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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.02.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-02-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960213011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896021301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896021301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-02
- Tag 1896-02-13
-
Monat
1896-02
-
Jahr
1896
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Februar 1896. ReichSbank-Dircctorium. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. Februar. Die gestrige Reichstagsdebatte über die von natio nalliberaler Seite eingebrachte Interpellation, betreffend gesetzgeberische Schritte zum Schutz für Gesundheit und Sittlichkeit und gegen Ausbeutung der Arbeiterinnen der Wäschcfabrtkatto» unv der Eonfectionsbranche, konnte leider zu einem positiven Ergebnis nicht führen, da der von den Interpellanten eingebrachte Antrag (s. *Berlin) nicht mit auf der Tagesordnung stand. Aber die Verhandlung hat wenigstens das Gute gehabt, daß sie die Bereitwilligkeit nicht nur aller bürgerlichen Parteien, sondern auch der Regierung, nach Kräften zur Abstellung der Mißstände beizutragen, gezeigt hat. Hatte schon die Ein bringung der Interpellation genügt, in einigen Städten die Unternehmer zur Nachgiebigkeit gegen die berechtigten Forde rungen der Arbeiterinnen und einige Behörden zum Eingreifen zu veranlassen, so wird die gestern hervorgetretene Einmüthigkeit der gesetzgebenden Körperschaften in der Absicht, dauernde Hilfe zu schaffen, sicherlich erheblich dazu' beitragen, die öffentliche Meinung zu einem Drucke auf die Unternehmer zu veranlassen, nnter denen sich Männer genug befinden, die jene Mißstände klar erkennen und gern beseitigen helfen, wenn sie nicht mehr befürchten müssen, allein zu stehen und von minder gewissenhaften Concurrenten zu Grunde gerichtet zu werden. Von den gestern gehaltenen Reden ist besonders bemerkenswerth die des socialdemokratischen Abg. Fischer. AuS ihr spricht eine unzähmbare Wuth und der Redner verrieth, wie man unS aus Berlin schreibt, auch äußerlich eine heftige Erregung. Dreimal begreiflich. Die Noth der Nähmädchen erinnert an das Skelett im socialdemokratischen Hause, jene bekannten gerichtlichen Feststellungen über die Lohnzahlungsgrundsätze der Mäntelfabrikatioussirma Gebr. Singer. Zweitens sind die die Näherinnen ausbeutenden Zwischenmeister zum Theile „Genossen", und zwar gut zahlende, um nicht zu sagen gut assecurirende „Genossen", und in der Socialdemokratie ist das verkörperte insolvente Elend keineswegs ein gern gesehener Gast, eS hat für sie nur Bedeutung, wenn sie es zu agitatorischenZwecken gemalt vorführen kann. Und dies führt zum Hauptgründe der gestrigen socialdemokratischen GemüthS- bewegung. „Bourgeois" waren die Sachwalter wirklich Nothleidender gewesen und dies ganz und gar ohne Hoff nung auf Vortheile irgend welcher Art. Wohin aber soll es führen, wenn die Arbeiter sehen, daß man nicht ein gut be zahlter Parteibeamter zu sein braucht, um ihre Interessen wahrzunehmrn? Zn der Budgetcommission des Reichstags hat be kanntlich am Sonnabend der Staatssecretair Freiherr von Marschall auf eine Anfrage des Abg. vr. Hammacher bemerkt, er sei bereit, sich über den Stand der Tranüvnal- Angclcgenhcit zu äußern, jedoch nur im Plenum, wo seine Erklärungen durch Stenographen ausgenommen würden, und nickt in der Commission, wo die Gefahr einer mißverständlichen Wiedergabe seiner Worte nicht ausgeschlossen sei. In derheutigen Sitzung nun wird sich bei der auf der Tagesordnung stehen den Berathung des Etats deS Auswärtigen Amtes die Ge legenheit finden, den Gegenstand zu erörtern. Vermuthlich unter Berücksichtigung dieses Umstandes hat die Regierung gestern dem Reichstag das in unserer