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Wetter-Pr»g»»se für Freitag, den 15. April: Seine wesentliche AenHer»ug in den heftehenbeu WitternngSverhSltutffen zu erwarte«. S3. .... Freitag, de» 15. April. Erscheint jeden Wochentag Abend» ü llyr für de» andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2b Pf., tweimonatlich 1 M. b0 Pf. u. etnmonatl. 7b Pf. ' md Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen nad Wüschen Bchörden zn Freiberg nnd Brand, venmwxrtlicher R^akteur Iuliu» Brau» in Freiberg. Inserate »erden bi» Bormittag» 11 Uhr angenom- a - mm und beträgt der Preis für die gespaltme Zeile g oder deren Raum 1ü Pfennige. Ver Staat uvd dar wirthschaftliche Leben. Der Staat hat dem wirtschaftlichen Leben gegenüber zu verschiedenen Zeiten eine verschiedene Stellung einge- »ommen. Im Mittelalter bekümmerte er sich gar nicht darum; in später» Jahrhunderten wiederum suchte er das wirthschaftliche Leben bis in's Kleinste hinein von sich abhängig zu machen, zu leiten und zu beaufsichtigen. Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat der Staat, allerdings mir allmählich und Schritt vor Schritt, sich von jeder Einmischung in dieser Richtung wieder zurückgezogen. Die Meinung brach sich Bahn, es sei am besten, wenn der Staat sich gar nicht um die Erzeugung und den Aus tausch der materiellen Güter kümmere. In allerneuester Zeit scheint sich wiederum die entgegengesetzte Strömung geltend zu machen; der Staat fängt an, selbstthätig in's wirthschaftliche Leben einzugreisen; er will die wirthschaft- lichen Kräfte nicht mehr sich selbst überlassen. Man kann sagen, diese verschiedene Stellung des Staates hängt mit der Kraft eng zusammen, welche die Zcntral- gcwalt überhaupt entfaltet. Im Mittelalter war sie gleich Null, darum war die Staatsgewalt ganz unfähig, solche Aufgaben auf wirthschaftlichcm Gebiete zu löse». Nach der Reformation, mit der fortschreitenden Auflösung des römischen Reiches, stieg die Macht der einzelnen Landes herren und damit wuchs für sie auch der Reiz, ihre Machtsphärc auf das wirthschaftliche Leben auszudehnen. Mit der französischen Revolution kam die Reaktion gegen diese Machtfülle der Zentralgewalt; das Individuum be gann seine Rechte gegen die Vergewaltigung durch den Staat geltend zu machen und die Macht des Staats ganzen wurde zu Gunsten des Einzelnen allmählich einge schränkt. Neuerdings aber, nachdem bei uns über den einzelnen Territorien und Stammesgemeinschaftcn ein starkes und kräftiges junges Gemeinwesen von einem Um fange erstanden, wie bisher noch nie dagcwesen, fühlt dieses große Gemeinwesen die Versuchung, seine Kraft such auf dem wirthschaftlichen Gebiete zu erproben. Andererseits läßt sich aber auch annehmen, daß neben der Machtfülle der Zentralgewalt die wirthschaftliche Lage an sich bei diesen ganz verschiedenen Stellungen des Staates zu den wirthschaftlichen Dingen mitgewirkt hat. Im Mittelalter, als für die dünne Bevölkerung noch Raum genug vorhanden war sich auszubreiten, als das »och in der Entwicklung begriffene wirthschaftliche Leben Jedem reichlich Nahrung bot, lag für den Staat ebenso wenig Veranlassung vor, sich um solche Dinge ordnend und leitend zu kümmern, wie cs z. B. jetzt in der nord- amerikanischen Union der Fall ist Es hatte Jeder eben Raum genug sich auSzuleben und Keiner kam dem Anderen sonderlich in den Weg. Nach dem Elend des 30jährigen Kriege-, welcher unser Vaterland dem vollständigen Ruin »ahe brachte, wurde es anders. Mit der Kraft des Ein zelnen ging eS nicht mehr; die durch das Band des StaateS zusammengehalteneu Gcsammtkräfte Aller mußten eintreten, um Hilfe zu schaffen. Und der Staat schaffte damals, wenigstens in vielen Fällen, die erforderliche Hilfe. Wie wir auch heutzutage über die sehr sonderbar ausschende Wirthschaftspolitik der meisten Fürsten in jener Zeit denken mögen, so müssen wir doch gestehen: was in der ganzen Periode vom 30jährigen Kriege an bis zu den Befreiungskriegen für unsere wirthschaftliche