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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.07.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-07-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000705024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900070502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900070502
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-07
- Tag 1900-07-05
-
Monat
1900-07
-
Jahr
1900
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/-7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentag- um 5 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. klemm'» Lortim. Uuiyersitätsslrabe 3 (Paulinum», Loui» Lösche. VdltzulxiuK». l«, p»n. iuld köuig-platz 2. Redaktion und Expedition: JobanniSgasse 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen Eröffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Vezngs-PrekS der Hauptexpedition oder den im Etudt- >e»irk und den Vororten errichteten AuS- rpbestellrn abgeholt: vierteljährlich ^14.50, Sei zweimaliger täglicher Zustellung in- Hau- 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung i»s Au-land: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. triWM TagMalt Anzeiger. Ämtsökatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes und Noüzei-Amtes der Stadt Leipzig. Anzeigen Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Meclamen unter dem Redaction-strich (4go- spalten) bO^j, vor den Familtrnnachrichtea (6 gespalten) 40-^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Zifferosatz nach höherem Tarif. Vxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbeförderuug 60.—, mit Postbeförderung 70.—. ^nnahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uh«. Bei den Filialen und Annahmestellen je et» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Berlag von E. Pol» ia Leipzig 337. Donnerstag den 5. Juli 1900. 9t. Jahrgang. Die Wirren in China. 2a der Admiralität herrscht eine fieberhafte Arbeit. Vor läufig glaubt man noch mit der 1. Division des ersten Ge schwaders auszukommcn und eS wird daher die Meldung von der Mobilisirung des ganzen 1. Geschwaders geleugnet aber infolge kaiserlicher Ordre ist, wie der „B. L.-A." meldet, auch die zweite Division des I. Geschwaders sofort nach Kiel zurückgekehrt. Alle Hebungen rn der Danziger Bucht, welche beute beginnen sollten, fallen aus. Ebenso ist vorläufig die Nachricht von der Hinaus sendung einer Division Landtruppen, die angeblich den, ostpreußiscken Arineecorps entnommen werden sollte, un richtig, eS bleibt bei einer Brigade, so daß nach An kunft dieser und der andern Seebaiaillone, wie weiter unleu berechnet ist, etwa 14 000 Mann deutsche Truppen iu China stehen werden, wovon freilich die abzuziehcn sind, die iu jenen Kämpfen ihr Leben ober ihre Gesundheit eingebüßt haben. Die Schiffe werden eiligst in Stand gesetzt und an die kaiser liche Werft in Kiel ist die Anfrage ergangen, wann die Panzerkreuzer „Kaiser" und „Deutschland" zur Indienststellung fertig sein können, um nach China zu gehen. Der zu einer vierwöchigen AdmiralstabSreise ausgelaufene Kreuzer „Grille" mit dem Generalinspecteur, Admiral v. Köster, an Bord, ist plötzlich zurückbefohlen worden und in Kiel wieder ein- aetroffen. Bemerkt sei.hier noch, daß vor der Abreise nach China jedem der Osficiere ein außerordentlicher Zuschuß von 500 ausgezahlt worden ist. Nach dem nun auch der für Ostafrika bestimmte kleine Kreuzer „Bussard" (1600 Tonnen Deplacement, 165 Mann Besatzungsetat) Ordre erhalten hat, nach China abzudampfen, tst das deutsche maritime Streitcorps auf