Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.09.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189809113
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18980911
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18980911
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-09
- Tag 1898-09-11
-
Monat
1898-09
-
Jahr
1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.09.1898
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis In de* Hauptexpedition oder den «'m Stadt- tezirk und den Vororten errichteten vlu«. oabestkllen abgeholt: vierteljährlich.^l4.bt1, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus b.LO. Durch die Post bezogen siir Deutschland und Oesterreich: vienelchhrUch 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandienduug ins Ausland: monatlich 7,üO. Die Vlorgen-Ausgabe erscheint um '/«7 Uh^ di« Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. LeLaclion und Lrpedition: 2-hanneögaffr 8. Di« Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend- 7 Uhr. Filialen: ktto klemm'« Sortim. (Alfred Hahn), UniversitätSstrabe 3 (Paulinum), KlpMr Tagtblal Anzeiger. Ämtsölatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes und Volizei-Ämtes -er Lindt Leipzig. Anzcigeu-Preis die 6 gespaltene Petitzrile 80 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten) 50^, vor den Familiennachrichteu (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis,. Tabellarischer und Zifiernsah nach höherem Tarif. Ortra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe. ohne Postbefürderung .es 60.—, mit Postbefürderung 70.—. —- ..r - Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen- Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anreisen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Loui» Lösche, Aatharinenstr. 14, pari. und König-Platz 7, W. ' Sonntag den 11. September 18S8. 92. Jahrgang. Kaiserin Elisabeth ermordet. Im nächsten Januar werden e- zehn Jahre, daß im einsamen Jagdschloß Mairing Kronprinz Rudolph, die Hoffnung de« österreichischen Kaiserhauses, mit zerschmetterter Hirn schale in seinem Blute gefunden wurde. Weinend stand da« öster reichische Volk an der Bahre seines geliebten Erzherzog- und tiefe Trauer erfiilltedie Eltern und Verwandten de« Verstorbenen. Am meisten aber traf wohl der Schickialsschlag mit seinen bi« heute noch nicht veröffentlichten Nebenumständen die kaiserliche Mutter und noch ernster, noch mehr in sich gekehrt, der Well und ihrem Hause entfremdet, wandelte seit jener Zeit die stolze Erscheinung der Kaiserin beinahe ruhelos umher. Von Ort zu Ort zog die einstmals so stolze, schöne Frau, die Beschützerin der schönen Künste, und nur wenige Male sahen die Wiener, sahen die begeisterten Ungarn sie wieder in ihrer Milte. Auch Kaiser Franz Josef, der an seinem Leben-abende so recht viel von den Nöthen und Sorgen seine« hohen verantwortungsvollen Amte« kennen lernt, dem nichts erspart bleibt, wa« die Politik in seinem schönen Lande an Ungereimtem und Unverständlichem produciren kann, sah seine Gemahlin in der letzten Zeit nur selten. Selbst die mannig fachen Vorbereitungen zum fünfzigjährigen Regierungs- Jubiläum konnten die stille Kaiserin nicht in Wien fesseln, und als sich zu ihrem Gemüthsleiden noch ein Herzleiden gesellte, ging sie nach Nauheim, von wo sie sich anscheinend gekräftigt nach dem Genfer See begab. Dort an den Ufern de« Lac Lenian, in dessen