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Wöchentlich erscheinen drei Nunnnern. Pränumewtions-Preis 224 Siibergr. s) Thir.) vierteljährlich, Z Thir. lut dnS ganze Jahr, ohne Erhöhung in allen Theilen der Preußischen Monarchie. MagrsZi ßs für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Iägerslraße Nr. 28), so wie von allen König!. Post-Acmtcrn, aligenommen. Literatur des Auslandes. . 69. Berlin, Sonnabend den 8. Juni 1844. Spanien. Briefe über Spanien. I Königin Isabella II. und ihr Hof. Madrid, M. September msa. Seitdem die Königin von ihrem Ausflüge nach San Ildefonso und dem Eskurial nach Madrid zurlickgekehrt ist, habe ich öfter Gelegenheit, sie au öffentlichen Empfangtagen und im Prado zu sehen, wo sie häufig mit ihrer Schwester, der Infantin Luisa, und einem kleinen Gefolge spazieren fährt. Sobald sie sich zeigt, entblößt Jedermann das Haupt, die Wagen halten, die Damen erheben sich von ihren Sitzen und bleiben stehen, bis sie vorüber gefahren ist. Bei öffentlichen Versammlungen und Lustbarkeiten sind stets Bildnisse der Königin ausgestellt, denen das Volk, wie den Bildern der Heiligen, seine Huldigung darbringt. Geht sie in das Theater, so wird das Schauspielhaus reich ausgcschmückt und glänzend erleuchtet. Im Augenblicke, wo sie in ihrer Loge erscheint, stimmt das Orchester den Königsmarsch an, wahrend die versammelte Menge die Königin mit einem Sturm von ÄivalS empfängt, Blumen und Kränze aus den Logen und Galeriecn regnen und Vögelchen, mit vielen bunten Bändern, losgelaffen im Saale umherfliegen. Zugleich ist eS Sitte, daß ihr bei ihrem Eintritt ins Theater auf silbcrucn, mit Blumen bekränzten Schüsseln ein elegant gebundenes Eremplar des äuge- kündigten Stückes und ein auf Seide gedruckter Theaterzettel überreicht wird. Im Uebrigcn ist cs von Alters her cingeführt, daß Niemand, so lange die Königin dem Schauspiele beiwohnt, zu applaudircn wagt oder gar ein Zeichen der Mißbilligung hören läßt. Alle Zuschauer, Männer und Frauen, kehren während der Zwischenakte der königlichen Loge das Gesicht zu. Es ist immer ein Volksfest, wenn sich die Königin im Publikum zeigt; auch wird ihr Erscheinen im Theater gewöhnlich einige Tage vorher angeküu- digt, und ihr und der Infantin Namen figurirt auf den Anschlagczettclu neben der Liste der Schauspieler. Dann sind die Preise der Platze erhöht, denn nur an solchen Tagen werden die Billet-BüreauS von der Menge belagert, da inan in Madrid, mit Ausnahme der Stiergefcchte, die Schauspiele nicht be sonders liebt. Zu den Vorstellungen aber, in denen man die Königin er- wartet, legt alle Welt, Mann und Frau, Reich und Arm die FesttagSklcider an, und Jeder zeigt Schcn und Ehrfurcht in der Atmosphäre der königlichen Würde, wie wenig auch diese Würde der Pracht und Größe der alten spani schen Monarchie noch gleichen mag. Man gab gestern das Ballet „die Gipsp". Die Ballets, welche mau aus Paris hierher verpflanzt, werden hier mit weit weniger Präcision ausgcführt, als dort; besonders sind die Frauen nachlässiger und ungraziöser, aber auch ungebundener und kecker als auf der großen Oper zu Paris. Eine Pariserin, glaube ich, würde sich vor den Pirouetten der spanischen Tänzerinnen die Augen verhüllen, und dennoch verlangt man, ver möge eines wahrhaft feinen NatioualgefühlS, den größten Anstand, sogar Sprödigkeit für die Nationaltänzc, und würde die DolorcS vom Theater des Varietes auspfcifen, wenn sie in Madrid tanzte, wie in Paris. Das Königthum ist also, wie Sie sehen, in Spanien noch gewissermaßen von einem Heiligenschein umgeben und durch einen eigenen Kultus gefeiert. Diese Ehrfurcht vor der königlichen Majestät ist hier eine überlieferte Gewohn heit und von dem Charakter des Spaniers untrennbar, muß aber unsere Ver- wunderung um so mehr erregen, als die Sitten im Allgemeinen völlig demo kratisch sind. Man sieht noch heute nicht selten spanische Große mit ihrer Dienerschaft auf brüderlichem Fuße leben, Minister sich mit ihren Sub- alternen duzen und sogar Generale so freundschaftlich mit ihren Untergebenen verkehren, als ob die militairischc Disziplin keine Schranke zwischen sie ge setzt hätte. Die Königin wird als Königin und als Spanierin geliebt. Die Opfer, welche die Nation seit zehn Jahren ihrer Sache gebracht, die Hoffnungen, welche ihre Thronbesteigung erweckt hat, alles Blut, das in dem siebenjährigen erbitterten Kampfe vergossen worden, knüpft bas Volk an die Königin. Sie ist die Ursache seines Unglücks, sie muß auch die Bringerin besserer Tage seyn. Unter den Augen des jetzt lebenden Volkes ward sie geboren und wuchs sie heran. Es sah sie in der zärtlichen Pflege ihrer Mutter, bann als Waise -j Die folgende» Briefe find einem größeren Werke des französischen CäpitainS TanSti entnommen, das so eben unter