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Tonnavend. Nk. 162. 14. Juli I8SS Eeitz-zig Die Zeitung erscheint mit Ausnahme des Montags täglich und wird Nachmittags 4 Uhr aus- gegeben. Preis für das Viertel jahr 1'/, Thlr.; jede ein zelne Nummer 2 Ngr. Mutscht Allgemeine Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Beseh!» Zu beziehen durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Erpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). AnsertionKgedühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Englische Circulardepesche vom 1N. Juni. Graf Clarendon hat nach dem Schluffe der Conferenzen folgende Circulardepesche an die diplomatischen Agenten Englands im Auslande ge- richtet: Auswärtiges Amt, 19. Juni 1855. Mein Herr! Am 4. d. M. wurde vom Gra fen Buol eine Konferenz in Wien zusammenberufen, deren Verhandlungen in dem Pro tokoll enthalten find, wovon ich eine Abschrift beischließe. Dieses Protokoll nebst den Protokollen der Conferenzen, die zwischen dem 15. März und 20. Avril in Wien ge halten wurden und deren Abschriften Ihnen zugegangen find, wird Sie mit den De tails der Verhandlungen bekannt machen, in welche Ihre Maj. in Verbindung mit ih ren Alliirten neuerlich eingetreten war und welche zum großen Bedauern Ihrer Maj. uicht mit dem Abschluß eines Friedens mit dem Kaiser von Rußland geendet haben. Ich halte dafür, daß dies ein passender Zeitpunkt ist. Ihnen zu Ihrer Belehrung und Nachachtung die Ansichten der Regierung Ihrer Maj. über die Verhandlungen, welche so ihr Ende erreicht haben, mitzutheilen. Die Bestimmungen, welche festzustelle» Ihre Maj. »nd ihre Alliirten ganz besonders für ihre Obliegenheit ansahen, während sie sich außerdem das Recht vorbehielten, noch auf andern spcciellen Bedingungen zu bestehen, waren folgende: 1) Daß das ausschließliche Recht, in die inner» Angelegenheiten von Provinzen, die zum türkischen Reiche gehören, bis zu einem gewissen Grade sich ein- zumischen, ein Recht, welches Rußland in frühem Zetten der Pforte abgezwungen, nicht länger von jener Macht ausgeübt werden soll«. 2) Daß der Kanal der untern Donau und insbesondere die Mündungen dieses Stroms in das Schwarze Meer nicht länger der ausschließliche» Herrschaft Rußlands unterworfen sei», sondern vielmehr un ter die Oberaufsicht von Delegirten gestellt werden sollen, die von den andern Mäch ten ebenso wol wie von Rußland ernannt werden und Maßregeln zu treffen haben, um die große Wafferverbiudung Centraldeutschlands mit der übrigen Welt von Hemmun gen frei zu machen und frei zu erhalten. 3) Daß das türkische Reich in das System des europäischen Gleichgewichts eingereiht werdej, und daß Anstalten getroffen werden, um dem Uebcraewichte Rußlands auf dem Schwarzen Meer ein Ende zu machen. 4) Daß die Ansprüche Rußlands auf ofsicielle Beschützung der christlichen Uttterthaueu der Pforte aufgegeben werden, und daß die Mächte ihren Einfluß geltend machen sol len, um vom Sultan durch einen Act seiner eigenen souveränen Autorität die Bestä tigung und Beobachtung der religiösen Privilegien seiner christlichen Untcrthanen zu erlangen. Es wurde eine Mittheilung dieses Inhalts am Schluffe Les vorigen Jahres an Rußland gemacht und von dieser Macht als die Basis, auf welcher Verhandlungen eröffnet werden könnten, angenommen. Die Unterhandlungen wurden demgemäß in Wien eröffnet; aber unglücklicherweise ist nur über den erste» und zweiten Punkt et was, was einer llcbereinkunft nahekommt, erreicht worden; denn die Weigerung der russischen Bevollmächtigten, den billigen Vorschlägen, die ihnen von Leu Bevollmächtig ten der Verbündeten über den dritten Punkt gemacht wurden, beizutrcten, hemmte den Fortgang der Unterhandlungen über diesen Punkt, und