Wohl fahrt geschehen ist, verdanken wir dem Staate. Hierbei sehen wir selbstverständlich von solchen Monarchen ab, welche nur der eigenen Lust fröhnten. In unserem Jahrhundert freilich begann eine neue Epoche. Die Zeit der Dampfkraft und der Eisenbahnen erheischte andere Verhältnisse. Die Umwandlung aller Lebensverhältnisse beschäftigte so viel Hände, daß Mes ganz vortrefflich ging. Eisenbahnen wurden gebaut, Fabriken aller Art angelegt; die Bedürfnisse der Menschen wuchsen in's Ungemessene. Es ging mit einem Worte Alles vortrefflich, weil es Arbeit in Hülle und Fülle gab und die vermöge der erleichterten Verkehrsverhältnisse von uns aus dem Nuslande bezogenen Produkte mit den Erzeugnissen unserer Fabrikthätigkeit vortheilhaft ausgetauscht werden konnten. So brauchte man also den Staat nicht, um sich wirthschaftlich wohl zu fühlen. Im Allgemeinen durfte bei dem sich rapid und ganz von selbst ohne staatliche Einwirkung vollziehenden Aufschwünge des wirthschaftlichen Lebens Jeder zufrieden sein. Glaubte Jemand Ursache zu Klage und Unzufriedenheit zu haben, so war es gewiß mehr über die Hindernisse, welche die Ucberbleibsel des alten staatlichen Wirtschaftssystems dem Irischen und fröhlichen Aufblühen der Volkswirthschaft entgegensetzten, als über mangelnde Fürsorge des Staates. Diese Epoche liegt aber jetzt schon hinter uns! Unser Eisenbahnnetz ist gebaut; unsere Fabrikthätigkeit macht der ausländischen gewaltige Konkurrenz; das uns Nah rungsmittel - liefernde Ausland will unsere Industrie- Produkte nicht mehr cintauschen. Nun wird also die Lage weit kritischer für uns! Der ein halbes Jahrhundert andauernde wirthschaftliche Aufschwung hat erheblich nach gelassen, der Einzelne kommt in's Gedränge. Nun er schallt also auch der Ruf, der Staat möge ordnend und regulirend in diesen Wirrwarr cingrcifen. Bei einem solchen rein historischen Rückblick, der übrigens nur unsere allgemeine wirthschaftliche Entwick lung im Großen und Ganzen in Betracht zieht und von Einzelerscheinungen ganz Abstand nimmt, hat eS gar nichts Befremdliches, wenn heute gefordert wird, der Staat möge aus seiner bisherigen passiven Rolle im Wirtschaftsleben hcraustreten. Dabei ist überdies zu bedenken, daß der Staat von heute — den wir ja Alle ammt und sonders mit gestalten und auf den wir ein wirken, als dessen lebendige Glieder wir uns fühlen — denn doch etwas Anderes bedeutet als der alte Polizei- taat aus der Zeit des Absolutismus, dessen Vexationen allerdings ein gewisses Mißtrauen gegen das Eingreifen der Staatsgewalt erzeugt haben. Auch ist das Prinzip der Selbsthilfe, welches ja mit Recht gepriesen wird, sowie die Nichteinmischung des Staates in wirthschaftliche Dinge nie so vollständig durchgeführt worden, wie man gern glauben machen möchte. Es handelt sich also bei dem Eingreifen des Staates in das Wirthschaftsleben der Nation, wie es heute von den Einen verlangt und von den Anderen heftig bekämpft wird, um gar nichts so Fremdartiges und Unerhörtes. Das auseinanderzusetzen versuchen wir ein anderes Mal. Armenerziehung und Rettungswesen. Für die am 23 Mai in Aarau beginnende General versammlung des schweizer Armencrziehervercins ist das Haupttraktandum dahin auszüglich festgestellt: „Wer den Armen sagt, daß sie aus ankere Weise als durch Fleiß und Sparsamkeit ihre Lage verbessern könnten, ist ein Volksveriührec" Franklin.! Uns Armenerzievern liegt die Pflicht ob, unsre Kinder so zu unterrichten und zu erziehen, eaß sie sowohl vor dem sozialen Elend wie vor sozialiflischen Ideen bewahrt dleivcn. Dies geschieht durch: ») Gewöhnung zu Fleiß und Wbeittzsreudigkeit, zu Genügsamkeit und Dank barkeit, Sparsamkeit und häuslichem Sinn, K> tüchtige Bildung, die sich nicht nur aus erweiterte Kenntnisse, sondern vorzüglich auch am sittlich religiöse Vertiefung deS Gemachs und Ernst ver Gesinnung bezieht, -) gründliche Erlernung eine- den Fähigkeiten des Zöglings angemessenen Berufes. — Da durch christliche Erziehung eine Seite