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Dresdner Journal : 26.10.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-189610262
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18961026
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18961026
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-10
- Tag 1896-10-26
-
Monat
1896-10
-
Jahr
1896
- Titel
- Dresdner Journal : 26.10.1896
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Se»x»»reK: Für Dresden vierteljährlich » Mert bO Pf., bei den Kaiser- lich deuüchrn PostansiaUrn vleNeliährlichSÄart; aufter- helb de« Deutschen Reiche« Poft, »ad Stnäpelzuschlaa. Einzelne Nummern: 10 Ps. Grsch«t»e«: Täglich mit AuSnnhme der 8onn< und Feiertag« abend«. Aernspr.«nschluft: «r.1T»ft. Dresdner M Lournal. «nlüvttgnnOSgrbahre«: Für den Raum einer gespal tenen Zeile kleiner Schrift SO Ps Unter „Eingesandt" die Zeile bo Ps. Bei Tabellen- und Ziffernsatz entsprechender Ausschlag Herau««rber: Königliche Expedition de« Dretdner Journal- Dre-den, Zwingerstr SV. Fernspr -Anschluß: Nr M25O. Montag, den 26. Oktober, abends. 18S6. Amtlicher Teil. Se. Könial. Hoheit der Prinz Johann Georg, Herzog zu Sachsen, ist heute Vormittag 7 Uhr 51 Min. nach Kiel gereist. Ihre König!. Hoheit die Frau Prinzessin Johann Georg, Herzogin zu Sachsen, hat sich gestern Nachmittag 5 Uhr 50 Min. nach Stuttgart begeben. Se. Majestät der König haben Allergnädigst ge ruht, dem Mitinhaber der Firma C. G Röder in Leipzig-Reudnitz Carl Leberecht Hugo Wolff in Leipzig den Titel und Rang als Commerzienrath zu verleihen. Se. Majestät der König haben Allergnädigst ge ruht, den Bahnwärtern bei der Staatseisenbahnvcr- waltung Lange in Leisnig, Michel in Kürbitz, Müller in Mühlbach und Söhnitz in Naundorf das Allgemeine Ehrenzeichen zu verleihen. Srveauunge«, Versetzungen tk. tm öffentlichen Dienste. Tepartemeut der Finanzen. Ter zeilhcrige Ve.Walter de- Sachiengrunder Reviers im Forsibez>rke Auerbach, Ober- sörster von Oppen, ist in gleicher Eigenschaft aus das Schmiede- bergcr Revier im Forstbezirke Barensels versetzt worden. Nichtamtlicher Teil. Teutsch-russische Beziehungen und Österreich. Tie „Voss. Ztg." hatte kürzlich daran erinnert, daß Fürst Gortschakow im Jahre 1882 vom Amte zurückgetreten und im Jahre 1883 gestorben, Fürst Bismarck dann aber noch sieben Jahre Reichskanzler geblieben, daß also, wäre die Persönlichkeit des Fürsten Gortschakow das einzige Hindernis des deutsch russischen Einvernehmens gewesen, cs wohl hätte überwunden werden können. Diese letztere Bemerkung als Thema aufwerfend, haben die „Hamb. Nachr." am Sonn abend einen Aufsatz „Fürst Bismarck und Ruß land" veröffentlicht, welcher in der deutschen Presse Aufsehen gemacht und in der österreichischen sogar unliebsame Mißdeutungen hervorgerufen hat. In dem Artikel ist in der Hauptsache folgendes ausgeführt: Tas einzige Hindernis ist Fürst Gortschakow allerdings nicht gewesen Trotz seiner vornehmen Stellung war er doch nicht mächtig genug, um an dcr Entfremdung Rußlands gegen Deutschland mit Erfolg zu arbeiten, wenn ihm nicht andere Einflüsse und Ereignisse zu Hilfe gekommen wären. Tie rus sische Kriegspolitik hatte nicht die Eriolge gehabt, die man von ihr erwartete; vielleicht deshalb weil sie ihre Bestrebungen nicht inner halb der Grenzen gehalten hatte, die ursprünglich beabsichtigt waren, außerdem aber auch, w il sie militärisch vor Heranziehung des Gene rals Tot-eben nicht so sachkundig geleite! war, um Ersolge zu sichern. Es waren militärische und politische Fehler begangen