der vierte Punkt kam infolge dessen nicht zur Erörterung. Es gereicht jedoch Ihrer Maj. Regierung zur Genugthuung, Hinweisen zu können auf die Protokolle über den ersten und zweiten Punkt als einen Beweis von dem eifrigen Bestreben der Alliirten, Bedingungen auszustellen, welche für Lie. allgemeinen Interessen Europas vortheilhaft und ganz besonders für die Entwicke lung des Wohlstandes von Deutschland förderlich sind, und Ihrer Maj. Negierung be dauert es daher umsomehr, daß die Weigerung Rußlands, die Vorschläge der Alliirten über den dritten Punkt anzunehme», den Bortheilen im Wege gestanden hat, die aus den Anordnungen sich ergeben hätte», welche man in Bezug ans die Gegenstände, auf die sich die beiden ersten Punkte bezogen, würde getroffen haben. Ihrer Maj. Negierung hat erfahren, daß Graf Nesselrode in einer Depesche, die er vor kurzem an die russischen Minister an fremden Höfen richtete, sich bemüht hat, Las Verfahren Rußlands bei den Verhandlungen über die zwei ersten Punkte in ein günstiges Licht zu stellen und die auswärtigen Negierungen und mübesondere diejeni gen Deutschlands zu überzeugen, daß die Fortdauer des russischen ttebcrgewichts im Schwarzen Meere zu de» Frage», welche die Fürstenthümer und di« Schiffahrt auf Ler Donau betreffen, sowie zu den Interessen Deutschlands in keiner directen Bezie hung stehe und daß mithin Deutschland mit den Verbündeten in ihren Bemühungen, dieses Uebergewicht zu verkleinern, nicht zusammenzuwirken habe. Ihrer Maj. Negie rung ist jedoch überzeugt, daß ein« unparteiische Erwägung der wirklichen Verhältnisse dazu dienen wird, die Täuschung zu zerstören, welche zu erzeugen Graf Nessclrodc's Depesche beabsichtigte. Ihrer Maj. Negierung will nicht die Wichtigkeit der Gegen stände unterschätzen, auf welche die in Bezug aus die zwei ersten Punkte in den Pro tokollen der Conferenzen entworfenen Arrangements sich beziehen: aber Ihrer Maj. Regierung muß es gestattet sein, zu bemerken, Laß, was die Fürstenthümer anbetrifft, irgendwelche Rechte, die Rußland aus seinen früher» Verträgen besitzen oder in An spruch nehmen mochte, durch die Aufhebung dieser Verträge beim Ausbruch des Kriegs sofort erloschen, und daß daher die Befreiung der Fürstenthümer von der ausschließli chen Protection Rußlands nicht das Ergebniß eines Zugeständnisses Rußlands an die Interessen Deutschlands ist, sondern die directe Folge des gewajtsamen Angriffsacts, Lessen sich Rußland gegen das türkische Reich schuldig gemacht hat; und was die Do nauschiffahrt betrifft, so ist zu bemerken, daß, obwol die in dem fünften Protokoll vor- geschlagenen Arrangements bis zu einem gewissen Grade befriedigend sein würden, doch die Weigerung Rußlands, den billigen Vorschlägen beizutrcten, welche von den öster reichischen Bevollmächtigten in der vierten Konferenz aufgestellt wurde», hauptsächlich daran schuld ist, daß jene Arrangements nicht vollständiger und mehr im Einklang mit den allgemeinen Interessen Europas getroffen wurden. Aber die Arrangements über die zwei ersten Punkte, selbst wenn man sie an sich für hinreichend und befriedigend qnsehen wollte, können so lange nicht als für Europa gesichert angesehen werden, als jene Garantien für ihre beständige Beobachtung, welche durch eine befriedigende Fest setzung über den dritten Punkt zu erreichen waren, hartnäckig von Rußland abgelchnt werden. Es ist nicht genug, daß Rußland sich verpflichtet, daß es nicht ferner in die Angelegenheiten der Fürstenthümer und Serbiens von Amtswegen sich eiumischen will; «S ist nicht genug, daß es darein willigt, einer Commission, die aus Vertretern der verschiedenen beim Douauhandel betheiliarcu Staaten besteht, die Aufgabe zu übertra gen , die Arme jenes Flusses und seine