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Amtsblatt für die könialichen und städtischen Behörden zu Freiberg und Brand. ^Z196. 187« Donnerstag, den 24. August. E-sche! ät jeden Wochentag Abend» S Ühr für den ander« Tag. Preis vierteljähr lich 2 Mark 2b Ps., »weimonatl. 1 Mk. vv Pf. und ein- monatl. 7S Ps. Die Redaktion be- findet sich Rinnen gasse SSr. ü. St. ImberaerAmemerW Frotschers-Buch. Handlung, zu senderu. und Tageblatt. Nachabounements auf de« „»retKvrKe» für de« Monat September zu dem Preise von 75 Pfennige« werde« auswärts vo« allen kaiserlichen Postanstalten, in Freiberg von der Unterzeichneten Buchhandlung eut- gegevgenommen. Ankündigungen aller Art finden im reiber^er die weiteste Verbreitung. ffol8ok6n'8ekv kuekkanälung. Lord Russell über die Orientpolilik Enqland's. Aus Lord Russell's Feder ist soeben eine Broschüre er schienen, betitelt „die auswärtige Politik Großbritannien's im Jahre 1876", welche nicht verfehlt, in politischen Kreisen Aussehen zu machen. Der greise Staatsmann beginnt den ersten Theil seiner Flugschrift mit der Bemerkung, es möge gesagt werden, daß England während der letzten zwei Jahre bei einem Ruhepunkte in seinem politischen Fortschritte an gelangt sei. Dann skizzirt er in raschen Umrissen die Ge schichte der Beziehungen Großbritannien's und der Türkei, schließend mit seiner Depesche an Sir Henry Bulwer im September 1860, in welcher er in sehr nachdrücklicher Sprache die Korruption und Untüchtigkeit der türkischen Regierung tadelt. Er fügt hinzu „ich habe in dieser De pesche bemerkt, daß, wenn kein Geld im Wege der Anleihe erlangt wird, ein Tag der Reform kommen mag, wenn aber Geld im Wege der Anleihe erlangt wird und kein System wechsel eintritt, werde sicherlich ein Tag der Revolution kommen." Diese im September 1860 geschriebenen Worte, unterstützt von Lord Palmerston, waren sicherlich warnend genug und doch erklärten 15 Jahre später auswärtige Jour nalisten trotz dieser und anderer in noch stärkeren Ausdrücken abgefaßten Depeschen, daß ich furchtsam zusah, den Sultan und seine Minister niemals vor ihren Verbrechen und Vergehen warnte oder sie auf die sicherlich folgende Wieder vergeltung vorbereitete. Der zweite Theil der Broschüre erörtert die Fragen: „ist das türkische Reich der Erhaltung Werth?" und wenn nicht, „was soll an seine Stelle gesetzt werden?" Auf die erste Frage erlheilt Lord Russell eine verneinende Antwort; seine Schlußfolgerung ist: „nicht daß wir die Türkei an greifen, sondern aufhören sollten in ihrer Vertheidigung zu handeln." Lord Russell fährt fort: „Es ist leicht denkbar, daß Abtheilungen österreichischer, russischer, deutscher, bri tischer und französischer Truppen die irregulären Streit kräfte der herzegowinischen Insurgenten niederwerfen dürs ten; aber daß die Streitkräfte von vier, fünf oder selbst sechs der europäischen Großmächte die Uebel der Türkei verbessern und durch ihre Agenten die interne Regierung eines großen Staates leiten sollten, erscheint mir als eine wilde und hoffnungslose Aufgabe. Ich werde demnach im zweiten Theile dieses Aufsatzes die Frage „was, wenn das türkische Reich nicht länger durch fremde Truppen aufrecht zu erhalten ist, an seine Stelle gesetzt werden sollte," zu beantworten versuchen. Lord Russell glaubt, daß die Vor schläge Oesterreichs und Rußlands