heutigen Morgennummer mitgetbeilte Weißbuch über Transvaal zugehen lassen, das Schriftstücke aus der Zeit vom 1. Februar 1895 bis zum 6. Zanuar des laufenden IahreS enthält. AuS den letzten fünf Wochen wird also nichts mitgetheilt, eine Beschränkung, die sich Wohl begreifen läßt. Auch die Sammlung der Schriftstücke auS dem Beginn des Jahres ist keine vollständige, jedenfalls fehlt die Antwort der portugiesischen Negierung auf das Ersuchen, eine kleine Truppedeutscher Seesoldaten nothigenfallsvonderDelagoa-Bay, also durch portugiesisches Gebiet, nach Pretoria zum Schutze der dortigen Deutschen marschiren zu lassen. Die Maßregel war durch die rasche Niederwerfung der Banden Iameson's un- nötbia geworden, es wäre aber vielleicht das Interessanteste gewesen, was das Weißbuch bieten durfte, zu erfahren, wie sich die Regierung Portugals im anderen Falle verhallen hätte. Das Mitgetheilte enthält Nichts, was im Wesentlichen nicht schon bekannt gewesen wäre, es bestätigt aber von Neuem — und auch Berliner Blätter erkennen dies ausdrücklich an — daß die ver antwortliche Leitung der auswärtigen Angelegenheiten vor und während der Krisis in Transvaal Umsicht und Entschiedenheit mit weisem Maßhalten gepaart hat. ES war, wie Alles, was in dieser Angelegenheit in der englischen Presse vorgebracht wurde, Heuchelei, wenn man sich über die deutsche Dazwischenkunft nach dem Einfall Iameson's überrascht zeigte, denn schon am 1. Februar vorigen IahreS hatte Freiherr von Marschall dem englischen Botschafter erklärt, daß Deutschland die Treibereien Rhodes' und Iameson's als seinen Interessen zuwiderlaufend erachte. Damals,wie später,umschreibt derdeutscheStaatssecretairscharf und unzweideutig den Umfang des deutschen Interesses, das sich lediglich auf die Erhaltung des ststus quo in Transvaal erstreckt, also auch daS Recht, das der Vertrag von 1884 England wirklich einräumt, unberührt läßt. Frhr. v. Marschall will das sogar „schriftlich geben", vorausgesetzt, daß England gleichfalls die Erhaltung des bestehenden Rechtszustandes als das einzige und letzte Ziel seiner Wünsche bezeichne. Die Intervention für den Fall eines gewaltsamen Versuchs, in Trans vaal eine politische Aenderung herbeizuführen, war also lange vor dem Eintritt eines Ereignisses der Art anaekündigt und, als die Unruhen in Johannesburg offensichtlich vor bereitet wurden, mit aller Bestimmtheit in dem Telegramm deS Frhrn. von Marschall vom 28. December in Aussicht gestellt worden. Wie diese Dazwischenkunft, so konnte auch das Beglückwünschungs-Telegramm des Kaisers an Krüger in London nicht überraschen. Denn man wird dort wohl gewußt haben, daß die Deutschen in Pretoria, „von Blutvergießen und Elend" bedroht, einen Hilferuf an ihren Herrscher hatten ergehen lassen — telegraphisch, und was um die Jahreswende von Transvaal nach Berlin tele- graphirt wurde, ist der englischen Regierung „vermuthlick" — vergl. das Schreiben Marschall's an Hatzfeldt vom 1. Januar 1896 — nicht verborgen geblieben. Wenn nun der deutsche Kaiser von Deutschen, zu deren Schutz er verpflichtet ist, um Hilfe angegangen war, so hat er doch Wohl nicht erst in London anzufragen gehabt, ob es dort genehm sei, wenn er seine Genugthuung darüber aus drücke, daß die Gefahr von seinen Schutzbefohlenen abgewendet worden sei. Die Schonzeit des radicalen frauzösifchru Mini steriums Bourgeois ist vorüber. Der Senat sieht ihm scharf auf die Finger und läßt keine Gelegenheit vorübergehen, ihm einen Stoß zu versetzen. Vor acht Tagen rügte der Senat den KriegSminister Cavaignac, weil dieser trotz der gcgenthciligen Ansicht aller Sachverständigen seines Ministeriums und des Generalstabs in der Befugniß der Staats- und Eisenbahn angestellten, sich zu Fachvereinen zusammenzuschließen, keine Gefährdung der Landesvertheidigung erblicken wollte; am Dienstag