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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.07.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960731015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896073101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896073101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-07
- Tag 1896-07-31
-
Monat
1896-07
-
Jahr
1896
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Denn mit Recht heißt e» in der Vorrede zu „Anti-Duhr oder Kurze Widerlegung der Dnhr'schen Jesuiten fabeln" (Flugschriften de» Evangelischen Bunde» 106 bi» 107. Leipzig, C. Braun, 1895. S. VII): Man sollte Gegnern gegenüber, wie es die Jesuiten sind, denen es nicht daraus ankommt, die geringste Ungenauigkeit zu einer „Fälschung" aufzubauschen, um damit Vie richtige Aufstellung tobt- Zuschlägen, nur unzweifelhaft echt geschichtliche Urkunden zum'Wort kommen lassen. Diese letztern reden eine so gewaltige und unzweideutige Sprache, daß man deshalb alle nicht ganz genau beweisbaren Behauptungen ruhig preisgeben kann. Auch die Frage der Obligatio all poecatum, d. h. ob ein Jesuit von seinen Obern zur Sünde verpflichtet werden kann, wird in dieser Schrift als „ein sehr abgedroschenes Thema" bezeichnet, und ausdrücklich bemerkt sie dazu (a. a. O. S. 14): „es ist recht traurig, daß so abgethane Jesuitenfabeln auch heute noch mitunter wieder ausgewärmt werden". Wenn wir also ohne Weiteres zugeben, daß diese Lehre von der Verpflichtung zur Sünde nirgends ausdrücklich ausgesprochen ist, so erfordert es doch die Gerechtigkeit, zu betonen, daß die Frage der Obligatio all peeeatum keine ganz einfache ist. Die hier vor Allem in Betracht kommende Stelle der „Con stitutionen" (VI, Cap. 5) ist viel umstritten. Besonnene Forscher wie Reuchlin und Ranke haben sie bald im Sinne der Obligatio, bald im entgegengesetzten ausgelegt. Es bleibt das Verdienst des Franksurter Pfarrers Steitz, in den Jahr büchern für deutsche Theologie (1864, S. 148 ff.) nach gewiesen zu haben, daß im Jesuitenlatein, das von dem Ciceronianischen Latein himmelweit verschieden ist, obligars all xoecatum so viel bedeutet wie: sub xeeeato, d. h.: „eine Verbindlichkeit unter einer Todsünde auferlegen". Die be treffenden Worte lauten: Visum est nobis in Domino, — nullas eonstitutiones, äeolara- tione», vsl vräioom ullum vivenlli pvsse od'.igationem all peoeatum mortals vel veniale inäuvsrs, uisi superior ea in nomine Domini nostri llesu Obristi vel in virtute obelliontias iuberet (d. h. wir haben im Herrn beschlossen, — keine Constitutionen, Declarationen oder irgend welche Lebcnsordnung können die Verstrickung in eine Todsünde oder läßliche Sünde verursachen, ausgenommen den Fall, Laß der Obre solche Constitutionen n. f. w.j im Namen Jesu Christi oder kraft Les Gehorsams befehlen sollte). Mit Recht aber bemerkt Buchmann in seinen trefflichen Abhandlungen „lieber und gegen den Jesuitismus" (Breslau, 1872. S. 32): Mit Rücksicht auf die Gesammtorganisation der Jesuitengesellschast erscheint der ganze Disput als ein Streit um des Kaisers Bart. Wenn auch die Lehre von der Verpflichtung zur Sünde sich nirgends in den Schriften der Jesuiten nachweisen läßt, so folgt sie doch ganz von selbst au» derNatur deö lesuitischen blinden Gehorsams. Die besten Ausführungen über diese Frage finden wir in der von den Ultramontanen mit beredtem Schweigen über gangenen Schrift des württembergischen Pfarrers Schöll: „Der jesuitische Gehorsam, au» den Quellen dargelegt, beurtheilt, nach seinen Consequenzen