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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.09.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020913018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902091301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902091301
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-09
- Tag 1902-09-13
-
Monat
1902-09
-
Jahr
1902
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Dieser Beweis ist allerdings dadurch geliefert, denn in dem das aus sieben Mitgliedern bestehende Kriegsgericht Herrn de Saint-Romy zu einer Strafe verurtheilte, die einer ehrenden Anerkennung verzweifelt ähnlich ist, that es dar, daß de Saint-Romy mit seinen eigenartigen Auf fassungen über Disciplin nicht allein steht. Ebenso wichtig aber ist der Vorgang als ein Beweis der politischen Spaltungen im französischen Officiercorps. Auf den ersten Blick scheint ja das Urtheil gerade kamerad schaftlichen Sinn zu beweisen, denn die Officiere traten auf die Seite ihres auf der Anklagebank sitzenden Kameraden. Es ist aber ganz zweifellos, daß andere Kriegsgerichte genau entgegengesetzt geurtheilt hätten, denn in den letzten Jahren ist die Zahl der strikt republikanischen Offi ciere erheblich gewachsen. Diese republikanischen Officiere müssen nun das Ur theil vvn Nantes als einen Schlag ins Gesicht betrachten, denn dieses Urtheil besagt doch schließlich nichts Anderes, als daß es überflüssig sei, den Anordnungen einer repu- blikanischcw Negierung Folge zu leisten. Dcks Urtheil mnß also die Spannung zwischen den aufrichtig republika nischen Officiercn und ihren im Herzen monarchischen Kameraden in unheilvoller Weise verschärfen. Mit der Scheidung zwischen monarchisch und repu blikanisch gesinnten Officiercn ist es aber noch nicht ab- gcthan, denn die republikanischen Officiere zerfallen wieder in solche, die kapitalistisch-opportunistischen An schauungen huldigen, und solche, die den Socialdemokratcn bedenklich nahestehen. So wird jetzt daran erinnert, daß cin Officier erklärt hat, er würde sich weigern, auf revvl- tirendc Arbeiter schießen zu lasse». Dieser Officier wurde zwar aus der Armee eutfernt, aber stand er allein? Zwischen Officiercn aber, die derartige Anschauungen baben, und ihren, reichen republikanischen Familien ent stammenden Kameraden besteht eine ebenso tiefe Kluft, wie zwischen republikanischen und monarchischen Offi ciere n. Dieser Gegensatz datirt nicht von heute: schon vor Fahren wurde in der angesehenen „Neune bleue" auf den mangelnden kameradschaftlichen Sinn der Officiere und auf die zwischen ihnen bestehenden politischen und gesell schaftlichen Gegensätze hingewiesen, und es wurde darin eine Gefahr für die französische Armee erblickt. Kriegsminister Andrö freilich ist dieses Glaubens nicht; er scheint ebenso cin Mann mit leichtem Herzen zu sein, ivie Emile Ollivicr zur Zeit des deutsch-französischen Krieges. Nach seiner Meinung würden alle diese Gegen sätze verschwinden, wenn es den äußeren Fein d zu bekämpfen gälte. Das ist natürlich ein Uminn. Gin Officiercorps, das sich in Friedenszeiten in Parteien spaltet, wird auch im Kriege nicht zusammenhalten. Im Gegentheil: im Kriege, wo es ja nicht in jedem Augen blicke von der obersten Behörde erreicht und belangt wer den kann, wird es sich noch viel eher den Luxus der Parteiungen und Feindschaften leisten. Die Geschichte beweist die Richtigkeit unserer Auf