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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.11.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-11-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961111029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896111102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896111102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-11
- Tag 1896-11-11
-
Monat
1896-11
-
Jahr
1896
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Größere Schriften laut unserem Preis» uerzrichnij. Tabellarischer and Mrrnja» nacy höherem »ans. Extra-Veilagen (gesalzt), nar m,t de, Margen "Ansgäbr. ahn, Pvstbrsör-erung -0—, mit Postbrsvrderung 70.—. Annahmeschluß für An;ei-en: Nbeud-AuHgabe: vormittag« 10 Uhr. Vtorgen-AuSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. vei den Filialen und Apnqhmestellau je ei», halbe Stunde früher. l'"h stet« oa die Gxpftzfti«« HU richte». Druck und verlai non E. Pol» fa Leipzig Fs 575. Mittwoch den 11. November 1896. Sv. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 11- November. Wie au« Aeußerungen der „Germania" und der „Köln. Volksztg." hcrvorgebt, sollen die (-Umhüllungen per „Hamb. Nachr." im Reichstage schon bei der Beratbvng der Novelle zur Strafproceßordnung vom Zentrum ;ur Sprache gekrackt werden und zwar zu dem Zwecke, daß angesichts „der tückischen Angriffe Bismarck'S gegen den Kaiser", wie das letztere Blatt sich ausdrückt, für Se. Majestät den Kaiser eingetreten und ganz besonders für ein ehrliches Festhalten Deutschlands an seinen Verbündeten Zeugniß abgelegt werd«. Man ersieht hieraus, daß das Zentrum den eineu Zweck der „Enthüllungen": aus eine ener- gischere Polenpolitik hinzudrängen, welche die unerläßliche Boraussetzung für die Wiederherstellung eines besseren Verhält nisses Deutschlands zu Rußland ist, genau erkannt hat und diesen Zweck durch Verdächtigung de« Fürsten Bismarck beim Kaiser zu durchkreuren versucht. Der Plan ist schlau er sonnen; denn die Urheber sagen sich, daß Mitglieder des Bunde-raths nickt für den Fürsten Bismarck eintrrteu können, ohne an dem Fallenlassen des deutsch-russischen Assecuranz- Abkommens Kritik zu üben, und daß im Hause kein Mensch sitzt, der autoritativ die Zwecke des Fürsten entwickeln und vor Entstellungen schützen kann. Die Herren I)r. lieber und Genossen tragen sich daher wahrscheinlich sogar^ mit der Hoffnung, es werde ihnen gelingen, den Kaiser zur Zurücknahme seine« Unheils über den ReickStagsbesckluß vom 23. März vorigen Jahres, betreffend die Ehrung des Fürsten Bi«uiarck, und zur Rückkehr zu der centrums- und polenfreundlichen Politik des Grafen Caprivi zu bewegen. Der Plan ist aber andererseits auch so durchsichtig, daß man wohl erwarten kann, Fürst Hohenlohe, der die Conse- quenzen einer solchen Rückkehr klar ermißt, werbe ihn, sei es durch eine der Interpellation des Centrums zuvor kommende Erklärung, sei es auf eine andere Weise, zu durchkreuzen wissen. Für selbstverständlich erachten wir es natürlich, daß, wenn es wirklich zu der beabsichtigten Interpellation und zu ihrer Besprechung tommt, auf nationalliberaler Seite nicht ein be liebiger Redner, sondern der verehrte Führer der Partei, Herr v. Bennigsen, das Wort ergreift. Daß gerade er wie kein Zweiter berufen ist, die vom Fürsten Bismarck Ruß land gegenüber vertretene Politik klarzulegen und zu ver teidigen, hat er vor Jahren bei einer besonderen Gelegenheit bewiesen, als Fürst Bismarck unseres Erinnerns krank