Fluchen sich die ehrwürdigen Häupter der schnee bedeckten Alpen spiegeln, die so viele Jahrhunderte kommen sahen und gehen sehen werden, dort wo die Natur ihre ganze überwältigende Majestät entfaltet, wo der Hauch de« Großen und Gewaltigen über den kleinen menschlichen Interessen weht, dort sollte Kaiserin Elisabeth plötzlich sterben, aber nicht eines natürlichen TodeS, sterben von feiler Mörderhand, sterben von der Hand eine- Wahn witzigen. Der Telegraph meldet: * Genf, 10. September. (Schweizerisches Tele graphen Bureau.) Die Kaiserin von Oesterreich, die hente Nachmittag gegen '/«I Uhr Vas Hotel Bcan Nivagc verlassen hatte, nm sich zur Landungs drücke des TampserS z» begebe», wurde vo» einem Menschen in roher Weise angesallcu und gestoßen, so daß sic niederste!. Sic crhob sich alsbald wieder und gelangte bis zum Schiffe, wo sie das Bewußtsein verlor. Ter Eapitain entschloß sich auf das Drängen der Personen des Gefolges, das Zeichen zur Abfahrt zu geben. Kurz darauf aber stoppte das Schiff und kehrte zur Landungsbrücke zurück. Ta die Kaiserin noch immer ohne Bewußtsein war, brachte man sic aus einer improvtsirtcn Bahre nach Sem Hotel zurück, wo sic einige Augenblicke später verschied Man stellte fest, Satz die Kaiserin durch einen Stilctstich in der Gegend des Herzens ermordet worden war. ES ist, al« ob die Größe des Verbrechens mit der Größe der Natur wetteifern, als ob die Tragik, die so ost in das Geschick des österreichischen Kaiserhauses mit rauher Hand gegriffen hat, sich nochmals mächtig offenbaren wollte. Eine österreichische Kaiserin, eine kunstliebende Fürstin, einst vergöttert von ihrem Volke, jetzt seit Jahren nur eine trauernde, ruhelose Mutter, eine Frau ohne die Spur irgend eines politischen Einflusses, sich und ihrem Schmerze allein lebend, muß fallen von der Hand eines Menschen, dem sie nie zu nahe getreten ist, von der Hand eines Menschen, der vielleicht die Verruchtheit seiner That nicht begreift, der nur dazu bestimmt wurde durch die wahu- sinnigen Lehren, die in jedem gekrönten Haupte, in jedem besser gekleideten Menschen ihren natürlichen Feind erblicken, einen Feind, der nur in ihrer Phantasie lebt, dem sie aber ihre Feindschaft ausdrängen und gegen die sich, wie wiederum diese traurige That beweist, die menschliche Gesellschaft schützen und der sie mit aller Kraft begegnen muß. Der Stiletstich deS Anarchisten ruft von neuem da- Be wußtsein der Gefahr zurück, in der sich die gesellschaftliche Ordnung befindet, wenn sie weiterhin die Verbreitung der Lehren des Anarchismus duldet, macht aber auch wiederum darauf aufmerksam, daß die freie Schweiz auch noch andere Interessen im Zusammenhang mit den Culturstaaten zu verfolgen hat, als eine Cantönlipolitik, daß sie noch mehr als bisher Obacht auf diejenigen Elemente zu geben hat, die in dem schönsten Lande der Welt die häßlichsten Leidenschaften pflegen. Daß sich in diesem Sinne an den Mord der Kaiserin politische Folgen knüpfen werden, ist wohl zu erwarten. Die verewigte Kaiserin war als die älteste Tochter deS Herzogs Maximilian Joseph von Bayern am 24. Dccember 1837 geboren. Sie vermählte sich am 24. April 1854 mit dem Kaiser Franz Joseph und gebar ihm drei Kinder; die Erzherzogin Gisela, vermählt mit dem Prinzen Leopold von Bayern, den verstorbenen Kronprinzen Rudolf und die Erz herzogin Marie Valerie, vermählt mit dem Erzherzog Franz Salvator. Als die Kaiserin noch in