lehnte der Senat sich in derselben Weise gegen eine Eigenmächtigkeit des Iustizministers auf. Es bandelte sich vorgestern um die den gesetzlichen Vorschriften nicht consorme Ersetzung des Herrn Rempler durch Herrn Le Poittevin als Untersuchungsrichter in der Siidbahn-Angelegen- heit. Der Senator Monis stellte darüber den Iustizminister zur Rede. Der Kern der Verhandlung war der, wie der Ministerpräsident Bourgeois mit willkommener Klarheit dar legte, ob der Iustizminister Ricard die Richterverschie bung zu einem politischen Zweck vorgenommen, sich also einer Beeinflussung der Richter schuldig gemacht habe. Ricard er klärte, daß ihm die Untersuchung des Richters Rempler zu langsam gewesen und daß er ihn davon entbunden habe, um die Untersuchung zu beschleunigen und das Versprechen des Ministeriums, Licht zu schaffen und den Augiasstall der Cor- ruption einmal gründlich zu reinigen, endlich einzulösen. Darin erkannte der Senat ein Eingeständniß der Schuld und lehnte, wie gemeldet, mit 158 gegen 85 Stimmen die vom Ministerpräsidenten verlangte einfache Tagesordnung ab. Be merkenswerth war daSBestreben der Minister und ihrer Anhänger, den Senat in einen Widerspruch zur Kammer dadurch zu setzen, daß sie der Mehrheit des Oberhauses den Beweggrund unter zuschieben suchten, als ob eS im Gegensätze zum Abgeordneten hause keine Klärung und Entlarvung der Schuldigen wolle. Aber diese Klippe, auf der man den Senat zum Scheitern bringen wollte, wurde geschickt dadurch umschifft, daß die Mehrheit die mit dem Beschlüsse der Kammer gleichlautende und volles Licht über die Slldbahngeschichte fordernde Tagesordnung der Opposition annahm, ihr aber mit 161 gegen 67 Stimmen folgenden vom Senator Vollant beantragten Zusatz anbängte: „Der Senat bedauert die bei der Ersetzung des Untersuchungsrichters in der Südbahnangelegenbeit vorgekommene Unregelmäßigkeit und geht zur Tagesordnung über." Damit hat der Senat zum zweiten Mal daS Zeichen zum Kampfe gegen das rabicale Cabinet und der Mehrheit der Kammer ein Beispiel gegeben. Der Mehrheit des Senats will weder Ricard, noch Bourgeois, noch sonst einer der radicalen Minister weichen, sie berufen sich darauf, daß das nicht Brauch sei. Spricht sich aber auch die Depu- tirtenkammer im Sinne des Senatsbeschlusses aus, was vielleicht heute schon geschieht, so hat das Ministerium Bourgeois seinen letzten Zug gethan. Unsicher sind seine Chancen jedenfalls, schreibt doch sogar der „Radikal": „Vom Senat geschlagen zu werden, wenn man im Recht ist, ist nur unangenehm; geschlagen zu werden, wenn man im Unrecht ist, das ist ernster. Letzteres war gestern der Fall der Negierung, speciell des Iustizministers." Vielleicht ist die Veröffentlichung des bereits erwähnten Briefes des Cultusministers Combes im „Figaro" geeignet, die Schwierigkeiten deS CabinetS noch zu erhöhen. Der Brief, den Combes im Juli vorigen IahreS, als er noch einfacher Deputirter war, an den Director der Staatüeisenbahnru schrieb, hatte den Zweck, den Director zu veranlassen, Combes zum Administrator der Gesellschaft zu ernennen. CombcS erklärt, daß eint parlamentarische Gruppe für die Vertheidigung des staatlichen Eisenbahnnetzes ibn gewählt habt, Und sagt, eS wäre gefährlich, diese Gruppe zu gewissen parlamentarischen Mitteln zu treiben, waS nkthig wäre, wenn seine Ernennung auSbliebe. Der „Figaro" fordert den Iustizminister Ricard aus, sich mit dem Erpress ungSbries seines Collegen Combes von AmtS wegen zu beschäftigen. Ist der Brief eckt, dann hätte das Reinigungsministerium selber schmutzige Hände. Aber man muß abwart«», was Herr Combes dazu sagt, wenn die Angelegenheit in der Kammer zur Sprache kommt. Man könnte sich übrigens drei Lösungen der Siluation denken: entweder das Cabinet bleibt, was einen Conflict zwischen Senat und Kammer bedeutet; oder Ricard und vielleicht