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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«. Preis 22^ Sgr. Tdlr.) vierteljährlich, Z Thir. s,1r do« ganze Jahr, ohne Er- Höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man »ränumerirt aus diese« Beiblatt der ÄUg. Pr. Staatt- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. 34); in der Provinz ko wie im Ausland« bei den WohllSbl. Post < Aemtern. Literatur des Auslandes. L. Berlin, Mittwoch den 11. Januar 1837 Frankreich. Guizot über die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts und ihre Wirkungen. lAus seiner Antritts-Rede in der Französischen Akademie.) Ein großes Jahrhundert, ein Jahrhundert, welches die Well erobert bat, ist lau»! vorüber; ei» großer "'Philosoph, der Letzte von einer Geue« ralion großer Philosophen"), ist kaum zn Grabe gegangen, und ich soll schon meine Gedanken über diese gewaltige Epoche und ibren würdigen Repräsentanten aussprechen! Geziemt es Söhnen, über ihren Vater zu urlheilen? Das achtzehnte Jahrhundert hat un« zu dem gemacht, was wir sind. Ideen, Sitten, Institutionen haben wir von ihm; wir sind ihm kindliche Liebe schuldig, und ich für mein Theil zolle ihm dies Ge fühl. Möge cs meine Worte durchdringen, möge cs sich darin offen bare», selbst i» de» freiste»! Sind unsere Worte frei, wem verdanken wir es? Das achtzehnte Jahrhundert hat unsere Freiheit geschafft,i. Z» diesen Mauer» und außerhalb derselben, überall giebt jeder Ge danke, der sich ungehemmt entfaltet, jede Stimme, die sich ungehindert erhebt, Zeugniß von dem Ruhm des achtzehnte,, Jahrhunderts und sei ner Wohlfahrt. Montesquieu, Voltaire, Rousseau, mächtige Geister, unsterbliche Namen, wir sind frei, so wie Ihr »ns gewollt; wir werden e» auch gegen Euch seh»; aber unsere Freiheit ist die würdigste Huldi gung für Euch, und unsere Dankbarkeit gegen Euch wird mit der Unab hängigkeit unseres Nrlhcils steigen. ES kant ein Augenblick im Laus dieser großen Epoche, dtr ihr ge waltiges Geschick zu Tage förderte. Montesquieu gab den „Geist der Gesetze" heraus und verlheidigle ih» mit der etwas stolzen Ruhe des über den Kampf gckränktrn und des Sieges sicheren Genies""). Rousseau erhob sich plötzlich auc seinem stnrniischcn Dunkel und legte die Art an die Wurzeln derselbe» gesellschaftliche» Institutionen, die Montesquieu am Abend vorher noch mit Ehrfurcht prüfte"°"). Voltaire ließ in, Glanz seiner Zurückgezogenheit, wo ih» der Unwille und die Freundschaft der Könige nicht erreiche» konnten, alle Völker, alle Gewallt», alle GlaubenSmcinungcn, alle Thalsachcn, die ganze Well mit ihrer Geschichte vor sich erscheinen, richtete über sie, vermtheilte sie spielend, und selbst die, welche von seincn Streiche» getroffen wurden, bewunderten ibn nnb streuten ihm Weihrauchs). Buffon befrag,« unseren Erdball, ohne sich an geheiligte Ucberlicserunqc» zu kehren, über die Geheimnisse seines Ursprungs und seiner Umwälzungen ss). Eondillac und Helvelins fan den nichts Gchkimnißvollcs mehr in dem menschliche» Geiste; nach ihrer Ansicht gelangt mau durch eine sichere Methode zu allen sciiici, Ge setzen und kann sie ans ein einfaches Prinzip zurücksührcn sss). Und während der Mensch, die Gesellschaft und die Natur so nach allen Richtungen hin mit einer bis dahin unerhörte,, Kühnheit durchforscht und behandelt wurden, gab Diderot das noch kühnere Versprechen, alle Schätz« der mcnschlichcn