und die Perantwortlichkcit süc diese Fehler wollte man nicht in der Llautsleitung tragen, sondern suchte sie dem gutmütigen deut schen Freunde zuzuschieben. An hohen, vielleicht böchsten Stellen wurkc damals gesagt: „Die Unterstützung Deutschlands ist zu plaionisch, zu wenig praktisch." Nun, über die platonische, d h über die wohlwollende Neutralität hinauszugehen, hätte die deutsche Rerchsleitung wieder vor ihrer eigenen Nation nicht verantworten können. Aber Thatsache bleibt immer, daß außer der Thätigkcit Gortschakows die verantwortlichen russischen Leiter dgs übereinstimmende Bedürfnis hatten, für die vor- gekommenen Irrtümer einen anderen Schuldigen zu suchen, un doue emidisairv, und dazu schien der „platonische' Deutsche ge eignet, den man in die Wüste außerhalb der alten Grenzen der ruyiichcn Liebe hinausstieß Insofern hat die „Voss. Zeitung" Recht, daß Gortschakow allein nicht stark genug gewißen wäre, das schwerwiegende russische Reich aus seiner deutsch n Freund- schast in die Stellung dinüberzuschicben, welche die russische Pr.sje nach dem Berliner Kongreß einnahm. Aber der Artikel dec „Boss Ztg " führt seine irrtümliche Auffassung auch für die Zeit nach dem Abschiede und dem Tode Gortschakows durch, indem er behauptet, daß dessen Nachfolger owohl, wie die Zaren, denen diese Nachsolger dienten, seine Politik fortgesetzt hätten Das ist absolut unwahr. Schon in Skierniewicc, also sehr bald nach dem Thronwechsel und dem Aus scheiden Gortschakows, war da- gute Einvernehmen der deutschen und der russischen Politik hergestellt und blieb in dieser Ver fassung bis l8»t>. Bis zu diesem Termine waren beide Reiche im vollen Einverständnis darüber, daß wenn eins von ihnen angegriffen würde, da- andere wohl wollend neutral bleiben falle, also wenn beispiels weise Deutschland von Frankreich angefallen wäre, so war die wohlwollende Neutralität Rußland- zu gewärtigen und die Deutschlands, wenn Rußland unprovoziert angegriffen würde. Diese-Ein verständnis ist nach dem Ausscheiden des Fürsten BiSmarck nicht erneuert worden, und wenn wir über die Borgänge in Berlin richtig nnt-rrichtct sind, so war eS nicht etwa Rußland, in Bernimmung über den Kanzlerwechsel, sondern Gras Caprivi war es, der die Fortsetzung dieser gegenseitigen Assekuranz ab lehnte, während Rußland kazu bereit war. Wenn man dazu die gleichzeitige polonisicrende Ära, die durch die Namen StablewSki und KoscielSki gekcnnzcichi et ist, politisch in An schlag bringt, so wird man nicht zweifelhaft sein können, daß die russische Regierung sich sragen mußte: welche Ziel kann dieser preußische PolonikmuS habcn, der mit den Tradi tionen Kaiser Wilhelms I. so flagrant im Widerspruch steht? Wir lassen andere gleichzeilige Symptome antiruisischer Strömungen in der Politiken Richtung der Wilbclmstraße hier unerwähnt; die Situation war schv:i durch die Caprivische Hal tung in der europäischen und in ter polnischen Politik für Ruß land eine solche, daß diese Macht, so groß sie ist, sich doch über die Zukunst Gekauten machen mußte Rußland hat im Krim- kricge die Situation crlel t daß alle übrigen Großmächte, Frank reich, England, Italien, ihm gegenüber im Felde standen, daß Österreich das Gleiche androhte, wenn Rußland nicht tu stimmte Konzessionen machte, und daß Preußen, die letzte der russen- frcundlichen Großmächte, nur mit großer Anstrengung davon abgchalten wurde, die Koalition aller europäischen Mächte gegen Rußland zu vervollständigen. Wir wollen nicht sagen, daß die Wiederholung dieser Komplikation in der Wahrschcinlichkcii