geschildert und mit Be zug auf die gegenwärtigen Verhältnisse in der römisch- katholischen Kirche besprochen" (Halle a. S., Eugen Strien, 1891) S. 31—38. Wenn der Gehorsam des Jesuiten seinem Obern gegenüber „nicht etwa rin auf Ueberzeugung und Gründen beruhender, sondern ein blinder" sein und sich auf den ganzen Menschen bis in seine innersten LebenS- regungen hinein erstrecken soll, wenn der blind Gehorchende zum Cadaver, zum Stab in der Hand seines Leiters, zur Maschine und znm Instrument, zur Kugel, die durch den Stoß der Hand mit größter Leichtigkeit überallhin rollt, werden soll (vergl. Schöll a. a. O., S. 28 ff.), dann ergiebt sich doch daraus von selbst, daß der Unter gebene auchin solch enFällen zugehorchen hat, wo das Gebot deS Obern nicht mit dem göttlichen Willen übereinstimmt. Natürlich hüten sich die Jesuiten, selbst diese Folgerung mit dürren Worten auszusprechen. Aber es ist etwas andres, wenn der Jesuit Rodriguez in seiner „Uebung der Vollkommenheit" lehrt, der Untergebene müsse unter Mißachtung der Stimme seines Gewissens daS Gute unterlassen, wenn es der Obre so haben will? Oder wenn BelleciuS in seiner ^lellulla aseeseos erklärt, man müsse auch dann gehorchen, wenn dieö nur geschehen könne auf Kosten einer größern Tugend und einer größern Forderung der Ehre Gottes? Wenn er sogar behauptet, man müsse selbst dann gehorchen, „wenn Parteilichkeit, verwerfliche Affecte oder andre verkehrte Gemüthsbewegungen Len Obern offen kundig beherrschen"? Freilich fügt er sofort hinzu, nur dürfe der Obre keine ganz ossenbar schleckte Sache befehlen. In seinem Briefe „über die Tugend des Gehorsams" (tz 6) hat aber Ignatius von Loyola ausdrücklich ausgerusen: In welch großem und gefährlichem Jrrthum befinden sich nicht blos diejenigen, die in den Fleisch und Blut betreffenden An gelegenheiten vom Befehl des Obern abweichen zu dürfen glauben, sondern auch solche, die die» in sehr heiligen und geistlichen Dingen thun! Es muß zugegeben werden, daß es den Jesuiten selber gewissermaßen vor den Folgen ihrer Grundsätze graut und sie tbeils die Sünde schlechthin, wenigstens die „offenbare" Sünde aus dem Gebiet des Gehorsams auSschließen. DaS aber will nicht viel besagen, wenn man bedenkt, wie kautschuckartig der Begriff der „Sünde" in den Moraltheologien der Jesuiten wird. Dazu kommt, daß wenn eben eine Einschränkung des Gehorsams ausgesprochen ist, sie gleich auf der nächsten Zeile wieder verleugnet und in daS alles verschlingende Grab deS blinden Gehorsams hineingezogen wird. Neben den Stellen, die den blinden Gehorsam einschränken, steht ferner eine Unzahl anderer, die jede Beschränkung auSschließen. Vor allem aber stehen diese Einschränkungen geradezu im Widerspruch mit den jesuitischen Principien. Wenn der Obere grundsätzlich in allen seinen Geboten die Stelle Gottes vertritt, kann doch von dem Hereinspielen einer Sünde oder eines JrrthumS gar keine Rede sein! Wenn der Untergebene im Oackavor, im Stock, in der Maschine sein Ideal sehen soll, dann wäre es geradezu ein Abfall von der Idee, wenn er selbst einmal eine eigene Bewegung haben und, falls etwas Sündhaftes von ihm ver langt wird, den Gehorsam aufküudigen wollte. Für ibn ist Tugend, die Augen zu schließen, Sünde, sie zu öffnen. Deutsches Reich. * Berlin, 30. Juli. Aus dem Wahlkreis Potsdam- Westhavelland wird der „Nat.