war und nicht selbst das Wort nehmen konnte. — Sollte in der Debatte auch auf die Gerüchte über den an geblich beabsichtigt gewesenen und dann aus irgend welchem Grunde unterbliebenen Besuch Kaiser Nico laus' II. in Friedrichs ruh zurückgegriffen werden, so lei den Rednern die Beachtung einer Mittbeiluna empfohlen, die uns heute aus Drebkau zugeht und vielleicht Licht aus die Quelle des Gerüchtes wirft. Unser Gewährsmann in Drebkau schreibt uns nämlich: „Bei der Reise von Görlitz nach Kiel passirte der kaiserliche Zug auch Cottbus, wo ein daselbst nicht vorgesehener Aufenthalt von ca. 12 Minuten statlsand. Der Bahnhof war abgeschlossen, so Laß ich ihn erst einige Stunden später betreten konnte. In begreif, licher Neugier erkundigte ich mich beim Oberkellner nach allen Einzelheiten und erfuhr von ihm, daß während jenes Ausent- Halles von russischen Beamten Depeschen nach Friedrichsruh Kiel, Kopenhagen und Paris aufgegeben worden seien. An diese Mitthkilung knüpft« der Oberkellner die Bemerkung: „Da ist es also doch wahr, daß der Kaiser von Rußland den Fürsten Bismarck besucht; wozu sonst dir Depesche nach Friedrichsruh?" Als dann bekannt wurde, daß der Zar direkt über Kiel nach Kopenhagen gefahren sei, legte man sich die Sach« so zurecht, daß der Zar ursprünglich »ach Friedrichsruh habe fahren wollen, im letzten Augenblicke aber aus irgend einem Grunde abgesagt und mit den Depeschen nach Kiel und Kopenhagen seine frühere An kunft daselbst angesagt habe. Daß der Oberkellner Kenntniß von dem Bestimmungsort der ghgesendeten Telegramme gehabt haben könne, glaubte man daraus schließen zu müssen, daß die Telegramme am Schalter des Trlegraphenbureaus ausgegcben worden waren und der Schalter direct neben der Eiugangstbür zur Restauration sich befindet." Nun behauptet zwar heute die „Bank- und HandelSztg." ", die zuerst die Meldung verbreitet hatte, Kaiser Nicolaus II. habe in Friedrichsruh einen Besuch abskatten wollen, habe aber dieses Vorhaben aufgegeben, „weil ihm von höchster Regierungsstelle der Verzickt nabe gelegt worden sei" —, diese Meldung stamme „aus Rußland von einer Seite, die über die einschlägigen Verhältnisse genau unterrichtet sein müsse"; aber jedenfalls ist die Vermuthung nicht abzuweisen, daß die Meldung ebenso wenig aus Friedrichsruh, wie aus Rußland stammt, sondern lediglich einem Babnhofsgeschwätze und Bahnhofscombinationen in Cottbus seine Ent stehung verdankt. Die Abänderung der mit denen der ehemaligen polnischen Republik fast übereinstimmenden Farben Per Provinz Posen kommt einem dringenden Bedürfniß entgegen. Die doppel deutige Flagge bat den Polen eine häufig benutzte Gelegen heit zu staatsfeindlichen Demonstrationen, die heuchlerisch als loyale Kundgebungen ansgegeben werden konnten, gegeben und dergestalt die Staatsbehörden nickt selten geradezu zu Narren der polnischen Agitatoren gemacht. Der Um stand, daß die Maßregel gerade jetzt erfolgt, erhöht ihren Werth, indem sie zeigt, daß die Regierung der polnischen Bedeutung der Vorfälle von Opalenitza, trotz der milden Bestrafungen, die sie nach sich gezogen haben, richtig zu würdigen weiß, also der polnisch klerikal-demokratischen Dialektik unzugänglich ist. Der für die Entscheidung gewählte Zeitpunkt ist vielleicht auch sonst nicht bedeutungslos. Er zeigt dem Centrum, daß der Augenblick, sich selbst und die polnischen Freunde dem Kaiser als Schützer gegen den bösen Bismarck anzuempfehlen, nicht eben günstig gewählt ist. Ueberdie« tritt in zehn Tagen der