liegt, aber wir finden es doch nur erklärlich, wenn auch ein so mäch tiger und unangrcisbarer Staat wie das russische Reich sich sagt: „Einen sicheren Bundesgenossen müssen wir uns in Europa zu halten suchen. Wir hatten srüher auf den Treikaiserbund ge rechnet, dann wenigstens auf das Hohenzollernschc Haus in seinen gesteigerten Machtvcrhüllnissen; wenn wir aber von dort her, anstatt eine zuverlässige Stütze in schwierigen Lagen zu finden, eine Behandlung der polnischen Fragen erleben, die nur russenfemdl-ch gemeint sein kann, dann müßen wir doch sehen, daß wir eine anderweitige Anlehnung finden, die sonst bisher keine einscheidende Anziehungskraft für uns halte" So entstand Kronstadt mit der Marseillaise und die erste Annäherung zwifchen dem absoluten Zarcntume nnd der sran- zösiichen Republik, unserer Ansicht nach ausjä lieblich durch die Mißgriffe der Caprivische» Politik herbeigesührt. Dieselbe hat Rußland genötigt, die Assekuranz, die ein vorsichtiger Politiker in den großmächilichcn Beziehungen Europas gern nimmt, in Frankreich zu suchen. Ma« hat sich daran gewöhnt, Auslassungen der „Hamb. Nachr." über Fragen wie die vorstehend be handelte ohne weiteres nnd in ihrem vollen Umfange auf das Konto des Fürsten Bismarck zu setzen. Das ist auch jetzt wieder geschehen, obwohl die wesentlichste Angabe des Aufsatzes so bekannten politischen That sachen widerspricht, daß man an der Signatur des Fürsten zweifeln muß. Wir beziehen uns auf die Mitteilung, wonach etwa vom Jahre 1883 bis znm Jahre 1800 zwischen Deutschland und Rußland ein volles Einverständnis über beiderseitige wohlwollende Neutralität für den Fall provozierter Angriffe bestan den, d. h. sehr befriedigende Beziehungen obgewaltet hätten. Demgegenüber wissen wir von einer offen kundigen Verstimmung, die bereits im Jahre 1887 eingetreten war und die mit der Veröffentlichung der gefälschten bulgarischen Aktenstücke — des ver meintlichen einzigen Motivs der Spannung — so wenig beigelegt war, daß am 3. Februar des nächsten Jahres der deutsch-österreichische Bündnisvertrag ver ösfentlicht wnrde und Fürst Bismarck drei Tage danach in seiner unvergessenen großen Rcichstagsrede mit Worten voll hohen Nationalgefühls die Lockerung der bisherigen freundschaftlichen Beziehungen mit Rußland bestätigte. Der Kanzler betonte damals zwar, daß er einen Angriff Rußlands auf Deutschland nicht besorge und auch die zur Zeit auffälligen Trnppenrüstungen des östlichen Nachbars nicht als ein unmittelbar bedrohliches Moment ansehen könne, aber Wortlaut und Stimmung der ganzen Rede machen es zweifellos, daß in jenem Zeitpunkt eine NeutralitätS-Assekuranz nicht mehr in Kraft gewesen ist. Wir müssen deshalb, ohne auf andere Erscheinungen, beispielsweise auf das Verbot der Beleihung russischer Papicre, noch näher zurückzu kommen, die Angabe der „Hamb. Nachr." in dieser Form und dementsprechend auch die Autorschaft des Fürsten BiSmarck dabei bis auf weiteres ablehnen. Daß es sich hier zumeist um eine künstlich und darum ungenau ge machte Zusammenstellung gelegentlicher Äußerungen des ersten Reichskanzlers handeln dürfte, darin be stärkt uns überdies die gar zu stark und derb auf getragene Tendenz gegen die NeichSpolitck unter der Leitung des Generals v. Caprivi Die Mitteilung von der Assekuranz klingt ja wahrscheinlich, aber wenn die „Neue Freie Presse" sie unbefangen geprüft hätte, hätte sie es wohl unterlasfen, ihre Landsleute mit einem Artikel zu beunruhigen, in welchem sie allerlei Mißtrauen aus den Mitteilungen des Hamburger Blattes