-Lib. Corr." geschrieben: In Marzahne im Wahlkreise Westbavelland - Stadtkreis- Brandenburg hat am Sonntag eine Versammlung „conser- valiver" Vertrauensmänner stattgesundcn, in der nickt ohne Widerspruch der Laudrath des Kreises Westbavelland, Herr von Loebell zu Rathenow, als Caudidat ausgestellt worden ist. Der Landrath selbst war nicht zugegen. Die größte Eile, eine vollzogene Thatsache zu schaffen, hatte die Leitung des Bundes der Landwirthe. Da» „Kurmärk. Wochenbl." bringt bereits am Dienstag an der Spitze eine bundesamt liche Bekanntmachung, vom Wahlkrcisvorsitzendcn des Bundes, dem Landtagsabgeordnete» v. Bredow, unterzeichnet, welche dem Landratb bestätigt, daß er Mitglied deS Bundes ist, folglich auf dem Boden des Bundesprogramms steht, also für den Bund nichts zu wünschen übrig läßt, daß es überhaupt keinen besseren Candidaten des Bundes geben kann, und daß nun jedes Bundesmitglied ein Aeußerstes thun muß, um Viesen höchst erwünschten Candidaten zum Siege zu führen. Die beiden Gegner, Socialdemvkratie und Freisinn, als „Tod feinde der Bestrebungen" deS Bundes, dürften in keiner Weise begünstigt werden. So das Manifest des Herrn v. Bredow für den Landrath Herrn v. Loebell. Die augenfällige Eile der Unternehmer wird verständlich, wenn man erfährt, daß nicht nur in der Stadt Brandenburg, sondern auch auf dem platten Lande recht gewichtige conservative Stimmen dahin sich vernehmen ließen, daß der Socialdemokrat anders "nicht niepr zu besiegen ist, als west», wie 1893, ein gemäßigt liberaler Mann im Wahlkreise aufgestellt wird. Nur ein solcher habe in der Stichwahl Aussicht, die Mehrzahl der freisinnigen Stimmen auf sich zu vereinigen. Es soll gar nicht bestritten werden, daß die national-liberale unter den drei bürgerlichen Parteien im Wahlkreise relativ die schwächste ist. Sie hat auch 1893 den gemeinsamen Canditaten nicht etwa gestellt, weil sie einen Anspruch darauf hätte vertreten tonnen, sondern weil er ibr von den Conservativen als der einzige den Erfolg versprechende entgegengcbracht worden war. Die Verhältnisse im Kreise, die damals den Conservativen eine solche Selbstlosigkeit zwingend nahe legten, sind in keiner Hinsicht bessere, leichtere geworden. Der erste Wahltag wird zeigen, daß der Socialdemokrat mindestens dieselbe Gefahr ist, wie 1893, wahrscheinlich eine größere. Wenn demuack die Conservativen jetzt mit überstürzender Hast nach Marzabue eilten, nm nur ja allein und aller Rücksicht aus die liberale Mittelpartci im Kreise ledig zu sein, so müssen bei ihnen selbst die Verhältnisse andere geworden sein, — so sehr andere, daß nach ihrem Urtheil der sichere Wahlerfolg eines Socialdemokraten immer noch den Vorzug vor jeder anderen Lösung verdient. Denn daran ist nichts mehr zu ändern: nimmt Herr von Loebell die von den Con- servalivcn ibm «»gebotene, vom Bund der Landwirtbe ihm aufgenöthigte Candidatur an (daS ist inzwischen ge schehen. Red. d. „8. T."), so hat der 50. Social demokrat sein Mandat schon so gut wie sicher in der Tasche. Die erste Wahl bringt den Landrath oder den extremen Fortschrittler, Stadtratb Blell, in die Stichwahl mit dem Socialdemokraten. Nachher stimmen entweder die Freisinnigen nicht für den conservativen Landrath oder die Conservativen nicht für den demokratischen Stadtratb. Das Weitere ergiebt sich von selbst. Die in der Mitte siebende Wählerschaft gemäßigt-liberaler Richtung kann einen Zäbl- candidaten aufstellen oder den einen oder anderen bürgcr liehen Candidaten in die Stichwahl bringen und ibm dort nochmals Beistand leisten, aber sie kann die Freisinnige» nicht für Herrn v. Loebell, die Conservativen nicht für einen „Todfeind der Bestrebungen deS Bundes" bewegen. Sie befindet sich also insofern in günstiger