der sozialen Frage wobk am gründlichsten gelöst wird, so suchen wir mit allen zu Gebote stehenden Mitteln Propaganda zu machen für unsere Sache und daS Interesse dafür im Volke zu wecken, damit nach und nach ermöglicht werde, alle lene bemitletdenSwerthen Kleinen den Segen guter Erziehung genießen zu lassen. Auch aus dem seit Jahrzehnten in großem Stile segens reich wirkenden „Rauhen Hause" der hamburgischen Land- scmeinde Horn liegt ein neuer, vom Sohne des berühmten Stifters, Herrn I- Wichern, herausgcgcbener interefsynter Jahresbericht vor. Der Name „Rauhes Haus" fkeyt.in keiner Verbindung mit dem Zwecke der Anstalt, sondern rührt her von dem Strohdache, unter dem 1833 das In stitut eröffnet wurde, das seit Menschengedenkcn im Volks munde den Namcn geführt, dessen Erbauer Ruge hieß, daher plattdeutsch Ruges Haus, woraus hochdeutsch Rauhes Haus ward. Wir erfahren aus dem Berichte, daß jetzt 24 größere und kleinere Häuser zur Anstalt gehören. Das Zusammenleben der Genossen ist zunächst nicht das einer Familie, sondern das mehrerer Familien und familien- ähnlichcr Kreise. Je 12—15 Kinder wohnen unter Aus sicht von Gehilfen, „Brüdern", in einem Häuschen zu sammen. Die Anstalt ist lediglich aus Privatmittcln ge gründet und zu ihrem jetzigen Umfang herangewachsen. Hierzu gehören Kinderanstalt, Lchrlingshaus, Brüder anstalt, Pensionat, Druckerei, Buchhandlung und Buch binderei. Der Bericht gicbt Ausführliches über die Leitung der verschiedenen Theile und Zweiganstalten, den Gcsuuo- hcits-, Wirthschafts- und Kassenstand, Lehrpläne rc. — Nicht blos aus den gedruckten Angaben zu lesen, sondern auch aus den lebendigen Ergebnissen ist ersichtlich, daß man hier die Erziehung keineswegs in Kenntnissen ohne Fertigkeiten sucht, sondern, und zwar vorzugsweise aus sittlichen und gesundheitlichen Gründen, bemüht ist, neben dem Wissen auch angemessene körperliche Beschäftigung zu Pflegen, zur Selbständigkeit anzuleitcn, „Pünktlichkeit, Sorgfalt, Treue und Arbcitsfrcudigkeit auch im Kleinsten zu Wecken, damit die Kinder das Große und Größte lernen: einander in Liebe zu dienen". Eigentlich fabrikmäßige, blos dem Gelderwerb dienende Beschäftigung bleibt grund sätzlich ausgeschlossen, wodurch indessen Herstellung nütz licher Gebrauchsgegcnstände nicht gehindert ist, wie Buch- bindcrartikel Holzschnitzereien, Schuhwerk, Kleidungsstücke, Bürsten, Besen, Matten, Tischler-, Korb- und Stuhlflechter- Arbeitcn rc., welche die Verfertiger meist ihren Angehörigen schenken dürfen. Mit der Arbeit geht eine schlichte Belehrung über ihren Zweck Hand in Hand. Oeffcntliche Ausstellungen der besten Sachen geben einen Sporn ab. Der um Errichtung von Arbeitsschulen hoch verdiente )änische Rittmeister Klausson-Kaas hat denn auch die Anstalten mehrfach besucht und kürzlich ein sehr aner kennendes Schreiben an den Vorstand gerichtet. Neben Haus-, Land- und Gartenarbeiten werden auch Gesang-, Bcwegungs- u. a. Spiele, mit Ausschluß der auf Gewinn gerichteten, nicht vernachlässigt. Erwähnung verdient bei dieser Gelegenheit, daß ganz neuerdings das preußische Zwangserzichungsgesetz mehr Beachtung von Seiten der Lokalbehörden und des Publi kums findet. Hoffen wir, daß die Einsicht von der hohen Bedeutung der Angelegenheit sowie die öffentliche Theilnahme in dieser Richtung immer allgemeiner, lebendiger und be flissener werde. Denn zweifellos hat die Gesellschaft darin nicht blos eine „brennende Tagcsfrage" im gewöhnlichen Wortsinnc vor sich, sondern eine Hauptaufgabe für Gegen wart und Zukunft. War je eine Zeit geeignet, schlafende Gewissen aufzurüttcln, so ist cs die gegenwärtige, welche im Gemüthe weiter Volksschichten Sprengstoffe noch ge fährlicherer Art als Dynamitlagcr anzuhäufen droht, denen gegenüber die strengsten Gesetze und die wachsamste Polizei ohnmächtig sind. Durchgreifend wirksame Schutzmittel gegen Explosionen dürfen wir nur in mannigfaltigster sozialer Hilfsthätigkcit, sorgsamer Jugenderziehung und gutem Beispiele suchen. .4