den 16 Kriegs schiffen 5660 Mann stark. Es befinden sich auf jedem der 4 Linienschiffe („Weißenburg", „Wörth", „Kurfürst Friedrich Wilhelm" und „Brandenburg") 568 Mann und je 150 Matrosen überzählig gleich 2872 Mann, 5) „Fürst Bismarck" 568 Mann, 6) und 7) „Hertha" und „Hansa" je 465 Mann gleich 930 Mann, 8) „Kaiserin Augusta" 436 Mann, 9) „Heia" 178 Mann, 10) „Gefion" 302 Mann, 11) „Irene" 365 Mann, 12) „Bussard"165 Mann, 13), 14), 15), 16) (die 4 Kanonenboote der Jltisclasse („Iltis", „Jaguar", „Tiger" und „Lux") je 121 Mann gleich 484 Mann, zusammen 6260 Mann. Ferner kommen hinzu die 3 kriegsstarken See bataillone mit der Batterie und dem Pionier-Detachement, so daß wir über 9000 Mann dann in China haben werden; die neu zu bildende gemischte Brigade bürste auch mindestens 5000 Mann stark werden, so daß die Gesammtzahl der deutschen Streitkräfte sich dann auf 14 000 Mann stellen wird; einer von den neuen schnellen Kreuzern der Gazelle-Elaste kann in wenigen Wochen auch nach China abdampfen und dadurch eine Ver mehrung der Streitkräfte um 249 Mann herbeiführen. Merkwürdig ist die politische Stellung des chinesischen Gesandten in Berlin. Ist er noch Gesandter oder nicht? Die Frage wird wohl noch nicht angeschnitten werden. Vor erst hat er, wie eine Correspondenz zu melden weiß, dem Kaiser sein Beileid für den schweren Verlust, der das deutsche Reich durch die Ermordung des Gesandten v. Ketteler betroffen, ausgesprochen, und NamenS seiner Regierung die Versicherung abgegeben, daß daS furchtbare Verbrechen gesühnt werden werke. Wenn etwas über den Verlust unserer Brüder und Söhne uns trösten kann, so ist eS, daß sie als Deutsche gekämpft haben, daß sie wieder die alte, uns in Fleisch und Blut übergegangene Tapferkeit bewiesen haben. In dieser Beziehung bat kcr russische Admiral ten deuischen Truppen folgcubcs Zeugniß ausgestellt, da-'- wir heute früh nur in einem Tbeilc der Auflage nach rem Wolff'schcu Bureau mitlbeilcu konnten: Ter russische Kriegümmistcr theiltc dem deutschen Militärattache in Petersburg ein Telegramm des Viecabmirals Alexejew aus Port Arthur vom 3. Juli mit, wonach (Veucral Ltocuel melde», das; das deutsche audiinascolps unter ihm am 29. Jnut kämpfte. Tas Verhalten der Lisicierc und Maiiuschaiten sei über jedes Lob erhaben, sic zeigten he r vorrag end e Tap fcrkei t, griiudlichc Ansbild » ng, U m sicht n n o M anncsznch t. Tas Laudilugocorps erlitt große Verluste. Die vielen Opfer, die der Krieg bis jetzt verschlungen bat, ohne daß ein Erfolg zu sehen war, haben auch die russische Presse fest gestimmt. Die Petersburger Biälter vom Mittwoch sprechen sich einstimmig für ein energisches Vorgehen gegen China aus. Besonders bemerkcuswertk erscheint ein Artikel der „Nowoje Wremja". DaS Blatt meint, eine Truppenabtheilung der vereinigten Mächte müsse sofort nach Peking marsckiren, um, wenn mög lich , die dort befintlichen Europäer noch zu retten, sobald genügend Streitkräfte für eine erfolgreiche Durch führung dieses Unternehmens gesammelt seien. Letzterer Vor behalt sei zu machen, da bei der jetzigen Lage ter Dinge für die internationale Truppenabtbeilung auch ein kleiner Mißerfolg sehr gefährlich sei. Tas Blatt verwirft den Vor schlag der Consuln, die Gräber der Kaiserfamilie bei Peking zu zerstören. Dies könnte die Folge haben, daß die ganze 400 Millionen betragende Bevölkerung Chinas in Bewegung gebracht und vor Allem in der Mandschurei eine Bewegung verursacht würde, weil l dorther die herrschende Dynastie stammt. Dort aber sei die Ruhe im Interesse dcS russischen Reiches wichtig. Wir haben gestern schon bemerkt, daß an eine baldige Besetzung Pekings nicht zu denken ist, daß im Gegentheil die Lage um Tientsin sehr kritisch ist. Hieraus wird auch der Beschluß des englischen und russischen AbmiralS erklär lich, daß der Versuch zum Entsätze Pekings gegen wärtig nicht gemacht werden kann, umsomehr, als die gesammte Streitmacht der Verbündeten, die zur Zeit zusammcngezogen werden kann, sich nur auf etwa 20 000 Mann beläuft. 