der Blüthe ihrer Jahre stand, ragte sie unter den gekrönten Häuptern durch ihre hehre Schönheit und ihre hohen Geistesgaben heraor. Ihrer Be geisterung für die Dichtkunst und insbesondere für ihren LieblingSdichter Hemrick Heine gab sie oft Ausdruck. In ihrem glänzenden Palast auf Korfu, dessen schneeweiße Marmorwände die blauen Fluthen der Adria umspiegeln, hat sie ihm ein Denkmal errichtet und zugleich ihrem Geschmack an der herrlichen Baukunst in ausgiebigster Weise Rechnung getragen. Als sie 1867 als Königin von Ungarn gekrönt wurde, gewann sie sich im Sturm die Herzen ihrer LandeSkinder, denen sie durch ihre Liebe zum Reitsport noch besonders nahe stand. Jetzt liegt die hohe Frau, die seit zehn Jahren das Gewand der Trauer nicht abgelegt haben soll, auf einem Ruhebette des Hotels in Genf, erlöst von aller Qual irdischen Leidens, eingegangen in ein besseres Jenseits, und in kurzer Zeit werden ihr Gemahl und ihre Kinder ihr Todtenlager weinend umstehen und der Schatten ihres Todes wird den Glanz und den Jubel der fünfzigjährigen Wiederkehr der Thronbesteigung des Kaisers verdunkeln. Die Hellen, leuchtenden Farben werden ver schwinden und schwarzen, düsteren Platz machen, die fröh lichen Augen des Volkes werden sich mit Thränen füllen und das heitere Lachen schwermüthigem Ernste Platz machen. ES ruht eine tiefe Stille über dem Hause Oesterreich .... Der Persönlichkeit deS Mörders ist man bald auf die Spur gekommen. ES ist ein in Paris geborener italienischer Staatsangehöriger Namens Luccheui. Ob er noch Mitschuldige hat, ist bis jetzt nicht bekannt. Seine That erweckt wieder die Erinnerung an das jüngst gemeldete, aber abgeleugnete Gerücht von einem Attentat auf die jugendliche Königin Wilhelmina der Nieder lande. Sollte doch an dem Gerücht etwas Wahre- sein, sollten die Handlanger einer feilen Mörderbande, die sich mit einem politischen Mäntelchen drapirt, neue Anschläge planen? Werden sie zu Opfern ihrer Verbrechen jetzt die Frauen wählen? Das Verbrechen in Genf giebt manches Räthsel auf, die Regierungen werden sich beeilen müssen, e- zu losen. Aus der Woche. Zufolge der soeben gedruckten Offenbarung einer russischen weisen Frau liegt der Einladung deS Grafen Mura- wiew die Absicht zu Grunde, die Souveränität über die Welt zwischen Rußland und Großbritannien zu theilen und die übrigen Staaten band- und mundtodt zu machen. Nun ist es noch nicht gewiß, ja nicht einmal wahrscheinlich, daß die „Kleinen" sich dem Willen de« Riesen von Plewna unter werfen werden, aber in einem Puncte hat die zeitung schreibende Hellseherei richtig gesehen: England bleibt selbst ständig. Es läßt vierzehn Tage nach der Ueberraschung von St. Petersburg an zwei Puncten die Kanonen donnern und an einem wenigstens aus freier Entschließung. Es muß da- Bedauern eines jeden guten Menschen erwecken, daß der Idealismus, der so plötzlich an der Newa au-gebrochen ist, so rasch den Vorhang vor der Wirklichkeit ausgezogen sieht, aber es läßt sich nicht ändern. Hat aber die mehrfach er wähnte Dame recht, so bedeuten die Schüsse von Omdur- mau und Kreta dem Grafen Murawiew ja auch keine Ent laus ckung. Was der Zar mit England vorhat, kann man trotz aller männlichen und weiblichen Verkündigungen nicht genau wissen, Deutschland aber meint es offenbar wieder einmal sehr gut mit den Inselbewohnern, die wir herkömmlicher Weise unsere Vettern nennen, denen wir uns aber allem Anschein