fassung. Im Kriege 1870 waren nicht nur die persönlichen Eifersüchteleien der hohen Officiere, sondern auch poli tische Gegensätze und Jntrtguen schuld daran, wenn sie einander schmählich im Stiche ließen. Wenn beüpicls- weisc Bazaine in den denkwürdigen Augustschlachten und auch noch späterhin seine Unterbefehlshaber, die aus Metz heraus wollten, nicht einander unterstützen ließ, wen er an Metz festhalten wollte, so geschah das vorwiegend aus politischen Motiven. In dem Buche der Brüder Mar- gueritte (Söhne des berühmten Neitergenerals, der im Kriege den Heldentod starb), werden die gegenseitigen Be fehdungen der kaiserlich und republikanisch gesinnten Officiere drastisch veranschaulicht. Wenn schon im Jahre 1870, wo doch die voran gegangenen großen gemeinsamen Ruhmeöthaten (1854 und 1850) das Officiercorps fest Hütten aneinander schmieden müssen, die Spaltungen so verhängnißvvll zu Tage traten, so wird man sich gewiß nicht wundern dürfen, wenn im Falle eines Krieges diese Spaltungen noch viel größer wären bei einem Officiercorps, das in mehr als einem Menschenalter friedlicher Zeiten keine Gelegenheit zn ge meinsamen Nnhmesthaten gehabt hat und das einer Republik angehört, deren Regierungsmaximen alle paar Jahre gewechselt haben. Deutsches Reich. * Leipzig, 12. September. DaS „Vaterland", .Organ dcS konservativen Landesvereins uno sämmtlicker konservativer Vereine im Königreich Sachsen", sucht in seiner heute er schienenen Nummer den in seiner vorigen Nummer veröffent lichten, von der „Kreuzztg." wie von der „Conserva- tiven Corr." so scharf zurückgewiesenen Artikel über die Lage der Landwirthschaft und die möglichen Folgen dieser Lage zu rechtfertigen, bemerkt aber am Schluffe diese- Recht fertigungsversuche-: „Im klebrigen bemerken wir, daß der Artikel in voriger Nummer ohne Vernehmung und ohne Billigung der sächsischen conservative n Parteileitung erschienen ist und daß die Redaction unseres Blattes die Verantwortung für denselben allein übernimmt." Da diese Erklärung zweifellos auf Veranlassung der Lei tung des konservativen Landesvereins erfolgt ist, so versteht es sich von selbst, daß die Rcdaction des Blattes auch die Verantwortung für ihren Rechtfertigungsversuch allein übernimmt. -> Berlin, 12. September. (Militärische Dis ci p l i u u n d K l e r i k a l i s m u s.) In der Kritik der Gehorsamsverweigerung des französischen Oberstlcut- nants de Saint-Romy und des einem Freispruche gleichenden Urtheils des Kriegsgeri ch tszuNantes hat sich die deutsche klerikale Presse bisher nach jeder Richtung Zurückhaltung aufcrlcgt. Jetzt aber thut sich das Straßburger Organ der Reichstagsabgcordneten Delsor und Hauß keinen Zwang mehr an, sondern schwelgt förm lich in der Verherrlichung, sowohl der Gehorsams verweigerung, wie des kriegsgerichtlichen Urtheils. Der „wackere" Oberstleutnant ist dem Straßburger Blatte ein „Märtyrer aus Gewissenspflicht" und das Urtheil vvn Nantes „macht den französischen Richtern alle Ehre"; die Gehorsamsverweigerung wird als eine „Heldenthat, wie man sich dieselbe nicht schöner denken kann", gepriesen und Herr de Saint-Römy ehrfurchtsvoll den „Märtyrern der alten Christenzetten" an die Seite gestellt. Diese Auf fassung ist nm so charakteristischer, als das Straßburger klerikale Blatt sich vollkommen klar darüber ist, daß unter der „Heldenthat" des Herrn de Saint-Remy das Autori- tätsprincip „nothwendigerweise" leidet. „Es ist dies", schreibt