140 000 Mann kaiserlich-chinesische Truppen sind jetzt zwischen Tientsin und Peking zusaminengezogen. General Ni.h soll mit 90 000 Mann zum Angriff gegen Tientsin vorrücken. Bei diesem Aufgebot von chinesischen Truppen wird man wohl dem Anerbieten Japans, eine große Truppenmackt zur Verfügung zu stellen, nickt so kalt gegenüber stehen, als cs jetzt noch den Anschein hat. Es wird mit größter Bestimmtheit versichert, baß die gesammte japanische Armee mobilisirt werde. Allerdings voll ziehe sich der Vorgang langsam und möglichst geräuschlos. Die japanische Kriegsflotte dagegen mit ihren sechzehn Schlachtschiffen und erstclassigen Kreuzern stehe schon seit einer Woche kriegsbereit da. Sehr beachtenswerth ist auch daS soeben erlassene Auswanderungsverbot, welches festsetzt, daß aus den 47 Provinzen des Reiches monatlich nur noch je 50 Personen auswandern dürfen, wovon aber nur je fünf nach den Vereinigten Staaten und ebensoviel nach Cänada gehen sollen. Zeder Auswanderungslustige hat dem- nack vorher ein Gesuch bei der kaiserlichen Auswanderungs behörde einzureichen, was für den Augenblick einem völligen Verbot gleichkommt. Dagegen ist der Auswanderung von Japanern nach Korea keine Beschränkung auferlegt. Einer Zusammenfassung über den Feldzug Seymour'S gilt eine Mitthcilung des russischen Generals Alexejew vom l. Juli. An 28. Juni ist die Lanbungstruppe, die unter dem Commando deS CapitänS zweiten Ranges Tsckalin der Abtheilung des Admirals Seymour an gehörte, »ack Taku zurückgekehrt. Die Abtheilung, die auS 2100 Mann bestand, unter denen sich 3l2 Russen be fanden, war am 8. Juni nach Tientsin abgegangen und mit der Bahn bis zur Station Langfang gelangt. Sie besserte die Eisenbahn aus, wobei sie den beständigen Angriffen durch Boxers ausgesetzt war. Am 15. Juni nahm eine Compagnie Russen an dem Kampfe Tbeil, bei dem sie die Engländer befreiten, die znm Scvutze der Eisenbahn znrückgelasscu worden waren. Am l8. Juni führte eine cl> i n e s i s ch e reguläre Ca- v.illerietruppe den ersten Angriff aus, ter von den Russen und Denlscken zucückgeschlageu wurde. Hierbei wurden viele Geschütze und Fahnen erbeutet. Darauf beschloß Admiral Seymour, sich nach der Küste zurückzuziehen, da die Eisenbahn zerstört war. Am 23. Juni wurde daS Arsenal von Sigu genommen, in dem sich eine Menge von Geschützen und Gewehren vorfand. Hier verschanzten sich die Truppen. Die chinesische» Truppen griffen zweimal an und wurden zurückgeschlagen. Am 26. Juni befreite ein Bataillon des 12. Regiments unter Oberstleutnant Schirinski den Admiral Seymour. DaS Arsenal und die Munitionsvorrätbe wurden zerstört. Im Ganzen verlor die Abtheilung an Tobten einen Deutschen (Oberleutnant Friedrich?) und einen amerikanischen Osficier und 54 Mann, an Verwundeten 24 Osficiere und 228 Mann. Von den Russen sind 10 Mann todt, 4 Osficiere und 22 Manu ver wundet. Folgende Depeschen ergänzen die vorstehenden Nachrichten: * Bern, 4. Juli. Die Great Northern Telegraphen-Compagnie hat dem Internationalen Bureau mitgetheilt, daß wegen wach sender Unsicherheit des Dienste- auf den chinesischen Linien -wischen TIchifu und Shanghai Duplikate aller Telegramme -u Schiffe zwischen