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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.09.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000917021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900091702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900091702
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-09
- Tag 1900-09-17
-
Monat
1900-09
-
Jahr
1900
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In Shanghai hatte Li den Besuch de» deutschen Gesandten von Mumm er wartet, dieser aber weigerte sich, den Besuch abzustatlcn. L> stattete dann Herrn von Mumm einen Besuch ab, nachdem er sich zuvor mit Tscbeng-Tschi-Tuug berathen hatte. ES ist behauptet worden, diese Unterredung sei durch Vermittelung einer fremden Macht herbeigesührt worden. Das ist nach der „Köln. Ztg." ganz unrichtig und cs bedurfte auch einer solchen Vermittelung nicht Angesichts der sehr einfachen Weisungen, die Herrn von Mumm in Bezug auf den Vice- lönig ertbeilt worden waren und die dahin gingen, den Besuch Li-Hung-Tschang« anzunehmen, wenn ihm ein solcher an gemeldet würde, und ibn dann zu erwidern. Was die Haltung Li - Hung - Tscbangs und des Prinzen Tsching anbetrifft, so meint der Pariser „Malin", die Rollen in China seien vollständig vertauscht, jetzt seien cs die chinesischen Unterhändler, die Bürgschaften von den Mächten verlangten, und nur die übermäßige Langiuutb der Mächte sei schuld daran, daß Prinz Tsching und Li-Hung- Tschang so verwegen seien. Es ist nicht ganz klar, welche Bürg schaften das Blatt meint, richtig ist aber, daß die Herren Chinesen sich noch immer nicht über den Ernst der Lage vollständig klar geworden sind und daß dazu die anscheinenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mächten hauptsächlich beigetragen haben. Wenn jetzt auch noch die Räumung Pekings erfolgte, so würde aller Voraussicht nach mit ihnen gar nicht mehr auSzukommcn sein, und man würde die ganze Arbeit noch einmal vorzunebmen haben. Je weniger „Lang- mutb" die Mächte zeigen, desto eher werden die Chinesen jeden Widerstand aufgeben. Die amerikanische Regierung hat sich von vornherein eifrig für die Vermittelung Li-Hung-TsckangS interessirt, und war immer bestrebt, diejenigen Einwendungen zu beseitigen, die von anderer Seite gegen diesen Unterhändler erhoben werden. Bei den Verhandlungen kommt jedoch, meint das eben citirte Blatt, nicht allein die Person der Unterhändler in Betracht, sondern vor Allem die Regelmäßigkeit und angemessene Bürg schaften gebende Art der Beglaubigung. Ist diese Vorbedingung erst einmal erfüllt, so wird man über die Person der Unter händler sehr viel leichter zu einer Einigung kommen können. Es scheint festzustehen, daß dem Prinzen Tsching die Rolle deS ersten Unterhändlers zugedacht ist, und es ist nicht wahr scheinlich, daß irgend eine Macht diese Persönlichkeit zurück weisen sollte. Wer dem Prinzen Tsching als weiterer Be vollmächtigter beigegeben wird, ist eine Frage zweiter Ordnung. Die bedeutenden Eigenschaften Li-Hung-TschangS sind wohl von keiner Seite verkannt worden, auch nicht die barte Energie, mit der er Ausschreitungen in Canton nieder gehalten hat. Nur war leider sein Verhalten in den letzten zwei Monaten nickt immer ganz zuverlässig, da er es wiederholt versuchte, den Anforderungen von verschiedenen