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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.03.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-03-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960307027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896030702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896030702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Bemerkung
- Images teilweise schlecht lesbar
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-03
- Tag 1896-03-07
-
Monat
1896-03
-
Jahr
1896
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Kröfiere Schriften laut unserem Preis- Verzeichnis;. Tabellarischer und Wernsatz nach höherem Tarif. Vrtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesvrderung 00.—, mit Postbrförderung 70—. Ännahmelchluß für Änzriyen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen. Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen jr eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die EpPeffition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz kn Leipzig SV. Jahrgang. Amtlicher Theil. Bekanntmachung. Auf die für das Jahr 1895 festgesetzte Dividende der Reichs- bankantheile im Betrage von 5,88"/« wird die Restzahlung mit Mark 71,40 für den Dividendenschein Nr. 15 vom 7. März d. Js. ab bei der Reichsbankhauptcasse in Berlin, bei den Rcich-bankhauptslellen, Reichsbankstellen, der Reichsbankcomniandite in Insterburg, sowie bei sümmtlichen ReichSbanknebenstellen mit Casseneinrichtung erfolgen. Berlin, den 6. März 1896. Ter Reichskanzler. In Vertretung: v. Boetticher. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Mär;. Die Zweite sächsische Kammer hat die Wahlgesetz vorlage rascher erledigt, als außerhalb des Königreichs er wartet worden war. Die breiten Erörterungen, welche die Borlage in der Presse gefunden hatte, erleichterten jedoch der Kammer die Entschließung gan; wesentlich. Es wäre Zeit verschwendung gewesen, wenn die Redner die gedruckten Reden der Anhänger und der Gegner der Vorlage wiederholt hätten. Ohnehin kamen in der Debatte neue Gesichtspunkte nicht zu Tage; die Sacke war also völlig spruchreif. Die imposante Mehrheit von 56 Stimmen, die der Minderheit von 22 Stimmen entgegenstand, wurde zu rascher Tbat überdies ganz wesentlich durch jeneGegncr getrieben, die ihreGegnersckaft mit Gründen belegten, wclcke für das allgemeine gleiche und directe Wahlrecht und für die Herabsetzung der Alters grenze von 25 Jahren auf 21 Jahre angeführt werden können. Durch diese Gegner batte die Besorgniß erweckt werden müssen, die Socialdemokratie werde bei ihren Agita tionen für die Einführung des durch keinen Census ein geschränkten allgemeinen Wahlrechts für alle mehr als 21jährigen Staatsangehörigen durch einflußreiche nicht- socialvemokratische Männer unterstützt werden und da durch Aussicht aus noch stärkere Vertretung in der Zweiten Kammer erlangen. Einer solchen Ueberflutbnng rechtzeitig vor zubeugen, hielt die Majorität für ihre patriotische Pflicht. An die Prophezeiung der Gegner, die staatstreuen Wähler der dritten Abtheilung würden sich durch die „Entrechtung" massenhaft in das socialdemokratische Lager treiben lassen und dadurch den Hauptzweck des Gesetzes illusorisch machen, glaubte die Majorität mit Recht ebensowenig, wie an die Behauptung der socialdemokratischen Redner, sie würden mit Vergnügen aus der Kammer scheiden, da man ihnen durch daß Wahlgesetz das beste Mittel zur