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Mittwoch den 2. Nugust LVLL Nr. L74 — LO. Jahrgan» «gch»t„t tS,ltch uachm. mit «uinahvie der-Sonn-uni, Festtnge. «»«gab» I mit .Die Zeit in Wort und Vild- dirrteljiibrltch 2,10 In Dresden durch Bot?» 2 40 >c In «anj Deutichland frei Hau» 2 82 in Oeperret» 4.41» X. tlu-aad« » ohne Illustrierte «eiloae vterteliülirlt» IdIO In Deerden durch Bolen 2,10 X In ffanz Deutschland frei Hau« 2 22 in Oesterreich 4,OV L — Ltnjcl-Rr. IO Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserat« werden die Nnespaltene Petttzeiie oder deren Rn um mir 18 . Reklamen mit 80 4 die Zeile berechne», bei Wiet»'idolun§ew entiprechende» Rabat! Vuchdrmkrrrt, Rcdakttou nn» tveschästtiftrlle: Lre-deo, Pillutqer Straße 4l». — stcrulprechcr IltOO Jür RSikgabe unverlanitt. Schriftstücke keine ivrrbiadltchtet» Redaktion» Sprechstunde: II bi« 12 Uhr. geuen Negierung geklagt. Auf dem Umwege über London erfährt man ja manches trotzdem. Geheimniskrämerei mutz sein, wenn es sich uni Kompensationen handelt. Würde Deutschland unter allen Umständen die Aufteilung Ma rokkos fordern, dann könnte es offen reden — aber auch nicht über alle Einzelheiten. Da aber alle Welr weis; datz cs sich um Kompensationen an der Westküste Afrikas Han- delt, vielleicht gar um eine recht grotzzügige Idee, die nicht nur die Grenzsteine einige Kilometer oorrücken will, wie kann man da im Ernste fordern, datz man vor aller Oeffeut- lichkeit verhandeln müsse. Wer von seinem Nachbarn ein Haus kaufen will, schreit dies nicht vorher auf allen Straßen und Gassen aus; er bedient sich vielmehr eines Mittels mannes, macht alles recht vertraulich, und er fährt gut damit: das tut sogar der Fiskus, wenn er Häuser oder Gelände kauft, und der Reichstag wünscht, datz mau so kauf männisch verfahren soll. Wo es sich aber um ein grotzes internationales Geschäft handelt, da soll nun das Reich die Gebote der Klugheit, des gesunden Menschenverstandes und der geschäftlichen Gcwaudtheit mitzachteu und jeden Dag offen sagen, was es fordert. Die Prokuristen des Reiches mützten aus dem Auswärtigen Amte gepeitscht werden, wenn sie auf solche Forderungen ciugeheu wollten. Es ist aber auch keine Gefahr da, datz man den naiven Zu mutungen einzelner Blätter folgt. Tie Ocffentlichkeit kommt zu ihrem Rechte, sehr ausführlich sogar, und auch die Volksvertretung erhält ihr Recht. Die Aufnahme der aktiven Auslandspolitik mutz auch frei von jeder nervösen Begleiterscheinung sein: das Dringen auf den Abschluß mag einzelne» Privatwünschen entsprechen, könnte aber letzten Endes doch nur schaden. Was in sieben Jahren an Kreuz- und Ouerzügen falsch gemacht worden ist, kann nicht in drei Wochen alles in tadel lose Ordnung gebracht werden. Man mutz die Kunst des Wartens auch in der Auslandspolitik lernen. Die Haupt sache ist, datz ein befriedigender Erfolg zu buchen ist und datz der erste Akt des neuen Stückes mindestens einen all gemeinen Achtungserfolg einheimst. Stellt man alle Meldungen aus Paris und London zusammen, so würde die Angelegenheit jetzt folgender matzen stehen: Frankreich erhält ganz Marokko und mutz sich im Riff mit Spanien verständigen, es gewährt aber in Marokko volle Handelsfreiheit, die Freiheit des Landerwerbes, des Bergbaues, erhebt keine Ausfuhrzölle und anerkennt die wohlerworbenen Rechte (was nach einem englischen Blatte auch den Gebrüdern Mannesman» zugute kommen soll). Faukreich vollendet damit sein uordafri- kanisches Kolonialreich. Deutschland erhält den ganzen französischen Kongo, tritt aber als Gegenleistung die Kolo- nie Togo und das Kameruner Hinterland an Frankreich ab. Das würde auch im allgemeinen eine Basis sein, auf der man sich verständigen könnte. Ist für Paris der Verlust des Kongo unangenehm, so gibt Deutschland seine Muster kolonie Togo preis. Di? Ehre und Würde beider Nationen würden bei solchen Komi'miiationen gewahrt bleiben. Wenn anfangs die französische P' sse so scharf gegen die Preisgabe man sagen, datz am französischen