den beiden Häfen befördert werden. Ein Dampfer mit zahlreichen Depeschen soll morgen Abend in Shanghai eintreffen. * London, 4. Juli. (Unterhaus) Der Unterstaatssekretär des Auswärtigen, Brodrick, erklärt, die Regierung habe leider noch keine befriedigenden Informationen. Die Situation sei seit gestern unverändert. Die verbündeten Admirale fühlten sich, wie es scheine, noch nicht in der Lage, von Tientsin aus irgend eine Vorwärts bewegung vorzunehmen. Patrick O'Brien fragt an, ob die Admirale eine Nückwärtsbewegung gemacht hätten. Brodrick erwidert, es sei kein Grund zu der Annahme vorhanden, daß irgend eine Rückwärts bewegung angenommen worden sei. * London, 4. Juli. Ter Admiralität ist eine Depesche des AdmiralS Seymour aus Tientsin vom 30. Juni zugegangen, welche besagt, von Peking seien chinesische Kuriere mit einer kurzen, vom 24. Juni datirtea Nachricht angekommen, nach der alle Gesandtschaften mit Ausnahme der britischen, französischen, deutschen und eines TheileS der russischen, zerstört waren. Die, wie die Kuriere weiter berichteten, sämmtlich in der englischen Gesandtschaft befindlichen Europäer waren mit Vorräthen, aber nur mit knapper Munition versehen. Ein Thor von Peking, daS in der Nähe dieser Gesandtschaft liegt, wurde von Europäern mit Geschützen gehalten, die wir den Chinesen abgenommen hatten. Fünf Mann von der Marine- Wachmannschaft sind gefallen, ein Osficier wurde verwundet; viel Krankheit war beim Abgang der Kuriere nicht aufgetreten. Die Chinesen halten am 23. Juni das Land bei Peking mit Wasser auS dem Großen Canal überschwemmt, wahrscheinlich, um die Stadt nach Süden zu zu vertheidigen. Ten Europäern war kein Leid geschehen, der GesuiiLheüszustand im Allgemeinen gut. * Lissabon, 4. Juli. (Meldung des „Neuter'schen BureauS".) Eine Streitmacht, bestehend aus einer Batterie Artillerie und 400 Soldaten, ist auf dem Dampfer „Cazlago" »ach Macao abgegangen, um die dort befindliche portugiesische Garnison zu verstärken. Der portugiesische Kreuzer „Abamastor" soll gleichfalls binnen Kurzem in Macao eintreffen. Der Generalgouverneur von Macao hat Befehl erhalten, auf seinen Posten zurückzukehren. * Berlin. Nachdem nunmehr die Marine-Infanterie ihre Aus reise nach der ostasialischen Station angetreten hat, wird eine zu verlässige Angabe über den postalischen Verkehr mit den Angehörigen des China - Expeditionscorps, sowie die Kriegsschsisbejatzungen für Manchen willkommen sein. Daß genaue und deutlich geschriebene Briefaufschriften verlangt werden, versteht sich von selbst; zu bemerken ist aber, daß es für private Post sendungen keme Portofreiheit giebt, weil bei der Marine die Ein richtung einer Feldpost wie beim mobilen Landheere nicht vorgesehen ist. Dagegen übermittelt das Marine-Postamt Briefe, Post karten, Drucksachen, Zeitungen und Postanweisungen, die den Ver merk tragen: „Durch Vermittlung des Hofpostamts in Berlin" an die Besatzungen der außerhalb des deutschen Reiches befindlichen Kriegsschiffe und an das Marine-Lazareth in Aokohama, sowie jetzt auch an das China-ExpeditionScorps zu den innerhalb deS deutschen Reiches gütigen Sätzen. Briefe an und von Mannschaften von 20 bis 60 Gramm kosten jedoch nur 10 Porto. politische Tagesschau. * Leipzig, 5. Juli. Ueber den Stand der Dinge in China und der diplomatischen Verhandlungen der Mächte äußert sich die officiöse deutsche Presse nur mit größter Vorsicht und Zurückckhaltung, sie beschrankt sich fast lediglich auf die Wiedergabe der wichtigsten telegraphischen Meldungen über Ereignisse und Auslassungen auswärtiger Blätter; redselig ist sie nur über