Lage, als sie von vornherein über jeden Vorwurf erhaben ist, wenn daS traurige Ende eintrifft. Nachher stellt sich hoffentlich auch der Regisseur dieses Meisterstücks vor, denn es ist doch von Interesse, zu hören, wer so viel Widersinn auf einmal vermocht hat. Kaum vierzehn Tage sind es her, daß wir in der „Deutschen Tageszeitung" das offenherzige Bekenntniß vernahmen: Die Conservativen brauchten überall Männer, die es verstände», auch mal tüchtig über die Regierung loSzuziehen, nicht aber Landräthe und dergleichen Persönlichkeiten, die im Gerüche der Abhängigkeit von der Regierung ständen. Nun aber stellen Conjervative und Bund gemeinsam einen Landratb auf. * Berkin, 30. Juli. Der Bürgermeister von Kol- berg hatte im vorigen Sommer bei einer Reichstagsersatz wahl einen städtischen Saal, das sogenannte „Strand schloß", zur Abhaltung einer socialdemokratischeu Wahlversammlung hergegeben. Der Regierungspräsident nahm ihn deshalb, wie s. Z. gemeldet, in eine Ordnungs strafe von 90 Die Beschwerde des Bürgermeisters wurde vom Oberpräsidenten und die gegen dessen Entscheidung an gestellte Klage vom Oberverwaltungsgericht kosten pflichtig abgewiesen. Das Nrtheil des Oberverwaltungs gerichts ist nach den „Berl. Neuesten Nachr." folgendermaßen begründet: „Wie der unterzeichnete Gerichtshof mehrfach aus gesprochen hat, verletzen die Beamten, auch die mittel baren, die Pflichten ihres Amtes, wenn sie die Be strebungen einer politischen Partei, welche die Grundlagen der bestehenden Rechts- und Staatsordnung grundsätzlich be kämpft, bewußt unterstützen oder fördern. Geschieht dies von Seiten eines Beamten, so zeigt sich dieser zugleich des Fenilleton. Neue Dramen. Nachdruck dcrvoten. Die Mehrzahl der im Buchhandel erscheinenden Dramen steht noch vor der Schwelle der Aufführung oder muß sich bescheiden, einem Leserkreis, der in der Regel nicht sehr groß ist, eine Genugthuung zu bereiten. Nur wenige Buchdramen haben bereits eine Aufführung hinter sich, wie etwa diejenigen von Wildenbruch und Hauptmann, Sudermann und Fulda. Die meisten Dramen der beiden letzteren Autoren erschienen im Cotta'schen Verlag in Stuttgart. Jetzt liegt Fulda'S vieractige Komödie „Robinson's Eiland" uns in einer Buch ausgabe vor. Auf den Bühnen bat diese Komödie bei Weitem nicht das Glück gemacht wie das mehractige dramatische Epigramm „Der Talisman", sie spitzt sich weniger dramatisch und weniger epigrammatisch zu, doch sie hat wie alle Stücke Fulda'S eine sociale Tendenz. Die Handlung selbst er innert an Shakespeare'» „Sturm", wenngleich die Zanberer und die Ungeheuer fehlen. Ein reicher Commerzienrath Castor hat ein prachtvolles Schiff, die „Utopia", gebaut, reich aus gestattet mit jeder Art von Luxus und von der vollendetsten Technik des Maschinenbaues; sie soll eine Vergnügungsfahrt um die Welt antreten, wobei ein längeres Verweilen an ver schiedenen Stationen iu Aussicht genommen ist. Der Com merzienrath entschließt sich, die Reise selbst mitzumacheu, nur seine Frau bleibt rurück; dagegen begleitet ihn seine Nichte Lydia, der Fürst Hartenstein, ihr Hauptcourmacher, der Pro fessor Dedekind, der Journalist Ruprecht, die Acrztin Agathe Merk, die kokette Wittwe Ella Clausius, und last not loasb, unbemerkt von den Uebrigen, Arnold Palm, ein unter geordneter Bureaubeamter des CominerzienrathS, dem bisber daS Glück auf Erven nicht gelächelt hat, als bescheidener Maschinist. DaS Prachtschiff scheitert an einer Insel; alle die erwähnten Personen werden gerettet. Und nun beginnt eine Robin- souade, die sich von