das Straßburger Blatt wörtlich, „besonders der Fall, wenn cs sich um einen Soldaten handelt, da ohne stramme Disciplin ein Heer überhaupt nicht bestehen kann. Das Beispiel, besonders wenn es von oben ausgeht, wirkt Aergcrniß erregend, und der gemeine Mann zieht gar zu leicht den Schluß daraus, daß ihm erlaubt sei, unter allen Umstünden das Gleiche zu thun". — Bei solcher Einsicht in das Wesen der soldatischen Manneszucht mutzte von dem Straßburger Blatte zum mindesten jede Verherrlichung der Gehorsamsverweige rung des Herrn de Saint-Romy und des Urtheils vvn Nantes unterbleiben. Statt dessen hat, wie wir sahen, eine Verherrlichung beider Vorgänge im ausschweifendsten Matze slattgcfuuden. Die Tragweite eines derartigen Ver haltens ermißt man am besten an den Gründen principieller Natur, mit denen das Organ der Herren Delsor und Hauß die auch ihm nicht verborgenen schweren Bedenken als aufgehoben behandelt. „Das Alles", heißt es im Anschluß an die oben wiedergegebencn Bedenken weiter, „kann nicht hindern, daß cs einen höheren oder besser einen allerhöchsten Gesetzgeber giebt, gegen dessen Willen sich keine gültigen Gesetze machen lassen und dem man unbedingt gehorsamen muß, auch auf die Gefahr hin, mit einem menschlichen Gesetzgeber in Cvnflict zu ge- rathen". — Wenn Officiere nnd Soldaten nach diesem Recepte verfahren, dann ist die gänzliche Auflösung der militärischen Disciplin nur eine Frage der Zeit. Denn jenes Reccpt macht die Erfüllung der Gehorsamspflicht vvn dem Belieben jedes Einzelnen abhängig —, unbeküm mert darum, daß auf Grund verfassungsmäßig zu Stande gekommener Gesetze der unbedingte Gehorsam geleistet werden muß, wenn nicht ein anarchischer Zustand an die Stelle von Ordnung und Recht treten soll. Zu dem Stand- puncte, den das Straßburger Blatt einnimmt, patzt cs vortrefflich, wenn die im französischen Heere angeblich herrschende „stramme Disciplin" durch den Hinweis daraus veranschaulicht wird, daß während des „Dreyfus-Num- mels" die französischen Officiere der Aufforderung, dem „wilden Treiben" durch einen Staatsstreich ein Ende zu machen, nicht entsprochen haben! Solche Genügsamkeit in Bezug auf die Anforderungen an militärische Mannes- zücht ist nicht weniger bezeichnend, als die Verherrlichung der „Heldenthat" des Herrn de Saint-Römy und des Nr- theils von Nantes. An den zuständigen amtlichen Stellen in Deutschland wird diese Haltung hoffentlich nach Gebühr beachtet und gewürdigt werden. /?. Berlin, 12. September. („P raktischc" Social- p v l i t i k i n E n g l a n d.) Im neuesten Heft der „I a h r- bücher für Nationalökonomie nnd Sta tistik" berichtet der Hallenser Privatdocent Or. Brod- n i tz aus eigener Anschauung über den in Oxford gemach ten Versuch, Ruskin's socialpolitische Lehren praktisch auzuwenden. Bekanntlich ging Ruskin von der Auffassung aus, daß alle wirthschaftlichen und socialen Kümpfe durch die ungenügende Volkserziehung hervor gerufen würden; das Gebot der Nächstenliebe werde zwar gepredigt, aber man zeige dem Volke nicht, wie es anzu wenden sei, um seine Nächsten zu fordern. Dieser Aufgabe soll sich die Ruskin Hall widmen, die in Oxford am 22. Februar l800 vvn amerikanischen Verehrern Ruskin s, Mr. und Mrs. Walter Vrvvman, errichtet wurde. Sie sucht nicht, wie die Tvynbec Hall und ähnliche Ein richtungen, Anlehnung an die bestehenden Bildung-- und Iluiversitätseiurichtilugen, denn sie unterrichtet ihre Schuler nicht, um