preußische Landtag zu sammen, der sich alsbald mit der Angelegenheit des Propstes Szadozinski und des unaufgeklärten Verhaltens der Bezirks regierung gegenüber dem zum Opfer des Deutschenhasses dieses geistlichen Agitators gewordenen deutschen Lehrer zu beschäftigen haben wird. An Herrn Or. Bosse, den diese Dinge angehen und der eine eindrucksfähige Natur ist, wird der von dem Minister des Innern gegengezeicknete Erlaß nicht spurlos vorübergehen. Freilich bat der preußische Cultusminister auch schon bei früheren Gelegenheiten über die Polenpolitik befriedigend zu — reden verstanden. lieber die schon telegraphisch erwähnte unerhörte Rohheit, welche in Portugiesisch-Afrika gegen den deutschen Consul Graf M. v. Pfeil verübt worden ist, wird noch berichtet: Als Graf Pfeil am 17. October sich zusammen mit dem französischen Consul auf dem Perron der Eisenbahnstation Kouati-Poort (Grenzstation zwischen der Bahn nach Transvaal) befand, um den nach Pretoria gehenden Zug zu erwarten, wurde er plötzlich und ohne jegliche vorherige Provocation von einem portu giesischen Beamten von hinten gefaßt und zu Boden geworfen. Der so feige Angegriffene wandte sich darauf an den Stations- Chef Cordoza, der nichts Eiligeres zu thun batte, als auch seinerseits dem Grafen einen Stoß zu versetzen, worauf dieser, entrüstet ob solch' schnöder Behandlung, seinen Stock erhob und dem Stationschef einen Schlag qner über den Kopf versetzte. Dies war das Zeichen für alle anwesenden Portugiesen — unter ihnen befanden sich mehrere Polizisten — sich mit Waffen aller Art auf die beiden wehrlosen Consuln und deren wenige Begleiter zu werfen. Graf Pfeil schlug sich zum Bureau des Stationschefs durch, wobei er mit der flachen Seite eines Säbels einen Hieb über die Stirn und einen solchen über das linke Auge erhielt. Das Handgemenge nahm erst sein Ende, als der neue Eifenbahndirector, Albers, erschien. Es war auch Jemand zum Cecretair des portugiesischen Gouverneurs gelaufen, allein derselbe langte zu spät auf der Station an. Gouverneur Eca sprach, als ihm die Asfaire zu Ohren kam, noch spät Nachts auf dem kaiserlichen deutschen Consulat zu Louren^o Marques vor, sand aber den Grafen nicht zu Hause, weshalb er andern Tags früh nochmals im Consulat erschien. Er drückte dem Grasen sein Be- dauern über das Borgesallene aus und sagte, daß der Stationsches von Konati-Poort, sowie alle beiheiligten Polizisten in Haft gesetzt worden seien. Graf Pfeil soll sich hinsichtlich dieser letzteren Maß nahmen befriedigt ausgedrückt haben. Den Portugiesen wird hoffentlich eine gehörige Lection nicht erspart bleiben. Der Vorfall ist um so unerklärlicher, als die Beziehungen zwischen den Portugiesen und den Deutschen in Portu^iesisch-Ostafrika stet« nur gute waren. Die Hauptschuld durfte wie gewöhnlich wieder auf das mangelhafte Beamtenthum zurückmführen sein. Allem Anscheine nach war der unvermuthete Angriff nicht gegen den deutschen Consul als solchen gerichtet, sondern er ging, wie die Transvaal-Zeitungen behaupten, hervor auS der all gemeinen Feindschaft der aus ihrer Trägheit aufgerüttelten portugiesischen unteren Beamten gegen die „Fremden" ES sei noch erwähnt, daß sich erst vor wenigen Wochen in Louren?o Marques ein ähnlicher Fall ereignete, indem vom Lande her (wahrscheinlich von der Festung) auf ein im Hafen liegendes Vergnügungsboot gefeuert und dabei eine Frau Landsberg von Middelburg (Transvaal) lebensgefährlich verletzt wurde. Eine eigentliche Untersuchung ist in diesem Falle noch