derjenigen deS einsamen Schiffbrüchigen dadurch unterscheidet, daß hier eine kleine Gesellschaft den Kampf um» Dasein durckkämpfen muß. Hier tritt nun der Naturzustand ein; die Unterschiede von Rang, Stand und Reichthum haben aufgehört. Der Tüchtigste tritt an die Spitze, und dies ist der am niedrigsten stehende Arnold Palm. Aus der Insel Robinson'« werden Saturnalien ge- feiert; widerwillig müssen der Fürst und Commerzienrath dem Schreiber-Maschinisten gehorchen. Da giebt cs In- triauen und Verschwörungen; doch die eiserne Noth giebt daS Gesetz, dem zuletzt Alle gehorchen müssen. Lydia bat den Werth diese« Arnold Palm erkannt und sckenkt ihm ibr Herz; der Fürst bat da« Nachsehen. Endlick sührt ein Schiff, den« sich die Schiffbrüchigen bemerkbar machen konnten, sie in ihre Heimath zurück. Da treten nun die alten StaiideSunter- schiede wieder in Kraft; der Commerzienrath, der für ver schollen erklärt worden, erlebt allerlei Unerquickliches mit seiner Frau und seinen Erben; der Fürst aber, der Arnold Palm's Tüchtigkeit erkannt bat, sorgt dafür, daß ibm die Colonisation jener Insel anvertraut wird; die Hand Lydia'S fällt dem jungen Robinson zu. Die Moral dieser Handlung ist einleuchtend, aber dramatisch ist dieselbe nicht; sie ist episch, ohne scharfe Conflicte, und in der Ausführung überwiegt daS Genrebildliche. Es fehlt dem Dialog indeß vielfach das attische Salz, das sonst Fulda mit vollen Händen aus zustreuen liebt. Dennoch bleibt das Ganze eine angenehme Lectüre nicht bloS für das Publicum, welches die Reise-, Schiffs- und Seeabenteuer liebt, sondern auch für die nach denklichen Leser, die eine kleine Lection über Ursprung und Berechtigung der gesellschaftlichen Unterschiede mit Vergnügen und vielleicht mit stiller Schadenfreude anhörcn. Viel beveutender als Fulda'S lehrhafte Robinsonade ist daS Schauspiel: „Eginhardt und Emma" von Wolfgang Kirchbach (Dresden,Leipzig, Wien, Ed. Pierson's Verlag, 1896), der zwar, wie Fulda, vielfach der jüngeren Richtung zugezählt wurde, im Ganzen aber stets seine eigenen Wege ging. Und so ist auch „Eginhardt und Emma" ein Jambendrama, trotz der Aechtung des Versschauspiels durch die Jüngsten, und es fehlen darin die Monologe nicht, obschon dieser Richtung ein Monolog für ein Verbrechen gegen die moderne Technik gilt. Auch in Kirchbach's poetischen Werken erscheint uns „Egin hardt und Emma" als das bedeutendste; eS ist keine Nach dichtung von „Romeo und Julia" und anderer weltberühmter Liebesdramenj die Handlung hat originelle Momente. Emma ist keine schwärmerische Julia, welche dem Rath eines klugen Paters folgt; sie ist selbst erfindungsreich, wo cS ihrer Liebe gilt» und schreckt vor keiner List zurück. Dies schlaue Mädchen ist nicht aus dem Holz geschnitzt wie die Thekla und andere resignirte Jungfrauen. Doch sie ist nicht minder von echter Liebesgluth beseelt wie diese; sie geht nicht den geraden Weg und mag nicht als ein Musterbild mädchenhafter Selbst bescheidung gelten. Doch sie hat etwas von der Entschlossen heit ihres VaterS Karl's des Großen, wenn sie ihren Ge liebten durch den Schnee trägt, damit Niemand die Spuren seiner Männerschritte erkenne. Das ist eine bekannte Anekdote und bereits in Auber's Oper „Der Schnee", verwerthet. Anscheinend ein Lustspielmctiv, ist es hier doch in eine andere ernste Beleuchtung gerückt. Wie sie aber mit ihrem Bräu tigam, dem Kalifensohn Harun, zum Altäre geht, nur um dadurch dem gefangenen Eginhardt das Leben zu retten; wie sie dann am Altäre, ehe sie das Gelübde der Treue gesprochen, in Ohnmacht