ermangeln müssen, eine Reform der türkischen Regierung zu bewerkstelligen, weil der Sultan keine Männer habe, denen die Ausführung derselben anvertraut werden könne. Ich muß demnach folgern — fährt er fort — daß es nur ein Hilfsmittel giebt und dieses ist: den Souverän zu wechseln, die Krone auf das Haupt eines Christen zu sitzen und den Sultan einer mit Wahrheit und Gerechtigkeit, Religion und Fröm migkeit, Frieden und Glückseligkeit unverträglichen Herr- I schäft zu berauben. Die Bedingung, auf welche wir be stehen sollten, ist die in jeder Hinsicht wirkliche und wesent liche Gleichstellung der christlichen und muhamedanischen Unterthanen des Sultans. Christliche Richter müßten die I Rechtspflege in den türkischen Gerichtshöfen üben; christ- > liche wie muhamedanische Minister die für Heer und flotte erforderlichen Subsidien einsammeln. Im dritten Theile seiner Schrift gelangt Lord Ruffel zu folgenden allgemeinen Schlüffen: „Es schien mir, viel über diese Dinge nachdenkend, daß eine Vision vor meinen Augen vorüberzog. Erstens: Sechs Herren saßen an einem grünen Tisch herum; dieselben repräsentirten Oesterreich, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien und Rußland. Ein Schriftstück wurde ihnen vorgelegt, welches den Titel trüg: „Rubriken eines Allianzvertrages für die Regelung des türkischen Reiches in Europa." Dieser Ver trag begann mit einem Artikel für die Bildung eines Bundes, genannt der „Donaubund". ES war somit in einiger Hinsicht eine Nachahmung des Rheinbundes des französischen Kaiserreiches. Aber während der Rheinbund zum Zwecke der Vernichtung der Unabhängigkeit eines jeden Staates, welcher ihm angehörte, geschaffen wurde, bezweckte der gegenwärtige Vertrag die Herstellung und Bestätigung der Unabhängigkeit eines jeden Gliedes des Bundes. Zweitens, die Glieder des Bundes sollten sein: 1. Serbien, Hauptstadt Belgrad, regierender Fürst: Fürst Milan. 2. Kroatien und die Herzegowina, Hauptstadt Ragusa, regierender Fürst: ein österreichischer Erzherzog. 3. Rumänien, die Walachei und Moldau umfassend, Hauptstadt Bukarest, regierender Fürst: Fürst Karl. 4. Die Bulgarei, Hauptstadt Adrianopel, regierender Fürst: ein vom Kaiser von Oesterreich ernannter Erzherzog. 5. Das Königreich Griechenland, Thessalien und Epirus umfassend, Hauptstadt Athen, regierender Fürst: Der König von Griechenland. Die übrige Vision hatte viel von der Un bestimmtheit eines Traumes an sich, zeigte mir aber einen Protektor des Donaubundes, repräsentirt durch den Kaiser von Oesterreich. Es schien auch, daß die gegenwärtige Be schränkung und Begrenzungen, welche das Einlaufen von Kriegsschiffen in das schwarze Meer verbieten, gänzlich auf gehoben waren. Odessa und Sebastopol waren den Schiffen aller Nationen ebenso offen, als die Durchfahrt vom bri tischen Kanal nach dem atlantischen Ozean. Ich erwähnte, daß die Königin von Großbritannien ihre Absicht erklärte, der Protektor des Donaubundes zur See zu sein, wie der Kaiser von Oesterreich es zu Lande sein würde und in den Pausen meines Traumes hörte ich den Chor: „Rule Lri- t-tllui«, rulos tbo N'rrvoti!" * So weit Lord Russell's Broschüre, die uns nicht nur, wie dem Verfasser selbst, in ihren Schlußsätzen, sondern in ihrem ganzen Projekt des „Donaubundes" mit österreichischer Protektion als Traumgebilde erscheint. Rom