nach enger verbunden fühlen, als eS die Bezeichnung für den „weitschichtigen" Verwandtschaftsgrad anzeigt. Die Delagoabai! Die Ossiciösen, und sie sind nck boo stark vermehrt worden, spielen eine sonderbare Rolle. Sie versichern, Alles sei gesund, und bitten in einem Athen« in ständigst, zu schweigen oder voch so leise zu flüstern, als ob eine Leiche im Hause läge. Wir fürchten. Letzteres trifft zu, denn wir sehen dieselbe publicistische Methode angewandt, die immer hervorgeholt wird, wenn die Regierung etwas Werthvclles an den Mann gebracht hat. Zuerst wurde bestimmt von entsprechenden Zugeständnissen gemeldet, dann wurde geschlossen, wenn unsere Regierung den Briten einen Braten wie die Delagoabai in die Küche trage, so könne sie das unmöglich um Gotteslohn getban haben, weiterhin wurde das dabingegebene Object für minderwerthig erklärt und schließlich — das ist immer der letzte Trumps des neuen Curses — etliches auf die „Nörgler", die Han- tirer mit „Schlagwörtern" gescholten. Schmeichelhaft für die Regierung ist das Vertheidigungssystem ihrer An wälte nicht. Wenn gesagt wird, daß man der Regierung nicht „von vornherein" oder „ohne Weiteres" zutrauen dürfe, daß sie einen Fehler in der Delagoa-Angelegenbeit gemacht habe, so verräth das wenig Vertrauen in die Unschuld der hohen Clientin. Außerdem, und daS ist wichtiger, ist die Ver- lheidigung auch rechtlich unhaltbar. Man hat keine „recht liche Handhabe" zu einem Protest gegen den Uebergang des Schlüssels von Transvaal in die Hände Englands gehabt, und „aus der Frage eine Kriegsfrage zu machen, das werden in Deulsckland nur sehr wenige Menschen ver langen. Also: Kriegführen oder Nachgeben, das ist die einzige Alternative, welche eine Diplomatie kennt, die für nicht „ungeschickt", für nicht „unfähig" zu halten, ein hoher Adel und ein verehrtes Publicum von den Officiösen Tag für Tag gebeten werden. Und angesichts dieses Neichthums an Behelfen wagt die „Post" nock die Versicherung: im Aus wärtigen Amt „lebt der Bismarck'sche Geist fort". Bismarck's Geist! Du lieber Himmel! In diesem Falle wären wir mit dem Geiste — Marschall's zufrieden. Dieser — übrigens mit Recht — vielgetadelte Staatsmann bat im Februar 1895 durch den deutschen Botschafter in London erklären lassen, die deutschen Interessen in Südafrika verlangten die Sicherung des Status guo betreffs der Bahnen und des Hafens in der Delagcabei. Haben sich diese Interessen gewandelt oder hat die Wahrung deutscher Interessen aufgehört, eine „rechtliche Handhabe" gegen die Bereicherungssucht fremder Staaten zu bilden? Das Erstere ist nicht der Fall und von Letzterem bat man neuerdings oft genug das Gegen- theil gevört. Es wird aber mehr und mehr zur Gewißheit, daß unsere überseeischen Behauptungsneigungen platonischer Natur sind. Wir reden und schreiben, daß so Manchen un geheuchelte Befürchtungen vor deutschen WeltinacktSaspirationeu anwandeln, und wenn es auf viel weniger ankvmmt, capitn- liren wir vor — Cecil Rhodes. Den Hymnus auf unser Helden thun« werden die erst demonstrativ mit Zuversicht auf deutschen Schutz erfüllten und nun im Stiche gelassenen Buren coin- poniren. Er dürfte nur schriller in die Ohren klingen, als die englischen Wutkausbrüche nach dem Raubzuge Iameson's. Für einen Franken kann jeder elsaß-lothringische Französ- ling erklären, daß er nicht deutsch bleiben will; Minder bemittelte sogar für noch weniger. Mit der schon