sie aus der socialen Classe, zu der sie ge hören, hcrauszuhebeu, sondern nm ihnen zu ermöglichen, ihrerseits diese Classe zu heben. Die Verwaltung liegt neben den Gründern mehreren Professoren der Universität, sowie Vertretern der Gcwerkvereine ob. Der Lehrkörper zählt sechs Mitglieder, die neben Grammatik und Literatur in der Svciolvgie, Nationalökonomie, politischen, Wirth- schaflk- nnd Verfassungsgeschichte u. s. w. unterrichten. Die Schüler werden gegen müßige Entschädigung auf genommen, und zwar gleichzeitig je 20; sie haben alle Arbeit im Hause selbst zu verrichten, was nicht nur ihren Ge wohnheiten, sondern auch Ruskin's Lehren entspricht. Eine Contrvle über das Verständnis« der Zuhörer wird durch schriftliche Arbeiten erreicht (?), die jeder wöchentlich über das Gehörte auzufertigen hat. Ruskin Hall ertheilt auch schriftlichen Unterricht. Wer sich für nationalökono mische und socialpolitische Fragen interessirt, wendet sich unter Angabe seiner Stellung, seiner Schulbildung u. s. f. an Ruskin Hall und erhält dann eine gedruckte Anweisung, wie er sich über diese Fragen unterrichten kann. Woche für Woche wird ihm vorgeschrieben, welche Bücher und was er in ihnen lesen soll. Allmonatlich hat jeder Schüler eine Arbeit einznsendeu, über ein Thema aus dem von ihm durchgcarbeiteten Gebiete, die er für 1 Shilling corrigirt bekommt. Doch sind die gestellten Ausgaben so, daß bei ihrer Bearbeitung etwas Ersprießliches nicht herauS- kommen kann, z. B. finden sich die Themata: „Geschichte der Civilisativn", „Entwickelung der Gesellschaft", „Die Feuilleton. Arnold Uuge. (Geb. 13. September 1802.) Von Ernst Krenwski (Berlin). L.awcrulk verlöten. Jede Zeit gebiert die Geister, deren sic zur Lösung ihrer Ausgaben bedarf. Jede Nation verdient aber auch die Geisler, die sie, im Guten oder Schlimmen, gemäß ihrer jeweils ins Auge gefaßten Ziele, zu Wort kommen läßt. Nach Heinrich Heine hat natürlich jede Zeit ihre beson deren Ausgaben. Es fragt sich nur, welchen Antheil dies oder jenes Vvlk an ihrer Lösung und somit an öcr fort schreitenden Entwickelung der menschlichen Gesammtheit nimmt. Für spätere Gencrationeu ergiebt sich jedenfalls die Nvthwendigkeit, jede Zeitepvche aus sich selber heraus zu erklären, und hinwiederum jedes Individuum aus der Summe zeitlicher wie socialer Zustände und Verhältnisse. So war denn auch Albert Rüge ein Kind seiner Zeit. Er mußte es sein, weil er zudem cin ungewöhnlich frcier Geist und willensstarker Kämpfer war. Wenn es zutrifft, daß das Kind des Mannes Vater ist so, meine ich, kündigte sich schon im Knaben an, ivas ein Charaktermerkmal des Mannes blieb. Zu Bergen ans Rügen als Svl-u eines gräflichen Gütcrverwalters und späteren Gutspächters ge be reu, wendet der Knabe sein Sinnen und Trachten dem Meere zu. Er will Seemann werden, obwohl er die Ge fahren dieses Berufes kennt. Nun, der Mann hat als unerschrockener Wahrheitskümpfer gehalten, was der Knabe versprochen hatte. Dieser kam allerdings zunächst in das Erziehungsinstitut eines Geistlichen zu Laugen- hnnshagcu, wo er zwar mit viel theologischem Ballast be schwert, aber doch auch ein guter Lateiner wurde, als der er dann auf dem Gymnasium glänzte. Mit neunzehn Fahren bezog er die Universität und widmete jich drei Fahre lang zu Halle, Jena und Heidelberg philologischen Studien. In diese seine Studentenzeit fiel aber auch der erste Lcbciissturm, der für die Entwickelung des Mannes