Verbindungen mit dem Schwarze» Meere offen- zucrhalten. Die Interesse» Europa? erfodern außer jenen Bestimmungen eine voll» gültige Bürgschaft dafür, daß Rußland nicht länger jenen überwältigende» moralischen und politischen Einfluß in den Fürstenthümern besitze, welchen auSzuüben eS durch sein Uebergewicht im Schwarzen Meer bisher in Stand gesetzt worden ist, und daß eü nicht durch ein beständiges maritimes Uebergewicht in jenen: Meere die Mittel besitze, den Marsch und die Invasion seiner Armee durch seine Flotte zu unterstützen und so einen tödtlichen Schlag gegen das Herz jenes Reichs zu führen, an welchem die Für stenthümer nur die äußersten Glieder sind. Alsy selbst was die ersten zwei Punkte anbelangt, würde der Genuß von Vorthcilen, welche durch diese Punkte zu erreichen wären, nur precär sein, solange man das Uebergewicht Rußlands im Schwarzen Meere fortdauern ließe. Aber wenn der directe Einfluß dieses ttebcrgewichts auf die große Frage, um derentwillen der Krieg unternommen wurde, in Betracht gezogen wird, dann ist Lie Weigerung Rußlands, in irgendwelche Maßregeln zu willigen, welche je nem Uebergewicht wirksam ein Ende machen würden, eine Warnung, die Europa nicht ohne Gefahr für seine Sicherheit unsachten kann, und zeigt deurlich, daß Rußland nicht gewillt ist, seine langgehegten Angriffsabsichten auf die Türkei beiseite zu legen; sie ist ein offenbarer Beweis, daß die Besorgniß, welche die europäischen Mächte für die Integrität und Unabhängigkeit des osmanische» Reichs hegen, ein gerechtes und vollgültiges Fundament hat. Rußland hat behauptet, Laß die Rücksicht auf seine Würde cs ihm nicht gestatte, den von den Alliirten in Betreff des dritten Punkts vorgeschla genen Bedingungen beizutreten. Aber die Würde Rußlands kann nicht verlangen, daß es in Friedenszeiten und hart an der Schwelle eines schwächer» Nachbars eine Streit macht unterhält, die für Vertheidigungszwecke ganz überflüssig ist, dagegen es in den Stand setzt, in der kürzesten Zeit die Unabhängigkeit jenes Nachbars zu vernichten und die Gebietsvertheilung Europas umzuwandeln. Das aber ist die Stellung, welche Ruß land im Schwarzen Meere eingenommen hat und welche nicht aufzugebcn, wie eS eben jetzt selbst öffentlich ausgesprochen hat, sein fester Entschluß ist. Es ist überflüssig, auf den Mangel jedes Grundes der Selbsterhaltung zur Recht fertigung dieses Entschlusses von Seiten Rußlands näher einzugehen. Es wäre lächer lich zu behaupten, daß es irgendetwas von der Feindseligkeit der Türkei zu fürchten habe; solange die Türkei in Frieden und frei vom einem drohenden Angriff durch Ruß land ist und solange die Meerengen zwischen dem Mittelländischen und dem Schwarzen Meere, außer für eine kleine und beschränkte Anzahl von Kriegsschiffen der Westmächte, verschlossen sind, hat Rußland von den Flotten Englands und Frankreichs nichts zu fürchten, während auf der andern Seite der gegenwärtige Zustand der Dinge im Schwarzen Meere den Beweis liefert, daß, weim zwischen Rußland und der Türkei Kriess ausgebrochen ist und die Meerengen infolge dessen den maritimen Streitkräften der Verbündeten des Sultans geöffnet sind, England und Frankreich, sofern ihnen hin reichende Zeit gewährt ist, im Schwarze» Meere eine Schiffsmacht vereinigen können, die stark genug ist, jedes Schiff, welches Lie russische Flagge trägt, von den Gewässern dieses Meeres wegzufegcn. Rußland hat allerdings angeführt, daß das Uebergewicht, welches es im Schwarzen Meere aufrechtzuerhalten wünscht, für die Sicherheit des tür kischen Reichs gegen die Angriffe anderer Mächte nothwendig sei, aber es ist nicht die Feindschaft der westlichen Mächte, sondern die traditionelle und, was nicht zu viel ge sagt ist, offen eingestandene