Volltext Seite (XML)
scharfe Beobachtungsgabe, seine geistreich-liebenswürdige Art denkbar sinn fällig offenbart. Obwohl Hindemith in der musikalischen Kennzeichnung von Charakteren an eine alte deutsche Tradition anknüpft, die vier verschiedenen menschlichen Naturen dem Hörer ungemein plastisch vorführt, gibt er nicht zu gleich psychologisch-illustrative Tonmalereien, sondern zeigt typische Reaktio nen der einzelnen Temperamente auf bestimmte, im thematischen Material der Komposition gegebene musikalische Gedanken. Hindemiths prägnante Charak terzeichnung stützt sich ausschließlich auf eine originelle, kunstvolle Verwand lung des zugrunde liegenden Themenkomplexes, die sich durch besondere An schaulichkeit der Klanggestik auszeichnet. Genaugenommen wird ein dreiteiliger Themenkomplex in vier ebenfalls dreiteilig angelegten Variationen abgewan delt. Das thematische Material — ein lyrisches, melodisch ausgreifendes Strei- cher-Moderato, ein figuratives Allegro assai des Soloklaviers, ein pastoraler Schlußgedanke der Streichersoli, der dann vom Solisten mit Quintfiguren ver ziert wird — bleibt bei aller rhythmischen, tonartlichen und dynamischen Ver änderung in den einzelnen Sätzen im wesentlichen stets erkennbar. In der ersten Variation wird die Verhaltensweise eines Melancholikers darge stellt. Zu vollgriffigen Klavierakkorden spielt die gedämpfte Solovioline wehmü tig die Melodie. Einem huschenden Streicher-Presto folgt ein langsamer, pathe tischer Marsch, dessen schwermütigen Rhythmus der Solist beharrlich aufgreift. Ganz anders sieht der Sanguiniker — in der zweiten Variation — das themati sche Material, über alle Gegensätzlichkeit des Ausdrucks hinweg stimmt er ei nen lebhaft-stürmischen, impulsiven und optimistischen Walzer an. In der drit ten Variation begegnen wir der Trägheit des Phlegmatikers. Ein gleichförmiges Moderato der vier Solostreicher eröffnet, gefolgt von einem gutmütigen Alle- gretto des Klaviers. Aus dem Pastorale-Teil des Themas wird eine humorige, von Solovioline und Solobratsche angestimmte Melodie, grundiert vom mo notonen Rhythmus des Klaviers und der Pizzikatobässe. Mit einem stürmischen Rezitativ, aufgewühlten Akkordfolgen greift nunmehr in der vierten Variation der Choleriker in das musikalische Geschehen ein. Sein heftiges, jähzorniges Temperament erzeugt einen unruhigen, vielfach unterbrochenen musikalischen Verlauf ohne eigentliche thematische Fortspinnung. Als Mittelteil erscheint ein Streicher-Scherzo. Das Pastorale ist schließlich zu einem dramatischen, theatra lischen Maestoso aufgebläht mit wütenden Passagen des Solisten. In machtvol lem C-Dur klingt die Kompsition aus. Die Werke des französischen Komponisten Cesar Franck — u. a. Orato rium „Les Beatitudes" (Die Seligpreisungen), Sinfonie d-Moll, Sinfonische Va riationen für Klavier und Orchester, Sinfonische Dichtung „Psyche", Klavierquin tett f-Moll, Streichquartett D-Dur, Violinsonate A-Dur, Präludium, Choral und Fuge für Klavier, zahlreiche weitere Orgel- und Kammermusikwerke — errangen fast ausnahmslos erst nach dem Tode des Komponisten Anerkennung und Er folg; zu seinen Lebzeiten waren ihm und seinem reichhaltigen, vielseitigen Schaffen wenig Glück beschieden, seine Kompositionen vermochten sich nicht durchzusetzen. Franck, als Sohn eines wallonischen Vaters und einer deutschen Mutter 1822 in Lüttich geboren, kam früh nach Paris, wo er als Schüler des Konservatoriums zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen errang, die ihm spä ter, als reifem Meister versagt blieben. Jahrzehntelang lebte er als Musiklehrer und Organist unter ärmlichen Verhältnissen in Paris, ehe er 1872 als Profes sor an das Konservatorium der Stadt berufen wurde und dort bis zu seinem Tode im Jahre 1890 tätig war. Einflüsse der Romantik und Spätromantik, ins besondere von Brahms, Liszt, Wagner und