gar nicht eingeleitet worden. Wegen des jüngsten Vorkommnisses wird Portugal Wohl ohne Weiteres vollste Genugthuung leisten, doch spricht man in Pretoria die Erwartung aus, daß neue Weisungen an die Bahnbeamten ergehen und eine bessere Aufsicht eintritt. DaS muß auch von Deutschland in energischer Weise verlangt werden, damit ähnliche Ver gewaltigungen deutscher Beamter in Zukunft sich nicht wiederholen. AuS Anlaß der Broschüre Bernard LazareS: „Die Wahrheit über die Asfaire Treyfus" veröffentlicht der „Matin" da« Facsimile eines angeblich aus einem Papierkorb der deutschen Botschaft entwendeten Briefes, in welchem Hauptmann DreyfuS die Absendung gewisser militairischer Dokumente ««zeigt, ein Brief, welcher dem „Malin" zufolge daS einzige Beweismittel war, welches die Verurtbeilung motivirte. Der Brief lautet in Uebersetzung: „Ohne Nachrichten, die mir anzeigen, daß Sie mich zu sehen wünschen, richte ich doch an Sie einige interessante Auskünfte: 1i eine Note über die hydraulische Vorrichtung de« Geschützes 120 «Art und Weis», in der das Geschütz sich verhalten har«: L) eine Note über die zur Deckung bestimmt«« Truppen (einige Abänderungeu werden durch den neuen Plan herbeigeführt werd«»); 3) «ine Note über di« Abänderungen d«r Artilleriesormalionen; 4> ein« auf Madagaskar bezüglich« Not,: 5) das Projekt ein.s Handbuches sür die Feldschießübungeu. Dieses letzte Pocument kann man sich nur äußerst schwer verschallen, und ich kann es pur sehr w«nig, Tage zu meiner Verjügung haben. Der Minister hot ein? bestimmte An- zflhl Exemplare an die Corps gesendet, und die Corps siutz dafür verantwortlich; jeder Officier, der eines in Gewahrsam erhält, muß es nach den Manöver» zurückgcben. Wenn Sie daher daraus ent nehm«» wollen, wo« Eie inleressirt, und es dann mir wieder zur Verfügung stellen, jp werde ich e« an mich nehm,». Aorousgesetzt, daß Sie nickt den Wunsch hege», Laß ich eine Kopie doyvu in ex tenso unfertigen lasse und Ihnen die Copie zuseyde. Ich begebe mich zu den Manöver». D." Die Frage der Schuld oder Nickt-Tchuld des Capitains DreyfuS hat für unS in Deutschland keinerlei Interesse, wohl aber die abermals in der Oeffentlichkeit breitgetrrtene Be bauptung, der fragliche Brief sei in der deutschen Botschaft gefunden worden. Wir können dem gegenüber nur an jene Note erinnern, welche die deutsche Botschaft seiner Zeit an dl« „Agence HavaS" gelangen ließ. Darin wurde erklärt, daß die deutsche Botschaft in Paris mit dem Falle DreyfuS nichts zu thun habe. Als im September d. I, erneute Hinweise auf die deutsche Botschaft in Pariser Blättern er schienen, hat die „Kölnische Zeitung" in einem ersichtlich osficiösen Entresilet ihnen abermals widersprochen. Zum llcberstuß berichtet beute der Pariser Corresponbeot des „Ben. Tagebl." offenbar nach Erkundigung auf der deutschen Botschaft: „Kein Mitglied der Botschaft bat je diesen oder einen ähnlichen oder irgend einen Bries von DreyfuS empfangen. Auf der ganzen deutschen Botschaft in Pari« hat nicht ein Mensch DreyfuS je gekannt. Es ist erlogen, daß je auch nur die leiseste Verbindung zwischen irgend einem Mitglied« der Botschaft und DreyfuS bestanden hat. Wenn die bestochenen Diener, welche thatsächlich damals in der deutschen Botschaft umherspazierten, den Brief im Papierkorb gefunden, so hat ihn jedenfalls kein Mitglied der Botschaft dort hineingeworfen. Aber es ist viel wahrjcheinlicher, daß dieser Brief niemals die wenn auch nur flüchtige Bekanntschaft mit den Papier körben deö BotschaftSholelS