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Man hätte auch kaum noch eine Sitzung mit Namens abstimmung wagen können, es würde wohl schwer gehalten haben, die zur Beschlußfähigkeit nothwendige Zahl von 200 Reichsbolen zusammenzuklingeln. Darum, und weil gerade zur rechten Zeit auch das gesetzgeberische Material für den Augenblick aufge- arbeitet war, schieden die Volksvertreter von der Reichshauptstadt und mag ihnen die Erholungspause frische Kräfte für die kommenden arbeitsreichen Wochen, in denen die Hundstagssonne ihr Szepter führt, bringen. Es hat sich gezeigt, daß auch eine verhältnißmäßig kurze Arbeitszeit, es sind ja nur wenige Wochen seit Schluß der Osterferien verstrichen, Erschöpfung und die Nothwendigkeit der Ruhe Hervorrufen kann, wenn die während derselben verhandelten Gesetzes vorlagen dazu angethan sind. Diesmal war es nur das Socialistengesetz, welches den Reichstag in Athem hielt, welches seine Mitglieder, um einen vulgären Ausdruck zu gebrauchen, „mürbe" gemacht hat. Es ist sehr leicht, ein Reichstagsmandat zu verlieren, schwerer, es zu gewinnen, und dieser Gedanke ist der größten Mehrzahl der Parlamentarier doch gewaltig durchdenKopfgegangen, wenn erauch nicht immer laut ausgesprochen worden ist. Die Ungewißheit vor der Entscheidung, deren Resultat diesmal so schwer oder gar nicht zu ergründen war, schaffte eine Un ruhe und Aufregung, die von größerem Einfluß war, als lange arbeitsvolle Wochen. Mit der vor handenen Thatsache läßt sich leichter rechnen, als mit dem drohenden Ereigniß und mit der Abstim mung vom vorigen Sonnabend fiel es vom Hause wie ein Alp; auch das entgegengesetzte Resultat wäre immer noch als eine Erlösung aus dem zweifelvollen Warten begrüßt. Was ihrer nach dem Pfingstfeste harrt, wissen die Reichstagsabgeordneten genau: Recht arbeits volle Sitzungen und dann eine Wahlagitation, die alle Kraft und den Aufwand großer Thätigkeit er fordern wird. Das entschiedene und rüstige Auf treten Fürst Bismarcks, dem von Krankheit keine Spur mehr anzusehen ist, seine Ankündigungen bei der Socialistendebatte lassen keine Zweifel darüber, daß der Reichskanzler mit voller Energie bestrebt sein wird, eine seinen Plänen günstige ReichstagS- majontät zusammenzubringen, und die Stürme dieses Wahlkampfes werden bald genug ihre Schatten in den seinem Ausgange sich neigenden Reichstag werfen und manche lebhafte Discussion Hervorrufen. Daß unter solchen Verhältnissen der Schluß der Legislaturperiode sehr früh erfolgt, darauf ist wenig zu rechnen, selbst wenn das noch ausstehende Arbeits pensum nicht ein so überaus reichhaltiges wäre. Das ist vor Allem das Arbeiterunfallversicherungs gesetz, dessen Berathung sich keineswegs so ganz glatt abwickeln wird. Die Commission hat verschiedene Bestimmungen total abgeändert, auf die gerade der Reichskanzler großen Werth legt, und es ist nur zu gut bekannt, daß Fürst Bismarck nicht so ohne Weiteres auf etwas verzichtet, was er für gut hält. Da« Recht auf Arbeit, welches der Kanzler proclamirt, und bezüglich dessen im Reichstage bereits ein An trag vorliegt, sowie die große Reihe der sonstigen und theilweise sehr wichtigen Anträge au» dem Lause selbst, wird Gelegenheit zu mancher langen Verhandlung geben. Dazu kommen dann die noch ausstehenden Vorlagen: Dampfersubventionsvorlage, Novelle zum Actiengesetz, Pensionsgesetze u. s. w., kurzum der Reichstag hat tüchtig zu arbeiten, wenn selbst Manches unerledigt bleiben wird und seine Mitglieder haben alle Ursache, in den Ferien sich darauf vorzubereiten. «Waldenburg, 17. Mai 1884. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Am Freitag empfing der Kaiser eine Reihe höherer Offiziere und den Landgrafen Alexis von Hessen. Nachmittags erschien Minister v. Scholz, später der Reichskanzler zur Audienz. Sonnabend Vormittag gedenkt sich der Kaiser bei günstigem Wetter zur Besichtigung des Lehrbataillons nach Potsdam zu begeben. Der Bundesrath genehmigte in seiner Sitzung vom Donnerstag die Dampfersubventionsvorlage, die dem Reichstage also sofort nach seinem Wieder zusammentritt zugehen wird. An neuen Vorlagen sind dem Bundesralhe zugegangen: Der internatio nale Vertrag zum Schutz der unterseeischen Tele graphenkabeln, sowie der Handels- und Schifffahrts vertrag Deutschlands mit Korea. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt an der Spitze ihrer Freitagabendnummer: „Eine Anzahl Indu strieller in Oesterreich hatte sich bekanntlich vor eini gen Jahren unter dem Namen Austro-Asiatische Compagnie zu einer Exportgesellschaft vereinigt, welche eine Expedition mit Mustern nach Indien gesandt und dort überraschend günstige Resultate erzielt hat." Indem das Blatt zur Nachahmung auffordert, heißt es weiter: „Die kaiserlichen Con- suln im Auslande sind gern bereit, Auskunft über Land und Leute zu geben, die einzuschlagenden Wege zu bezeichnen, persönliche Einführungen zu ermitteln und überhaupt die ganze Summe ihrer Lokalkenntniß den Interessenten zur Verfügung zu stellen." Die Panzerkorvetten- und Panzerkanonenboot- Division der deutschen Flotte werden am 30. Juni auf der Rhede von Zoppot vereinigt sein. Gleich zeitig haben sich auch sämmtliche Schulschiffe der Ostsee, sowie die Torpedobootdioision daselbst ein zufinden. Es findet dann eine große Revue statt, welche der Chef der Admiralität abhalten wird. Für die Prinzen Wilhelm und Heinrich werden auf der Panzerkorvelte Hansa Wohnräume eingerichtet. Ob auch der Kronprinz den Uebungen bewohnen wird, ist fraglich. Die „Nordd. Allg. Ztg." hat eine Serie von Artikeln über das Recht auf Arbeit begonnen. In einem Artikel heißt es u. A.: Der Reichskanzler hat in seiner Rede auch nicht verfehlt, daß er die Altersversorgung fortgesetzt im Auge behält, und wenn er somit das höchste Ziel der Socialreform kennzeichnete, soweit sich dieselbe auf Abhilfe der aus der Arbeitsunfähigkeit wachsenden Nothstände bezieht, so war es eine logische Nothwendigkeit, daß er auch die andere Seite der Frage, die au» dem Mangel an Arbeitsgelegenheit erwachsende Noth ins Auge faßte, welche das preußische Landrecht bereits in» Auge gefaßt hat. Wir haben schon darauf hin gewiesen, daß das Landrecht nur bestätige, was zu allen Zeiten Gegenstand der Regentensorge der Hohenzollern war: Durch Arbeitgewährung nicht blos einer vorübergehenden Noth abzuhelfen, sondern auch dauernden Gewinn für die Landeswohlfahrt durchzuführen. Welche Culturen sind zu diesem Zwecke geschaffen! Weit entfernt also, daß die realen Verhältnisse der Socialreform, welche ihr Augen merk auf die Arbeitslosigkeit al» eine Quelle de» Elend« oder des Verbrechens richtet, den Einwand der Unmöglichkeit gegenüberstellen, fordern sie viel mehr zu einer Codificirung auf, deren Schwierig keit sich natürlich Niemand verhehlen kann, da die selbe nicht