Wissenschaft in «in einziges Werk zu sammeln und sic dem Publikum zum alltägliche» Gebrauch zu überliefern ssss). Zeh»,Jahre genügten zu so viel Arbeite», zu so viel Siegen. Mitten i» diese» einscheidenden Jahren, am Zcnilh des achtzehnten Iahrhnnderts, erblickte Herr von Tracy das Licht der Welt. Die Phi losophie schien nicht sein Berus, die Philosophen nicht die ihm ange messene Gesellschaft. Er war in einer ganz militairischc» Familie ge boren, seincn Vater Hane man zweimal für lodl auf dem Schlachlsclde gelassen, und der Thurm pes allen Herrenhauses lrug an seinen Zinnen die vcrdienle Inschrift: „Gar wohl erworben." Die kriegerische Lauf bahn soülc auch die scinigc werden und wurde cS in der Lbal. Aber di« Zeil war nichl mebr, wo di« Verschiedenheil des Berufs die Menschen streng sonderle, wo der Geist sich in die Gränzen seines Slandcs cin- schloß. Gleich dem Tageslicht drang und verbreitete sich da« damals ') Destutt de Tvacv, an dessen Stell« H«rr Guttat zum Mitglied« der Akademie gewählt worden, und dem er daher, dem Gebrauch gemäß, eine Gedächtnissrede zu halten ha« ") Der „Geist der Gesetze" erschien im Jahre 174» und die „Vertheidi aung des Getues der Gesetze" im Jahre >75». Montesquieu starb 1755. .. Die „Abhandlung über den Einfluß von Wissenschaft und Literatur" >>> aus dem Jahre >75», die „Abhandlung über die Ungleichheit der Stände" aus dem Jahre 1754 - Die erste von Voltaire selbst publizirtc Ausgabe des „Versuch über Sitten und Geist der Nationen" ist au« dem Jahre 1757 Voltaire zog sich zurück " »us seinen Landsitz „DSlices" und im Jahre 1753 nach Ferne» bk) Die ersten Bände der „Naturgeschichte" erschienen im Jahre >74» Eondillac'S „Versuch über den Ursprung de« menschlichen Wissens" erschien 174l>, die „Abhandlung über die Enwftndungen" 1754 und da« Buch „über den Gellt" von Helvetiu« ,m Jahre «758 k-lckp) Die beiden ersten Bande der „Encvklovädie" erschienen >75t. über Ler Well aussteigende Lichl überallhin, glänzend und unwidersteh lich. Die Provinzen wie Paris, der Hos wie die Slabt, die Armee wie die Nalio», die Schlösser wie die Städte, der Müßiggänger in den Salon«, der Gcschäslsman» in seinem Kabinel, der Krieger bei seinem Regimen!, der Geistliche aus seiner Kanzel, der Richler unler seiner Toga, sie alle empfanden die Mach! dieser Neuerungen, die so herzliche Aussichlcn eröffnclcn und eben so sehr die edelsten Lcidcnschaslen des GemülbS wie die ausschweifendste,, Triebe dcS menschlichcu Egoismus wccklcn. Wie hülle man ihnen widerstehen sollen? Nichl dadurch allein, daß sie sich an die Vernunft wandle, und nichl durch das falle Worl der Bucher üble und breilelc di« Philosophie ihre Herrschaft aus. Sie bemächtigte sich der Gesellschaft selbst, beherrschte deren Gewalten, suS- pcndiric ihre Gesetze und führte in die Verhältnisse der Mensche» eine Freiheit, Mannigfaltigkeit und Bewegung ein, die man »och nie ge kannt hatte. Jahrhunderte lang war das Schicksal der Philosophen, der freie» Denker rauh, ja, oft schmerzlich gewesen; jetzt wurde cs leicht und glänzend. Sic strebten nicht etwa in arbeitsamer Zurückgezogen heit bloß nach den herben Freuden des Gedankens, nein, sic kosteten in der Welt alle Annehmlichkeiten des Leben«. Niemals halten sich so sansle Sitten mit so lebhaften Streit gkciten vereinigt; niemals so viel Fcncreiser in den Geistern mit so viel Sicherheit der EMcnzcn, ein so hoher Schwung dcr Seelen mit