saugt, von argwöhnischer Politik Bismarcks wie von einer Zweideutigkeit spricht und am Ende gar schreibt: „Zur Befestigung des Dreibundes, das ist gewiß, kann die posthume Enthüllung des deutsch-rus sischen Neutralitätsvcrtrages nicht beitragen. Mehr noch als Vertrauen erweckt, stimmt entdecktes Mißtrauen zum Argwohn. Man muß daher weit-r fragen: Was mag den Begründer des deutsch-österreichischen Bundes veranlaßt haben, gerade jetzt diese Erinnerung aufzuwecken? Soll durch die Einhüllung des intimen Verhältnisses, welches selbst noch unter Alexander III., der in Kron stadt die Marseillaise stehend anhörte, zwischen Ruß bmd und Deutschland bestand, Frankreich aus dem Russenransch erweckt werden, dem es sich hingiebt? Oder hält der Schöpfer des Treibnndes dafür, fein Werk habe seinen Zweck erfüllt, und will er Deutsch land auf neue Wege weisen? Will er, daß es die Allianz Rußlands suche, selbst um den Preis anderer Bündnisse?" . . . Das Wiener Blatt bedient sich zu nächst mit Unrecht des Ausdrucks „Vertrag", mit dem ein „Einverständnis" in dem von den „Hamb. Nachr." gemeinten Sinne lange nicht die gleiche Bedeutung hat. Wichtiger und zugleich ebenso unzutreffend sind die Ausführungen der „N. Fr. Pr." die darin gipfeln, daß die deutsch-russische Assekuranz das deutsch-öster reichische Bündnis nahezu überslüssig gewacht habe, daß von einem Rußland, welches Deutschland Neu tralität für den Fall eines Angriffes von dritter Seite zu halten sich verpflichtet, doch wohl nicht zn besorgen gewesen fei, daß es selber der Angreifer sein werde: „Man blickt da plötzlich in ein System diplomatischer Bollwerke, von denen eines das andere stützt, in ein System aber auch, dessen in die Augen springende Grnnd läge das Mißtrauen ist Man kann sich dem Gedanken nicht verschließen, daß, so wie das deutsch-österreichische Bündnis ein Stützpunkt sein sollte für den Fall, als Rußland den Neutralitätsvcrtrag nicht einhielt, der Vertrag mit Rußland eine Sicherung für den Fall bilden follte, als Österreich vom Bündnisse abfiel." Diese Auslegung des österreichischen Blattes wirst den Vorwurf des Mißtrauens auf selbiges zurück, sie zeugt zum mindesten von einer ganz einseitigen Auffassung. Deutschland hatte im Jahre I>>79, in welchem unerfüllbare Anforderungen, ja Drohungen des alten Freundes Rußland es zur Wah! zwischen diesem und Österreich drängten, die Allianz mit letzterem vorgezogen und besiegelt. Ta besserten sich nach Gonschakosfs Tode seine Bezieh.mgen zn dem Zarenreiche, es entstand eine neue Situation, welche nicht auszunützen ein Fehler Bismarcks gewesen sein winde. Unser Vertrag mit Österreich verpflichtet es nicht zur Unterstützung Deutschlands, wenn dieses von Frankreich allein ange griffen wird, sondern nur zu wohlwollender Neutra lität. Warum sollte sich also Deutschland für diesen Fall -— und nur dieser kam naturgemäß bei dem Einverständnis mit Rußland in Betracht — nicht der Neutralität Rußlands versichern? Das Bündnis mit Oesterreich war praktisch zunächst gegen Rußland ab geschlossen, von dem 1879 die größte Gefahr zu drohen schien. Nach 1883 aber hatten sich die Verhältnisse geändert. Rußland zeigte wieder eine freundlichere Haltung und die stärkste Wetter wolke erschien im Westen des europäischen Hori zonts, über Frankreich. Fürst Bismarck hielt somit zwei Eisen im Feuer, ohne dem Satz nnd Sinn des Bundes mit Österreich irgendwie untreu zu werden; er hielt sie bis 1888, wo er vor aller Welt erklärte, Deutschland könne am Ende auf Rußlands Freund schaft verzichten, wo er aber auch