gemacht hat, also gefälscht ist." Ist aber der Brief thatsächlich nicht von DreyfuS an den deutschen Botschafter gerichtet worden, und für unS bestebt daran kein Zweifel, so gewinnen auch die Beweisführungen Lazare's, eines durchaus ehrenhaften, allgemein geachteten Pariser Schriftstellers, über die Unschuld DreyfuS' an Wabrschein lichkeit, denn dann schwebt das Urtheil deS Gerichtshöfe- in der Luft. Aber abgesehen von dem Zeugniß der deutschen Botschaft, glaubt kein Mensch daran, daß DreyfuS so — naiv gewesen sei, den Anfangsbuchstaben seines Namens unten den com- promittirenden Brief zu setzen, so unvorsichtig, als General- ftabsosficier Rendezvous in der deutschen Botschaft ober an einem dritten Orte mit einem Mitgliede derselben zu ver einbaren. Die Richter schwankten darum auch, und so war es General Mercier, der frühere Kriegsminister, der einen entscheidenden Druck auf das Kriegsgericht ausgeübt haben soll. Von der Veröffentlichung des Briefes sollen „diplomatische Verwickelungen" befürchtet worden sein, was nach seinem Bekanntwerden im AuSlande nur Spott Hervor rufen kann. Selbst in Frankreich müssen sich im Hinblick auf die soeben veröffentlichte Broschüre Lazare's begründete Zweifel wegen der Schuld deS DreyfuS regen, und man kann dem französischen Schriftsteller nur zustimmen, wenn er ein neue-Verfahren mit voller Oeffentlichkeit verlangt. Fettilletsir. Hans Jürgen. Roman von Hedda v. Schmid. Nachdruck »«rsete«. „Nicht wahr, Mama, ist es nicht eine ganz köstliche Idee, im Stall zu frühstücken! Liebe Mama, mach' nicht ein solch' entsetztes Gesicht, sieh, daS Pferd ist doch das edelste Thier der Schöpfung; Hans Jürgen liebt seinen Stall, und ich liebe Alles, was meinen Herzensmann interessirt. Wir haben einiges Neue für unfern Stall aMschafft — dort die entzückende Rappstute Sylphide, Hans Jürgen will sie im nächsten Juni in Reval rennen lassen, und solch' ein kostbares Thier muß besonders aufmerksam trainirt werden. Wir wollen daher so viel wie möglich den Stall inspiciren, Han- Jürgen und ich." Die Baronin blickt ihre Tochter ganz verblüfft an. Mein Gott, wie hat sich Margaret in den vier Wochen ihrer Ehe verändert. Aber das reizende Gesichtchen, die blitzenden Augen, das leicht gewellte, unter der unternehmend auf gestülpten Mütze hervorquellende Blondbaar und dieser in Margaret'« Munde so ungewohnte und daher doppelt pikant klingende Sporlston wirken so fesselnd auf daS bewundernde Mutterherz, daß die Baronin ihre Indignation über daS Stallfrühstück ganz vergißt und, ihren Liebling mit zärtlichen Blicken betrachtend, den Champagnerkelch auS der Hand ihre- Schwiegersöhne- huldvoll entgegennimmt und Miene macht, da- Frühstück deS jungen Paare« zu tbeilen. Sich am Tisch niederlassend, nimmt sie mit voller Befriedigung wahr, wie glücklich Margaret auSsiebt und wie lebhaft sie geworden. Während dir junge Frau der Mama eigenbändig vom Hummersalat vorleat und ihr ein Schinkcnbrödchen reicht, plaudert der rosige Mund unermüdlich Reiseerlebnisse, Zukunft-Pläne, Alle- wirbelt Margaret krauS durcheinander, aber immer taucht in ihren Worten ein Name empor — eS ist, als ob sich durch alle Gedanken und Empfindungen der jungen Frau ein leuchtendes Band schlänge, und auf demselben strbt in unauslöschlichen Lettern der Name „Hans Jürgen". Er, der schlanke vornehme Mann dort, ter so behaglich zurückgelehnt seine Cigarre raucht, er ist der Inhalt von Margaret'S Dasein. Sie vergöttert ihn, sie blickt bewundernd zu ihm auf, und