fällt und nachher zu entfliehen sucht, um dem Geliebten nachzueilen, da« zeigt ihren Muth und ihre listige Erfindungsgabe; immerhin war dies Project etwas gewagt und verdankt seinen Erfolg der Liebenswürdigkeit deS Dickters. Während in diesen drei ersten in Aachen spielenden Acten der etwa« freie Hoston herrscht, wie ibn der große Karl, der oft Vermählte, der zuletzt in freier Liebe mit Gersuninde lebt, durch sein Beispiel vorauSsetzt, der Ton eines Liebeshofs, bei welchem die Töchter Karl'S in Theorie und Praxis die erste Stimme haben, herrscht in den letzten Acten, die im Odenwalde spielen, mehr die altgermaniscke Poesie, als deren Hauptvertreterin die Priesterin ÄSdiS erscheint, welche Eginhardt und Emma nach heidnischem Branche segnet und vermählt. Die Versöhnung der flüchtigen Tochter mit dem Kaiser am Schluß läßt diesen allerdings, trotz gelegent lichen AufblitzenS seiner weltgeschichtlichen Majestät, etwas matt und schwach erscheinen, und das Mitwirken des kleinen KindeS bei diesem Schluß, der die Handlung wie ein neues Familiendrama abschließt, mag etwas an Kotzebue erinnern. Das beeinträchtigt aber nicht die Vorzüge dieses Dichter werkes; der dramatische Stil hat nickt den landesübliche» Jambenton, er hat oft realistische Färbung; er ist geistreich und empsindungsreich und erhebt sich in den letzte» Acten, wo er die Götter auS dem Gewölk der alten Sage herab holt, zu energischem Schwung. Auch viel theatralisch Wirk sames enthält das Schauspiel; dem Scenischen bat der Dichter Beachtung geschenkt und manches eigenartige Requisit den alten Ueberlicferungen entnommen. Dem Vernehmen nach wird das Stück an verschiedenen Bühnen in Scene gehen; der Erfolg der Aufführungen ist im Voraus unbestimmbar, doch wir glauben, dem Schauspiel ein günstiges Horoskop stellen zu können. Zu den jüngeren Autoren der naturalistischen Richtung ge hört auch Carl Hauptmann, dessen Schauspiel „Waldleuie" (Stuttgart, 1896, Verlag der I. A. Cotta scheu Buchhandlung) uns Leipzigern nicht unbekannt ist, denn e» ist aus der Bühne unseres Stadttheaters zur Aufführung gekommen. Einiges darin, besonders die Schlußsceneu, sind ja effektvoll gerade auf der Bühne, und das Streben, scharfgeschnittene Charakter köpfe zu zeichne», ist unverkennbar; dock hat das Schauspiel etwas Unerquickliches. Diese Gebirgsgegenden, wo die Wild dieberei herrscht, sind aus den oberbayerischen Dorfstücken bekannt genug; sie ist ja, nebst den natürlichen Kindern, ver lassenen Wittwen daS eigentliche dramatische Element der selben. In den „Waldleutcn" befinden wir uns nicht in Oberbayern, sondern in Schlesien. Das Stück ist fast durch gängig im schlesischen Dialect und zwar in dem echt schlesi schen, in der Wolle gefärbten, geschrieben — und das ist seine hauptsächliche Aehnlichkeit mit dem crassen Bauernstück „Vor Sonnenaufgang", welches der allerdings begabtere Bruder von Max Hauptmann, Gerhard Hauptmann, ge schrieben hat. lieber die Dialectstücke, mögen sie auch von der jüngst-deutschen Richtung auf den Schild gehoben werden, haben wir sehr ketzerische Ansichten. Die Zumuthung an die Zuhörer in anderen deutschen Gegenden und auch an die iLchauspieler, sich in einem bestimmten Dialect, wie dem schlesischen, zurechtzufinden, ist ästhetisch nicht gerechtfertigt; denn sie verlangt eine Bemühung, welche tbeils den Genuß, tbeils die künstlerische Leistung verkümmert. Ter Inhalt be ruht auf der Blutrache der Förster und Wilddiebe: der Vater des Försters Sender ist von einem solchen Frevler er schossen wdrden; Sender selbst