entscheidend wurde. Seine Zugehörigkeit zu dem burschcn- schastlicheu, durch die Karlsbader Beschlüsse verbotenen „Fünglingsbnnde". der die Einigkeit, Stärke und Frei heit Deutschlands bezweckte, trug ihm eine Berurtheilung zu fünfzehn Fahren Festung ein. Nach einjähriger Untersuchungshaft in Köpenick wurde er zur Verbüßung seiner Strafe auf das Laucnburqcr Thor in Kolbcrg ver bracht, wo er nun „angesichts der alten, freien Ostsee nach deren Wellen lange vergeblich schmachten sollte". Hier beschäftigte er sich eingehend mit dem Studium griechischer Philosophen und Dichter, übersetzte Vieles und schrieb auch eine Tragödie „Schill und die Seinen". Das Jahr der Pariser Julirevolution brachte ihm die Freiheit. Bald darauf ging er als Hilfslehrer an das Pädagogium zn Halle, habilitirte sich im nächsten Jahre an der Universität al» Docent für historische Philologie und alte Philosophie und trat gleich nach seiner Vcrheirathung eine längere Reise nach Italien an. Von dort zurückgekehrt, nahm er Aufenthalt in Giebichenstciu und beschäftigte sich neben seinen Vorlesungen die nächsten Jahre eifrig mit dem Studium der Hegel'schen Philosophie. In diese Zeit fällt der Tod der ersten Frau und seine Wiedervcrheirathung. 1836 entsagte er der Hochschulihätigkeit und concentrirte sich von nun an ausschließlich auf die Schriftstellerest Weniger der Mißerfolg als Docent, als vielmehr die mit seinem Freunde Ernst Theodor Echtermeyer gemeinsam ins Auge gefaßte Gründung der „Halleschen Jahrbücher" (1837) war für die Aufnahme seines ureigenen Berufes entscheidend gewesen. Mit dieser Zeitschrift begründete Nugo aber rasch seine Berühmtheit als einer der ersten und am schärfsten befehdeten deutschen Publicistcn jener Tage. Gemäß der Absicht ihrer Herausgeber sollten die „Jahrbücher" in der Methode das Hegel'sche Princip der Entwickelung vertreten. Vor Allem galt es ihnen, Wissen schaft und Kunst vom Banne der Romantiker zu erlösen. Die Freiheit des Denkens und Empfindens konnte nach Nuge's Dafürhalten aber weder „auf dem frivolen Boden der jungdeutschen Literatur", noch viel weniger «ich dem Nccept eines Wolfgang Menzel erobert werden, da Letz terer auf seiner „geistigen Tonleiter" nur zwei Wörter: Moral und Vaterland hätte, woher es denn auch käme, daß sein „Dudelsack gemeinverständlich" sei. „Tollte die Befreiung vor sich gehen — und sie war dringend nöthig — so mußte vor allen Dingen der Kopf der deutschen Ge sellschaft sich aus den Schlingen des Dienstes nnd aus dem Vanne der Theologie befreien". In der „Loslösung der Schriftsteller vom Hof- und Staatsdienst und in der Kritik der ganzen bisherigen Theologie, deren populäre Form das Christenthum, deren wissenschaftliche das Hegel'sche System" sei, erblickte Rüge die Freiheit der neuen Wissen schaft und Kunst. Dem Doktrinarismus auf ollen Ge bieten der geistigen Wirklichkeit setzte er die blanke Waffe gediegener Kritik und Polemik als „wahre Rcaction", als einzige Radicalcur, entgegen. Die „werdende Ge schichte" sollte fortan „mit der Theilnahme des Praktikers und mit der Kritik des Philosophen" begleitet sein. „Zu gleich war es nicht blos auf die Kritik der Theologie und Schulphilosophie abgesehen", spricht sich Rüge später an einer anderen Stelle aus. „Die Jahrbücher machten von Anfang an die Entwickelung zum Princip. Sic woll ten die Geschichte mitleben und mitmachen." DaS zeigte auch schon der Stab ihrer Mitarbeiter, der sich vornehmlich