Kongo wieder ein weites Feld der deutschen Kulturarbeit sich öffnen werde. Aktive Auslandspolitik ist aber unter allen Umständen besser, als ein dumpfes Dahiubrüten und ewig verbindliches Lächeln nach allen Seiten: wenn sie auch unter nicht leichten Um ständen eiugeleitet werden mutz, der Erfolg wird sich doch einstellen. M. Erzbcrger, M. d. R. Ein Papstwort für die Presse. Papst PiuS X. hat an die Bischöfe Brasilien- ein Schreiben gerichtet, in welchem e» bei warmer Empfehlung der kathol.schen Volksbewegung bezüglich der Presse heißt: „Wir glauben noch eine Ermahnung beifügen zw müssen, die auch zur Förderung deS Eifers der Geistlichkeit und der Volksbewegung sehr nützlich sein wird. ES ist euch sicherlich nicht unbekannt, wie groß die Macht, sowohl die zerstörende als die aufbaucnde Macht der Zeitungen und Zeitschriften ist, die dank ihrem geringen Preis überall leicht Eingang findet und nach allen Seiten hin die An sichten verbreite», von denen sie erfüllt sind. Ihr sehet leibst, wie die Gottlosen die Presse mißbrauchen. Wir wünschen sehr lebhaft, datz euer Hirtcneifer sich bemühe, durch eine vorzügliche Presse euren Schüflein eine aus gezeichnete Weide zu bieten. Ihr habt gewiß keinen Mangel an Katholiken, die hervorrugen an Tugend und Wissen, vertrauet ihnen die Aufgabe an, unter eurer Anleitung zu schreiben mit Klugheit, Nächstenliebe und Achtung für die Autoritäten, wie es sich für jene ziemt, die dir Verteidigung der heiligen Rechte der Wahrheit und Gerechtigkeit über nehmen. Es genügt indes nicht, katholische Zeitungen herouSzngeben und in die Hände der Guten zu geben, man muß sich auch befleißigen, sie so wett wie möglich zu verbreiten und sie von allen lesen zu lassen, besonders von solchen, die den Gistqnelleu der schlechten Presse zu entreißen, die christliche Nächstenliebe von unS verlangt. So wird es kommen, datz man aus der Sache nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit die Presse, diese moderne Waffe in den Dienst des Guten stellt." Diese Papstworte haben Bedeutung für die ganze Welt, denn was für Brasilien gilt, trifft auch bei unk zu. Die wahren Katholiken zeigen auch durch Verbreitung der Presse, wie viel ihnen an der Erhaltung de» Glaubens gelegen ist. Politische Rundschau. Dresden, deo 1. August ISN. Die Feuerbestattung in der Erste» württembergischcn Kammer. Die Regierung stellte den Ständen gegenüber den Antrag auf Bespöttelung der Genehmigung der Feuer bestattung im einzelnen Falle. Sie ging davon aus, datz durch diese Erlaulmiserteilung den Behörden in den ein zelnen Fällen ein grotzes Stück Mühe erwachse und bean tragte Sporteln bis zu 5,0 Mark für den einzelnen Ge- Atttve Auslandspolilit. dlgadir wird in der deutschen auswärtigen Politik ein Markstein sein: es bedeutet das Ende der passiven Aus landspolitik, den Anfang des aktiven Eingreifens des Reiches nach einer mehr als zehnjährigen Ruhepause. Darum hat man auch in allen deutsche» Kreisen dieser Aktion so freudig zngestimmt und »ur innerhalb der Sozialdemokratie ist man mitzgestimmt und treibt die un verantwortliche Politik der Kriegshetze. Man unterstellt dein deutschen Vorgehen allerlei abenteuerliche Pläne, gibt eine Menge falscl)er Meldungen wieder »nd protestiert dann sehr entschieden gegen die kriegerische» Absichten, welche nur die Phantasie der sozialdemokratischen Presse heraufgezaubcrt hat. Oder treibt man dieses gefährliche Spiel aus Aerger, weil man von dem günstigen Ansgange der Aktion eine Einwirkung auf die Reichstagswahlen be fürchtet, weil jetzt jedem denkenden Deutschen klar geworden ist, das; ein starkes Heer und eine moderne Flotte — beides verweigert die Sozialdemokratie — für die Existenz der deutfchen Nation unentbehrlich sind? Jedenfalls hat man aber in allen bürgerlichen Kreisen erfreut davon Kenntnis genommen, datz die Zeit des deutschen Dahindämmerns vorüber ist. Im letzten Jahrzehnt glich unsere Auslands- Politik dem bequemen Manne, der auf den; Sofa l ;t, französische Romane liest, schon unwillig wird, wenn das Mohrchen im Zimmer knurrt, von dem Lärme der Stratze vollends nichts hören will und sich „aufrichtig freut", wenn die „Reibuugsflächcu" unter den Nachbarn sich vermindern; er bedachte dabei nur nicht, datz dadurch die Stotzkraft gegen das eigene Heim erhöht wird. Wenn man unwillig ob solcher Lethargie wurde, bekam man die Frage: „Soll ich vom Leder ziehen?" Wie wenn es zwischen politischem Stumpfsinn und Abfeucrn der Kanonen nicht noch ein Mittelding auf dieser Erde geben würde. Gerade die nun begonnene Aufnahme einer aktiven Anslandspolitik fand daher so freudige Zustimmung, weil man daraus sah, datz das «lolao krrr nianta vorüber sein soll. Eine aufstrebende Nation hat immer Freude am Zeichen der Kraft, während siitzeS Nichtstun auch sic erlahme» lässt. Es ist aber gar nicht überraschend, datz der erste Akt der neuen Politik iin AuSlande nicht sehr freundlich aufgenommen worden ist; man war eben von Berlin her z» sehr verwöhnt »norden und konnte sich tm ersten Augenblicke gar nicht daran ge wöhnen, datz Deutschland auch eine aktive Politik treiben kann. Heute hat man sich in Paris und London schon damit abgefunden, wenn natürlich diese Wendung auch keine Jubelfanfarcn aiislöst. Die Tat von Agadir ist im deutschen Volke so freudig begriffst worden, datz inan alle und jede Bedenken über daS Wohin? und Wie? zurückstellte und datz man Vertrauen gewann Aber dies mutz auch anhalten, wenn nicht das Schnellzugstcmpo uns an das Ziel aller Wünsche bringt. Durchhalten! ruft man dem auswärtigen Amte zu. Durchhaltrn gilt auch für die öffentliche Meinung in Deutschland. Es wäre der grösste Fehler, wen» man mis- mutig beiseite treten wollte, weil kein Deutsch-Marokko herausspringt: es wäre ein unverzeihlicher Fehler, wenn man über die „Geheimniskrämerei" sich aufhält lind ab- flauen will. Verhandlungen über Kompensationen können nicht auf dem cffenen Markte geführt werden. Tie Seffent- lichkeit erhält zur gegebenen Zeit auch ihr Recht und ebenso der Reichstag, da aller Wahrscheinlichkeit der Inhalt des Abkommens so wird, datz die Zustimmung des Reichstages erforderlich ist Kein einziges französisches Blatt hat über die Geheimniskrämerei der dortigen in Paris verschwie- des Kongo sich auslntz, m ist doch heute das Bild ein anderes, wo Togo an Franlreich fallen soll, da dieses seine Kolonie Tahüme») dadurch erheblich vergrößern kan». Wenn auf dieser Grundlage die Verständigung herbeigeführt wer de» soll, dann könnten beide Teile zufrieden sein, das würde ein dauerndes Abkommen sein, das die Zusammenarbeit der Völker erleichtert. Es würde uns recht schmerzhaft sein, die Stätte Wjähriger deutscher Tätigkeit abbrechen und die deutsche Flagge niederholeu zu sollen: wohl aber könnte iiehniigiiiigssall, Tie Kammer der Abgeordneten strich mit Stiininenmehrbeit unter Führung der Sozialdemokratie und der Volkspartei dieses Vesteiierungsvorhaben, da ja bei Beerdigungen auch keine Sportel» zum Ansatz kommen. Tie Erste Kammer ist nun am 27. Juli dem Anträge der Regierung beigetreten. Sie hat sich dadurch in scharfen Gegensatz zu der Kammer der Abgeordneten gestellt und scheint zum Nachgeben nicht gewillt zu sei». Beharren beide Kammer» auf ihrem Standpunkte, dann käme das ganze Sportelgcsetz zu Fall und damit würde ein Hauptdeckungs- Vischof v. kettelers soziales Wirken. (Von einem Schüler deS verewigten Bischofs > HI- l^achdruck verboten-! Wie wurde Bischof v. Ketteler als sozialpolitischer Schriftsteller gewürdigt ? (Schluß.) Was urteilten aber die liberalen Manckesterleute, die Minister mit Fürst Bismarck an der Spitze, über die Vor schläge des bischöflichen Soziatresormcrs? Als Gras v Galen dieselben im Reichstage vertrat, geriet man dort in eine Stimmung, wie man sie geistig Unzurechnungs fähigen gegenüber empfindet. Wie zwei verschiedene Welten — rief Nickert — stehen wir voneinander entfernt und können uns nicht verstehen. (Stimmen im Zentrum: Ja, sehr richtig. Sie sind modern, »vir nicht.) Jawohl, ich bin stolz