di« Baronin vergißt ihren Aerger darüber, daß sie in einem von dem „widrigen Bau meister Trummy" aufgeführten Stallraum sitzt und frühstückt, sie sieht nur ihr Kind in seinem strahlenden jungen Eheglück und sie vergiebt im Stillen ihrem Schwiegersohn all seine Extravaganzen. Er macht Margaret glücklich, und da- söhnt die Baronin mit Allem, was sie au Hans Jürgen zu tadeln geneigt ist, aus. Margaret erkundigt sich nun mit lebhafter Neugierde nach Irma. „Liebste Mama, ich finde es sehr edel von Dir, daß Du Dich des armen, verwaisten Mädchens angenommen, das heißt, arm ist Irma Monfort ja eigentlich nicht, denn eS ist doch ganz selbstverständlich, daß sie einmal SaliSfer bekommt. Sie ist zwar nickt von Adel, aber daS wird doch keinen von unseren Epouseuren abbalten. um sie zu werben, wenn sie hübsch und reich ist. Wie komisch eigentlich von ihrem Groß vater, solch eine TestamentSclausel aufzusetzen." „Er war ein Sonderling", erwidert die Baronin, „sein einziges Kind, seine Tochter, machte eine durchaus miserable Partie. ES war ein Abenteurer, ein Schauspieler dritten oder vierten Ranges, der Hildegard BeverSdorff durch sein hübsches Aeußere und durch Vorspiegelungen, den Beruf zu einem gottbegnadeten Künstler in sich zu fühlen, an sich zu fesseln wußte. Er heuchelte heiße Liebe, Hildegard sollte die Muse sein, die ihm den Weg zu unsterblichem Künstlerruhm bahnte, in Wahrheit sah er in ihr nur da« reiche Mädchen, die einzige Tochter und Erbin. Joachim BeverSdorff wies den Antrag Monfort'S voller Entrüstung zurück; da überredete Letzterer Hildegard, sich von ihm entführen zu lassen. DaS verblende:« Mädchen willfahrte seinen Bitten und ließ sich heimlich mit ihm trauen. Die Entflohenen hofften, daß der Vater einer vollzogenen Thatsache gegenüber feinen Segen nicht ver weigern würde, sie irrten — die BeverSdorff sind Eisenköpfe, Joachim v. BeverSdorff enterbte seine Tochter und sagte sich völlig von ihr lo«. Erst nachdem er ihren Tod erfahren, dachte er verföhnlicher, und kurz bevor er vollständiger Geistesstörung verfiel, setzte er seine Großtochter Irmgard zur Erbin von SaliSfer ein unter den bekannten Bedingungen. Irma hat nun auch ihren Großonkel Frommhold beerbt, er besaß ein Vermögen von fünfzehntausend Rubel. Bor einigen Tagen ist sein Testament, daS er beim Gericht deponirt, ge öffnet worden. Zum Testamentsvollstrecker ist der Palloküllsckc JngerSheim ernannt worden. Papa erhielt heute Morgen einen Brief von Letzterem: er bittet un«, daS heißt, Papa, Irma und mich, uns übermorgen in SaliSfer einzufinden, dort sollen wir durch den Notar mit verschiedenen Bestim mungen deS Verstorbenen bekannt gemacht werden." „Ich habe mich ebenfalls zu demselben Termin in SaliSfer einzufinden", sagte Hans Jürgen, „ich sprach den Pallo- küllschen vorgestern flüchtig in Reval, er sagte mir, daß ich als Mitbewerber um das von Joachim BeverSdorff hinter lassene Erbe dastehe, so muffe ick ebenfalls von den letzten Bestimmungen des jüngstverstorbenen BeverSdorff unterrichtet werden. Doch ich wollte", setzte HanS Jürgen binzu, „man ließe mich mit der ganzen Erbschaftsgeschichte in Ruh', ich strebe nicht nach dem Erbe und mag die Ansprüche der Groß tochter des verstorbenen Besitzers von SaliSfer nicht schmälern." „Ich stimme Dir bei, HanS Jürgen", ruft Margaret, „wir brauchen dieses Erbe nicht; hat Dein Gönner, der selige Joachim BeverSdorff, Dir denn nie von seiner Tochter oder seiner Großtochter erzählt, Han« Jürgen? Wir konnte er nur so lange unversöhnlich