aus Bruno Bauer, Ludwig Feuerbach, David Friedrich Strauß und Friedrich Theodor Vischer zusammcnsctztc. Schon gleich bei ihrem Erscheinen geriethen die „Jahr bücher" durch eine Charakteristik der Universität Holle aus Rugc's Feder mit dem dortigen Geschichtsprofessor Heinrich Leo in Fehde. Die nächste Folge war eine von 24 Pro fessoren unterzeichnete Erklärung in der „Leipziger Zeitung", worin Rüge als „Friedensstörer" gebrandmarkt war; während andererseits in einer Eingabe an den sächsischen LultuSminister von Altenstein die Unterdrückung der „Jahrbücher" verlangt wurde. Die» vorkommniß veranlaßte Rüge 1840 *), mit der Zeitschrift, deren weiteres Erscheinen in Halle als Druckort nur noch unter preußi scher Censur gestattet, also in Frage gestellt war, nach Dresden zu übersiedeln, wo sich Echtermeyer berciis vor der ansässig gemacht hatte. Von nun an erschien das Blatt unter Ruge's alleiniger Rcdaction als „Deutsche Jahrbücher". Aber lange dauerte es nicht, da wurden diese 1843 unmittelbar nach Eröffnung des neuen Jahr gangs auch von der sächsischen Regierung unterdrückt. „Die Jahrbücher sind nicht mehr", schrieb Rüge an M. Fleischer am 12. März. „Sie werden höchstens bis Ende März die Wvchenlieferungcn bekommen. Sachsen weiß gar nicht, wie es sich eifrig genug anstcllen soll, um diesen Schimpf zu tilgen, daß die Jahrbücher in Leipzig gedruckt sind. Schon im Dccember warnten und drohten sie mir. Dann erfolgte 14/2 Monate vor Anfang des Jahrgangs darauf eine neue Drohung und neue Schür fung der Censur, und zwar streicht Wachsmuth i>ae orcki-o des CensurcoUeginms und dies par onlro ckos pruZsicuis und der Thcolvgiens die ganze Tendenz, also die ganze Philosophie, namentlich also Feuerbach, Bauer, mich und nicht minder Sie. Wir lieben, nachdem in acht Tagen zwölf Manuskripte rasirt waren, stoi-ribilo ciictu, die un verfänglichen vvrrückcn. Aber es half nichts, auch das noch zu arg. Letzten Sonnabend entzog man Wigand (dem Verleger) die Concession; jede einzelne Nummer, nachdem sie censirt, müsse cvncessionirt werden." Kurz, am 3. März besetzte Polizei bei Härtels die Druckerei der „Jahrbücher" und beschlagnahmte hier und bei Wigand alle Vvrräthc. Damit war das Schicksal der Zeitschrift entschieden. Rüge, der seit 1842 das Recht als sächsischer Staats bürger erworben hatte, dann Stadtverordneter und Mit glied der Dresdner Pvlizeidcpntation gewesen war, ver ließ nun Deutschland und wandte sich über die Schweiz nach Paris. Hier verband er sich mit Karl Marx zur Herausgabe der „Deutsch-französischen Jahrbücher". Sie brachten es aber nur zu einem einzigen, durchweg mit Bei trägen in deutscher Sprache gefüllten Hefte, dessen nahezu ganze Auflage an der pfälzischen Grenze confiscirt wurde. Noch reichlich zehn Jahre später, als Rüge längst in Eng land lebte, hoffte er, die ihm so sehr ans Herz gewachsene Zeitschrift wieder flott zu machen, und versandte nach Deutschland zweckdienliche Aufrufe. Allein er mußte cs in Ansehung eines Ergebnisses von nur fünfzig Theil- nehmcrn dabei bewenden lassen. Nichtsdestoweniger gilt auch heute noch von den „Jahrbüchern", was Rüge einst von ihnen sagte: „Sie stellen an sich selbst die Zeit bar. Ihre Geschichte ist ein Stück Zeitgeschichte." Damals in Paris war jedoch seines BleibcnS nicht lange gewesen, da er die Stadt auf Betreiben des preußi schen Gesandten von Arnim hatte verlassen müssen. Er wandte sich zunächst nach Zürich, wo der