Seiten gerecht zu werden. Ziemlich skeptisch sieht der Berliner Mitarbeiter der „Halleschen Ztg." den Friedensverhandlungen entgegen. Er erfährt u. A. Folgendes: „Die Edicte des Kaisers Kwang-sü, durch die sich Li-Hung-Tschang als Bevollmächtigter be glaubigen will, sind entweder nicht echt, oder wenn echt, doch »ur unter der Voraussetzung werthvoll, daß Kaiser Kwang-sü nicht mehr ein mißbrauchtes Werkzeug der Kaiserin-Wittwe, sondern wirklich der auch von den entflohenen Machthabern anerkannte Herrscher Chinas ist, der durch Vermittelung Li-Hung-Tscbangs oder anderer Personen für sein Reich bindende Zusagen an die Mächte ertheilen kann. In Kreisen, die mit der hiesigen Diplomatie Fühlung haben, hält man für den gangbarsten Weg um die Forderungen aller Betbeiligten an China durchzusetzcn, eine vorherig,? Verständigung über Inhalt und Um fang der Forderungen zwischen denMächtensclbst. So lange diese Verständigung nicht erreicht ist, werden die Kanonen das Wort führen." Vine Unterredung mit Li-Hnng-Tschang Aus Shanghai, 9. August, sendet der dortige Mitarbeiter der „Welt-Corrcsp." einen interessanten Bericht über eine Unterredung, die er mit Li-Hung-Tschang hatte. Wenn auch durch die Ereignisse der jüngsten Wochen Manches in den Aeußerungen Li-Hung-TsckangS sachlich überholt ist, so ist cs doch gerade jetzt von hohem Werthc, zu erfahren, wie der chinesische Staatsmann, der thatsächlich doch im Mittelpunkte der chinesischen Diplomatie siebt und eben jetzt wieder als bevollmächtigter Unterhändler Chinas eine ent scheidende Rolle spielt, über die politische Situation, die leitenden Persönlichkeiten rc. in China denkt. Auck ist die Unterhaltung für die Verschlagenheit deS greisen Politikers sehr bezeichnend. Die Unterredung fand am 6. August in Shanghai statt. Der Bericht darüber lautet: Ich richtete an Li-Hung-Tschang die Frage, warum er nicht im Süden geblieben sei, zumal er die dortige Situation durch seine Entfernung selbst für verschlimmert ansehe und er doch dem Consularcorps der verbündeten Mächte in Shanghai sein Verbleiben im Süden ausdrücklich zugesagt hätte. Die Antwort lautete: „Zu der Zeit, als ich meine diesbezüglichen Zusagen machte, war ich unter dem Eindrücke, daß die legitime Re gierung in Peking gestürzt wäre. Ich habe aber inzwischen unantastbare Beweise dafür gefunden, daß sowohl der Kaiser als auch die Kaiserin-Wittwe am Leben sind. ES ist die Kaiserin-Wittwe gewesen, welche mich jetzt nach Cbibli berufen bat; sie ist überzeugt, daß ich jetzt dort der Dynastie bedeutendere Dienste zu leisten vermag, als im Süden. Zur Zeit bin ick indessen leider krank; es plagt mich das alte liebel, das mich schon viele Iabre verfolgt, nämlich die Dysenterie. Unter diesen Umständen kann ich nicht wagen, Shanghai zu ver lassen, und daher habe ick mir einen Urlaub von drei Wochen erbeten, welchen ick aber sicherlich noch verlängern lassen muß. Sobald sich die Verhältnisse (man darf annehmen, daß Li damit nicht sowohl auf seine Gesundheit, als auf die poli tischen Verhältnisse angespielt bat) bessern, werde ich mich nach dem Norden begeben. Ich fürchte aber, daß darüber noch mehrere Monate vergehen können." Darauf wolle ich gern von ihm hören, ob er nicht mit der Uebernahme des Vicekönigthums von Cbibli unter den obwaltenden Verhältnissen ohne Weiteres gezwungen