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VotzliäMchtr Anztiger. Amtsblatt für das Königliche Bezirksgericht zu Plauen, sowie für die Königlichen Gerichtsämter und Stadträthe zu Plauen, Pausa, Elsterberg, Schöneck und Mühltroff. DremiWebenMier Jahrgang. Verantwortliche Redaction, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht iu Plauen. Diese- Blatt erscheint wöchentlich viermal, und zwar Dienstags, Mittwochs, Donnerstags und Sonnabend«. Jährlicher AbonnemeutSprei«, welcher pninnwo- ranäo zu entrichten ist, auch bei Beziehung durch die Post, 1 Thlr. 26 Ngr. — Annoncen, die bis Vormittags 11 Uhr eingehen, werden in die Tag« darauf erscheinLde Nummer ausgenommen, spater eingehende Annoncen finden in der nächstfolgenden Nummer Ausnahme. — Inserate werden mit 1 Ngr. für die gespaltene Lorpus-Aeile berechnet. Einzeilige mit 2 Ngr. — Für die auswärtigen Äönigl. Gerichtsämter und Stadträthe, für welche der Voigtländische Anzeiger Amtsblatt rst, bestehen die Geschäftsstellen in Pausa bei Herrn Julius Guido Lorenz, in Elsterberg bei Herrn F. W. Feustel, in Schöneck bei Herrn Eduard Meyer, iu Mühltroff bei Herrn Ehaufsergelder-Einnehmer Holzmüller. Sonnabend. ISS. SA. August IM. Politische Zeitbetrachtungen. 2. Die heilige Allianz. (Schluß.) An jenem Abende zu Heilbronn ließ sich bei Alexander eine Frau melden, deren Name seitdem weltbekannt geworden, Frau von Krüdener aus Livland, die Wittwe eines russischen Diplomaten. Auch diese Frau hatte, wie Alexander, nach langen Irrfahrten im eitlen Welttreiben und nach schweren Verirrungen eines glühenden früh mißleiteten weiblichen Herzens, nun schon seit Jahren in der Zurückgezogenheit frommer Kreise mit flammender Begeisterung sich dem religiösen Umschwünge des Jahrhunderts in die Arme geworfen. Durch eine befreundete Dame in der Umgebung des Kaisers, ein Fräulein von Stourdza, schließlich mit dem Seelenzustande des Kaisers vertraut gemacht, fühlte sie sich berufen, ihm den Trost anzubieten, dem sie die Rettung aus ähnlicher, innerer Bedrängniß verdankte. Von Schlüchtern, einem Dorfe in Hessen, wo sie sich eben aufhielt, eilt sie nach Heilbronn und hat noch denselben Abend eine lange Unterredung mit Alexander. Mit dem kühnen Freimuthe ihrer begeisterten Seele versucht sie es, ihm die Augen zu öffnen über sein Inneres, ihm die Hindernisse aufzudecken, die bisher einer entscheidenden Reinigung seines Willens und eben damit auch dem vollen innern Frieden im Wege gestanden. Vor dem Beherrscher des größten Weltreiches steht eine ehemalige Weltdame, die im seichten Fahrwasser der großen Welt Schiffbruch gelitten, und nun mit dem Schwünge einer religiösen Seherin ihren Kaiser in die Geheimnisse des innern Lebens einweiht. Und in dieser Begegnung bildet sich der erste Ning einer geistigen Kette, an deren Ende ein weltgeschichtliches Manifest hing: Die Ver kündigung der heiligen Allianz. Es giebt in der innern Geschichte der Menschheit nichts Bedeutsameres, als die geistige Berührung hoch ent wickelter Naturen mit empfänglichen ringenden, aber noch nicht zur vollen Klar heit emporgestiegeneu Gemüthern. Es ist die geheimnißvolle Wirkung des Geistes auf den Geist, die Geburtsstätte jener zündenden Geistesfunken, die zuweilen im Laufe dcr Jahrhunderte der Welt eine andere Gestalt geben. Die folgenreichen Umwandlungen unseres inneren Lebens hatten ihren Ursprung von jeher in dem innigen Bunde geistesmächtiger Persönlichkeiten. Jener ersten Unterredung in Heilbronn folgten andere in Heidelberg, die den ersten Eindruck befestigten und verstärkten, so daß der geistige Verkehr mit der außerordentlichen Frau, die damals noch nicht jenen excentrischen Miß griffen verfallen war, die ihre spätere Laufbahn, trotz hochherziger Absichten, so sehr entstellten, dem Kaiser eine Zeit lang zum Bedürfnis wurde. Sie begleitete ihn nach Paris. Dort entstand unter dem Einflüsse ihres Geistes in Alexanders Seele der Entwurf der heiligen Allianz, die dann am 26. Septbr. 