sagte, das; der Vertrag mit Österreich nicht im letzten Grunde zum Schutz gegen diese oder jene bestimmte Macht ge schlossen sei, sondern allgemein dem Frieden Europas dienen wolle und daß er zugleich die vornehmste Eigenschaft solcher Allianzen besitze, auf der natürlichen und vollen Gemeinsamkeit der Interessen zu beruhen. Letzteren Satz möchten wir der österreichischen Presse gerade heule wieder recht dringlich zurufen: unser Bund bez. der Dreibund dient dem Frieden, indcm er jede der beteiligten Mächte vor provozierten An griffen schützt, jeder aber die Freiheit zu solchen Hand lungen beläßt, welche diesem Frieden unserer euro päischen Welt zu gute kommen. Und als eine derartige Handlung müssen wir das Bemühen der Bismarckschen Politik in den achtziger Jahren, Rußlands Neutralität zu erhalten, bezeichnen und anerkennen, indem wir dabei noch auf den gerade von Bismarck der modernen Diplomatie ausgeprägten Zug der Offenheit hinweifcn, der sich in tausend Maßnahmen dieses großen Staatsmannes wiederspieqelt und der sich den Verbündeten Deutsch lands gegenüber natürlich am allerstärlsten gezeigt hat. Es ist zu bedauern, daß das erwähnte österreichische Blatt unter dem frischen Eindruck des Artikels der „Hamb. Nachr." zu pessimistischen Betrachtungen ge kommen ist. Bei einiger Kritik würde sie den Aufsatz sicher nicht so bitterernst genommen und gar Schlüsse auf die praktische Politik der Zukunft daraus gezogen haben. Tenn die Mitteilung der „Hamb. Nachr." von dem deutsch russischen Ein verständnis darf man zwar auf Bismarck zurück- führen, aber an der Form und Verwendung derselben ist er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht be teiligt gewesen. Dazu hat der Artikel eine vicl zu persönliche Spitze, worin zugleich sein Zweck erschöpft zu sein scheint. Angethan, im ersten Augenblick auf- znfallen und gar zu beunruhigen, verliert er doch bei näherem Besehen alle Schrecken und ist eigent lich auch in der Angabe von der ungeschriebenen Assekuranz nicht neu, da die günstigen deutsch russischen Beziehungen in besagter Zeit aller Welt bekannt waren und bei einem derart guten Verhältnis zwischen zwei Mächten ein solches „stillschweigendes Übereinkommen" beinahe etwas Selbstverständliches hat. Im übrigen liegt das alles in der Vergangenheit, während der innere Kern unseres Bundes mit Österreich, soweit wir zu denken vermögen, von der Zeit unabhängig ist und diese Allianz heule wie vordem als eine Ehren- ja als eine Herzenssache unseres Volkes und Staates betrachtet und behandelt wird. Tagesgerichte. Dresden, 26. Oktober. Wie wir vernehmen, sind von Sr. Majestät dem Könige in das für Ent scheidung der Lippeschen Thronfolgesrage zu bildende Schiedsgericht der Präsident des Reichsgerichts Geh. Rat v. Oehlschläger, Exeellcnz, die Senatspräsidenten beim Reichsgerichte vr Bingner und I)r. Peterssen sowie die Reichsgerichtsräte !)r. Bolze, Müller nnd v. Ege berufen worden. Kunst und Wissenschaft. K. Hvftheater. — Neustadt. — Am 24. Oktober: „Egmont", Trauerspiel in fünf Akten von Goethe. Musik von Beethoven. Leit der letzten Ausführung des „Egmont", die wir im Mai ds. Js. bei Gelegenheit des „Goethe-Cyklus" sahen, ist die Zwischenaktsmusik im Neustädter Hause ab geschafft worden. Wie sich auch der Einzelne dazu stellen möge, so ist cS jedenfalls ein mit Genugthuung zu begrüßen der Gewinn, daß bei den Dramen, die wie „Egmont" eine irertvolle Musik haben und fordern, in Zukunft die König!. Kapelle Mitwirken wird, und schon gestern war es ein Ge nuß, Ouvertüre und Zwischenaktsmusik