auch Cavaignac und andere Minister treten aus dem Cabinet, oder das ganze Minister»,» demissionirt. Die Bildung eines neuen CabiuetS wäre freilich besonders schwierig, da Herr Faure derart mit den Radicalen verkettet ist, daß er vielleicht genölhigt wäre, abermals ein radicaleS Cabinet zu berufen. Zum Capitel Englische Ueberhrbung wird den „Ham burger Nachrichten" Folgendes geschrieben: Es ist aus ver schiedenen Gründen vielleicht zeitgemäß, an di« Insolenzen zu erinnern, die uns einst, 9 Jahre nach dem Ver schleudern der ersten, deutschen Flotte, durch Palmerston'« Leibjournal „Morning Post" ins Gesicht gesagt wurden. So lautet der betreffende Artikel vom 6. April 1861: „Preußen sehnt sich nach dem Besitz von Kiel. Einmal im Besitz dieses prachtvollen Hafens, würde eine ehrsüchtige und grivisseiilosr Macht Schleswig zu erwerben suchen. Darum eisern die deutschen Professoren und Propagandisten, welche den Kreuzzug gegen Eng» land predigen, so sehr sür die Bereinigung Schleswigs und Holsteins; sie wissen wohl, daß Preußen oder Deutschland im Besitz der Herzog, thümer nicht nur einen Hafen ersten Ranges, sondern auch em Land besitzen würden, dessen Küsten von Fischern und Matrosen, wimmeln. Wir vertrauen jedoch, daß die politische Ehre, die ge meine Redlichkeit, der gesunde Menschenverstand Europas und die Großmächte einschreiten, bevor es zu spät ist und solch einen verwegenen Raubzug verhindern werden . .. „Die Deutschen", heißt eS weiter, „mögen den Boden pflügen, mit den Wolken segeln und Luftschlösser bauen, aber nie feit dem Anfang der Zeiten hatten sie das Genie, das Weltmeer zu durchfurchen oder auch nur die schmalen Gewässer zu befahren". Berthold Auerbach hat diesen unverschämten Blödsinn echt englischer Ueberhrbung in seinem Volkskalender von 1862 citirt und die Zuversicht hinzu gefügt: „Es wird die Zeil kommen, da uns Deutschen diese Londoner noch auS der Hand fressen." Gewiß wird und muß sie kommen. Aber wir müssen dazu thun. Transvaal hat bewiesen, daß sie nach wie vor auf uns mit der alten Ueberhrbung herabschauen. Ob die Erinnerung daran verdampfen darf, ehe unsere Reichs boten vor die Frage gestellt werden, avas sie sür Vermehrung unserer Flotte bewilligen wollen? In Abessinien ist die erwartete Entscheidungsschlacht noch immer nicht geschlagen. König Menelik wartet, bis General Baratieri angreift, weil er sich an dessen fast unangreifbare Stellung nicht heranwagt, und Baratieri zögert, den ersten Schlag zu thun, weil er sich der gewaltigen Heeresmassen Menelik'S gegenüber immer noch nicht stark genug fühlt. Wie aus Rom berichtet wird, hat der General telegraphisch 13 000 Mann Verstärkung und mehrere Tausend Lastthiere gefordert, weil FrniHetsn. Verlassen und verkannt. Erzählung von Wladimir Korolenko. Uebers. v. Ad. Garbell. Nachdruck verbaten. D. O. S. XXXI. Auf einer Station, die aus einigen bescheidenen Gebäuden am Abhange eines WaldeS, auS dem Schläge einer Axt und daS Aechzen einer Dampsmühle ertönten, bestand, traten neue Passagiere in den Wagen, in dem Matwei saß. ES war ein Greis mit magerem Gesicht, dünnen Lippen, stark eingefallenen Wangen und einem durchdringenden Blick. Dieser Mann hatte ein ganz sonderbares, ja sogar lächerliches Aussehen, um so mehr, da er eine zerlumpte Kleidung trug und sich trotzdem selbstbewußt und stolz benahm. Sein Anzug mochte wohl ehedem schwarz gewesen sein. Jetzt aber schillerte er von der Sonne, dem Staube und den vielen Rostflecken mehr ins Graue. Seine Beinkleider waren kurz wie die eines Kindes und seine Stiefel röther wie die Matwei'S, die immerhin noch Spuren von der Bürste des Negers Sam auf dem Broadway trugen. Auf dem Haupte aber hatte der Unbekannte einen neuen, sehr eleganten Hut und in dem Munde saß lose eine große Cigarre, die den Wagen mit einem feinen Aroma füllte. Matwei war