Förderung ihrer Agitation liefere. Die staatstreuen Wähler der dritten Abtheilung, die bisher nicht social demokratisch wählen wollten, sind sicherlich weder so tböricht, noch so unpatriotisch, künftig socialdcmokratisch wählen zu wollen, weil die Wahl socialdemokratischer Candidaten er schwert werden soll. Hielten die socialdemokratischen Kammerredner ihre bisherigen Gegner in der dritten Ab theilung wirklich für so thöricht und unpatriotisch, so hätten sie eine so lärmende Agitation gegen den Gesetzentwurf sicher lich nicht entfacht. Man» wehrt sich doch nicht gegen Ein richtungen, von denen man für sich einen Vortheil erwartet. Um aber die günstige Wirkung des Gesetzes noch mehr zu erhöben, entschloß sich die Mehrheit noch in letzter Stunde Zu einer wesentlichen Aenderung der Vorlage, indem sie die zweite Wählerabtheilung beträchtlich erweiterte. Ihr sollen unbedingt alle Diejenigen angebören, die mindestens den Be trag von 38 (nicht von 50 wie die Regierungs vorlage wollte) an direkten Staatssteuern entrichten. Dem durch die zweite Abtheilung vertretenen Mittelstände in Stadt und Land wird dadurch eine stattliche Anzahl kvnigStreuer Wähler zugeführt, während andererseits die dritte Abtheilung an Kopfzahl gemindert wird und dadurch — weil die Zahl der von ihr zu wählenden Wahlmänner die gleiche bleibt — einen Zuwachs an Einfluß der einzelnen Wähler erkält. Allerdings wird durch diese Veränderung die Wahrscheinlichkeit vergrößert, daß in einzelnen Wahl kreisen in der dritten Abtheilung lauter und in der zweiten Abtheilung wenigstens eine Anzahl socialdemokratische Wahlmänner gewählt werden. Aber der Zweck deS Gesetzes ist ja auch nicht die völlige Verdrängung der social demokratischen Abgeordneten, sondern nur die Beseitigung der Gefahr, daß die Zweite Kammer von solchen Abgeordneten überfluthet werde. An diesem Erfolge zweifeln wir bei unserer Kenntnis; des sächsischen Volkscharakters nicht und begrüßen daher den Beschluß unserer Zweiten Kammer mit Freuden. Daß er die Zustimmung der Ersten Kammer und die Sanktion des Königs finden wird, steht außer Zweifel. Und ist das Gesetz erst einmal in Kraft getreten, so werden zweifellos auch diejenigen unter seinen jetzigen Gegnern, die ibre Bedenken hauptsächlich aus dem Respekt vor dem be stehenden Wahlgesetze herleiteten, diesen Respect auf das neue Gesetz übertragen. Die conservative Fraktion des Reichstags, die nach der bei der ersten Lesung des Bürgerlichen Gesetzbuches abgegebenen Erklärung des Abg. v. Buchka wenigstens zu einem Theilc entschlossen zu sein schien, an der Civilehe in diesem Gesetzbuche nicht rütteln zu lassen, ist bekanntlich anderen Sinnes geworden und tritt jetzt mit einem an anderer Stelle mitgetheilten Anträge hervor, der die Ersetzung der obligatorischen Lurch die fa cu ltative Civilehe im Bürgerlichen Gesetzbuche fordert. Was die Partei mit diesem Anträge beabsichtigt — ob sie nur, wie die „Nat.- Ztg." vermuthet, auf diese Weise ihre gelockerten Beziehungen zur orthodoxen Geistlichkeit wieder befestigen, oder irgend eine Pression ausüben will — ist unklar, denn an eine An nahme des Antrages ist nicht zu denken. Selbst im Lager des Cent rums sieht man ihn als aussichtslos an. So bemerkt die „Köln. Bolksztg.": „Auf die Mehrheit darf der Antrag leider nicht rechnen, denn Conservative, Centruni, Polen und die übrigen Katholiken sind in der Minderheit. Aber selbst wenn der Antrag angenommen würde, könnte man nicht auf die