die Gründe, die gegen daS Verlangen einiger Zeitungen, der Reichstag möge aus Anlaß jener Vorgänge zu einer besonderen Tagung berufen werden, sprechen. So führen die „Berl. Polit. Nachr." auS: „Eine Nothwendigkeit dazu wäre nur dann vorhanden, wenn die Begebung einer Anleihe erforderlich würde. Vorerst ist die- sicher nicht der Fall. Bisher läßt sich der Betrag der außer ordentlichen Kosten, welche bis zur Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung in China aufzuwenden sind, auch nicht annähernd über sehen, es fehlt also noch die ziffernmäßige Unterlage für eine Geld forderung beim Reichstage. Vor Allem aber ist die Aufnahme einer Anleihe auch keineswegs dringlich, weil daS, was an Mitteln zur Deckung der etatsmäßigen Ausgaben de- lausenden Jahres und der Vorjahre einschließlich des UeberschusseS des Jahres 1899, sowie zur Deckung vorübergehenden Mehr bedarfs von Schatzanweijungen zur Verfügung steht, zur vorläufige« Bestreitung der Mehrkosten für Land- und Seemacht noch für längere Zeit völlig ausreicht. Finanzielle Rücksichten be- dingen daher eine alsbaldige Einberufung des Reichstage- noch in keiner Weise. Auch würde eine solche von gr- Ferrillrtsn. Diana. Roman von Marian Comyn. Nachdruck verboten. XIX. Pauline lag in einem kleinen Giebelzimmer, das mit der größten Einfachheit, man könnte sagen Dürftigkeit, möblirt war, aber in welchem Alles bis aufs Geringste die äußerste Ordnung und Sauberkeit athmetc. Der einfache kleine Toilettentisch, auf welchem alle nur erdenklichen, bei der Toilette einer verwöhnten Dame nothwendigen Gegenstände verstreut waren, bildete einen bemerkenswerthen Gegensatz zu den übrigen Möbeln des Zimmers. Auf demselben standen und lagen in malerischem Durcheinander silberne Dosen, schön geschliffene Flaschen mit herrlich duftendem Inhalt, Bürsten und Bürstchen mit zarter Elfenbeinplatte, Spiegel und andere Dinge, welche auf einen verwöhnten Geschmack schließen ließen, und verriethen, daß die Eigenthümerin nicht nöthig hatte, sparsam mit ihrem Taschen gelde umzugehen. Zum ersten Male nach langer Zeit hatte man vor einigen Tagen die Vorhänge vor dem Fenster wieder zurückgezogen und dasselbe ein wenig geöffnet, und Lady Drummond, welche neben dem Bett saß, konnte erst jetzt deutlich die Veränderung wahr nehmen, welche in den wenigen Wochen ihres Krankseins mit Pauline vorgegangen war. Sie vermochte den Schrecken, den sie darüber empfand, nicht zu verhehlen, und obgleich sie eine Frau war, die sich von ihren Empfindungen niemals beherrschen ließ, vermochte sie doch einige aufsteigende Thränen nicht zu unter drücken. Sie wendete sich von der Kranken ab, um diese die schmerzliche Bewegung, welche sie ergriffen hatte, nicht sehen zu lassen. Pauline sah sehr bleich und abgefallen auS, als sie so in den Weißen Kissen ruhte, unruhig spielte sie mit ihrer Bettdecke — wie dünn und durchsichtig ihre Hände waren — und die großen, müden Augen beobachteten neugierig eine Fliege, welche an der Zimmerdecke auf und nieder schritt. All' ihr schönes, goldenes Haar hatte man der Kranken kurz abgeschnitten, die sonst so runden, rosigen Wangen hatten ihre Fülle und ihre Frische ver loren, und mit erschreckender Deutlichkeit traten die blauen Adern an den Schläfen hervor. Eine bedauernSwerthe Veränderung War mit dem armen jungen Mädchen vorgegangen, nur die Augen waren noch die der alten Pauline, ebenso schön, so klar und klugblickend, wie früher. „Tante Eleonore, wann kann er hier sein?" fragte sie jetzt, ihre Augen auf die am Bett sitzende Lady Drummond richtend. „Sehr bald, es kann nicht mehr lange