blos auf unvorhergesehene Kalamitäten, sondern auch auf individuelle Nothstände Rücksicht nehmen müßte!" Die Reichstagscommission für den Antrag Phillips- Lenzmann betr. die Entschädigung für unschul dig erlittene Untersuchung«- und Strafhaft hat folgenden Antrag des Abg. v. Schwarze angenom men, der auch die Zustimmung des Reichstages selbst finden dürfte: 8 1. Dem Angeklagten, welcher wegen einer nach der Strafprozeßordnung zu ver folgen gewesenen strafbaren Handlung zu einer Frei heitsstrafe verurtheilt worden und dieselbe ganz oder theilweise verbüßt hat, ist, dafern er im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens wegen dieser Handlung freigesprochen worden, für den durch den Strafvollzug in Bezug auf seine Vermögensverhält- nisse, seinen Erwerb oder sein Fortkommen erlittenen Schaden aus der Staatskasse Entschädigung zu ge währen. — § 2. Die Entschädigung ist ferner zu gewähren, wenn die Wiederaufnahme zur Anwen dung eines milderen Strafgesetzes oder bei einer Gesammtstrafe zu einer theilweisen Freisprechung geführt hat und die nunmehr erkannte Strafe ge ringer ist, als die bereits vollstreckte. § 3. Hat der Verurtheilte seine Verurtheilung absichtlich herbeige führt, so steht ihm ein Anspruch auf Entschädigung nicht zu. In der Freitagssitzung des preußischen Abge ordnetenhauses wurde das Gesetz betr. die Stempelsteuer für Kauf- und Lieferungsverträg«, sowie der Nachlragsetat definitiv ohne Debatte ge nehmigt. Es folgten Wahlprüfungen. Die Com mission beantragt Giltigkeitserklärung der Wahlen der Abgg. Behrendt und Wolszlegier. Abg. Franke beantragt, die letztere Wahl für ungiltig zu erklären. Bei der Abstimmung darüber stellt sich Beschluß- unfähigkeit des Hauses heraus. Um 1'/4 Uhr wird eine neue Sitzung eröffnet und beide Wahlen, die letztere mit 123 gegen 117 Stimmen für giltiz er klärt. Dasselbe geschieht mit den Wahlen der Abgg. v. Kelzler und v. Wurmb. Dann wird die Sitzung auf Sonnabend 12 Uhr vertagt. (Antrag Windt horst betr. organische Revision der Margesetze). Mit Freitag nahm das preußische Herrenhaus seine Sitzungen wieder auf. Fürst Bismarck, der ursprünglich nach Friedrichsruhe hatte reisen wollen, des schlechten Wetters wegen die Reise aber aufge schoben hatte, war zeitweise anwesend. Die Denk schrift über die Ausführung des Gesetzes betr. die Bewilligung von Staatsmitteln zur Beseitigung der im Stromgebiete des Rheins durch Hochwasser her- beigeführten Verheerungen wurde durch Kenntniß- nahme für erledigt erklärt. Die Gesetzentwürfe betr. Betrieb des Hufbeschlaggewerbes und weiterer Ver staatlichung von Privateisenbahnen wurden in der Fassung des Abgeordnetenhauses unverändert ge nehmigt. Nächste Sitzung: Sonnabend 12 Uhr. Einer Aeußerung zufolge, welche der Minister von Putlkamer in der Communalsteuercommission des preußischen Herrenhauses gelyan haben soll und welche am Freitag in parlamentarischen Kreisen colportirt wurde, ist der Schluß des preußischen Landtages für Montag, spätestens Dienstag in Aussicht genommen. Der socialistische Führer, frühere Bildhauer, jetzige Schriftsteller W. Rödiger ist auf Grund des So- cialistengesetzes au» Berlin ausgewiesen worden. Rödiger agitirte in der letzten Zeit namentlich für die Wahl Vierecks im ehemaligen Lasker'schen Wahl kreise. Oesterreich. In der am Mittwoch staltgefundenen Abendsitzung des Club» der Vereinigten Linken wurden endlich