Zustimmung der verbündeten Regierungen hoffen. Wir wenigstens wagen das nicht und glauben, daß wir werden zufrieden sein müssen, wenn wir vorläufig die Aus- scheidung der persönlichen Ehegesetzgebung aus dem Gesetz, buch erreichen. Tas wird nicht schwierig sein, falls die Con- servativen den nöthigen Ernst in der Vertretung ihres An- träges zeigen; denn dann wird die Regierung die Ausscheidung schließlich vorziehen. Mit dieser Ausscheidung würden wir uns schon deshalb begnügen müssen, weil mit der Beseitigung der obligatorischen Civilehe für uns noch keineswegs alle Steine des Anstoßes in dem Eherecht beseitigt wären. Es blieben vor Allem noch die Bestimmungen über die Ehescheidung. Als Katholiken müssen wir diese grundsätzlich verwerfen; die Conservativen werden sich aber auf diesen Boden nicht stellen. Sie bemängeln zwar die Bestimmungen des Entwurfes, wollen aber die Ehescheidung nicht ganz abschaffen. Hier ist eine Verständigung ganz unmöglich. Läßt man aber die ganze persönliche Ehegesetzgebung aus dem Entwurf heraus, so sind alle Schwierigkeiten gehoben. Hoffentlich sind für die Ausscheidung auch andere Parteien zu haben, die das Zustande kommen des Gesetzbuches wünschen." AuS diesen Ausführungen sieht man deutlich, worin daS alleinige Ergebniß des Vorgehens der Herrn von Manteuffel und Genossen bestehen kann: sie werden die obligatorische Civilehe nicht beseitigen, deren Ersetzung durch die fakultative daS Centrum kaum interessirt; aber sie können die Zahl der Schwierigkeiten vermehren, deren Summirung dem großen GesctzgebungSwerke gefährlich werden kann. Wenn, wie die „Köln. Volksztg." sagt, Conservative, Centrum, Polen rc. keine Mehrheit für die Civilehe bilden können, dann machen sie frei lich auch keine für die Ausscheidung des persönlichen Eherechtes aus dem Entwürfe aus, welche daS klerikale Blatt wünscht und die nach unserem Dafürhalten ebenso unannehmbar ist, wie die Ausscheidung der Bestimmungen über die Vereine, welche man behufs Beseitigung der in der Commission wegen dieser entstandenen Schwierigkeit vorgeschlagen hat. Aber da eS sehr verschiedene, von durchaus verschiedenen Beweg gründen geleitete Gegner des Gesetzbuches giebl, die sich schließlich in cigenthümlicher Constellation zusammensinden könnten, so ist es unverantwortlich, wenn Politiker, die sich für Anhänger des einheitlichen bürgerlichen Rechts auSgeben, der FractionSpolitik halber neue Schwierigkeiten Hervorrufen. In Lestcrreich feiert der Antisemitismus neue Triumphe. Die Wiener Gemeindewahle» haben damit geendet, daß die Antisemiten weitere vier Plätze eroberten und nun über mehr als Zweidrittelmehrheit verfügen. Die Anhänger Lueger'S haben einen bedeutenden Zuwachs erkalten, in der dritten Wählerclaffe, in der die breiteren Schichten des Bürgerthums dominiren, nicht weniger denn 5000 Stimmen, und selbst die Verheißungen, die man regierungsseitig den Beamten hinsichtlich der Erhöhung ihrer Gehälter unter der Voraussetzung gemacht hat, daß sie sich von der „christlich-socialen Partei" abwenden, sind wirkungslos geblieben, vr. Lueger wird also wieder zum Bürgermeister gewählt und nicht bestätigt werden unter Fortsetzung des jetzigen Regiments Friebeis, oder vr. Lueger wird einen Strohmann — man nennt den sehr unbedeutenden ckristlich-socialen Herrn Kupka — als Bürgermeister vor schieben und selber als erster Vicebürgernreister regieren, da diese Stelle nickt der kaiserlichen Bestätigung unterliegt, vr. Lueger erklärte, daß er seine Entschließung von seiner Partei abhängig mache, die freilich stark gespalten ist. Graf Badeni wird den Ausweg, wenn Lueger wenigstens formell sich der kaiserlichen Nichtbestätigung unterwirft, gelten lasten, um so mehr, als schon früher erklärt wurde, jeder Candidat der Mehrheit außer Lueger sei der Regierung genehm. Die Führer der Deutschliberalen, vr. Vogler und vr. Grübl, haben daher schon ein antisemitisches Regiment Lueger s mit einem Strohmann und einen „frischen fröhlichen Krieg" der liberalen Minderheit angekündigt. Völlig sicher ist dieser AnSgang jedoch nicht, zumal da die Deutschnationalen mit der zweiten Vicebürgermeisterstelle nicht sehr zufrieden sein dürften. Im liberalen Lager rechnet man jedenfalls auf den über kurz oder lang zu erwartenden Zwiespalt zwischen christlich-socialen und deutschnationalen Antisemiten, auf daS baldige „Abwirth- schäften" der Antisemiten, die ibre Versprechungen nicht würden halten können nnd auf die Abneigung der Wiener gegen ein Ueberwuchern des Klerikalismus. Nimmt, was auch möglich ist, Lueger die Wahl an, dann dürfte die Regierung den gor dischen Knoten mit dem Schwert durchhanen müssen, und in der Thal scheint sie hierzu geneigt zu sein. Denn wie schon vor einigen Monaten in Aussicht gestellt wurde, scheint jetzt für den äußersten Fall die Absicht einer Umänderung der Wiener Gemeindeordnung geplantzu werden, dergestalt, daß der Bürgermeister nicht mehr gewählt, sondern von der Regierung ernannt wird. Zu diesem Zwecke müßte aller dings der Niederösterreichische Landtag, der erst vor wenigen Wocken geschlossen worden ist, von Neuem zusammenberufen werden, um die Abänderung zu beschließen. Noch ist das neue Cabinet in Italien nicht gebildet, aber so viel scheint sicher, daß ihm kein Mitglied des so jählings gestürzten CabinetS Crispi angebören wird. Dieses Kat die Geschäfte zwei und ein balbeS Jahr unter den aller schwierigsten Verhältnissen geführt. Am 24. November 1893 reichte das Ministerium Giolitti in Folge der Bankscandale seine Entlastung ein. Schwer war eS im damaligen Augen blicke, als der Credit des Landes im höchsten Grade ge fährdet war, einen Nachfolger zu finden. Nachdem mehrere Versuche einer Neubildung des Cabinets gescheitert, er schien endlich Crispi als der Retter in der Noth, indem er endlich am 10. December ein neues Ministerium zu Stande brachte, daS eine Reibe bedeutender Capacitäten aufwies. Man nannte das Cabinet ursprünglich das „Ministerium der Regeneratoren". Ihm sollte die schwierige Arbeit zufallen, die wirtbschastlichen Schäden zu keilen, unter denen das Land schwer seufzte. Sellen hat em Ministerium eine so schlimme Erbschaft angetreten, und wenn beute das Cabinet unter den Verwünschungen eines Tkeiles des Volkes und denen der Kammer gefallen ist, so erheischt die Gerechtig keit, daran zu erinnern, waS eS in unheilvoller Zeit dem Lande geleistet, als Niemand sonst den Muth batte, kräftig Hand anzulegen. Freilich die Reformarbeit des CabinetteS wurde bald unterbrochen. Schon im December 1893, im gleichen Monat seines Regierungsantrittes, kracken jene socialistisch-anarchistischen Unruhen aus, welche Italien an den Rand eines verhängnißvollen Bürgerkrieges führten. CriSpi ist es gelungen, mit rücksichtsloser Strenge die Ruhe wieder herzustellen. Damit hat er Italien vor Wirren ge rettet, deren Folgen unabsehbar gewesen wären. Aber der zweite und wichtigere Theil feiner Aufgabe, die Durchführung fundamentaler wirtbschaftlicher Reformen zur Besserstellung der nothleidende» Bevölkerung, blieb unvollendet. Zwar wurde das Gleichgewicht des Budgets — eine Riesenaufgabt — wieder hergestellt, und der Credit des Landes, der vorher so schwere Stöße erlitten, hob sich unter dieser Regierung zusehends. Die afrikanischen Ereignisse ließen aber das Ministerium sein Werk der wirtbschastlichen Regeneration nur halb aussübren. Die Ausgaben für die neuen Truppensendungen nach Afrika und die ungeheuren, täglich eine halbe Million verschlingen den Kosten des abessinischen Feldzuges machten alle An strengungen des Finanzmmisters bald wieder zu nickte, und heute steht Italien nach der Katastrophe von Adua abermals vor einem tiefen Abgründe. Wenn beute Crispi geflucht wird, so ist daran zu erinnern, daß er den unheilvollen Feldzug nicht begonnen, sondern nur geglaubt bat, der nationalen Ehre es schuldig zu sein, ihn zu einem siegreichen glänzenden Abschluß bringen zu müssen. Die Schuld an dem nationalen Unglück, welches bei Adua über Italien herein gebrochen ist, lastet in erster Linie auf den Schultern der radikalen Schreier der Deputirtenkammer, welche über jede Lira, die nach Afrika ging, unbeschreiblichen Tumult erhoben. Auf sie mußte Crispi Rücksicht nehmen, wenn er das begonnene Werk der Reformen durchführen wollte, und das war sein Verhä'ngniß. In Rudini, dem Führer der Rechten, scheint Crispi seinen Nachfolger sinken zu sollen. Rudini gilt für Zeine „dumme" kleine Frau. 181 Roman von F. Klinck-LütetSburg. Nachdruck verboten „Auch ich habe etwas zu bedauern, Herr von Greisingen, und das ist, daß ich mich Ihnen in dieser Stunde nicht nützlich erweisen konnte. Nehmen Sie die Versickerung entgegen, daß mir jedes Verständniß für diese Maßregel, welche man gegen Sie in Anwendung gebracht, fehlt. Wenn ich mir eine weitere Aeußerung darüber nicht er laube , so wollen Sie darin nicht ein Zeichen sehen, daß ich Ihren Gegnern irgendwelche Con- cessionen zu macken geneigt bin. Im klebrigen rechne ich eS mir zur Ehre an, in Ihrem Hause und dem Kreise Ihrer Familie ein gern gesehener Gast zu sein, und ich hoffe von ganzem Herzen, daß ich Ihnen den Ernst dieser Gesinnung eines TageS beweisen kann. Ich darf wohl erwarten, daß, wenn ich jetzt für die nächste Zeit Ihrem Hause fern bleibe, diese- Fernbleiben keine falsche Auslegung erfahren wird." Mit diesen Worten hatte der Assessor, nachdem er Herrn von Grrifingen noch gebeten, ihn den Damen zu empfehlen, diesen verlassen und begab sich über die Höhe nach der Stadt zurück, um in der Einsamkeit einen flüchtig entworfenen Plan weiter auszuspinnen. Friedri ) Raguhn war entschlossen, ganz frei und un beeinflußt zu bandeln, wie die Pflicht ihm gebot. Herr von Greifingen sollte ihm nicht mehr als jeder hart Bedrängte sein, den er in Gefahr sah, ein Opfer der verschiedensten gegen ihn gerichteten Angriffe zu werden. Ja — dieser Mann war in einer großen Gefahr. Und diese Gefahr ent sprang nicht einem von ihm, sondern an ihm begangenen Unrecht, jetzt vielleicht nur noch dem Wunsch eines eitlen Mannes, eine ausgesprochene Ansicht als eine be gründete anerkannt zu sehen. Mochte der Amtsrichter Börner auch ein tüchtiger Beamter sein, zum Richter fehlte ihm die erste und wichtigste Qualifikation, die unbefangene UrtheilSkraft. Dann aber bewies er in dem Fall Greifingen, daß er keineswegs auf der Höbe eines unerläßlichen Pflicht gefühls stand. Unzweifelhaft hatte er dieser Polizei-Verwal tung plein pouroir gegeben, eine Berechtigung zu dieser Maß regel aber nicht vorgelegen. Man war bemüht, eine Schuld zu suchen, und — es war keineswegs unmöglich, daß der Schein einer solchen gefunden würde. Darin aber lag eine ernste Gefahr, der ein Mann wie Herr von Greifingen nickt gewachsen war. Ein böswillig abgefaßtes und ahnungslos unterzeichnete« Protokoll konnte ihn zu Falle bringen. Nur ein rasches und energisches Ver nichten aller erbärmlichen Einflüsse konnte den beklagenS- werthen Mann, der nichts von der Größe der ihm drohenden Gefahr ahnte, noch retten. Aber — WaS war zu thun? Schon der Umstand, daß die Greifingen'sche Angelegenheit nach einer Seite hin mit einem undurchdringlichen Dunkel umgeben war, während nach der anderen die öffentliche Meinung durch allerlei ver letzende Maßregeln, worunter diese unglückselige Haussuchung jetzt obenan stand, in Aufregung gehalten und beeinflußt wurde, mußte die Befürchtungen des Assessors steigern. Seine einzige Hoffnung, Näheres über das Ganje zu erfahren, lag in der Voraussetzung, daß Amtsrichter Borner, infolge seines Fern bleibens von allen dienstlichen Functionen, zu welchem ihn die Folgen deS Duells verurtheilt, noch auf längere Zeit hinaus nicht in den Gang der Verhandlungen wurde ein greifen können. Der aufsichtsführende Amtsgerichtsrath aber war gezwungen — da gegenwärtig auf einen Ersatz für den Amtsrichter nicht zu rechnen war — jetzt unverweilt eine andere Verthcilung der Arbeiten berbeizusühren, wenn nicht die Erledigung nur der dringendsten Geschäfte noch mehr er schwert werden sollte. Assessor Raguhn s Vcrmutbungen fanden schon am nächsten Tage eine Bestätigung und er sah seinen dringendsten Wunsch im vollen Umfange erfüllt. Er wurde wieder mit den Vor untersuchungen beauftragt. Die daran geknüfte Aussicht, nunmehr auch Klarheit über den Vorfall im Hause des Herrn von Greifingen zu empfangen, erwies sich aber als eine trügerische. Auch eine Frage bezüglich derselben bei dem protokollführenden Secretair brachte ihm keine Aufklärung. „Ich weiß von nichts, Herr Assessor, hier auf dem Amts gericht liegt nichts vor, ich habe von keiner Seite wa» ge hört. Desto mehr weiß man im Publicum. Gestern Abend wurde erzählt, die Polizei hätte Haussuchung bei Herrn von Greifingen gehalten. Das kann doch gar nicht wahr sein, wenn ich auch schon glauben will, daß unsere Polizei dä nischen könnte." Friedrich Raguhn würde sich noch gern in ein längere» Gespräch mit dem Secretair eingelassen haben, aber auf dem Schlösse schlug eS zehn Uhr und im Wartezimmer erinnert« ein dumpfes Stimmengewirr an die seiner wartende Arbeit. Er ließ die Vorgeladenen eintreten — ein Fall nach dem anderen. Raufereien, Beleidigungsklagen, Diebstahl folgten sich in wechselnder Reihenfolge. Die vorgeführten Ange klagten und Zeugen gehörten der Hefe des Volkes an; eS handelte sich zumeist um erwiesene Dinge, und wenn auch hier und da ein Läugnen und Beschönigen versucht wurde, so konnte der Assessor doch in einem Zeitraum von zwei Stunden ein hübsches Stück der ihm zuertheilten Arbeit erledigen. Sie war wenig interessant und sehr ermüdend. „Maria Olympia Bergneri" Bei Nennung diese« Namen« blickte Assessor Raguhn unwillkürlich auf. An der Tbür stand eine große, starke Frauengestalt, die auf den Unbefangenen den Eindruck großer Frechheit machte. Sie war indessen sehr sauber gekleidet. Ihr volles Gesicht war von einer glänzenden Reinlichkeit, das wellige blonde Haar erschien gepflegt und mit einer gewissen Eitelkeit geordnet. Der Assessor sah in die Acten, er batte kaum Zeit ge funden, sie vorher einer oberflächlichen Prüfung ru unterziehen. Ein feine« Roth stieg Plötzlich in sein Gesicht. DaS Interesse, das die Frau durch ihren Namen und ihr Aeußeres in ihm geweckt, war plötzlich durch ein weitere« Moment wesentlich verstärkt worden. Der Mann, welcher Maria Olympia Bergner des Felddiebstahls beschuldigte, war Niemand anders als der Gutsbesitzer Gustav von Greifingen. Nachdem die Personalien festgestellt waren, richtete der Assessor an die Angeklagte die Frage, ob sie de« ihr zur Last gelegten Felddiebstahl- sich schuldig bekenne. Maria Olympia Bergner blickte den Assessor mit einem geradezu vernichtenden Ausdruck ihrer grauen, scharfen Augen an. „Nee, mein Herr Richter, da d'ran denke ich »ich. Die Sandmarie hat in ihrem Leben noch nickt Nagels groß gemaust. Hab's auch ja jetzt, Gott sei's gedankt, am aller wenigsten nöthig." Sandmari«? Wo hatte Friedrich Raguhn den Namen gehört? Ob im Greifina'schen Hause, ob von Ernst von Röt lingen wußte er in diesem Augenblick nicht. Aber Maria Olympia Bergner war ihm plötzlich eine im hohen Grade interessante Persönlichkeit geworden. „Sie sind aber dabei betroffen worden, daß Sie wiederholt von dem Gartenland de« Gutbesitzers von Greifingen Früchte fortgeschafft haben." —. . .... „Nu sehen Sie sich aber da», WaS Sw sagen, rin bi»chen genauer an, Herr Richter. Verunschimpsiren lasse ich mir nicht, auch nicht von Sie — daS habe ich nicht nöthig. Wer sagt's, daß ich gestohlen habe?" „Leugnen Sie, daß Sie am 25. April einen Korb mit Spinat von dem Chausseeacker bei Reischach mit nach Hause genommen haben?" „Nich im Geringsten, Herr Richter." In dem Gesicht der Frau war ein Ausdruck großer Ver wunderung. „Haben Sie nicht von demselben Acker vier Tage später einen weiteren Korb Spinat geholt?" „Auch det stimmt." „Und am siebenten Mai Rhabarberstauden?" „Ob das am siebenten Mai gewesen ist, kann ich Sie nicht sagen, auch nicht, ob daS mit den anderen Daten gerade stimmt. Daß ich's aber geholt habe, ist gewiß. Nun will ich mal den sehen, der mir's verwehren will, von meinem Acker die Frucht zu holen, die ick selber gesäet und gepflanzt habe." „Von Ihrem Acker?" „Nu, von wem seinen denn sonst? So lange ich lebe, giebt'S da nicht rühr an." „Der Acker ist doch Eigentbum des Gutsbesitzers von Greifingen. Sie haben ihn früher nur auf fünf Jahre in Pacht gehabt. Der Contract ist aber zum ersten April ab gelaufen gewesen." Maria Olympia Bergner sah den Assessor einen Augen blick etwas verblüfft an. „Ich soll den Acker aber doch behalten, bis an mein Lebensende." „Wer bat da« gesagt?" „Herr von Greifingen." Der deutlich in dem Gesicht des Assessors ausgeprägte Unglaube veranlaßte die Sandmarie, noch ehe er etwas ent gegnen konnte, hinzuznfügen: „Er bat'S mir doch auch nicht für umsonst zugesprocken, ich meine da« war sauer genug verdient. Es ist ja nicht mebr wie Kartosselland, kein anderer hält'» auch zuwege ge bracht, wa« anderes d rauf zu bauen. Weil ich nun aber doch den Acker behalten sollte, so ist mir keine Mühe zu viel gewesen. In der Schürz« hab» ich die Steine zusammen- gelesen und aus dir Landstraße gebracht und mir von da drei Jakre lang den Dung zusammrngebolt, so daß «» ein «taatS-Acker geworden ist. Glaub'« schon, daß er den Herrn ärgert, aber wa» gebt da» mich an?"
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