sckießt einen Wildschütz und Schmuggler nieder, den Vater eines jungen Mannes, der seine Tochter liebt, und dieser Sohn rächt den Vater, indem er seinerseits den Förster erschießt. Am Schluß erhebt sich der Charakter deö letzteren zu einer gewissen Bedeutung, indem er seinen Mörder von der Schuld deS Mordes entlastet und vorgiebt, er habe sich selbst getödtet, sein Gewehr sei loSgegangcn. Doch ob auf diesem blutgedränkten Boden später noch die Blume der Liebe erblühen wird, darüber bleiben wir im Unklaren, als der Vorhang fällt. Sonst über wiegen die Genrebilder aus dem Volksleben. Das Milieu des Forslhauses ist uns auS Jffland und Otto Ludwig wohl be kannt; doch die Waldleute des entlegenen Dorfes, die Holz macher auS der Colonie, der alte Schmuggler Ringel und seine derbe Tochter Liese sind markig gezeichnete Volkslypen. Die skandinavische Romantik überflutbet nickt nur unsere Bühne, sondern auch unseren Büchermarkt. Dies mag man sich eher gesallen lassen, denn da wird uns nicht ein unwill kommener Genuß aufgedrängt, sondern wir werden nur in Len Stand gesetzt, jene Dichtwerke zu beurtheilen und in ihrer Eigenart zu würdigen oder gemächlich abzulehnen. Es liegen uns drei solcher Dramen vor; sie sind alle drei ab sonderlich und dem deutschen Geschmack wenig entsprechend, mögen sie auch auf dänischen oder norwegischen Bühnen vielen Beifall gefunden haben. Das erste ist: „Das große Loos". Schauspiel in fünf Acten von Heiberg. Einzige berechtigte und vom Verfasser durchgesehene Lentjche Ausgabe von Gustav Morgenstern. Leipzig, Verlag von Emil Graefe, 1896. Wir erfahren aus ein paar andcutcnden Worten, daß das Stück zum ersten Male am 7. Octobcr I8!>.'. in Christiania mit durchschlagendem Erfolge gegeben worden sei, daß aber zwei deutsche Agenten sich nicht entschließen konnten, das Stück zu vertreiben, da es ihrer Meinung nach die Censur nicht passiren würde. Die deutschen Agenten mögen recht haben; aber es wird Wohl gar nicht biü z»r Censur gelangen; wir zweifeln, daß sich deutsche Theater directoren finden, welche so sanguinisch sind, daß sie mit diesem Stücke ein „großes Loos" für ibr Repertoire zu ziehen glaube,!. Die Arbeiterfrage spielt in Norwegen eine Rolle wie überall jetzt, aber eine zu große Rolle spielt sie auch in den norwegischen Stücken. Volksversammlungen — Ausbrüche des Hasses gegen den Staatsminister — eine Explosion, eine in die Luft ge sprengte Staatsbank — ein von einem Arbeiter erschossener reich gewordener Agitator: das ist ja Alles so actucll wie möglich. Dieser, ein Herr Heller, ist der Held des Stückes; er will einen Roman aus der Vergangenheit seiner Familie veröffentlichen. Der Staatsminister hat seinen Vater ge tödtet, aus Nothwehr, wie er dem Sobne zu seiner Recht fertigung sagt; er mußte sich gegen den Vater vertheidige», weil er ein Liebesverhaltniß zur Mutter halte. Der pietät lose Sohn will auS diesen Thatsache» eine politische Waffe schmieren, die Ehre seiner Mutter preisgeben, um den Minister zu stürzen. Vergeblich sucht ihn dieser davon zurückzuhalten. Die Mutter im Nebenzimmer wohnt der Verhandlung bei und erschießt sich. Heller bat inzwischen das große LooS gewonnen — das ändert die Situation; er räth zum Aufschub. Er liebt die Nichte de« Minister«, das kleine Mädchen mit der „feinen Brust". Al« er reich ge worden ist, verlangt diese von ihm, daß er all' sein Geld fortgcbe, wieder arm werde, dann will sie ihm gehören, ihm folgen. Er weigert sich; auf dem Kirchhof sehen sie sich
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