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Freiberger Anzeiger > ' und Tageblatt. Erscheint jeden Wochentag ftüh 9 Uhr. Preis vierteljährlich 15 Ngr. — Inserate werden an den Wochentagen nur hiS Nachmittag« S Uhr für die nachsterscheinende Nummer angen-wmen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. 2^^ Mittwoch, de« 8. Deeember 1855. Der unhaltbare Zustand. Ueber den Zustand in Rußland gehen uns einige Notizen zu, die sich in ihrer ursprünglichen Fassung nicht zur Veröffent lichung eignen, die uns aber Veranlassung geben zu dem Aus- spruch, daß Rußland nicht im Stande ist, diesen Zustand der Dinge lange zu ertragen, und genöthigt sein wird, sich jeder Friedensbedingung, die man "ihm stellt, zu unterwerfen. Daß der russische Handel zu Grunde gerichtet ist, daß seine Küsten zerstört und verödet sind, das ist bei Weitem nicht das Schlimmste. Theilweise ist das eigentliche russische Volk zu wenig an Bedürfnisse des Handels gewöhnt, theilweise hat die ser Handel aus anderem Wege, wenn auch mit enormen Kosten, doch seinen Fortgang. Der Schmuggelhandel an den Grenzen ist so außerordentlich belebt, daß gegenwärtig in Rußland man ches deutsche Fabrikat billiger zu haben ist, als früher. — Kaf fee, Zucker, Reis sind freilich jenseits theurer, als ehedem; al lein es find diese Lebensmittel in Rußland nicht nationale Be dürfnisse, wie bei uns, sondern eine Art Luxus, den nur der Reiche besser bezahlt. — Die Ausfuhr aus Rußland, namentlich von Rohproducten, wie Talg, Leder, Hanf u. s. w., ist freilich höchst beschränkt und nur auf die kostspieligen Wege der Land straßen verwiesen; allein selbst dies wäre noch das Schlimmste nicht; denn Rußland ist im Innern und Großen kein Handels- fiaat; seine Ausfuhr kam auch sonst nicht dem Landmanne zu Gute, sondern bereicherte nur den Kaufmannsstand, der, gering an Zahl, große Schätze anzuhäufen pflegte. Durch den jetzigen Zustand verliert also der russische Landbewohner wenig, der Verlust trifft hauptsächlich den Kaufmannsstand, der zumeist so gar aus Ausländern besteht. Und da^diese meist reich sind, so vermögen fie die Lasten der jetzigen Zeit noch zu tragen. Allein das, was Rußland wirklich aufzehrt, das ist der Kriegsbedarf, der mit außerordentlichen Opfern erkauft werden muß. » „ s Man braucht Pulver. Dazu muß man Schwefel und Salpeter haben. Die Einfuhr dieser Materialien ist auf dem Seewege völlig unmöglich: die Neutralität der angrenzenden Staaten verhindert auch die direkte Einführung auf dem Land wege. — Was ist zu machen? Es muß der Handel herange zogen werden und seine indireete, sehr kostspielige Aushilfe bie ten. - Der Handel ist erfinderisch; er führt den Schwefel nicht in üblicher Form nach Rußland, sondern schmilzt ihn um und schmuggelt ihn unter anderem Namen durch; ja der Handel fabricirt den Salpeter zu einem sogenannten Düngmittel und bringt ihn unter dem Titel Guano nach Rußland. — Daß hier bei außerordentlicher Gewinn für den Kaufmann abfällt, ist klar, daß Rußland diesen Gewinn willig htngeben muß und hingiebt, liegt in der Natur der Sache; daß eS aber dann, wenn diese Materialien durch die vielen Kauftnannshände ge gangen sind, von denen jede sich daran, so weit es geht, berei chert, daß Rußland dann genöthigt ist, die Materialien noch einmal einer Behandlung zu unterwerfen, um sie zur Pulver fabrikation brauchbar zu machen, das macht jeden Schuß Pul ver fünfmal theurer, als es naturgemäß ist, und setzt dadurch dem ganzen Kriegswesen des Staates seine Grenze, die eS nicht überschreiten kann. Man spricht viel von der Reichswehr, die Rußland einge richtet und schon auf den Beinen hat, und liest auch in allen Zeitungen von den Schießwaffen, mit denen fie versehen find. Das hat nun freilich seine Richtigkeit. Rußland hat sich vor trefflich mit Schießwaffen versorgt und ist wirklich im Stande, aus den Arsenalen alles Volk mit denselben zu versorgen; allein was ist eine Schießwaffe ohne Pulver mehr als eine Keule, mit welcher die Kriegsmänner wilder Völker sich bewaffnen? — Man versichert uns, daß es sogar an Pulver mangelt, um die sen neugeschaffenen Soldaten auch nur zu zeigen, wie solch eine Flinte losgedrückt werden muß. Dieser Uebelstand ist noch von zwei anderen begleitet, welche so recht zeigen, wie sehr Rußland zurücksteht gegen seine Feinde und deren kultivirte Länder. — Rußland ist thatsächflch reich an Schwefel; dieser ist in der Zinkblende enthalten, aus wel cher der Schwefel freilich nur aus kostspielige« Umwegen ge nommen werden kann. Allein nicht nur jetzt, sondern von jeher schon haben habsüchtige Spekulanten die reichen Lager der Zink blende auszubeuten und zu bebauen versprochen und die Staats unterstützungen in außerordentlichem Maße in Anspruch, ge nommen , ohne auch nur entfernt damit zu beginnen. Wie in hundert anderen Fällen, wo . man in den Berichten an den Kai ser Dinge als ausgeführt angegeben hat, die kaum begonnen worden sind, so hat man es auch hier gemacht. Spekulanten, Lieferanten und Beamte haben sich bereichert, und der Staat geht leer aus. Die Zinkblende liefert nicht nur keinen Schwe fel, sondern nicht einmal Zink. — Bei diesem Mangel an Ge- werbefieiß ist der Staat immer mehr genöthigt, sich den Pro-