wäre, den Kampf gegen die Fremden aufzunehmen; die Erwiderung war inhaltlich folgende: „Keineswegs; die Umstände liegen wesentlich anders, als Sie vermuthen. Die Kaiserin-Wittwe wünscht je eher je besser mit den Mächten Frieden zu schließen. Hat sie mich doch direct beauftragt, zu diesem Behufe sofort Verhandlungen anznknüpfen! Es würde deshalb nur im Sinne dieser Weisung sein, wenn eS mir gelänge, sobald Ihr neuer Gesandter, vr. Mumm von Schwarzenstein, der, wie ich höre, bereits Ende des Monats in Shanghai cintreffen soll, hier landet, mich durch ihn wenigstens mit einem Tbeile der Mächte inS Einvernehmen zu setzen. Ich hoffe zuversichtlich, mindestens über einige Hauptpuncte mich mit diesem Herrn bereits als Vorbereitung kommender Verhandlungen hier besprechen zu können." Es war unter diesen Umständen von Interesse, darüber Auskunft zu erhalten, ob Li-Hung-Tschang der Ansicht ist, daß Deutschland oder die anderen Mächte, welche große Trnppcnsendungen nach China abschickten, sich auf Unter bandlungen mit der chinesischen Regierung einlassen würden, ehe das von ihnen angestrebte Ziel erreicht sei. Hierzu meinte der Vicckönig: „Soweit mir bekannt ist, befinden sich die Mächte auch heute noch gar nicht im Kriege mit China. Sie wollen viel mehr lediglich cingreisen, um in den besetzten Gebieten Ruhe und Frieden wieder berzusiellen; sie wollen es allerdings nöthigenfalls mit Waffengewalt versuchen, es dazu zu bringen, daß Handel und Wandel in der durch unsere Verträge garan- tirten Weiss wieder ihren ruhigen Gang gehen. China zu bekriegen, ist aber doch nicht ihr Endzweck, sonvern sie wollen nur Alles wieder inS rechte Geleise bringen. Und, sehen Sie, gerade dasselbe zu erreichen, ist der Herzenswunsch der Kaiserin Wittwe (!). Ich bin im Besitze zweier Edicte, welche beide dies klar und deutlich aussprechen. Das eine ist an die Vice könige und Gouverneure des Reiches gerichtet und machtdcnselben den Schutz der Fremden zur Pflicht. Das andere macht Dnengln, den Generaliömus des kaiserlichen HeereS, persönlich dafür verant wortlich, daß den Gesandten und den in ihrer Begleitung befindlichen Ausländern nicht allein kein Harm geschieht, sondern sie auch in Sicherbeit die Küste erreichen. Und so weit ick in Erfahrung habe bringen können, hat Hnengli bereits Anstalten getroffen, den ihm gewordenen Befehl aus zuführen; er will mit den Gesandten und anderen Aus ländern Peking auf der Straße nach Shanhaikwan verlassen. Freilich, ob ihm das schon jetzt gelingen kann, wo nock große Mengen von Aufständischen sich im Gebiete zwischen der Hauptstadt und der Küste befinden, bleibt erst abzuwarten. Ta stellen Sie eine recht schwierige Frage, wenn Sie von mir erfahren wollen, wer für den heutigen Standpunkt der Dinge in Nordchina verantwortlich sei. Was zunächst den Prinzen Tu an anlangt, so bin ich fest davon überzeugt, daß die Rolle, die er spielt, von den Europäern nicht richtig beurtheilt wird. Daß Kang - yi mehr oder weniger die Seele der ganzen fremdenfeindlichen Be wegung in Peking ist, daS unterliegt keinem Zweifel. Aber Kang-yi ist nickt so stark, wie Sie anzunehmen scheinen, es arbeiten mit ihm noch eine ganze Reibe anderer Männer. Mit Ausnahme von Li-Ping-Heng ist ausfallcnderweise der Name derselben von der europäischen Presse bisher nicht genannt worden, und Sie können es