dem Titel ,,l/k»p<>gn« -n Idla et Mää" erschein! und neden der Geschichte der texten Parteikämpfe interessante Sittenschitderungen enthält. und Spielball der Parteien. Darum hat das Volk sie in seinen Schutz genommen; es sammelt sich um ihren Thron und ruft in allen politischen Un gewittern des Landes ihren Namen, als Zauberwort des Friedens und der Versöhnung. Isabella II. ist das Unterpfand einer Epoche ^er Wiedergeburt, das Banner eines neuen Zeitalters, das dem Lande Glück und Ruhe bringen soll. Alle Parteien hoffen von ihrer Regierung,-die Einen freisinnige Prinzipien erwartend an der Stelle der alten Vorurtheilc, die Anderen einen Schutz suchend gegen die Zcrstörungswuth der Neuerer und deren Träume von dem Glücke der Gesetzlosigkeit. Darum ist die Königin auch überall vorzugsweise Gegenstand der Unterhaltung und zahlreicher Aufmerksamkeiten. Man erzählt sich, was sie gesprochen hat, und prophezeit aus ihren unbedeutendsten Hand lungen für die Zukunft des Landes. Isabella wird am nächsten 10. Oktober ihr dreizehntes Jahr erreichen. Sie ist für dieses Alter hinlänglich entwickelt und hat jenes kränkliche Aussehen verloren, das einst ihre Mutter in lebhafte Besorgniß versetzte. Ihre Stirn ist breit und hoch, und ihr hervorragendes Kinn erinnert an das Geschlecht der spanischen Bourbonen. Alle, die zu ihrem näheren Umgänge zugelaffen sind, rühmen ihre Freundlichkeit, Offenheit und Heiterkeit. Wenn sie spricht, belebt sich ihr Gesicht und nimmt jenen Ausoruck der Würde und Hoheit an, der die Züge ihrer Mutter auSzeichuet. Die schönen blauen Augen geben ihrem Blicke etwas Sanftes und Sinnendes, das ganz die Güte und Empfänglichkeit ihre» GcmütheS ahnen läßt. Als man ihr anzeigte, daß die öffentliche Ccrcmonie ihrer MajorennitätS-Erklärung bald stattfinden würde, stellte sich ihr die Amme ihrer Schwester, eine Bäuerin aus der Gegend von Madrid, vor, um ihr Glück zu wünschen. Die Königin warf sich ihr in lebhafter Aufregung in die Arme und konnte nicht ohne Thräncn von ihr Ab schied nehmen. Die regste und aufrichtigste Zuneigung hat immer zwischen den beiden königlichen Waisen bestanden. Eine rührende Eintracht herrscht unter ihnen und eine Zärtlichkeit, die sich in jedem Augenblicke tundgiebt. Man erinnere sich nur des naiven und gefühlvollen Briefes, den die junge Infantin an ihre Schwester richtete, als dieselbe majorenn erklärt werden sollte, und den alle Zeitungen damals ihren Lesern mittheilte». Die Königin Marie Christine, der selbst ihre Feinde einen bewunderns würdigen Takt und ein großes Herrschertalent nicht absprechcn können, wachte mit der größten Sorgfalt über die Erziehung ihrer Töchter. An der Seite ihrer Mutter sahen sie sowohl die eraltirten Huldigungen einer berauschten Volksmenge, als auch die Meutereien von Lagranja, Barcelona und Valencia. Die Liebe Isabellens zu ihrer Mutter hat der langen Trennung und allen An strengungen getrotzt, die unter der Regentschaft Espartero'S von ihren Vor mündern gemacht wurden, sie ihr zu entfremden. Marie Christine hat durch ihr Beispiel und ihre Lehren ihren Töchtern eine tiefe Ehrfurcht vor den Geboten der katholischen Religion eingeprägt. Jüngst begegneten die Königin und die Infantin, auf der Rückkehr von einer Spazierfahrt, dem heiligen Sakrament, das man nach der Kirche von San GilleS trug. Sie stiegen alsbald vom Wagen und gingen, von den Ehren damen begleitet, zu Fuß nach der Kirche, wo sie auf den Knicen lagen, bis die Ceremonie beendigt war. Als die Königin und ihre Schwester wieder herauSkamen, wurden sie von einem enthusiastischen Jubel empfangen, und die Straße wicderhallte von dem Rufe: Viva la relna l'inlantaü»! so er baut war die Menge von diesem Akte der Frömmigkeit. Seit der Abdankung Marie Christinens lebten die Königin und ihre Schwester fast isolirt im Schlöffe. Ihr Vormund Arguelles, ihr Studien- Direktor Quintana und besonders einige Lehrer erfüllten sie mit Mißtrauen oder Widerwillen. Einer von diesen, ein gewisser Lujan, hatte ihnen einmal einige Ereignisse aus der Geschichte Ferdinand's VH. zu erzählen und that dies auf so rücksichtslose und unpassende Weise, daß die Königin von einem Nervenanfall ergriffen wurde. In den beiden letzten Jahren waren ihre Hauptbeschäftigungen Musik und Malerei. Die junge Königin, vor der mau stets den wahren Grund der Entfernung ihrer Mutter geheim gehalten hatte, versäumte keine Gelegenheit, ihre Liebe zu derselben zn zeigen. So lernte sie mit sichtlichem Eifer alle die jenigen Musikstücke, die sie mitsammen gehört hatten, und in ihren ersten Versuchen im Zeichnen waren eS wiederum die Züge ihrer Mutter, die sie sich bemühte, darzustellcn. Natürlich war keine andere Aehnlichkcit in dem Bilde, als die mit dem Ideale, das sie von der Mutter in ihrem Herzen trug.