ihm befreundete Buchhändler Frübel wohnte. Von hier gedachte er wieder nach Lachsen zurückzukehren. Vorher aber richtete er un- term 10. März 1846 an den preußischen Minister deS Jn- *) Schon Ende 1840 war in Berlin die Unterdrückung der Zentrist beschlossen worden. ncrn von Vodelschwingh die Bitte, „die gegen seine Per son etwa erlassenen polizeilichen Verhafts- und Ver- fvlgungsbefehle zurückzuziehcn und Erlaubniß zum Be such der Verwandten zu geben". Die Antwort lautete auf „Verweisung aus Preußen bei Androhung der Behand lung nach preußischen Gesetzen". Inzwischen batte sich Rüge wieder in Dresden niedergelassen, wo er, neben emsiger Schriftstelleret, ein Verlagsbureau betrieb 1848 sandte ihn die Stadt Breslau als ihren Abgeordneten ins Frankfurter Parlament. Vom 1. April ab gab er „Die Reform", eine „Zeitung der Linken in der Nationalver sammlung", heraus. Sic wurde nach kaum einjährigem Bestehen in Preußen verboten und Rüge büßte dadurch cin erkleckliches Vermögen cin. Später, nach 1866, hat er -war beim preußischen Minister eine Eutschädtgiingsfor- dcrnng zuerst auf 06 000, dann auf 40 000 Thaler anhängig gemacht, aber nie etwas bekommen, weil keine der Ein gaben au Bismarck gelangt sein sollte. Im Jahre 1840 war Rüge abermals nach Paris und dann nach England gegangen, wo er sich zu Brighton auf Lebensdauer ausiedcltc, hier den „visitin-- ^utor" an ver schiedenen Schulen machte, zeitweilig in London Vor lesungen hielt und im Uebrigcu eine reiche schriftstellerische Thätigkeit entfaltete. Mit dem Mutterlande blieb er durch regen Briefwechsel in ständiger Verbindung. Der völlige Umschwung der politischen Cviistcllativn von 18 16 und 1870/71 war für ihn, der schon 1854 an Röhsing ge schrieben hatte: „Ich sehe die Nvthwendigkeit einer Be freiung Mitteleuropas durch Preußen, in den Prämissen der Geschichte gegeben, völlig gerechtfertigt. Den inner socialen Umwälzungen Deutschlands nach dem letzten Kriege hat er dagegen kühl abwartend gegcnübcrgcstauden. SS schmerzte ihn, „daß er sich vvn der ganzen Cultur- bewcgung seines Volkes, au der er selbst einen wc'cntlichen Antheil genommen, ausgeschlossen" sah, nnd er beklagte es bitter, „daß er mit aller seiner angestrengten Arbeit sich so wenig Freunde im Vaterlaudc erworben habe und schon bei Lebzeiten so gut wie vergessen" sei. Eine für ihn 1874 in Deutschland veranstaltete Geldsammlung, die 20 000 einbrachte, zeugte doch vom Gegentheil. Vollends mit stolzer Genugthuung durste er einen ihm seit 1877 von Staatswcgcn bis an sein Lebensende gewährten „Ehren sold" vvn jährlich 3000 cntgegcnnehmen, als „Vergütung sür Anstrengungen pro patria ot iibörtato". Am 3l. De- ccmbcr 1880 fchlvß Rüge die Augen für immer. Seine Lebensarbeit als Philosoph, als Publicist und Historiker, als Dichter und belletristischer Schriftsteller, nicht minder als Uebcrsetzcr und geistreicher Briefschrciber ist, so unmittelbar auch Alles unter dem heißen Athem seiner Zeit steht, bedeutend gewesen, weil sich auch zugleich (n Allem und Jedem der echte Künstler offenbart. „Rüge war", sagt Paul Nerrlich, „nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert". Eine wuchlig-stolze Kämpfernatur, trug er den Blick stets unverwandt nach den größten, höchsten Zielen der Menschheit gerichtet. Das bedeutet noch viel mehr und weist ihm seine dauernde Stellung im deutschen Lultnr- und Geistesleben »n.
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