mir nickt ver denken, wenn ick Ihre Aufmerksamkeit nicht auf diese Leute richten möchte. Mit der Zeit werden sie Ihnen schon bekannt werden. Darin haben Sie vollkommen Recht, Li-Ping-Heng ist aller dings Alles, waS er in China bedeutet, durch mich geworden. Ich habe auf ihn große Stücke gehalten nnd viel von ihm erwartet. Aber ich habe mich in ihm getäuscht. Ich hatte geglaubt, daß seine Abneigung gegen die Ausländer nicht, wie eS jetzt geschehen ist, die Oberhand über seine guten Eigenschaften gewinnen würde. Selbst zu der Zeit, als Deutschland mit ihm, dem damaligen Gouverneur von Schautung, ein Hühnchen zu pflücken hatte, habe ich ihn nicht so recht eigentlich für das gehalten, was Sie fremdenfeindlich nennen. Ich habe aber inzwischen einsehen müssen, daß ich, wie gesagt, mich in einem schweren Irrthume befand. Betreffs der Hinrichtung der beiden Mitglieder des Tsnngli Manien, Hsü-Cbing-Cheng und Guan-Cy ang, kann ich Ihnen leider keine Einzelheiten mittheilen, denn nähere Nachrichten darüber habe ich selber noch nicht. Aber zu dem Ihnen Bekannten kann ich jedenfalls das noch hinzusügen, daß außer diesen beiden Herren noch sieben andere als liberal bekannte Beamte hingerichtel wurden. Es sind schwere Zeiten, durch welche China augen blicklich sich durcharbeiten muß; solche Zeiten können nur starke und feste Charaktere überdauern. Ich brauche .Sie also kaum noch erst auf den Grund aufmerksam zu machen, warum Hsü eines der ersten Opfer im Kampfe um die Macht in Peking gewesen ist. Er ist ja allen Deutschen bekannt geworden, und Sie werden sich also erinnern, daß ihm daö abging, waö Sie „Rückgrat" nennen. Er wollte es mit Niemandem verderben und verdarb es daher mit Allen. Für Männer solchen Schlages ist aber beute im Tsungli Hamen kein Platz. Zeiten wie dir jetzigen erfordern Männer, welche unter allen Umständen die Verantwortung für daS, WaS sie thun und lassen, auch ganz übernehmen können. Für die zukünftige Regelung unseres Verhältnisses zu dem AuSlande dürfte übrigens dies ein nicht zu unter schätzender Vortheil sein." Soweit Li-Hung-TschangS Auslassungen. Mag darin auch Manches einseitig aufgefaßt, Manches wissentlich ein seitig dargestellt sein, so geben sie zweifellos Vock einen gewissen Anhalt dafür, in was für Bahnen die Chinesen heute die Dinge leiten möchten. Las „russische Ultimatum". WaS daö angebliche Ultimatum der russischen Regierung an Li-Hung-Tschang betrifft, so ist die „Pol. Corr." in der Lage, zu constatiren, daß den amtlichen Stellen, die nack Ansicht des genannten Organs von einem solchen Schritte Kenntniß haben müßten, bisher keinerlei Nachricht zugekommcn ist, die der aus Schanghai verbreiteten Dar stellung irgendwie als Grundlage dienen könnte. Es werde dieser Nachricht in diplomatischen Kreisen überhaupt alle innere Wahrscheinlichkeit abgesprochen. Tie „Räumung" Pekings. Aus Washington, >6. September, meldet das „Reuter'sche Bureau": Gutem Vernehmen nach wird in der Antwort der Vereinigten Staaten auf den Vorschlag Rußland« be züglich der Räumung Pekings keineswegs die Versicherung ertbeilt, daß die amerikanischen Truppen sofort nach dem Rückzüge der Russen die Stadt räumen würden. Die Beurtbeilunz der Lage würde einfach von dem Staatsdepar tement auf den General Chaffee übergehen, welcher mit den übrigen Befehlshabern über die Einzelheiten de« Rückzüge« der amerikanischen Truppen zu beratben haben würde. Auch diese Meldung zeigt wieder, daß die Vereinigten Staaten schwanken und schwanken, ohne zu einem festen Enl- I schtuß zu kommen. Es sind die bevorstehenden Wahlen, Feuilleton. 