in voller Pracht zu hören Über die Klangwirkung des vertieften Orchesters und alle hier einschlägigen Fragen möge sich bei nächster Gelegenheit ein Sachkenner vernehmen lasten, für das erste Mal genügt die Feststellung der Thatsache, daß eine er höhte, in gewissem Sinne festliche Stimmung nicht auSblieb Gegenüber der Aufführung im Mac waren einige Ver änderungen in der Besetzung eingetreten Daß im ganzen die Darstellung des Goetheschcn Trauerspiels zu den Vor führungen klassischer Schöpfungen gehört, bei denen unser Hoftheater eine besonders große Zahl vorzüglicher Ver treter einsetzen kann, ist früher mehrfach erörtert, sowohl das Klärchen de« Frl. Salbach, die Regentin des Frl. Ulrich, der Egmont de« Hrn. Waldeck, der Alba des Hrn Holthau«, der Brackenburg des Hrn. Dettmer, der Vansen des Hrn Müller, der Jetter des Hrn. Erd mann, nach Verdienst und Gebühr gewürdigt worden An der Stelle des Hrn. Porth, der im Gocthe-Cyklu« dieses Frühjahrs noch mitwirkte, spielte Hr. Winds den Lranim Nicht uninteressant in der Maske, nicht ohne einzelne festelndc Züge und ein paar glücklich betonte Wendungen de« großen Zwiegespräch« mit Egmont, im gamen aber voch mit viel zu starker Hervorlehrung eines düsteren Ernstes und eines ins Tnrannenhaste gefärbten starren Wesens. Wohl ist dieser Oranicr Wilhelm der Schweiger, der jeden Schritt seiner spanischen Gegner überwacht und bis inS Geheimkabinett Philipps 11. im Escorial seine Späher besoldet. Er ist aber doch auch WilhelmuS von Nassau«, der Held des niederländischen Volksliedes, der Wall, hinter dem sich Meister Jetter und seinesgleichen sichern möchten. Seine sorgliche Umsicht, seine politische Rechenkunst müssen sich von der des Herzogs von Alba entscheidend abheben, in der Auffassung des Hrn Winds näherte sie sich der letzteren viel zu stark Hr. Wiene spielte den Staatssekrerär Machiavelli in geistig belebter Einfachheit. — Da« Hau« war voll besetzt und in der warmen Empfänglichkeit eines guten Theater abends. Ad. Stern. Aus Julius Grosses Lebenscrinnerungcn. III. „Man könnte sagen, auch da« an sich unbedeutendste Menschenleben erweist sich, wenn es weit genug zurück liegt, um einen Überblick zu gewähren, gleichsam als ein Kunstwerk, organisch komponiert und sinnreich durchgeführt, denn aus der Ferne betrachtet, verwandelt sich das Zu fällige und Äußerliche in das 'Notwendige und Innerliche. Deshalb Haden alle Biographien eine Art von poetischem Reiz, und ein besonderer mag darin liegen, in den Über gängen die Leitmotive oder Formen des Kommenden vor gebildet zu sehen, mit anderen Worten: bei entscheidenden Lebenswandlungen sind gerade die Übergänge von Wichtig keit, denn sie lasten neben den verklingenden Motiven zu gleich die neuen und stärkeren vernehmen " Diese Worte Grosses, die am Eingang de» fünften Buche« seiner „Ursachen und Wirkungen" stehen, charakterisieren treffend die Lebensperiode de« Dichters, in der er, zwischen Malerei und Litteratur auf- und abschwankend, die über reichen unv mannigfach widerspruchsvollen Eindrücke, die München für die eine wie für die andere darbot, auf sich wirken ließ. Welch eine Fülle nicht sowohl verschollener als verblaßter Namen und Bestrebungen feiert in diesem fünften und sechsten Buche der Erinnerungen eine litterar ische Auferstehung! Vicl Zufälliges und Äußerliches läuft allerdings unter. Bei der ganzen Art, wie der zugewan derte norddeutsche Romantiker in die Münchener Kunstwelt hincinwuchs, war das unvermeidlich Seiner Studien an der Akademie gedenkt Grosse ohne Begeisterung. Die