schon früher erstaunt darüber, daß e« hier keinen besonderen Wagen für das „einfache Volk" gab, und jetzt dachte er, daß die übrigen Passagiere einen Mann in so seltsamer Tracht und noch dazu mit einer Cigarre neben sich nicht dulden würden. Aber zu seinem Erstaunen begleiteten den Mann ein sehr eleganter Herr und ein Schmied, der seine Esse eben verlassen hatte. Beide drückten ibm aus der Plattform die Hand, und als er in den Wagen stieg, erhob sich der ihm zunächst sitzende Passagier, ein fein gekleideter junger Mann, ihm höflich neben sich Platz machend. Der Alte nickte mit den, Kopf, nahm die Cigarre heraus, spuckte aus nnd reichte dem jungen Mann seine ganz mit Asche be schmutzte Hand. Hinter ihm trat noch ein Mann von hohem Wuchs mit verbranntem Gesicht und hagerer Gestalt in den Wagen. Er war eben zu Fuß auf einem Waldwege mit einem Packen auf dem Rücken angekommen. Bei seinem Anblick batte Matwei da« Gefühl, als solle er an ihn herantreten und ihn ansprrchen. Aber er that es nicht. Zu oft war er seinen Erwartungen getäuscht worden. Wenn Matwei fremde Gedanken hätte lesen können, so würde er in den schwarzen Blicken des Unbekannten Er innerungen an die ferne Heimath gefunden haben, die in Jenem vielleicht ebenfalls bei dem Anblicke der blauen Augen deS LosischzanerS aufstiegen. Der Zug raste immer weiter und weiter. An einer Stelle fuhren sie bei einem Häuschen vorbei. Die Familie setzte sich davor ins Freie, um zum Abend zu speise». In der geöff neten Thür stand eine Frau mit einem Kinde und blickte in den wunderbaren Abend hinaus. Matwei sah daS Alles und seine Augen füllten sich un willkürlich mit Thränen. Wird auch er, Matwei Losinski, einmal solch ein Heim besitzen, wenn auch als armer Hirt oder ewiger Arbeiter? Wie lange noch und wohin wird ihn dieser Zug bringen, und was wird sein Schicksal in einer unbekannten Gegend sein, in der er sicherlich noch neue Abenteuer erleben würde. Als er sich vom Fenster abwandte, begegneten seine Augen denen deS grauen ManneS, der ibn forschend betrachtete. Matwei'S Gedanken waren sehr bitter und in solchen Fällen bemühte er sich stets, einzuscklafen. Nach einer Viertel stunde war er, daS Haupt zurückgeworfen, eingescklummert. Beim Scheine einer nahen Laterne duschten sonderbare Schatten über sein Gesicht, die Lippen zuckten krampfhaft und seine Brauen zogen sich zusammen, eine tiefe Falte >.uf seiner Stirn bildend. „Woher kommt dieser Mensch?" fragte auf ihn blickend der alte Mann seinen jungen Nachbar. „AuS Milwaukee." „O nein", unterbrach ihn ein Anderer, „ich komme auS Milwaukee, Andere haben ihn schon im Zuge auS Chicago gesehen; Sie können aber ganz laut sprechen, denn er versteht kein einziges Wort Englisch." „Er versteht nicht oder er stellt sick nur so", sagte der Alte. „Ich will nicht der Richter Dickenson sein, wenn daS nicht ein Verbrecher ist. Ich erkenne diese Leute beim ersten Blick." „Mister Dickenson ist ein erfahrener Mann", bestätigt der Jüngling und fügte gleich hinzu: ,,Ick bitte Ihrer Tochter Lucy meinen Gruß zu überbringen, wir kommen in Daybletown an' . . . XXXII. Und in der That wurde ein stärkeres Läuten hörbar, der Zug mäßigte seinen Lauf, der Conducreur trat an den Wagen, nahm die Billets von dem Mann mit dem Packen, dem grauen Alten und seinem jungen Nachbar. Dann trat er an den schlafenden Matwei heran, rüttelte ibn ein wenig und sagte: „Davbletown, Daybletown, Sir." Der Losischzaner erwachte, öffnete die Augen, begriff endlich und erbebte. Daybletown! Er batte dieses Wort jedesmal gehört, so oft der Conducteur das Billet von seinem Hute nahm und jedesmal weckte dieses Wort eine unangenehme Empfindung in ihm. Der Zug gebt langsamer, da kommt Daybletown, man nimmt sein Billet, folglich muß er aussteige». Und was erwartete ihn in diesem Daybletown, wohin sein Billet lautete, welches