3f Der neue Tag. Roman von Klara Zahn. Nachdruck vcrl>ctcir. In solcher Stimmung nun wanderte Anny mit dem Förster durch Wiesenpfade zum Badersee. Sie schritt gut zu. Der Förster brauchte seinen gewohnten Schritt nicht zu hemmen, und er sagte anerkennend: „Schreiten kannst Du, Wenns mit dem Steigen ebenso geht, vermelde ich Dir meinen Respect, Kind!" „Kein Wunder, Onkel", entgegnete Anny froh, „hier wird man ja getragen von dec starken, würzigen Luft, und das Ge zirpe im Gras und das Geschmettre in den Zweigen, Onkelchen, ich denke manchmal, nun müssen uns doch wirkliche Flügel wachsen, es ist zu schön!" „Du liebes Ding, wie muh die Stadt Dich eineiigen, daß Dich ein solcher Taumel hier umfängt!" „Die Stadt? Unser liebes Nürnberg? — Nein! Weißt Du, wenn ich mit meinen Jungen des Abends vor die Thore wandre, dann dehnt und weitet es sich mir gerade so hier drinnen. Und wenn wir heimkehren, die langen Häuserschatten nach uns Haschen, die Brünnlein plätschern und der Mondenschein so lieb kosend jedes Giebelchen und Zäckchen und Thürmchen versilbert aufblitzen läßt, und man so denkt, da schritt mein Mütterchen, wie sie jung und froh war, und ihre Mutter, und immer weiter zurück, Geschlecht um Geschlecht, und all' das Leben und Ver gehen umschlossen die treuen Mauern mit gleichem Schutze, mit gleicher Liebe — das ist auch schön!" „Gewiß, Kind! Was wäre auch für DeinPoetenhe» nicht schön? Du vergoldest eben selbst Alle-, womit Du in Berührung kommst!" „Alles? — O nein — die Menschen z. B. sehe ich leider sehr oft ohne diesen schönen Ueberzug!" „Willst Du mir weiß machen, daß es Dir an Menschen liebe fehlt?" „Das nicht gerade — aber an Uebereinstimmung mit den Menschen!" „Ja so! — Na, da« begreife ich. Mußt Dich halt trösten. Sieh, in der Natur giebts auch vllimerln, die stehen schaaren- weise dicht bei einander, und andere, die sind ganz einzeln gesät. — Sonnenlicht haben sie aber alle miteinander, daS ist die Haupt fach'!" Anny wußte, daß ihr Onkel eine im tiefsten Innern religiöse Natur war, und sie verstand sein Sleichnih. Kaum merklich hob ein Seufzer ihre Brust. Ihrem Fühlen that dieser summa rische Glaube nicht Genüge. Das Gelände stieg allmählich. Die Julisonne that heute ihr Bestes, und des Försters Sacktuch fuhr immer energischer über seine schweißgebadete Stirne. Anny stand vor ihm und neckte: „Nun, wer zahlt den ersten Tribut der Ermattung? — Ich nicht, sieh mich an, kein Schweißtröpflein auf der Stirne!" „Natürlich, mit Deinem weißen Batistfähnchen auch und Deinen 20 Jahren!" „O bitte, 25 beinahe!" „'s ist ja nicht möglich! Nein, freilich, freilich! — Du, sag mal, warum heirathest Du nicht? — Steckt wohl so eine un glückliche Liebe dahinter, wie? — Na beichte einmal! — Ein Mädel wie Du, das wär' doch gar —" Weiter kam er nicht. Anny lachte aus vollem, freiem Herzen. „Nein Onkelchen, das ist zu schön! Ein solch' großartiges Compliment hat mir ja mein eifrigster Verehrer noch nicht ge macht! Also eine andere Erklärung kanns gar nicht geben, als daß ich schon verliebt bin? — — Doch! Doch, Onkelchen! Ich hab' halt