Ein drücke, die er empfing, waren „anfangs befremdend, dann abschreckend" und bereiteten ihm gründliche Enttäuschung. Den Lehrkräften — Kaulbach, Hiltensperger, Schwind, Schraudolph, Schlotthauer, Heß, Foltz, Thäter — weiß er keinen Vorwurf zu machen, daß in den Malklasten nur die Vergangenheit galt, erscheint ihm auch in der Erinnerung als ein kleines Übel Dafür aber verurteilt er hart die Aufnahmebedingungen, nach denen nur etwas technische Fertigkeit und gar keine Vorbildung verlangt wurde „So überschwemmten denn Handwerksburschen und Bauern lümmel die Anstalt — eine Klasse von Proletariern, die es höchstens einmal zu Zeichenlehrern und untergeordneten Hilfsarbeitern aber nimmermehr zur vollen Künstlcrschast brachte." Gewiß mag es peinlich ausgefallen sein, wenn Kaulbach im Antikensaal den Akademieschülern „wie Pack trägern und unwissenden Buben" erklären mußte, wer FerreS oder Macbeth gewesen Aber doch entschlägt man sich der Überzeugung nicht, daß die eigentlich brennende Frage für die Kunstakademien: die Talent-, die innere Berussfrage die gleiche geblieben wäre, ob nun Bauern lümmel oder gebildete Einjährige die GipSklasten und die Aktsäle «»füllten Über die Bedeutung und den Berus Münchens äußert sich der Verfasser durchaus und mit Recht enthusiastisch. Er betont die eigentümliche Wirkung der bayerischen Hoch ebene, wo selbst die Schatten bei wolkenlosem Himmel nicht grau wie in Norddeutschland, sondern hellblau wie in Italien sind, er rühmt die Landschaft und die Luft und hat treulich deren erste Eindrücke bewahrt. „Es war ein klingender Wintertag in der Weihnachtszeit, als wir über die sogenannten Überfälle der Isar zur Meuterschwaig schritten, einer Art gastlicher Bergwarte auf dem turm hohen Jsarufer, unfern hohe Buchenwaldungcn und da zwischen die schon begonnenen Niesenpfeiler der bewunderten Eisenbahnbrücke nach Wien, im Süden die Majestät de« blauen Hochlands, das als letzte Scheidewand des ersehnten Italiens verheißungsvoll hcrübcrgrüßte. Damals, an jenem Weihnachtsabend, funkelten die Sterne in scheinbar doppelter Höhe und Pracht, wie ich sie nie gesehen und wie sie nur in der Münchner Alpenlust schimmern Diese Alpcnlust, die stählend und anregend auf Nerven und Hirn wirkt, sodaß man im Vergleich zum Norden das Doppelte gleich sam mühelos arbeiten kann — mir war diese Lust schon allezeit wie Champagner und ich behaupte noch heute, was vielleicht Hunderte und Tausende unbewußt erfahren, die dort gesegnetes Schaffen sanden: München ist und bleibt die erste Künstlerstadt der Welt, lediglich aus klimatischen Gründen und aus keinen anderen." Ob nun Grosse mit den „klimatischen Gründen" da« Rechte trifft oder nicht, jedenfalls wirkte der Zauber der bayerischen Hauptstadt. Wie er allmählich zu spüren begann, daß aus seinen Kunststudien schwerlich ein großer Genremaler herausspringen werde, warf er sich um so entschlossener auf die poetische Produktion und konnte sich rühmen, noch vor Ende des ersten Jahres ein episches Gedicht, eine Novelle, einen Künstlerroman beendigt zu haben Teil nahme für diese Produktionen fand er in einem Kreise von Künstlern und Lchriststellern, die ein wesentlich andere« Gesicht zeigten als die späteren „Münchener" de» Kroko dils Da waren der Maler Trichlein, der Poet so vieler Künstlerfeste in Altmünchener Stil, der vierundachtzig jährige, aber noch frische Bildhauer Konrad Eberhardt, „eine Säule der römischen Nazarener vom Anfang de» Jahrhunderts", da war Hermann Schmid, der damals
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