Politik Rußlands, von welcher das türkische Reich Gefahr zu fürchten hat. Der gegenwärtige Krieg ist unternommen worden, damit Garantie» gegen jene ehrgeizigen Plane Rußlands geschaffen werden, welche die Sicherheit der Türkei »nd die künftige Ruhe Europas bedrohe», in Kürze, um die Worte einer aus neuester Zeit datirendcn russischen Proklamation zu gebrauchen, damit, soweit die Tür kei betheiligt ist, die Erfüllung der Wünsche und Absichten Peter s, Katharinas, Alexan ders und Nikolaus' vereitelt werde. Die Westmächte in Verbindung mit Oesterreich haben dafür gehalten, daß dieser Zweck aufs wirksamste dadurch zu sichern sei, Laß die Macht Rußlands im Schwarzen Meere auf billige Grenzen zurückgeführt wird. Sic würden als das sicherste Mittel zu diesen: Zweck cs vorgezogen haben, daß Rußland und die Pforte zugleich auf das Recht verzichten, im Schwarzen Meere irgendeine Seemacht zu unterhalten, die größer ist, als es für bloße Polizcizwecke erfoderlich; aber die Westmächte beruhigten sich gern dabei, daß Rußland eine beschränkte und spe- cificirte Marine im Schwarzen Meere besitze, indem sie sich LaS Recht vvrbehielten, ihrerseits zusammen eine entsprechende Macht in jenem Meere zn unterhalten, zugleich aber als eine Bürgschaft für die Beobachtung jener Bestimmung das fernere Recht in Anspruch nahmen, in allen russischen Häfen östlich der Meerengen Consuln anzustellen. Aber die westlichen Mächte, welche jetzt das Schwarze Meer, wo die russische Flagge sich nicht zu zeigen wagt, ausschließlich im Besitz haben, hatte» nicht die Absicht, Ruß land Bedingungen vorzuschlagcn, die seiner Würde Eintrag thun könnten, und sie ha ben nie daran gedacht zu verlangen, daß Rußland genöth'igt sein solle, jedes Indivi duum, das zu ernennen sie für gut finde» möchten, als Konsul zu acceptiren, und daß eS ihm verwehrt sein solle, die übliche Machtvollkommenheit auszuübcn durch Nicht gewährung des Exequatur an irgendeine Person, gegen welche gegründete Einwendun gen erhoben werden könnten. Rußland jedoch hat sich geweigert, diese billigen Vor schläge zu unterzeichnen, und an ihrer Stelle hat es zwei Entwürfe zur ttmgestaltung des Vertrags von 1841 angebote», deren praktische Wirkung die sein würde, daß, wel- chcn von beiden die westlichen Mächte auch annehmen möchten, diese Mächte gcnöthigt sein würden, beständig in der Nähe des Schwarzen Meeres eine große Seemacht zu unterhalten, die für jedes eintrctende Ereignih zu handeln bereit sein müßt«. Donn nach dem eine» Plan schlug Rußland vor, daß die Meerenge:: zwischen dem Mittel ländischen und Schwarzen Meere zu allen Zeiten den Schiffen aller Nationen offen sein sollten, also auch seinen eigenen Flotten vom Pontus und der Ostsee. Die Wir kung dieses Systems wäre die gewesen, daß Konstantinopel zu jeder Zeit allen Gefah ren ausgesetzt gewesen wäre, welche aus dem plötzlichen Erscheinen einer übermächtigen russischen Flotte vor dieser Hauptstadt hätte» entspringen können, während zugleich die Ruhe des Mittelmeers und alle großen Interessen in demselben der Störung durch das Auftreten einer mächtigen russischen Flotte, welche jeden Augenblick aus dem Pon tus Hervorbrechen konnte, ausgesetzt gewesen wären. Um diese doppelte Gefahr abzu wehren, wären die Regierungen Englands und Frankreichs genöthigt gewesen, im Mit telmeere eine Kriegöstreitmacht in FricdenSzeiten zu unterhalten und fortwährend ihre Flotten in großer Entfernung von ihren Arsenalen und Hülfsguelleu zn stationiren. sodaß ein auf solche Bedingungen geschlossener Friede nichts weiter gewesen wäre als ein bewaffneter Waffenstillstand, ohne die Sicherheit, welche das Wesen des Friedens t^t,- und ohne jene Ermäßigung der Ausgaben, welche der Beendigung eines Kriegs