Kriegsschauplätze. Die gestrigen widerspruchsvollen Depeschen vom Kriegs schauplätze sind auch heute noch ohne Aufklärung Aller dings meldet ein offizielles Regiernngstelegramm aus Belgrad, daß die Konstantinopeler offiziellen Telegramme vom 20. August unrichtig seien. Dieselben behaupteten nämlich, die Türken hätten am letzten Sonntage der kon- zentrirten serbischen Armee bei Al^xinatz eine totale Nieder lage bereitet und deren Stellungen und Befestigungen ein genommen. Dagegen sagt heute das erwäbnte Belgrader Regierungstelegramm: Der Uebergang über die Morawa fand in Mramor statt, demnach auf türkischem Gebiet. Die am ersten Tage vollständig zurückzeschlagene türkische Armee rückte am zweiten Tage bis in die Nähe der serbischen Grenze vor, wurde jedoch am 2 t. früh von den Serben angegriffen und neuerdings zurückgeworfen. Am Nachmittag ergriffen die Türken abermals die Offensive, jedoch erfolg los. Dem Feinde konnte nicht einmal die Annäherung an die Befestigungswerke von Alexinatz gelingen. — Uns will es scheinen, als habe man am 20. und 2 t. mit abwechseln den Glück gekämpft, weshalb beide Theile sich des Sieges rühmen. Die Entscheidung steht demnach immer noch aus und müssen wir weitere Nachrichten abwarten. Ueber den Lieg der Montenegriner in der Kuci werden folgende Details gemeldet: Die Türken bereitrten ihre Unternehmung gegen die Kuci schon seit mehreren Tagen vor, und hatte dieselbe den Zweck, die Invasion nach Montenegro einzuleiten. Zu diesem Behufs disponirte der an Stelle Achmed Hamdi Paschas neu ernannte und vor Kurzem in Scntari eingelrosfene Oberkommandant Mahmud Paicha 8100 Nizams in 14 Halbbataillonen, 3000 Zeibeks und 5000 Baschi Bozuks in der Weise, daß die türkischen Streitkräfte an der Straße, auf welcher die Vorrückung erfolgen sollte, starke Verschanzungen errichteten, von Elchen aus Ire succesive die Kuci zu erreiche,r und vor Allem Medun zu verproviantiren die Absicht hatten. Die mehrtägigen Bewegungen der Türken zu diesen Zwecken onnten den Montenegrinern nicht verborgen bleiben, und omit trafen auch sie ihre Anstalten, um der türkischen Vorrückung Halt zu gebieten. Am 14. August rückten unter Bozo Petrovic gegen 4000 Montenegriner und 2000 Kucianer und Albanesen, welch' Letztere sich schon seit den letzten Erfolgen der Montenegriner diesen theilweise angeschloffen hatten, in früher Morgenstunde vor und stießen alsbald auf die tür kische Vorhut, welche sich trotz ihrer Uebermacht hinter die ersten Verschanzungen zurückzog. Hier entwickelte sich nun ein Feuergefecht, welches nahezu drei Stunden dauerte und bei der Ueberlegenheit der türkischen Präzisionswaffen leicht zu Ungunsten der Montenegriner geendigt hätte. Das Feuergesecht löste sich schließlich in ein mehrstündiges Plänkeln auf, welches bis gegen 3 Uhr Nachmittags an hielt, um welche Zeit die numerisch überlegenen Türken Anstalten trafen, von allen Seiten aus ihren Verschan zungen zum weitern Angriff hervorzubrechen. Dieser Mo ment wurde von den Montenegrinern wahrgenommen, um die bisherige Gefechts-Taktik aufzulaffen und zur alten, oft erprobten Kampfweise ihre Zuflucht zu nehmen. Mit noch nicht dagewesener Verwegenheit stürzten sich die Monte negriner und ihre Verbündeten von drei Seiten her: von Solek, Ducic und Kolac in Schwärme aufgelöst, auf die Türken, während von der Moraca her ein montenegrinisches Bataillon den Letzter» unbemerkt in die Flanke siel. Nun entstand ein fürchterliches Gemetzel mit der blanken Waffe. In wenigen Augenblicken wurden den Türken 20 Ver schanzungen entrißen und dieselben in wilder Flucht von den montenegrinischen Schaaren, welche stets dreinhauend und köpfend dicht hinter ihnen her waren, verfolgt. Min destens blieben 5000 Türken todt auf dem Schlachtfeld». Die Montenegriner überbrachten ihrem Kommandanten Petrovic 3000 Hinterlader, 5 Lasten Munition, 98 Säbel und Zeibeks-Aatagans, 19 Fahnen, sehr viele kostbare Waffen, Pferde, Zelte und anderes Kriegsmaterial. Der Verlust der Montenegriner beträgt 200 Tobte und mehr als 3000 Verwundete. Unter den gefallenen Montene grinern befinden sich 7 Offiziere und 4 Bajraktars. Eine neue Greuelthat der Türken beschreibt ein Korrespondent aus Saitschar unterm 10. d. M. wie folgt: „Heute durchläuft eins furchtbare Nachricht die Stadt. Man flüstert einander zu, daß Asses Pascha, der hiesige Platzkommandant, Befehl gegeben habe, die 257 verwun deten Serben, welche die Feinde bei ihrem Abzüge zurück gelaffen hatten, umzubringen, und diese Schandthat soll diesen Vormittag vollzogen worden sein. Vorübergehende, die der Weg in die Nähe des Hospitals führte, wollen Hilferufe und herzzerreißendes Jammergeschrei, begleitet von entsetzlichen Flüchen und Scheltworten, vernommen haben. Die Wachen, denen man dies anzeigte, antworteten mit lakonischem Kopfschütteln, und als man die Sache dem neuen Platzkommandanten anzeigte, soll dieser höchst ver wundert gesagt haben, er wisse von keinen Ver wundeten. In Wirklichkeit soll er dem ihn fragenden Tscherkessenmajor, was mit den blessirten Serben zu ge schehen habe, ruhig geantwortet haben: „Wir brauchen sie nicht." Diese edle Antwort begleitete er mit viel broeutenveu Augmzwinkrru, woran: Micza Bey eine Abtheilung seiner Leute durch eins Hinterthür in das Spital geführt habe. Binnen wenigen Minuten wurde den Unglücklichen der Garaus gemacht. Die Leichen sollen bis Nachts im Spitals liegen bleiben, dann aber durch zwanzig acquirirte Bulgarenwagen außerhalb der Stadt geführt und in einer der Zajcrr im Norden um gebenden Schluchten untergebracht werden. Dies erzählt man ganz offen und ungescheut in der Stadt und Einer der höheren Offiziere, den ich darüber inlerpellirte, hatte den Muth, mir ins Gesicht zu sagen, daß^es unwahr sei, daß man verwundete Serben in Saitchar (Zajcar) vorgefunden hätte, mir, der ich Gelegenheit hatte, die- elben, zu Skeletten abgemagert, in langen Reihen von aureiulichen Betten hingelagert zu sehen." Dis Verhaftungen unter den Bulgaren dauern fort; wer nur irgendwie verdächtig erscheint, wird aufgegriffen und nach Rustschuk transportirt. Lämmtliche Gefangene haben mit Ketten belastet den Marsch zurücklegen müßen. — Vor Kurzem sind fünf von den Serben erbeutete Vorder lader-Kanonen mit großem Siegesjubel uach Rustschuk ge bracht worden. Aut der einen dieser Kanonen sah mit ge zogenem Säbel ein seit Jahren in den Straßen RustschukS sich herumtceibender verückter Türks, Namens Memisch, dem seine Glaubensgenoßen das Prädikat „Pascha" beigelegt baden. Da bei den Mohammedanern bekanntlich jeder Geisteskranke als Heiliger betrachtet und verehrt wird, so werden dem angeblichen Pascha auch alle nur erdenklichen Freiheiten erlaubt.