erwähnten Volksabstimmung gegen bezahlte Znlassungskarten erobert die Privatindustrie ein neues, ergiebiges Gebiet. Der Unter nehmer Francis Laur wird bald Nachahmer finden. Viel leicht wird nächstens auch unter den deutschen Arbeitern nachgefragt, ob sie in den Zukunftsstaat nach Bebel'sckcn Entwurf eintreten wollen; das müßte aber billiger gemacht werden als die rlkaß-lotbringische Abstimmung, die übrigens nicht nur zur Anerkennung eines gewerblichen Genies, sondern auch zur Bewunderung der deutschen Socialdemokratie heraus fordert. Diese hat nämlich das von Frankreich aus veran staltete 80-Pfennig-Scrutinium ernst genommen, und im „Vor wärts" wurde vorgeschlagen, die Theile der Reichslande, die deutsch sein wollten, bei Deutschland zu belassen, die anderen an Frankreick abzutreten. Die Agitation für eine Abstim mung mit solchen Folgen würde eii« willkommenes Wirkungs feld für unsere patriotische Socialdemokratie eröffnen, aber der Gedanke ist zu schön, als daß er verwirklicht werden könnte; selbst die „Freis. Ztg." des Herrn Richter will davon nichts wissen. Nachdem die Kriegervereine von« General Spitz zur Ausstoßung von Socialdemokraten und anderen bewußten Gegnern von Kaiser und Reick aufgefordert worden waren, wurde in der Presse, auch an dieser Stelle, vor unbedacht samer Durchführung der an sick richtigen Maßregel gewarnt. Die dieser Warnung zu Grunde liegende Besorgniß bat sick rasch in ungeahntem Maße gerechtfertigt. Man sckicßt viel fach über das Ziel, und es hat sich, wie berichtet, in Mühlhausen i/TH. sogar zugetragen,daß derBezirkscommandeur, sowie die Reserve- und Landwebrofficiere aus dem Bezirks- Kriegerverbande austraten, weil dessen uationalli berater Vorsitzender einen Aufruf zu Gunsten eines freisinnigen Reichstagscandidate«« unterzeicknet hatte. Der Gegen- candidat war vom Bunde der Landwirtbe ausgestellt, zu dessen Begründung s. Z. mit der Aufforderung ein- geladen war: „Wir müssen schreien wie Socialdemokraten". Ein soweit gehendes Sichbekümmern uni parteipolitische Dinge, das selbst an Parteipolitik streift, ist geeignet, das Fettilletsn. Eine Federheldin. Skizze von C. Eysell (Berlin). Nachdruck vnboren. Frau Anna lag auf der Chaiselongue unter dem großen Fenster, das zu ebener Erde nach dem Garken hinausging, und schrieb — «inen Tag, wie all« Tag«. Heber ein Jahr war es nun her, daß sich der Schnee zuerst über ein kleines, frisches Kindergrab gebreitet — und das Auge der Mutter hatte dieses Grab noch nicht gesehen. Als sie ihr den Knaben genommen, nach kaum zwei Wochen süßen, überschwänglichen Mutterglückes, schwankte sie selbst im heftigsten Fieber zwischen Tod und Leben. So bang zitterte der junge Gatte um das Leben der geliebten Frau, daß sogar der Tod des Kindes ihm keinen allzu heftigen Eindruck machte. Was war ihm das Kind? Wenn sie ihm nur erhalten bliebe, sie, das Weib seines Herzens, die Lieb« seiner Jugend! Und sie blieb ihm erhalten, sie genas. Allerdings nur zu einem Leben des Siechthums. Daß ihnen sobald kein Ersatz für den verlorenen Knaben werden würde, sagten die Aerzte gleich, wie weit aber die Schwäche und Nervenlähmung, die Frau Anna befallen, sich mit den Jahren bessern werde, davon sagten sie nicht«. Wie lang die Tag« waren! Anna blieb viel allein, denn Max nahm seine Stellung als Director in einer großen chemischen Fabrik ernst und hielt sein« Arbeitistunden regelmäßig inne, und wa- sie für ihren