ihm ein Conducteur unterwegs genommen hatte, da für eine weitere Reise in der Richtung nach Minnesota sein Geld nicht mehr reichte. An die Fenster des Wagens blitzten von außen Lichter wie Brillantnadeln, die in die dunkeln Berge und Wälder gesteckt zu sein scheinen. Dann zogen sich diese Lichter weit nach unten, spiegelten sich im Wasser und verschwanden ganz. Vor dem Fenster vorbei zog ein Granitfelsen so nahe, daß das gelbe Licht aus den Wagen auf denselben zurückstrahlte. .. Dann erdröhnte unter dem Zug eine Brücke, wieder blinkten ferne Lichter über den Fluß, zogen jetzt höher hinauf, kamen ganz nahe und schienen in die Wagen hinein, um schnell hinter denselben zu verschwinden. Auf der Locomotive klingelte es ohne Unterbrechung, und der Zug fuhr in etwas langsamerer Gangart durch die Hauptstraßen der Stadt Daybletown. „Haben Sie gesehen, Sir, wie dieser Unbekannte zusammen zuckte?" fragte der junge Mann, der augenscheinlich um die Gunst des Richters Dickenson bemüht war. „Ich habe Alles gesehen", erwiderte der Alte, „Richter Dickenson wird seine Maßnahmen schon treffen." Nach einer Minute öffneten sich die Tbllren der Häuser von Daybletown, und die Einwohner gingen den Ankommenden entgegen. . Die Wagen leerten sich und der hoch gebaute Mann mit seinem Bündel, begab sich an den Fluß in der Richtung, wo sich am Landungsplätze eine ziemlich große Sagemühle befand. Der junge Mann verabschiedete sich lange von dem Richter und bat, den ibm aufgetragenen Gruß nur ja zu bestellen. Dann ging »r in dir Stadt, Vermutbungen und Aufregung in dieselben bringend. Sr dielt ,« für nöthig, feinen Be- kannten etwas über die Ankunft deS sonderbaren Passagiers zu erzählen . . . Der Mann der von Milwaukee bis Daybletown mit Niemand rin Wort gesprochen, der Mann, der bei jeder Berührung zusammenzuckte, der Mann, drr bei dem geachtetsteu wenn auch exccntrischsten Bürger drr Stadt einen starken Verdacht erregt hatte, trat auf den Perron deS Daybletownscken Bahnhofs. „Passen Sie, bitte, genau auf, John» wohin sich dieser Unbekannte begiebt", sagte der Richter zu dem einzige» Policeman der Stadt. „Man muß die Absichten dieses Kerls erfahre», und ich fürchte, daß sie keine besonder« guten sind." Der Policeman John Kally trat zurück, sich unter dein Schatten einer Scheune verbergend, ganz stolz darauf, daß auch er endlich Gelegenheit hatte, einen gewissermaßen wichtige» Auftrag zu erhalten. xxxm. Bald jedoch erschien eS John Kally, als ob der Unbekannte gar keine Absichten habe, und nicht wisse, was er anfangen solle. Da stand er auf dem Perron und sah stumpf dem Abgang deS Zuges zu. Der Losischzaner seufzte auf, sab sich um und setzte sich auf eine Bank bei einem Zaun der leer gewordenen Station Der Mond stand doch am Himmel und die Figur des Polizisten begann aus dem Schatten bervorzutreten. Der Unbekannte saß noch immer da, ohne seine Absichten auf die sich zum Schlaf rüstende Stadt Daybletown erkennen zu geben. Kally, der sein Versteck verlassen batte, gina laut Verabredung zum Hause de- Richters Dickenson unv klopfte an« Fenster. Ter Richter steckte den Kopf au« demselben mit dem Ausdruck eines Menschen, der im Vorau« weiß, WaS man ihm miltheilen will. „Nun John, wohin bat sich dieser Kerl begeben?" „Er bat sich nirgends hin begeben, Sir, er sitzt immer noch auf derselben Stelle." „Er sitzt noch immer . . . sebr gut. Und haben Sir seine Absichten erfahren?" „Ich denke, Sir, daß er solche überhaupt gar nickt bat." „Jeder Mensch hat keine Absichten, Job». Glauben Sie mir, daß jeder Mensch »raend welch« besitzt. Wenn ick zum Bäcker gehe, so beabsichtige ich damit, ein Brod zu kaufen, da» ist ganz klar, John. Wenn ick mich ins Bett lege, dann beabsichtige ich offenbar, rinzuschlafen. Verhält sich da« etwa nicht so?"
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