Berlioz, aber auch der französischen und deutschen Musik des 18. Jahrhunderts (Rameau Bach) wurden von seiner starken schöpferischen Persönlichkeit verarbeitet, verschmolzen im Werk des be deutenden Komponisten in interessanter Verbindung zu einer eigengeprägten Tonsprache. Francks Sinfonie d-Moll, eines seiner wenigen Werke, die bei uns häufiger zu hören sind (obgleich seine Musik gerade durch die von Bach, Brahms und Wagner empfangenen Anregungen der deutschen keineswegs we sensfremd ist), wurde zwischen 1886 und 1888 komponiert und 1889 in Paris uraufgeführt. Die schöne und bedeutende, in ihrer Grundstimmung schwermütig nachdenkliche Schöpfung in einem typisch spätromantischen, farbig-weichen Ausdrucksstil gehalten, umschließt in ihrer weiten Gefühlsspanne Empfindungen von zarter Innigkeit ebenso wie starke dramatische Ausbrüche. Deutlich wird der leidenschaftliche Kampf gegen Gefühle tragischer Einsamkeit und Zerris senheit, das innere Streben nach Klarheit und Licht, nach Befreiung und Freu de. Das dreisätzig angelegte Werk, dem ein langsamer Satz fehlt, gehört sei nem formalen Aufbau und seiner thematischen Gliederung nach zur zyklischen Form; der Sinfonie wird durch die leitmotivartige Verwendung der Hauptthe men in allen drei Sätzen, das Aufgreifen der einzelnen Themen in mannigfal tiger Beleuchtung, eine gedankliche und gestaltungsmäßige Einheit verliehen. Von einem langsamen Abschnitt (Lento) wird der erste Satz eingeleitet, der durch einen häufigen Wechsel von Tonarten und Tempi charakterisiert wird und vowiegend heftige, stürmische Gefühlsausbrüche, schmerzliche Spannungen zum Ausdruck bringt. Das melancholische Hauptthema des Satzes, das bestimmend für dessen Verlauf wird, erklingt anfangs in Bratschen, Celli und Kontrabässen und wird im folgenden Allegro rhythmisch und in seinem Charakter verändert. Noch einmal schließt sich der Wechsel zwischen schwermütigem Lento und hef tig-trotzigem Allegro an. Ein zweites, kantables Thema in Violinen und Holz bläsern bringt kaum Tröstung. Motive beider Themen werden in einem durch führungsartigen Teil verarbeitet. Obwohl es am Ende des Satzes, an dem das Hauptthema noch einmal wuchtig im Orchestertutti ertönt, zu einem Dur-Aus klang kommt, wird die schmerzliche Ausgangsstimmung nicht überwunden. Nach einer kurzen Einführung durch Harfe und Streicher trägt das Englischhorn das melodische Hauptthema des zweiten Satzes (Allegretto) vor. Klarinetten und Hörner, nach acht Takten durch die Flöte verstärkt, antworten ihm. Im Mit telteil des poetischen Satzes, der insgesamt heiterer und entspannter als der erste Satz angelegt ist, haben vor allem die Violinen eine führende Rolle inne. Hauptmotive der beiden anderen Sätze erscheinen wieder im Finalsatz (Allegro non troppo), der mit stürmischen Einleitungstakten einsetzt und den schließli chen Sieg über die — auch noch hier wieder wirksam werdenden — tragischen Elemente des Werkes bringt, Neu treten zu den bereits bekannten, wieder auf gegriffenen Motiven noch das Kopfmotiv des Finales (Fagotte und Celli) sowie ein Seitenthema der Blechbläser. Hell und licht bietet sich endlich der überzeu gend gestaltete, befreiende Ausklang der Sinfonie in feierlichen Klängen der Bläser, in prächtigen Klangfarben des vollen Orchesters dar. VORANKÜNDIGUNG: Sonnabend, den 17. Februar 1979, 20.00 Uhr (Freiverkauf) Sonntag, den 18. Februar 1979, 20.00 Uhr (AK/J) Festsaal des Kulturpalastes Dresden 5. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Pietro Argento, Italien Solist: Gustav Schmahl, Leipzig, Violine Werke von Corelli, E. H. Meyer und Ravel Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Spielzeit 1978/79-Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: GGV, Produktionsstätte Pirna - 111-25-12 2,85 T. ItG 009-9-79 EVP-,25 M (•Nlhanrroonte 6. PHILHARMONISCHES KONZERT 1978/79