darauf, Herr Abgeordneter Windthorst, datz ich ein Kind dieser modernen Welt bin. Staatsminister Hoffman» meinte sogar während sämtliche anderen Anträge von der Regierung in reiflichste Erwägung gezogen werden könnten und müsste», könne der Antrag Galen und Genosse» in seiner ganzen Richtung, di? ihm namentlich durch die Motivierung anfgeprägt sei. nicht anders aufgefatzt werden, denn als eine Provokation der Regierung, als ein sehr schwerer Angriff gegen die bis herige Wirtschaftspolitik der verbündeten Regierungen und deS Reichskanzlers. Fürst BiSmarck schrieb am 10. August 1877 an den .Handelsminister, durch die Sorge für die körperliche Sicherheit der Arbeiter, für die Schonung der Äugend, für die Trennung der Geschlechter, für die Syim- tagsheiligung, für Fabrikinspektoren werde der Friede der Arbeiter und der Patrone nicht hergestellt. Im Gegenteil, ;ede weitere Hemmung und künstliche Beschränkung im Fabrikbetrieve vermindere die Fähigkeit der Arbeitgeber zur Lohnzahlung. Ja, durch die beschränkenden Matz regeln der Ärbeiterschutzgesctzgebnng würde Dentschland seine Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmärkte schwächen. Der edle Antragsteller wurde als nicht ernst zu nehmen in ungezählten Karikaturen dargestellt und erhielt de» Spott- namen, der apokalyptische Graf. Erst als Kaiser Wilhelm II. durch di-' Februar erlasse 1890 seinen uiiabäuderliche» Willen kundgegebe». neue Bahnen in der sozialen Gesetzgebung einzuschlagen. da schwenkten auch die Liberalen ein, und am 17. Mai leistete Abgeordneter Schröder im Reichstage gewissermaßen als reuiger Sünder Abbitte. Was früher gewesen, will ich nicht berücksichtigen. Jetzt gerade ist es erwünscht, daß wir alle Erinnerungen au frühere etwaige uuangciiehiue Begeg nungen verlassen, das; »vir jetzt versuchen, ans dem neue» Wege vereint zu gehen. Wo immer aber christliche Politiker sich der sozialen Frage zuwaudteu, da kam Ketteler zu Ehren. Viktor Acm6 Huber, Protestant, der bekannte Förderer humani tärer Bestrebungen, schreibt ihm: „Ich hege große Ver ehrung schon seit Jahre» für Ein. Bischöfl. Gnaden wie in jeder Hinsicht, so auch insbesondere ivegcn Ihrer kräftigen und würdigsten Vertretung der Interessen des armen Volkes, ich darf mich als Mitarbeiter auf demselben Felde anseheu, wo die Entscheidungen der Zukunft hauptsächlich liegen." Dr. Mischler^ Professor der Nationalökonomie in Prag, lobt die „Arbeiterfrage" als ein warm und klac geschriebenes Buch, hochwichtig, weil ein so bedeutender Zeuge streng kirchlicher Auffassung die Beleuchtung der materiellen Interessen vom Standpunkte der heiligen Kirche für einen Gegenstand der Forschung erkannt und ei» nachahinnngswürdiges Beispiel gibt für Priester »nb Laien. Von seiner Versammlung zu Hamburg wandte sich der protestantische Vorstand des deutschen Handwerkcrbniides 1861 in einem begeisterten Dankschreiben an den Bischof für die erleuchtete weihevolle Weise, wie er sich des bedrängten Handiverker und ArheitcrstaiideS angenommen, er (Vor stand) misse im voraus, daß der Bischof solchen Dank aus dem protestantischen Norden des gemeinsamen Vaterlandes, dargcliracht in einer die höchsten Interessen von Katholiken und Protestanten gemeinsam betreffenden Angelegenheit, nicht zilrückweiscn werde. Ein protestantischer Tüncher aus Berlin ist wahrhaft ergnickt durch die Lesung der Arbeiterfrage und will daraus »eiche Belehrung für sich und seine Bestrebungen entnehmen, ein Breslauer Maschinellarbeiter, ebenfalls Protestant, hat als seine heutige Sonntagsarbeit das Kettelersche Buch ge lesen und dankt dein Verfasser als Menschenfreund, den er in der anderen Welt hoffe wiederzusehen. Am Josephstage 1868 traten die Ehristlichsozialen Blätter in Aachen ans Tageslicht, Vorbild auf dem sozialen Gebiete war ihnen der beredte bischöfliche Arbeiterfreund, Von dem zweiten Leiter des Blattes, Bongartz igest. 1883). heisst cs im Nachrufe: „Sein guter Stern war v. Ketteleü nebst den auf dessen Antrieb erlassenen Direktiven dev