dauern", erwiderte Lady Drummond — die Worte kamen nur schwer von ihren Lippen —, „das heißt, wenn er, wie er depeschirt hat, sogleich ab gereist ist." „O", sagte Pauline, während ein vertrauensvolles Lächeln über ihre Züge glitt, ich weiß ganz genau, daß er auch nicht einen Augenblick Zeit verlieren wird, um zu mir zu kommen. Tante!" fügte sie dann in etwas leiserem Tone hinzu. „Ja, meine Liebe. Was wünschest Du?" „Sehe ich sehr — sehr häßlich aus? Gar nicht mehr ein bischen nett?" Eine leise Röthe verbreitete sich bei diesen Worten über das schmale Gesichtchen. „Du sprichst zu viel, Pauline. Du darfst Dich nicht so er regen!" erklärte Lady Drummond. „Denke daran, wieviel davon abhängt, daß Du Dich ruhig verhältst!" Pauline blickte zu ihrer Tante auf; eS war ein halb ver wunderter, halb nachdenklicher Blick. „Tante Eleonore, Du bist so besorgt um mich, ich hätte gar nicht gedacht, daß Dich etwas so erregen könne. Du ängstigst Dich meinetwegen. Du vergißt darüber ganz, mir meine Frage zu beantworten. Oder willst Du mir nur ausweichen? Nun, gleichviel! Er wird bald hier sein, und dann werde ich selbst urtheilen können!" Ihre langbewimperten Augenlider senkten sich, und sie lag ganz ruhig da. Lady Drummond blickte sie einige Male besorgt an, der Athen» ging so schwach, daß Pauline's Tante sie be sorgt ansah. Plötzlich veränderte sich der Ausdruck auf dem Antlitz der Kranken, sie öffnete die Augen und schien gespannt zu lauschen. Dann versuchte sie sich ein wenig aufzurichten, doch ach, sie war so schwach, daß ihr Kopf sofort wieder in die Kissen zurücksank. Ein Wagen war soeben am Hause vorgefahren. „Er ist gekommen!" murmelte die Kranke, „ich weiß es, ich fühle er! Erich —" Die Thür öffnete sich und ein hagere-, finsterblickendes Antlitz zeigte sich in derselben. ES war Tante Mathilde, welche ihrer Sckwester ein Zeichen gab, daß der Erwartete da sei. War die Kranke genügend vorbereitet? fragten die strengen Augen. „Laßt ihn herein!" rief das junge Mädchen mit einer rührend flehenden Stimme. „Mir bleibt so wenig Zeit für ihn, o, laßt mich keinen Augenblick davon verlieren!" Erich hatte einige wenige Minuten vor der Thür gezögert, um sich ein wenig zu sammeln, jetzt trat er in das Kranken zimmer. Er sah bleich aus, die Reise hatte ihn angegriffen, denn er hatte den weiten Weg von Crowhurst hierher zurückgelegt, ohne sich eine Minute Ruhe zu gönnen, ja, ohne eine Spur Nah rung zu sich zu nehmen, denn während der ganzen Reise ver mochte er nur voller Angst und Aufregung daran zu denken, wie er Pauline finden würde. „Mein Liebling, mein armes, geliebtes Herz!" rief er er schüttert aus, nur mit der größten Anstrengung die schweren Seufzer unterdrückend, welche beim Anblick der Leidenden in ihm aufstiegen. War das seine Pauline, das süße, frische, über- müthige Mädchen? „Verhalten Sie sich recht ruhig, die geringste Aufregung kann sofort vcrhängnißvoll für sie werden", flüsterte Lady Drummond »hm ins Ohr, ehe sie das Zimmer verließ. Sie duldete, ja veranlaßte es sogar, daß die Beiden beiein ander blieben, sie, welche so hart gekämpft hatte, sie von einander fern zu halten. Ach, sie wußte, daß ein Mächtigerer als sie ihre Trennung beschlossen hatte, daß der Todesengel bereits seine Schwingen ausbrcitete, und Pauline's Augen sich bald für immer schließen würden. „O wie schön ist es, daß Du bei mir bist!" murmelte das junge Mädchen, indem sie den jungen Mann liebevoll anblickte. „Ich habe Dich so oft in meinen Träumen gesehen, aber ich wußte, daß eine uniibersteigliche Kluft uns trennte. Doch nun bist Du bei mir, und nicht wahr, Du bleibst auch