fein, mußte erst der Tod ihm Vergebung predigen?" „Er hat mir gegenüber niemals seiner Tochter oder seiner Enkelin erwähnt; ich erinnere mich nur eine« Vorfalles", fährt HanS Jürgen sinnend fort, „ich befand mich einmal allein in seinem Studirzimmer und bemerkte aus seinem Schreibtisch ein Bricfcouvert mit einer ausländischen Marke. Neugierig dieselbe betrachtend, nahm ich da« Couvert zur Hand, da entglitt letzterem eine Photographie, eia kleine« Mädchen darstellend; ein reizende« Kindergesickt war r«, so viel weiß ich noch. Während ich eS betrachtete, legte sich plötzlich eine Hand auf meine Schulter, und al- ich erschrocken aufblickte, stand Joachim v. BeverSdorff neben mir. Er war so ganz daS Gegentheil seines strammen wirthschaftlichen BruderS, er war durch und durch ein Gelehrter, immer gleichsam in einer, anderen Sterblichen fremden Welt sich be wegend. „Gefallt Dir da« Bild, mein Junge?" fragte er mich, und ul« ich bejahend nickte, begann er, in tiefen Ge danken versinkend, im Zimmer aus und ab zu schreiten, und ich entschlüpfte auS letzterem. Jenes Bild war vermuthlich dasjenige Irma Monfort'S." „Die ganze Geschichte mit dieser Irma ist furchtbar romantisch", ruft Margaret, „ich bin sehr gespannt darauf, di« Bekanntschaft Deiner kleinen Pflegetochter zu macken, Mama." „Ich habe Irma bereits sehr lieb gewonnen", sagte die Baronin. „Oh, Mama, ich werde am Ende noch eifersüchtig." „Unbesorgt, Liebling, aus meinem Herzen verdrängt Dick Niemand." „Nun aber komm, Mama, ick will Dir all' die reizenden Sachen zeigen, mit denen Han« Jürgen mich auf unserer Reise beschenkt hat. Da ist vor allen Dingen ein ent zückender Reitanzug, die Gerte dazu mit einem Pferdekopf auS oxyvirtem Silber." „WaS", ruft die Baronin, ihren Obren nicht trauend, «wozu in aller Welt brauchst Du einen Neitanzug, Herzens kind?" „Aber, Mama", lacht Margaret übermüthig, „wozu läßt Hans Jürgen mir denn ein Reitpferd kommen, wenn ick nicht reiten soll!" „Margaret wird eine süperbe Figur zu Pferde abgeben", schaltet Hans Jürgen ein. Die besorgte Mama ist jedoch durch dieses Argument durchaus nicht berubigt. „Margaret'S Lungen waren von jeher zart, ein Ecbthcil von ihrem Vater", meint sie kopfschüttelnd, „und der Doctor wird sich mit diesem Reitproject gewiß nicht einverstanden erklären." „Ach, den frage» wir überhaupt nicht", ruft Margaret übermlitbig, „sei ohne Sorge, Mama, ick werde nicht krank, und hier" — sie legt den Arm zärtlich um ihres jungen Gatten Schulter — „hier steht mein Arzt; wenn Hans Jürgen mich nur anlächelt, so werde ick gesund. Körperliche Bewegung soll ja auch übrigens den Lungen nickt schädlich sein. Ich denke eS mir himmlisch, auf dem Rücken eines edlen vogelschnellen RofseS dahin zu fliegen. Wie schade, daß ich nicht schon jetzt firm im Sattel bin, sonst könnte ick Par force reiten, in Palloküll wird gewiß Ende deS Monats eine Jagd stattfindrn." „Nein, mein liebes Kind" beginnt vi« Baronin ganz echauffirt, „daS würde ich an Deine- Mannes Stelle —" „Nicht billigen", sollte der Satz enden, aber der junge Ehemann schneidet seiner Schwiegermutter das Wort av. Die Hand seiner Frau zärtlich an seine Lippen ziehend, sagt er: „Könnte es Jemand wohl Uber das Herz bringen, Margaret einen Wunsch abzuschlagen?" Dir Baronin ist entwaffnet. Als sie, einige Stunden später, ihre Tochter zum Abschied umarmt, fragt sie leise: „Bist Du glücklich, mein Herzblatt?" „Unaussprechlich glücklich, Mama." * * o
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