Lawine, die auf Vic Dame rollt...." — „Warten Sie doch,.-. Nun saugen meine beiden Lümmel an zu schreien, der-Führer schwört, die Dame schreit Hülfe. Ich schicke sic zu allen Tcnseln, und ohne auf die Väter und die Hunde zu achten, stürze ich mich auf die Lawine, komme hart au ihrc Dame heran und bringe sie mit Hüfte des Führers gesund und wohlbehalten uns die Ebausscc zurück. DaS ist die Geschichte", sagte »mftr Tourist schließend. Dann fing er an zu husten: „DaS fällt aus die Brust, eine solche