solchem Sichgehenlaffen in den Hand lungen. Allgcmcine Begeisterung und Allcn gemeinsame Ungcbundcn- bcit, voll Reiz sür Alle; wie wenn gegen das Eude eines festes alle Anwesenden, aufgeregt und fortgcrisscn, sich umarmen, in einander auf- gehen und sich mit gleicher Sorglosigkeit zusammen gleichem Taumel hingebcn. Und cs waren nicht mehr die schamlosen Ergötzungen, die wilden Ausschweifungen, welche die erste,, Jahre des Jahrhunderts bezeichnet halten. Edle und rclnc Frcudcn gesellte» sich zu den gewöhnlichen Ge nüssen, erhabene Hoffnungen zur Befriedigung der literarischen und weltlichen Eitelkeit. Im Schoß dieser lcichien Sitten wurde,, die ehrenwerlhestkii und schönsten Gesinnnngen wiedcrgeborcn und lhalcn sich mit Wohlgefallen hervor. Diese Philosophie, die ihren Schülern so reichlich Vergnügen und Ruhm spendete, versprach sich für alle Mensche» Freiheit und Glückseligkeit! Allerdings war es eine mächtige Aufregung, al« der große Tag kam, als im Namen Frankreichs, im Schoß von Paris die ko»sti- tuircndc Vc^aiiimlung den Auftrag empfing, alle Verheißungen der Philosophie zu crsüllcn und jeden Ehrgeiz der Menschheit zu befriedi gen! Welcher Enthusiasmus! Welcher unerhörte Verein der ernstcstcn Arbeite» und der berauschendsten Vergnügungen! Die wirklich«, uumü- lelbarr. praktische Herrschaft, plötzlich auf diese Geister übergebend, die noch eben, erst i» die Kritik und Speculation versenkt waren; dec Stolz der Wiffenschast und der Stolz der Macht vereinigt und trium- phircnd; der Gedanke und Wille des Menschen von jedem Zügel frei, ja, unumschränkt und despotisch herrschend, und Alles nicht nur den Blicken, sondern auch den Hände» der Menschen preisgrgeben! Und jene ungestümen Eroberer, jene ephemeren Schöpfer, ihr Werk unter den Augen, imler dem BeisallSzuruf der kullivirtesten Gesellschaft und dcr erregbarsten Menge verfolgend, die eine wie die andere gleich begierig nach Eindrücken und Erfolgen, gleich beeisen, sich in Dankbarkeit oder in Zorn, in Bcwundcrung ober in Schmähungen zu ergießen! Ward je mals der Welt ein so gewaltiges, ein so hinreißendes Schauspiel dar,ge boten ? Wo finden sich »och Scenen, die den Grist und die Leiden schaften dcr Mitspiclendcn in so hohem Grade auftegen mußten? Herr von Tracy wac einer dieser Mitspielcndrii, und zwar einer der ernstestrn und aufrichtigste». Er hatte bi« dabin seine» fisten, lbätigen und strengen Sin» auf kci» besonderes Studium gerichtet. Der Zauber jene« gesellschaftlichen Lebens, das durch die Bewegung in den Gemütbern eben so lockend war, wie durch die Anmuib seiner Ver hältnisse, hatte seiner mehr aufgeregte» als beschäftigte» Jugend genügt. Aber Keiner halte die Lust seiner Zeit so tief eingealbmet; Keiner ihre Ideen und Hoffnungen mit größerer Liebe zur Wabrbeil, mit größerer Achtung für ihre Recht«, mit größtrem Vertrauen zu ihrer Herrschaft in sich ausgenommen. Jedem Eigennutz fremd, vo» jedem persönliche» Ehrgeiz frei, kam er in die konstiluirende Versammlung, einzig und allein von dem Wunsch durchdrungen, die so laug« zum Vortbeil einiger We- iiigen durch Gewalt und Zusall beherrschte Gesellschaft nach Vernunft und Gerechtigkeit und zum Wohl Aller zu ordnen. So dachte derjenige Theil dc« Französische» Adels, dem Herr von Tracy angcbörie, und der die Reformen eifrigst verfocht, ohne daß er etwas davon zu erwarten hatte. Wahrhaft freisinnige Geister, wahrhaft edle Herzen, denen dir