kleinen Haurhalt von der Chaiselongue au« anordnen konnte, war bald versorgt. Anfang» erhielt sie Besuche über Besuch«; man bracht« ihr Blumen, Früchte, Bücher. Aber allmählich merkten die Besucherinnen so deutlich wie sie selbst, daß die Berührungspunkte geringer wurden — und nicht allzu lange, so vergaß man dir jimg« Frau. Da» Einzige, wa» Anna in ihrer Einsamkeit prstrrut«, war das Schreiben. Zuerst war es nur ein einfaches Tagebuch ge wesen, dessen Blätter sie anvertraute, was sie gegen Niemanden, auch gegen ihren Gatten nicht auszusprechen wagte. Jetzt aber schrieb sie für den Druck, und das Hochgefühl, das in diesem Bewußtsein lag, gewann fast die Oberhand über den Schmerz. Dieses schüchterne Entzücken, als sie ihrem Gatten ihr erstes Werk vorlegte, und sie es zusammen, Stirn an Stirn, lasen: „Was mein Kind mir war". Wie er sie küßte und ihr sagte, daß sie nun seelisch gesunden würde, da es ihr gelungen, ihren Schmerz in dichterischer Form zu äußern! Und dann das Schwanken zwischen zitternder Hoffnung und Enttäuschung, als sie — gegen den Willen ihres Gatten — die Arbeit einer Zeitung nach der anderen angeboten und mit den abscheulichen, über höflichen, ablehnenden Formularen ein Mal wie alle Mal zurück erhalten hatte! Wie diese Mißerfolge sie drückten, wie bitter es war, die Illusion zcrflattern zu sehen, als könne eine nützliche Thätigkeit wieder Inhalt in ihr Leben bringen. So lange sie schrieb, hielt die Hoffnung auf ein Gelingen sie aufrecht, mit jedem Mißerfolg verschlechterte sich ihr körperliches Befinden, nahm die Schwäche in den halbgelähmten Beinen zu. Ihrem Gatten schnitt es ins Herz, sie so hinsiechen zu sehen. Es kam ihm jammervoll zum Bewußtsein, wie die letzten Wochen sie verändert hatten. Diese schmaler gewordene Wange, die ein gesunkene Stelle an der Schläfe, an der sich blaue Aederchen markirten, die rührenden, so mager gewordenen Händchen. Ein ungemessenes Mitleid mit der kleinen, kindischen Frau, die sich einer Chimäre zu Liebe aufrieb, überkam ihn. „Liebchen", sagte er eines Tages, „was Du geschrieben haft, ist an sich wunderschön, es fehlt Dir nur die geschäftliche Routine, die Sachen an den Mann zu bringen. Vertraue mir doch 'mal diese große blau« Mapp« an, die schon ganz geschwollen von Manuskripten «st, und versprich mir, einstweilen die Feder hinzulegen und nicht zu sorgen." Ungefähr rin Monat mochte seitdem vergangen sein, al» Max um die Mittagsstunde zu Anna in» Zimmer trat. Die ganze Stube war mit Sonnenschein erfüllt, da» echte Wetter für einen Erfolg! „Meinen Glückwunsch, kleine Frau! Der Ssiin, der von den Bauleuten verworfen wurde, ist zum Eckstein erhoben worden u. s. w. — will sagen, die feinsinnigen Arbeiten einer jungen Frau, die von den Zeitungen abgelehnt wurden, werden nun, zu einem schmucken Bande vereinigt, ihre Auferstehung feiern. Büttenpapier, jede Seit« roth umrandet, wie bei einem anerkannten, geehrten Schriftsteller. Na, was sagst Du? Du bist ja ganz starr?" „Vor Freude", sagte sie zitternd. „Ist es wirklich wahr, Max?" „Ganz wirklich wahr. Für die Tageszeitungen waren Deine Sachen zu gut, zu wenig von aktuellem Interesse. Mit der Buchausgabe ist es etwas Anderes, in dieser Form werden sie sicher ihren Leserkreis finden. Fehlt nur noch Titel und Pseudonym." Am liebsten wäre Anna mit vollem Namen für ihr Buch ein getreten, das gestattete aber ihr Gatte in seiner Eigenschaft als „Geschäftsführer" nicht, und so wurde aus der schlichten Anna Erber eine wohlklingende „Anita Erbori". Ueber den Titel einigte man sich bald: „Erlebtes". Das war ein Augenblick voll Entzücken sondergleichen, als Anna das erste fertige Exemplar in d^n Händen hielt. Sie konnte sich an dem Titekblatte kaum sattsehen und wiederum voll ängstlichen Zagens sich nicht entschließen, in das Buch zu blicken. In dem Gewände dieser vornehmen Typen erschien Alles unendlich viel gediegener, einzelne Sätze mutheten sie an, als hätte sie sie überhaupt nicht in dieser Tiefe des Gedankens, dieser Abrundung der Form niedergeschrieben. Es wäre übermenschlich gewesen, von einem solchen Erfolge ganz zu schweigen. Es wurde der einzigen treu gebliebenen Freundin mitgetheilt, und wie ein Lauffeuer ging das Gerücht durch die Stavt: Frau Erber hat ein Buch geschrieben. Mit einem Male waren auch alle di« alten Bekannten wieder zur Stelle. Sie Alle würden bei dem großen Interesse, daS sie immer für Anna empfunden, sofort das Buch gekauft haben, wenn sie sich nicht gesagt hätten, daß ^n Exemplar mit einer Widmung von der Verfasserin eigener Hand ihnen unendlich viel werthvoller sein würde. Frau Anna begriff dies und schenkte mit vollen Händen aus ihrem Schatze von Freiexemplaren, und da geschenkte Bücher stets unbedingter Anerkennung gewiß sein dürfen, wurde sie auch Anna's Werke in reichstem Maße zu Theil. Natürlich genügte Frau Anna diese freundschaftliche Krnik nicht auf die Dauer. Sie bestürmte Max, sich an den Verleger zu wenden, um etwa eingegangene Kritiken zu fordern. Ein: Weile blieben diese Briefe resultatlos, eine aroße nervöse Un geduld übermannte sie. Endlich traf eine reiche Auswahl von Kritiken ein. Sie waren auf lange Streifen von gewöhnlichen: grobem Zeitungspapier nur einseitig gedruckt und trugen am Rande den handschriftlichen Vermerk, aus welcher Zeitung sic entnommen worden. Dies sei die gebräuchliche Form von Be legen, belehrte Max sie, die sogenannte „Fahne", deren Leitern erst später zum Druck in die Maschine eingehoben würden. Was dort auf dem häßlichen, groben Papier stand, war allerdings um so blendender. Da fanden sich Worte wie: „ein eigenartiges, kraftvolles, frauliches Empfinden" — „die un gekünstelte, lebenswahre Darstellung der einzelnen Episoden" — „die scharfe Charakterifirung der Personen", und endlich al- hervorragendste Besprechung von allen Folgendes: „Es ist ein Buch, das man sich nicht aus der Leihbibliothek holt, durchjagt und wieder fortgiebt, oder das man von guten Freunden borgte; es ist ein Buch, das man besitzen muß." Und als hätte das Publicum vorahnend diesen Rath des Kritikers befolgt, war auch die gleichzeitig eintreffende Ab rechnung des Verlegers die denkbar günstigste, und ein nettes, runde» Sümmchen floß in Frau Anna's zierliche Hände. Fast er schien es zu viel des Glückes auf einmal. Aber diese mächtige Freudenwelle, die über die junge Frau hinwegging, warf sie nicht zu Boden, sondern stärkte sie, gab ihr Gesundheit und LebenS- freudigkeit zurück. Frau Anna blühte aus, frischer und rosiger als je. Und schneller, al» die Aerzte erwartet hotten, begannen auch die Lähmungserscheinungen zu schwinden. Nachmittag», wenn ihr Gatte abwesend war, hielt fi« förm lich Hof unter ihren Freundinnen, wobei sie mm nicht mehr auf der Chaiselongue, sondern malerisch hingegoffen in einem alter-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite