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Wöchentlich »scheinen drei Nummern. PrSnum«r»livus - Preis 22j Silbergr. (j Zhlr.) vierretjädrNä,, Z Tbir. für dn« ganze;1»kr, ohne Erdödung, in allen 2keiirn der Vreulüschen Monarchie. Magazin für die Präimttt^ratkon.n werden von jeder Buchdandluug sin Berlin bei Veit u. Comp.. ^»ägerstrasse Nr. 25), so wie von allen König!. Po>) - Aökiuern, angenommen. Literatur des Auslandes. M 142 Berlin, Dienstag den 26- November 1844. England. Theodor Hook. Die Menschen find ungerecht und die Fama launenhaft, pflegte Charles Nadier zu sagen. Horaz sprach dasselbe aus in den Worten: lwbenr su» sma libelli. Diese Meinung aller Zeiten gilt vorzüglich für diejenigen Werke, welche in einer fremden Sprache geschrieben sind. Wie viele Bücher genießen Auf unter uns, die in dem Lande ihrer Verfasser nie dazu gelangten! Man könnte sagen, daß manche Geistesprodukte, gleich den Weinen, wenn sie d>e Linie passirt haben, eine ganz besondere Qualität gewinnen, wenn sic in eine andere Sprache übertragen werden. Während aber elende Schriftsteller di« Ähre haben, daß man sie übersetzt und in der ganzen civilisirtcn Welt liest, bleiben leider auch viele Autoren, die in ihrem Vaterlande berühmt sind, den benachbarten Völkern völlig unbekannt. Wir wissen viele Namen, die diese, scheinbar übertriebene, Behauptung bestätigen würden, beschränken uns aber darauf, einen englischen Schriftsteller zu nennen, der kürzlich gestorben ist und im Ausland« wenig gekannt war, wie sehr er es auch verdient, ein recht großes Publikum zu haben. Wir meinen Theodor Hook, den Redacteur dcS berühmten „John Bull", den Verfasser des „Gilbert Gurney" und dcü „Jack Brag", von welchen, so wie von einigen anderen Werken Hook'S, die Herren I. A. Moriarty und I. Seybt eine deutsche Uebersetzung herausgegeben.') Unter anderen Verdiensten hat Hook dasjenige, den Roman in England zu seiner wahren Bestimmung zurückgeführt zu haben. Er war eS, der dem historischen Roman den ersten Schlag versetzte. Wie sehr wir auch das Talent Walter Scvtt'S bewundern, so konnten wir uns doch nie mit seiner Schöpfung, dem historischen Roman, dieser Parodie der Geschichte, befreunden. Vor »och nicht langer Zeit wußten die geistreichsten Männer des verständigsten Volkes der Welt nicht genug Lobsprüche für dieses Genre zu finden; sic zogen eS ohne Umstände der Geschichte selbst vor. Glücklicherweise ist diese Zeit vorüber- gegangen und vergessen. Denn von allen Jrrthümern, die sich in den letzte» zehn Jahren als reformatorische Ideen in der Literatur auSgaben, war sicher lich diese Begeisterung für den historischen Roman eine der gefährlichsten. Wir verdanken ihr sehr mittelmäßige Werke, die trotzdem mit großem Ge schick geschrieben sind, und haben uns durch dieselben auf lang« Zeit unseren Geschmack verdorben. In England fand sich ein ganzes Heer werthloscr Nachahmer, die in Walter Scott'S Fußstapfen traten. Zur Freude der Leih bibliotheken machte man sich daran, die ganze Geschichte der drei Königreiche aus die angegebene Manier zu travestiren. Aber selbst die besten Ding« werden mit der Zeit langweilig, warum sollte man nicht ermüden, immer und ewig Kopieen einiger guten Werke zu lesen? ES ist bekannt, mit welcher Dank- barkeit diejenigen ausgenommen wurden, die den alten Roma» wieder ein- führten. Gewöhnlich bezeichnet man Bulwer als den Urheber dieser literarischen Reaction, jedoch mit Unrecht, denn das Hauptverdienst ist Hook zuzuerkcnncn, dessen erste Romane im Jahre 1824, also vier Jahre vor dem Pelham, er schienen. Hätten die Schriften Hook'S nicht so großen Bcisall gefunden, wer weiß, ob man Pelham glimpflich behandelt haben würde. ES war um so leichter, den historischen Roman zu stürzen, als die Ein führung desselben durch Walter Scott ein vereinzeltes, von keinem früheren englischen Schriftsteller vorbereitetes Ereigniß war. Das neue Genre hatte nichts für sich, als eben seine Neuheit und das Talent, mit dem eS von seinem Erfinder gehandhabt wurde. In den Händen de Foe's, Fielding's, Richard- son's und Smollet's hatte der englische Roman keinen anderen Zweck, als das menschliche Herz und die Sitten zu schildern. Walter Scott verließ diesen Weg. Anstatt die ihn umgebende Gesellschaft zu malen, verpflanzte er die Chrrnik in den Roman, und da er nicht der erste Dichter seiner Zeit werden konnte, wurde er der unnachahmlichste Erzähler nach Art der unermüdlichen Schehezeradc. Seine Werke find mehr Geschichtsmalereien als Genrebilder. Die Sitten, die er uns vorsührt, erinnern durchaus nicht an das wirklich« Leben. Gewiß hätten ihn Richardson und Fielding sehr bewundert, der Eine wegen seiner genauen Schilderungen, der Andere wegen seiner fruchtbaren Einbildungskraft, aber Keiner von Beiden hätte ihn als seinen Nachfolger anerkannt. Ja, wir zweifeln nicht, wenn Walter Scott u»S seine eigentliche Meinung über jene beiden unsterblichen Beobachter des menschlichen Herzens hätte sagen wollen, anstatt uns eine trockene Biographie derselben zu geben, ') Leipzig, I- 2- Weber, wo kürzlich als XVII. —XX. Bändchen der ausgewählten Romane vo» Thwd. Hook auch «ine Uebersetzung von dessen „Maxwell" erschienen ist. er würde sein geringes Behagen an Grandisson und Joscph Andrews eingc- standen haben, denn auch im Gil BlaS entzückte ihn nichts, als die kalte und nüchterne Eleganz, mit der die Beschreibungen abgcfaßt find. Di« Schilderung dcS Privatlebens mit seiner Anmuth, seiner Mannigfal tigkeit und seinen fich kreuzenden Interessen und Ereignissen bildet den wahren Stoff für Romane. Einem guten Romanschrcibcr aber ist weniger Erfindungs gabe und Gelehrsamkeit unerläßlich, als Beobachtung der Charaktere und der Sitten. Hook besaß dieses Dcobachtnngstalcnt in ausgezeichnetem Grade. Ihm und den Damen Evgeworth und Austen gelang es, den Roman wieder aus jene Höhe zu bringen, auf der ihn die früheren Meister hinterlassen hatten. Alle Drei, obgleich fie mit verschiedenen Gcistcsgabcn auSgestatttl waren, hatten das gcmeinschafllichc Ziel, das tägliche Leben und diejenigen Herzenüregungen zu malen, die in allen Lesern ihr Echo finden. Ihre Werke sind sogar dezenter, als diejenigen von Fielding und Smollet, und dürfen sich ohne Scheu auf allen Tischen sehen lasse». Dit Tugend schildern sic nie lächerlich und selten unglücklich, das Laster, selbst wenn «S triumphert, um geben sie nicht mit jenem Adel, der die Helden Rousseau'S und Byron'S schmückt. Sie nehmen nie ihre Zuflucht zu Wundern und-Effekten und be nutzen weder lokale Eigcnthümlichkeiten, »och de» Aberglauben des Volkes. Nur das gewöhnliche Leben und das menschliche Herz geben ihucn das Ma- tcrial zu ihren Werken, und ihre geschickte Hand weiß dieses Material so zu verarbeiten, daß selbst die raffinirtestcu Feinschmecker unter ihren Lesern be friedigt werden. In Hook'S Romanen ist die Lieb« nicht jene ungestüme, oft sündhafte Leidenschaft, di« im Nu entsteht und sich durch keine Gewalt unter, drücken läßt. Die Vernunft leitet seine Helden in der Liebe, wie in allem Ucbrigen. In seinen Büchern begegnet man keiner jener liebenswürdigen Schwachheiten, keinem von den zügellosen Wünschen, die «ine so große Rolle in den modernen Romanen spielen, noch jeuer ertrcmcn Empfindsamkeit, die von Werther und der neuen Hcloisc in die Literatur cingcführt wurden. Hook's Helden und Heldinnen können allen Altern und Stände» zum Muster dienen und haben den großen Vorzug vor vielen Gleichgesinnten, daß sie interessant sind. Beweis dafür ist der Erfolg, den jene Romane in England gehabt haben, und die Thcilnahme, mit der noch heute von ihnen gesprochen wird. Im Allgemeinen sind wir gewöhnt, ein moralisches Buch für ein lang, welliges zu halten, und in den meisten französischen Romanen, zum Beispiel, stehen diese beiden Eigenschaften in umgekehrtem Verhältniß zu einander. In den englischen dagegen ist dies weit weniger der Fall. Man sieht wohl leicht ein, daß MrS. Edgeworth und Mrs. Austen, die wir oben Hook an die Seite stellten, als Frauen, nur dezente Bücher gc- schrieben haben werden. Die Erstere lebt noch, die Zweite ist bereits seit 1817 todt und hatte sich immer nur in einem kleinen Kreise von Verwandten und Freunden bewegt. Bescheiden, ernst, zurückgezogen, wie sic war, ver- mied sie die Gelegenheiten, ihre Schönheit und ihre Geistesgabcn glänzen zu lassen, eben so sorgfältig, als andere Frauen dieselben aufsuchcn. Daher spielen auch ihre Erzählungen nur in der Vürgerklass«, die sie täglich vor Augen halte; dafür aber hat fie Niemand in ihrer Gattung übertroffen. Walter Scott, der die Schriften dieser jungen Fran in seinem Hause laut vorzulcscn Pflegte, sagte von ihr in seiner Zeitschrift: „MrS. Austen hat gc. lungenere Portraits aus der Gesellschaft gegeben, als irgend ein anderer Autor. Ihre Schilderungen des Privatlebens find die besten, die ich kenne." Wenn aber die Lebensweise dieser beiden Damen den Charakter ihrer Werke leicht erklärt, so bleibt es wunderbar, wie fich, abgesehen von der durch Geschlecht und Erziehung bedingten GcisteSrichtung, derselbe Charakter in den Romanen Hook's wiederfindet. Der unruhige Geist dieses Mannes, sein lururiöseS und ungeregeltes Leben scheinen sich nicht mit der strengen Sittlich keit zu vertragen, die in seinen Werken herrscht. Hier sehen wir recht deutlich den Nutzen der Einschränkungen, die sich die englische Gesellschaft auferlegt. Das Privatleben der Engländer ist kcineSwcges von Sünden frei, doch die Gesellschaft verlangt die Beobachtung der strengsten Sitte. Sie mag darum pedantisch und heuchlerisch erscheine», aber die Heuchelei ist eine Konzession, die das Laster der Tugend macht, und Mancher ist gut geworden, weil er immer hat gut scheinen wollen- Theodor Hook war der Sohn eines Musikers und wurde am 22. Sep tember 1785 in London geboren. Im vierzehnten Jahre verlor er seine Mutter, die eine sehr geistreiche und vernünftige Frau gewesen scyn soll. Wenn fie am Leben geblieben wäre, so würde Hook ohne Zweifel ein praktischer Mensch geworden scyn, wie sein älterer Bruder. Wir besäßen dann freilich vielleicht einige schöne Bücher weniger; aber es hätte sicher auch einen Un.