1815 in einem Manifeste der erstaunten Welt verkündigt wurde. „Die göttlichen Wahr heiten, welche die ewige Religion des Weltheilandes uns lehrte," so heißt es in diesem Manifeste, „sollen für die Großmächte als oberste Nonn gelten; es sind die Vorschriften der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens. Die Für sten sollen sich unter einander als Brüder, als Väter ihrer Völker, als die Glieder der einen christlichen Familie betrachten, deren gemeinsamer Souverain Jesus Christus fei." ES war ein Gedanke von unermeßlicher Bedeutung, das Christentum nicht mehr vorzugsweise anzusehen als eine Doctrin oder einen Cultus, als ein System von Lehrsätzen und Gebräuchen, sondern den ganzen Nachdruck darauf zu legen, daß es eine höhere Auffassung de- wirklichen Lebens, eine göttliche Politik, die Gründung einer neuen idealen Weltordnung in und neben der alten sein wolle. Ohne sich klare Rechenschaft darüber zu geben, wurzelte die heilige Allianz ihrer Idee nach in der prophetischen Ahnung, die Religion Christi wolle sich vor Allem aus That und Leben, als ein geistiges Reich, ein sittliches Salz der Welt, als ein brüderlicher Bund für die höchsten Zwecke der Menschheit offen baren und verwirklichen; sie sei also in erster Linie eine sittliche, nicht eine dogmatische oder ceremonielle Religion. In diesem Zusammenhänge ist die Idee der heiligen Allianz einer der größten, zukunftreichsten Gedanken unseres Jahrhunderts, ein Gedanke, der unS eine höhere Aussicht über die engen Mauern des religiösen Schul - und Secten- gezänkes hinweg eröffnet. Aber in ihrer praktischen Anwendung, in ihrer erste» politischen Ausführung wurde der ursprüngliche Gehalt tzAer Idee so völlig verdunkelt, daß sie in den Augen ihrer Feinde bald nur als die Theorie eine- theokratisch gefärbten Absolutismus, als eine Schönrednerei des Despotismus erschien. Diese Verunstaltung ist das Schicksal fast aller tieferen Ideen bei ihrem ersten Eintritt in die Geschichte; oft muß die Arbeit von «Generationen, ja ganzer Jahrhunderte vorausgehen, ehe sie der Menge zugänglich und frucht bar sind. Darum haben solche schöpferischen Gedanken, die in ihrer EntstehungS- zeit noch zu hoch über dem gewöhnlichen Durchschnittsmaaße stehen, immer einen prophetischen Charakter, als eine Weissagung dessen, was einer höhern Ordnung gemäß kommen wird und kommen muß. Das Ziel der Geschichte kann Alexander l. mit genialem Vorgefühl er kannt und doch sich entschieden geirrt haben in der Wahl des richtigen Wege- zum Ziele. Denn ein solcher Bund der Fürsten und Völker, wie er nun ver kündet wurde, hatte zur stillschweigenden Voraussetzung, daß beide Theile wirk lich von derselben religiösen Gesinnung schon durchdrungen seien. Aber entsprach denn die Wirklichkeit dieser Voraussetzung? Ober konnte dafür das in jenem Manifeste gegebene Versprechen genügen? Ist wahrhaft christliche Gesinnung ein so leichtes und rasches Werk des Entschlusses und des guten Beispiels? Es waltete hier eine völlige Verkennung der wesentlichen Erfordernisse einer innern Umwandlung der Gesinnung ob; auch der edelste Begeisterungsflug eines Alexander mußte sich hierbei ganz erfolglos abmühen, gegenüber der nüchternen Politik und Blasirtheit eines Metternich und Gentz. Die sittliche Wiedergeburt der Gesellschaft ist, mit einem Worte, nicht das Werk eines begeisterten Ent schlusses oder Gelübdes, sondern jahrelanger Arbeiten und Kämpfe und Opfer auf allen Gebieten des sittlichen und geistigen Lebens. Es fehlte ferner den Stiftern des heiligen Bundes ein klares Bewußtsein über das gegenseitige Ver- hältniß von Staat und Kirche, von Gesetz und Liebe, sie übersahen die noth wendigen Grenzlinien beider Gebiete. Sie vergaßen endlich, (und wie gern verzeiht man ihnen das Vergessen!) im ersten Feuer der Liebe, wenn sie vom Evangelium sprachen, den Streit der Schulen und Glaubensbekenntnisse über die rechte Auslegung und den wahren Sinn des Evangeliums, das ihnen so einfach und so verständlich schien. Fassen wir es in zwei Worte, so war die heilige Allianz, als idealer Aufschwung des religiösen Gefühls, als prophetische Anschauung deS göttliche» Zweckes der Geschichte, bald dem gewöhnlichen Loose des Idealen im Lebe» verfallen, dem Loose, vom hausbackenen irdischen Sinne mißverstanden, verhöhnt, mißbraucht zu werden. Als politisches System dagegen wurde sie i» massiveren Händen umgeschmiedet zu einem Schutzbündnisse für die absolutistische»