den „Rechten" noch nicht gefunden." „Na, wie Du willst, ich wollte Dich nicht ausfragen!" „Aber lieber Onkel, wie soll ich Dir's betheuern? Es ist so, ich kann doch nicht anders sagen." „Hm — Du scheinst in der That eine etwas ungewöhnliche Species Mensch zu sein, Anny!" „Leider, Onkelchen!" lachte Anny seelenvergnügt. Die letzten Steigungen waren überwunden, Onkel und Nichte standen vor dem Parkthore, das den Eingang zum Badersee er schloß. Anny las den Anschlag und ihr glockenhelles Lachen klang in leisem Echo zurück von den Felsen. „Nein, ist das köstlich, Onkelchen, hier wird die Natur verzollt." Mit drolligem Pathos las sie: „Dieweil es häufig so schlechte Menschen giebt, die sich den See ansehen, aber dem Wirthe nichts zu verdienen geben wollen, wird eine Kopfsteuer erhoben, die bei begehrter Ätzung angerechnet wird." — „Das finde ich einfach großartig!" „Wir keineswegs, mein Fräulein, wir reisen nämlich auf ge meinschaftliche Casse und berechnen eben, ob der kleine See zwei Mark werth ist!" Der Sprecher, ein hübscher, junger Mann, der hinter einer mächtigen Buche hervoraetreten war und ungenirt das Mädchen angesprochen hatte, grüßte höflich zu dem Oberförster hinüber. — Der Förster lächelte. Sein geübter Blick hatte ihn sofort überzeugt, daß der junge Mann, sowie die drei anderen Herren, die sich nun langsam näherten, Künstler waren, die gewöhnlich mit großem Muthe und wenig Geld durch die Welt zogen. Verbindlich sagte er: „Gestatten Sie, meine Herren, daß ich die Honneurs dieses kleinen Sees mache. Ich bin sozusagen Mitbesitzer desselben und für mich und meine Gesellschaft gilt daher die Vorschrift natürlich nicht." Die jungen Leute sahen sich wechselseitig in einiger Verlegen heit an, dann den würdigen alten Herrn und das reizende Mäd chen an seiner Seite, die mit verhaltenem Jubel der kleinen Scene zusah. Das Letztere mochte wohl den Ausschlag geben, denn mit einem energischen Rucke streckte der erste Sprecher dem Förster die Hand entgegen und sagte: „Wenn Sie halt so freundlich sein wollen, uns wär's schon recht, gelt?" Dies „gelt" galt seinen Genossen, die sich jetzt höflich näherten und in gleich treuherziger Weise sich vorstellten. Die Namen summten nur halbgehört an Anny's Ohren vorbei, aber „Maler", „Bildhauer", „München", „Wien" klang es an ihr Ohr. Das konnte ja äußerst lustig werden! Auf eine solche Idee wäre ihr Papa nie verfallen. Ja, aber der Onkel Oberförster! Der Cerberus mit der grünen Büchse hatte sich auf einen raschen Wink des Oberförsters zurückgezogen. Auf der Terrasse saßen schon einige Gäste. Der See erschien wirklich winzig beim ersten Anblick und so flach, daß man meinte, mit der Hand den Boden erreichen zu können. Von großem Reize war die ganz eigenartige hellblaue Färbung des Sees, die in verschiedene Farbentöne überging. Zwei Boote lagen am Strande. Folgers trat heran: „Rudern können die Herren, nicht wahr?" „Natürlich, natürlich!" schallte es zurück. „So brauchen wir keinen Führer, ich werde den Cicerone machen." Fröhlich bestieg man die Boote. Es war eigen, wie der See sich weitete vor den Blicken, als die Boote darüber hinglitten; nur die Tiefe, die in der That vorhanden war und stellenweise 20 Meter und darüber betrug, konnte man mit dem Auge nicht abschätzen. Das krystallklare Wasser ließ jedes Steinchen am Grunde greifbar