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Ireilag, Nr. 28. S. NM 186S. " ' — - - * Vrrist vierteljährlich 12»>Ngr. Z« beziehen durch alle kgl. Poft- Anstalten. Ein unterhaltendes Blatt für den Bürger und Landmann. Erscheint jeden Dienstag und Freitag früh. Redigirt unter Verantwortlichkeit des Verlegers C. Heinrich. Politische Weltschau. Deutschland» Der Reichstag des norddeutschen Bundes nahm am 6. d. M. seine Thätigkeit wieder auf und ehrte zu nächst das Andenken seines während der Osterferien verstorbenen Mitgliedes, des Generalmajors Friedrich Karl Stavenhagen, durch Erheben von den Sitzen. Unter den Berathungsgegenständen der ersten Sitzung bietet unstreitig der Antrag des Äbg. Hagen hinsichtlich der Befreiung der Militärpersonen von Kommunalabgaben das hervortretendste Interesse. Dieser Antrag lautet: Der Reichstag wolle beschließen, zu erklären: Die Verordnung deS Bundespräsidiums vom 22. December 1868, betreffend die Ein führung der in Preußen geltenden Vorschriften über die Heran ziehung der Militärpersonen zu Kommunalauflagen im ganzen Bundesgebiet, ist durch den Artikel 61 der Bundes-Ver fassung nicht gerechtfertigt, und ist dieselbe daher, insofern sie der ver fassungsmäßigen Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstags entbehrt, als eine rechtsverbindliche Norm für die einzelnen Bundes staaten nicht zu erachten." Der Abg. Graf Schwerin hatte hierzu folgendes Amendement gestellt: „Eine Kommission von 21 Mitgliedern zu ernennen und der selben den Antrag des Abg. Hagen, die Drucksachen, so wie die den Gegenstand betreffenden Petitionen mit dem Auftrage zu überweisen, die Rechtsgültigkeit der Verordnung vom 22. December 1868^ zu prüfen und eventuell Vorschläge zur anderweitigen gesetzlichen Re- gulirung der Angelegenheit zu machen." Nach Motivirung dieser beiden Anträge durch die Antrag steller nahmen drei sächsische Abgeordnete nach einander das Wort und zwar zunächst Abg. Günther: Lange Zeit hat nichts in Sachsen so viel Aufregung hervorgerufen, als die Be- frciung des Militärs von den Kommunallasten durch einen plötz lichen Befehl des Bundeskanzlers. Während man jetzt überall von Selbstverwaltung, von Beschränkung des Einspruchsrechts der Regierungen in die Kommunalverhältnisse spricht, greift der Bundesrath in die tiefinnersten Verhältnisse der Kommunen willkürlich ein, und zwar nicht durch eine neue Verordnung, sondern durch Einführung einer alten preußischen Kabinetsordre vom Jahre 1847. Als vor einiger Zeit der Abg. Braun (Wiesbaden) hier im Hause eine veraltete Bestimmung der sächsischen Ver fassung verlas, die übrigens ohne alle Bedeutung ist und von Niemandem mehr gekannt wird, und die geltend zu machen man nie versucht hat, entstand eine allgemeine Heiterkeit über das Bestehen einer solchen Bestimmung. Heute handelt es sich um eine preußische Verordnung von altem Datum, die nicht minder unzeitgemäß und die sich von der sächsischen Bestimmung noch dadurch unterscheidet, daß sie nicht bloS nominell ist, sondern in Preußen noch gilt und nun auch in den andern Bundesstaaten eingeführt worden ist. Ich habe zu erwarten, mit welcher Stimmung Sie diese Verordnung aufnehmen werden. Und was hat sie für einen Zweck? Keinen andern, als den Kommunen und den Staatsbürgern neue Lasten aufzubürden, während sie durch das gegenwärtige Heersystem doch wahrscheinlich schon ge nug belastet werden. Dieses System, das schon jedem Einzelnen lo außerordentliche Opfer auferlegt, das uns neue Steuern und Linunddreißigster Lehrgang. II. Quartal. das Defizit bringt, dieses System will jetzt auch noch eingreifen in die tiefinnersten Verhältnisse der Kommunen. Es ist dabei doch noch zu bedenken, daß es sich hier nicht um eine Truppe fremder Söldner, sondern um das Volk in Waffen handelt, da- man nun jetzt durch solche Bestimmungen außerhalb der bürger lichen Kreise und des bürgerlichen Lebens stellen will. Man sagt nun: die Maßregel war nöthig, um die staatliche Einheit herzustellen. Da wäre es doch besser gewesen, in Preußen den Ausnahmezustand aufzuheben, anstatt denselben in den andern Ländern einzuführen. Solche Verordnungen werden nicht die Zufriedenheit und Anhänglichkeit an den Bund befördern, sondern den bundesfeindlichen Elementen Vorschub leisten. Ich bitte, prinzipiell den Antrag Hagen anzunehmen, eventuell aber bin ich auch mit der Ueberweisung an die Kommission einverstanden, in der Hoffnung, daß die Kommission die Sache mit der nöthigen Energie betreiben wird. Abg. Ackermann glaubt, daß die vorliegende Verordnung in jeder Beziehung dem Einflüsse entgegentritt, den die nord deutsche Bundes-Verfassung auf die übrigen Bundesländer aus üben soll. In Sachsen würde die Aufrechterhaltung derselben von den schlimmsten Folgen begleitet sein, denn die sächsische Geschichte zeige, daß daselbst schon lange der Grundsatz gegolten hat: „Gleiche Rechte und Pflichten für Alle, weg mit allen Privilegien." Daran halte, das sächsische Volk fest und würde eine derartige Verord nung eingeführt, so prüfe es dieselbe und könne zu keinem an deren Resultat kommen, als daß für das Volk in Waffen ein neues Privilegium geschaffen wird. Dadurch entstehe aber die größte Unzufriedenheit, das solle man wohl bedenken. In der That sei zu erwägen, ob die Verfügung mit Art. 61 der Verfassung in Einklang zu bringen sei, der ausdrücklich sage, daß im Bunde die gesammte preußische Militärgesetzgebung nach Publikation der Verfassung in Kraft trete. Nun sei aber die Verfügung vom 16. Sept. 1867, also nach der Publikation erlassen, mithin könne die Verfügung wohl für Preußen, aber nie für die übrigen Bundesländer Geltung haben. Auch der Grund sei nicht maß gebend, daß die Verfügung auf der vom Jahre 1862 bafire, beide deckten sich durchaus nicht, ja sie seien überhaupt zur Militär- Gesetzgebung gar nicht gehörig, da in den Bereich derselben nur spezifische Militärsachen fallen. Wohl sei das Haus schon heut im Stande, die Entscheidung zu treffen, doch wolle er auch die Kommission acceptiren, zumal sie doch nur das Verdikt über die Verfügung aussprechen könne. Abg. Gebert hält es für unmöglich, die Vorschriften über die Heranziehung der Militärpersonen zu Kommunal-Auflagen der Militärgesetzgebung und damit zugleich dem Artikel 61 der Verfassung zu subsumiren. Bei Berathung der Verfassung hätte sicherlich, selbst am Tische des Bundesrathes, Niemand daran gedacht, den Artikel 61 später als einen Hebel zur Belastung der Kommunen zu benutzen. Er selbst müsse konstatiren, daß ein großer Theil der Abgeordneten Bedenken getragen haben würde, dem Artikel 61 zuzustimmen, wenn man gewußt hätte, welche Ausdehnung ihm gegeben werden könnte. Der Wunsch, alle Verordnungen, Reskripte und Ordonnanzen zusammenzustellen, auf welche der Artikel 61 Anwendung finden dürfe, habe damals im Reichstage Heiterkeit und Widerspruch gefunden; wäre dem-