bis — zum Ende?" „Pauline!" — brach eS angstvoll von den Lippen Erich'S. „Laß gut sein, Lieber" — wie sanft und weich ihre Stimme klang — „ich will nicht davon sprechen — ich will nicht einmal daran denken, wenn es Dich bekümmert; obgleich — ein eigen- thümlicher Ausdruck lag bei diesen Worten in ihren Augen — der Gedanke gar nicht so furchtbar ist — nicht halb so schlimm als dann, wenn man kräftig und gesund ist. Es giebt ein schönes Sprichwort, daS ich hundertmal gehört habe, ohne irgendwelche Aufmerksamkeit dafür zu haben, dessen Wahrheit ich aber jetzt erkannt habe — „Der Herr mildert den Wind für daS geschorene Lamm!" und Du siehst doch" — sie berührte mit einem Anflug ihres alten Frohsinn- ihr kurzgeschnittrneS Haar —, „daß ich jetzt wahr und wahrhaftig ein geschorenes Lamm bin!" „O, mein einziger Lieb", rief der junge Mann, indem er sein Antlitz neben dem ihrigen auf die Kissen sinken ließ, „was kann ich thun, um Dich zu retten — Dich, für die ich mit tausend Freuden mein eigenes Leben hingeben würde." Mit einer unsicheren Bewegung, welche ein rührendes Zeug niß für ihre Schwachheit ablegte, strich sie mit ihrer schmalen, ab gezehrten Hand liebkosend über seine kastanienbraunen Locken. „Du hast schon viel für mich gethan; Du hast mich gelehrt, daß die Liebe das Schönste, das Höchste ist, was es auf der Welt giebt", flüsterte sie. „Manche Menschen leben ein ganzes langes Leben hindurch, ohne sie kennen zu lernen; und auch mir würde es so gegangen sein, wenn ich Dich nicht kennen gelernt hätte, mein Geliebter! Lege Deine Arme um mich, Erich, und richte mich ein wenig auf, damit ich Dein liebes Gesicht sehen kann, und die Liebe, die mir aus demselben cntgegenstrahlt." Er that, wie sie verlangte, mit der zärtlichen Sorgfalt einer Mutter für ihr krankes Kind, richtete er sie empor. Sie stieß einen leisen Seufzer der Befriedigung aus, als ihr Kopf an seine Schulter sank und seine Arme ihre zarte, gebrechliche Gestalt umschlossen. Es verging fast eine Viertelstunde, ehe sie wieder sprach, und Erich wagte kaum zu athmen aus Furcht, er könne sie stören. Dann plötzlich öffnete sie ihre Augen und blickte zu ihm auf. „O, Lieber, so wohl habe ich mich während der ganzen letzten Wochen nicht gefühlt. O, mit welch' heißem, sehnlichem Ver langen habe ich an Dich gedacht, Dich herbeigewünscht — und im Traume war es mir beschicken, Dein liebes Bild zu sehen. Wie sehr ich Dich doch in mein Herz geschlossen habe, Du Lieber — Guter!" Enger schmiegte sie sich an ihn an, wie ein krankes Vögelchen, dachte Erich. Der junge Mann entgegnete nichts, er küßte nur sanft und zärtlich die bleichen Wangen. „Wie lange bist Du krank gewesen, Theuerste?" fragte er nach einer Weile. „Ich weiß es nicht — ich glaube wochenlang, ich habe alle Zeitbcrechnung verloren. Tante Eleonore wird es Dir sagen. Ich habe so lange, so lange in Fieberphantasien gelegen, o Erich, das war furchtbar! Niemals werde ich den Morgen vergessen, an dem ich zuerst wieder zum Bewußtsein kam, wieder meiner Sinne mächtig wurde! Das Fenster war geöffnet, und die frische Luft umwehte meine heiße Stirn, es war ein wunder bares Gefühl; der Sonnenschein, die Bäume draußen vor meinem Fenster, ja alle Dinge des alltäglichen Lebens erschienen mir, als ob sie neu für mich geschaffen seien. Ich habe thatsächlich geweint, als ich draußen die Vögel singen hörte." Bei der Erinnerung daran traten Pauline von Neuem die Thränen in die Augen und rollten langsam über die eingefallenen Wangen. Erich war so tief erschüttert, daß er kein Wort hervor-
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