nahe erscheinen. Der Oberförster wies auf die Quellen, die vom Grunde deS Sees aufströmten und blaue, leuchtende Grotten bildeten mit ihrem Geriesel. „Nein, aber die Hauptsache!" rief er fröhlich, nach der Tiefe deutend, „geben Sie Acht auf Ihre Herzen, meine Herren — voilL — dir Nixe!" Und seltsam! Tief unten im blauen See, die Arme sehn süchtig aufwärts gehoben, schimmerte rin weißer Frauenleib, und ein weißes, lächelndes Frauenhaupt bog sich zärtlich dem Be schauer entgegen. Die Boote trieben ganz langsam im Kreise, und mit langsamen, weichen Bewegungen schien die Nixe ihrem Lauf zu folgen, unheimlich lebendig und zauberisch in der magisch blauen Beleuchtung des WasserS. Anny war entzückt. Sie schaute und schaute noch immer hinab auf das Märchengebilde, als die Insassen der Boote schon längst ihre Meinungen über diese „Kunstspielerei" geäußert hatten. Der Bildhauer war ganz grimmig: „Natürlich, zu solchem Unfug haben die Leute immer Geld. Eine Schaubude auf dem Seegrund, das ist doch wieder was Neues, ha! Aber für die große Kunst, an der Einer rechtschaffen festhält, für die ist nix übrig?' sagte er. „Mit Verlaub", lachte der Oberförster. „Diese Nixe gilt als ein Kunstwerk, das ein namhafter Professor verfertigte. Wie hieß er doch gleich?" „Na gehen s! Ein Professor — natürlich, wer denn sonst! So an Professor kriegt noch ganz andere Sachen fertig, Spuck- näpf' mit Engelsköpferln oder was man grad' zu bestellen die Gnade hat." Der Oberförster bekämpfte das Lächeln, das ihm die über schäumende Rauflust des jungen Künstlers erweckte, und meinte jovial: „Na, sehen s halt, so ein armer Professor will auch leben, vom Titel allein kann er's doch nicht!" Alle lachten. Anny aber rief dazwischen: „Ich lasse mir meine Nixe nicht schlecht machen! Was wollen Sie denn, ist es nicht poetisch, dies leuchtende Gebild, von Wellen bewegt? — Gehört eine Nixe nicht viel richtiger in ihr Element, als auf hohen Sockel in die Museen? Ist es nicht die Aufgabe der Kunst, zu erheitern und zu erheben? Und erfüllt diese Nixe, die so stimmungsvoll dem Rahmen diese« ganzen Märchenbildes ein gefügt ist, ihren Zweck nicht bei Tausenden, die wie wir über diesen See fahren?" „Bravo! Bravo!" riefen die Künstler enthusiastisch. Ob mehr entzückt von Anny's Auffassung oder ihrer temperament vollen Parteinahme und ihren leuchtenden Augen, sei dahin gestellt. — Neben Anny saß ein junger Maler, der Liebling der kleinen Künstlerschaar, wie es schien, der nur immer „Fred" von ihnen gerufen wurde. Er neigte sich jetzt zu dem Mädchen herüber und sagte, nur für sie bestimmt: „Es ist schwer, selbst mit Künstlern über die Kunst zu sprechen. — Für Jeden schaut sie anders drein. Sie ist eben da» Ungreifbare in unS und doch über uns, wir fühlen nur, es ist da, Nachweisen läßt e» sich kaum. Eine künstlerische Seele versteht sie immer und überall und läßt sich nicht irre leiten durch leeres Gepränge." Anny blickte interessirt in die lebendig bewegten Mienen des Sprechenden. Seine Augen fielen ihr auf. Eie schauten so tief in die ihren und waren so hell bi» zum Grunde, wie der klare See zu ihren Füßen. Kein Arg lag darin, fast unberührt von der Welt, wie Kinderaugen blickten sie. Ein Gefühl tiefsten Vertrautseins mit dem Fremden, wie sie es noch nie gekannt,
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