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Beilage zu Nr. 144. Dienstag, 6. Dezember 1904. Aus Sachsen. Wilsdruff, 5. Dezember 1904. In der letzten Sitzung der Stadtverordneten in Dresden fragte der nicht wieder gewählte Stadtver ordnete Or. Scheven an, ob es richtig sei, daß von den Ratskandidaten eine Erklärung verlangt worden sei, nach der sie sich verpflichten sollten, für die Umsatzsteuer einzutreten. Der Vorsitzende teilte darauf mit, daß die Anfrage Or. Schevens nur aus einem unkontrollierbaren Gerücht entstanden sei, da sämtliche Ratskandidatcn ver sicherten, daß sie sich in der Umsatzsteuerfrage nicht ver pflichtet hätten. Der Direktor des Zoologischen Museums in Dresden, Geheimrat Dr. Meyer, soll sich gutem Vernehmen nach entschlossen haben, gegen die Dresdner Zeitungen nicht vorzugehen, sondern die unerquickliche Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Aufsehen erregt in Dresden die plötzliche Ab reise des Handelsschuldirektors Sieber ins Ausland, wahrscheinlich nach Amerika. Zahlreiche Gläubiger sollen das Nachsehen haben. Die sehr stark frequentierte Handels schule wurde auf Anordnung des Stadtrates geschlossen. S. soll eine bewegte Vergangenheit haben. Vor einigen Jahren war er Betriebsleiter eines bedeutenden Hotels in Newyork. Als er vor etwueinem Jahre nach Dresden kam, erschien er manchmal in amerikanischer Marinc-Uni- form im Theater und auf der Straße, ohne zum Tragen derselben Berechtigung zu besitzen. Er wurde auch des wegen gerichtlich unter Anklage gestellt. Ferner führte er eine Zeitlang einen angeblich in Newyork erworbenen Doktor- Titel. Auch diese „Ehre" wurde ihm von der Polizei streitig gemacht. Ungeheueres Aufsehen erregt in Leipzig ein ganz eigenartiger Hunger- und Durstkünsther, ein Fran- zose von Geburt — Papuß ist sein nom äs Aasrrs, — der sich eine Woche lang in einer Riesenflasche ohne Speise und Trank aufhält und im Krystsllpalast zu sehen ist. Ein Teil des stets mißtrauischen Publikums, das den „Künstler" nur des Tags zu Gesichte bekommt, wollte seine Kontrolle auch auf die Nachtzeit ausdehnen und machte unter Vermittelung der „Leipz. N. N." dem Ausstellungsvorstand den Vorschlag, Papuß durch ein Komitee auch des Nachts überwachen zu lassen. Dieser erklärte sich unerwarteterweise nur unter der Bedingung einverstanden, — daß das Komitee ein Extrahonorar hinterlege, jedenfalls als Entgelt für den zweifelhaften Genuß, ihn auch während der Nacht in seiner Hunger- und Durststübung bewundern zu dürfen. Auf ein solches Ansinnen konnte natürlich nicht eingegangen werden. Das Publikum zieht nun aber mit noch größerem Miß trauen — ob mit Recht oder mit Unrecht, lassen wir dahin gestellt — an der Behausung des Herrn Papuß vorüber, bis die Stunde seiner Erlösung schlägt. Der frühere Stadtverordnete und Garnagent Richard List aus Meerane wurde von der Strafkammer Zwickau zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte ver schiedene Ballen Garne und Seide im Gesamtwerte von ca. 4000 Mk., die er von auswärtigen Firmen zur Auf bewahrung erhalten, unterschlagen und dieselben dann teils verkauft, teils für feine eigene Schulden verpfändet und den Erlös in seine Tasche gesteckt. List war damals, bei Aufdeckung der Unterschlagungen, nach Amerika ge- flüchtet, kehrte aber bald nach Deutschland zurück, wo er in Chemnitz verhaftet wurde. In geheimer Sitzung der Stadtverordneten in Zwi ckau wurde Bürgermeister Münch auf Lebenszeit wtedergewählt. Dadurch ist der Beschluß der Stadtver ordneten vom 7. September dieses Jahres, nach welchem eine Wiederwahl Münchs mit 16 gegen 11 Stimmen ab gelehnt wurde, wieder aufgehoben. Bei der Wahl erhielt Bürgermeister Münch 17, der zweite Stadtrat Haupt 13 Stimmen. Zwei Stimmen waren zersplittert. Der Stadtverordnetenvorsteher, Baumeister Wolf, der wegen seiner Stellungnahme gegen Bürgermeister Münch, den Dezernenten für die Baupolizei, sehr heftige Angriffe erfahren hatte, hat sein Amt niedergelegt. Rurze Lhrsnik. