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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration- - Preis 22j Sildcrgr. (j Tbü.) vierteljährlich, Z Ldlr. für du« ganze Hahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden do» jeder Buchhandlung 0" Berlin hei Veit u. Como., Jägerllraüe Nr. 25), so wie von allen Lönigl. Post > Leimer», angenommen. Literatur des Auslandes. 110. Berlin, Mittwoch den 13. September 1843. Frankreich. Akademische Beredsamkeit. Bon Lerminicr. ES giebt gewisse Dinge, sagt La Bruynrc, deren Mittelmäßigkeit uner. träglich ist, die Poesie, die Musik, die Malerei und die öffentliche Rede. Mögen Alle hieran denken, die in Versen oder in Prosa, mit Farben oder mit Tönen schaffen wollen. Wir beschäftigen uns heute nicht mit den mehr oder minder glücklichen Nebenbuhlern Raphael'S, Mozart'S und Racinc'S, sondern mit den Helden der öffentlichen Rede. Das I7te Jahrhundert hat Akademieen entstehen lassen, und durch eine natürliche Folge bildete sich eine akademische Beredsamkeit, das heißt, eine Beredsamkeit, welche weder durch eine äußere Nothwendigkcit gefordert wird, noch in einer Leidenschaftlichkeit des Redners ihren Grund hat, sondern zu den LuruS-Artikeln gehört. In den Kämpfen des antiken Forums und der Agora liegt ein tiefer, furchtbarer Ernst. In allen Demokratieen muß viel gesprochen werden, weil es die Menge, welche regiert, zu überreden gilt. Das Wort lenkt in der Republik den Staat, und des Redners Kopf bürgt für sein Wort. Die Gracchen wurden ermordet, Cicero siel durch Antonius, Demosthenes ver. giftete sich im Tempel des Neptun, und Phocion trank den Schierlingsbecher wie Sokrates. Welch' erhabene Tragödien! der Redner stirbt wie ein Held auf seinem Schlachtfelde, und seine Wahrhaftigkeit und sein Ruhm erheben sich im Tode über all» Zweifel und Verleumdungen. AristophaneS tritt gegen die Redner so leidenschaftlich auf wie gegen EuripiveS und Sokrates- „Wie könnte ich fähig werden, bas Volk zu lenken?" fragt ein Koch in seinen Rittern. — „Wenn du nicht mehr willst", antwortet man ihm, „so sep un besorgt. Du brauchst nichts zu thun als dein Handwerk auSzuübcn. Ver wirre die Geschäfte; menge Alles unter einander wie gehacktes Fleisch; kitzle den Gaumen des Volkes durch wohl angebrachte Schmeicheleien und Lobes erhebungen; du hast ausgezeichnete demokratische Anlagen, eine furchtbare Stimme, einen verschrobenen Geist und die Charlataneric eines Menschen, der gewohnt ist, Speisen feilzubictcn. was fehlt dir zum Regieren?" Neben ihren Rednern und Demagogen hatten die Athener ihre Rhetoren und Sophisten. JsokrateS kämpft nicht gegen den König von Macedonien, sondern er lobt die schönste Frau und die schönste Stadt, Helena und Athen. DeS Redners Zweck ist dann nur, dem Ohr und der Phantasie des Hörers zu schmeicheln, und hier ist die eigentliche Quelle der Beredsamkeit unserer Akademieen zu suchen. Thomas hat im vorigen Jahrhundert in seinem 5>w les ktoge, die Reihe der panegyrischen Schriften dieser Art vom Menerenes des Plato bis zu Voltaire'S Rede, in der er mit so rührender Naivetät Vauvenarges beklagt, zusammengestcllt. Zu der weltlichen Panegyrik hat das Christenthum eine geistliche gefügt, indem cs an den Gräbern die Tugenden der Verstorbenen rühmte; doch dabei unterließ eS nie, auf die Nichtigkeit alles irdischen SeynS hinzuweisen. Es liegt im Wesen deS Christenthums, den Menschen stets nur zu erheben, um ihn desto tiefer vor dem Kreuz erniedrigen zu können ; und so breitet sich über das lebhafteste Lob eine ernste erschütternde Ironie. Wer erinnert sich hierbei nicht an Boffuet's ausgezeichnete Reden und an manches Andere, was Billc- main in seinem trefflichen „Versuch über die Leichenrede" aufgcführt hat? Bofsuet hielt die letzte seiner Rede» 1087 am Grabe des großen Cond», und vierzehn Jahre später sing Fontenelle seine kluges zu schreiben an. Nach der Religion erhob die Wissenschaft ihre Stimme. Die Mathematik und Physik waren im siebzehnten Jahrhundert so weit vorgeschritten, daß sie sich den Künste» und der schönen Literatur an die Seite stellen konnten. Ludwig Xl V. und Colbert erkannten dies an und gründeten I Wg die Akademie der Wissenschaften. Der nächste Zweck derselbe» war, daß sich die Gelehrten gegenseitig ihr Wissen mittheilcn sollten und so den Fortschritt der Wissenschaft beschleunigen. Doch bald sollte die Akademie noch schönere Früchte tragen, indem sie ihre Geschichte zu schreiben beschloß. Fontenelle ward erwählt, die Feder zu führen. Der Neffe Corneille s zählte damals über vierzig Jahr; er war nicht mehr der Dichter der Eklogen, der Briefe des Ritters von Her...., der Oper ThatiS und Pelcus. von diesen Scherzen hatte er längst Abschied genommen. Fontenelle, der mit sicd- zehn Jahren zu schreiben angefangen hatte, besaß die ruhige Klarheit, die überlegene Kraft eines Geistes, der über sich selbst und das Leben Herr ge worden ist. Er schrieb die Geschichte der Akademie und ihrer Mitglieder mit einem Reize, mit einer Lebendigkeit, die man bis dahin nicht gekannt hatte. Die Personen athmeten mit ihren Vorzügen und Fehlern in seiner Prosa, und das historische Detail wurde von den feinsten und tiefsten Gedanken durchblitzt und erwärmt. Alle hohe Probleme der Wissenschaft unterwarf er einer Er örterung, und in den Aufsätzen über Leibnitz und über Malebranche legte er die Vorzüge der eklektischen und der streng spekulativen Philosophie so geschickt dar und wog sie so richtig gegen einander ab, daß wir noch beute seinen Ur theilen nichts beizufügen vermöchten. So war der Wissenschaft ein neuer Weg gebahnt, in populärem Ge wände in das Volk einzudringen, indem man bei den Reden über die Ver dienste der einzelnen Vertreter der Wissenschaft gewöhnlich den Anlaß benutzte, die Wissenschaft selbst in ihren Grundzügcn und ihrer bisherigen Entwickelung zu charakterisiren. Nach Fontenelle übernahm cs dAlembert, die Elogen zu schreiben, und er bestrebte sich, so wenig als möglich seinen bewunderten Vorgänger nach zuahmen. Seine Reden sind eine wahre Literatnrgcschichte des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts. D Alembert sucht nicht die sentenziöse Kürze Fontenelle s, er schreibt behaglicher - doch dabei verliert er die Einzelheiten so wenig aus dem Auge, daß er zur Ergänzung des Stoffes seinen Reden ausführliche Noten beigegeben hat. Die vorsichtige, fast zaghafte Zurück haltung, mit welcher d'Alcmbcrt seine Gedanken auSzusprechcn gewohnt war, schien ihm, wenn er im Namen der Akademie schrieb, noch mehr als sonst nöthig. „Ich will die Geschichte der Französischen Akademie fortzusetzcn ver suchen", schrieb er 1772 an Friedrich; „doch wie viel Mühe wird es kosten, nicht auSzusprechcn, was ich denke, und doch meine Gedanken, indem ich sie verberge, burchschimmern zu lassen." — „Die Zeit", schrieb er in gleichem Sinne an Voltaire, „wird das, was wir gedacht, von dem, was wir gesagt haben, unterscheiden lassen." D'Alcmbcrt beging nie cincu Vcrrath an der Philosophie; doch er sprach die Ergebnisse derselben oft sehr gemildert aus. Sic schien ihm ein göttliches Licht, dessen Strahlen man stets nur so weit enthüllen dürfe, als eS die mehr oder minder schwachen Augen deS Zu schauers vertrügen. Gerade ein Jahrhundert nach der Epoche, mit der Fontenelle seine Ge schichte der Akademie der Wissenschaften begann, im Jahre 1800, übernahm Georg Cuvicr die Fortsetzung derselben, und besorgte dieselbe zweiunvdrcißig Jahre. Während dessen hatte jedoch die Geistcsphilosophic den Naturwisscn- schäften gegenüber eine so hohe Ausbildung erlangt, daß sie Anspruch darauf machen durfte, besonders rcpräsentirt zu werben. Sic halte einc Revolution, hervorgebracht, sie konnte somit wohl eine Akademie fordern. So wurde 1795 das Institut gegründet, welches der erste Konsul auflöste und welches erst die Regierung von I8Z0 wieder hcrstellte. Herr Mignet, der immcrwährenbe Secrctair dieser Akademie, hat gegenwärtig ihre Geschichte begonnen, iuvem er seine bei dem Tode der Mitglieder gehaltenen Neben unter Vein Titel „Xoliees ob mömoiros lüstoriguos" herausgegebcn hat. Während der Restauration war die Geschichte ter Französischen Revolu tion fast nur denen bekannt, welche selbst eine Rolle in ihr gespielt hatten, doch diese wurden immer seltener- Es war daher nöthig, baß die Kämpfe uuscrcl Väter für die Nachwelt ausgezeichnet würben, doch dies konnte nur von Män nern geschehen, welche mit unbefangenem Blicke der ganzen Reihe jener groß artigen Umwandlungen gefolgt waren, und sie weder vergötterten noch aus Abscheu entstellten. Diese Pflicht gegen die Nation erfüllte» Thiers und Mignet. Daß einc Akademie nun, welche der Französischen Revolution ihre Entstehung verdankte, einen der Geschichtschreiber ter Rcvoluiion zu ihrem dauernden Secretair erwählte, war ein glücklicher Griff. Das Talent und die Kenntnisse des Schriftstellers waren dem Geschäft angemessen, zu dem ihn biesc Wahl berief. Die ältesten und berühmtesten Mitglieder ker neuen Akademie gehörten den verschiedenen Epochen der Revolution an. ihr Leben und ihre Gesinnung schildern hieß daher noch einmal die Getchichte der politischen Rege neration Frankreichs schreibe»; und Zinn Glück sstblte sich Herr Mignet be rufen, die Schöpfung, der cr seinen Rubin verdankt, ,» veränderter Gestalt zu wiederholen. So schrieb er die Lobreden auf SieycS, Röderer und Merlin und entwickelt dabei den Gang wie die Ideen und Gesetze der Revolution. Am wenigsten glücklich war vielleicht der Gedanke, daß er den Fürsten von Talleyrand schon einige Monate nach seinem Tode in einer Reoe schilbene. Nicht als ob diese Rede Mignet's hohes Talen! verleugnete; roch ist cs über haupt möglich, einen Mann genügend zu beurthcilen, zu dessen Geschichte uoch so viele Zeugnisse erwartet werden? Der Fürst von Tallcyrand ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, die seit 1789 das Schicksal Europa's haben ge stalten helfen; er ist auf die Stufe, die cr in der Geschichte cinnimmt, durch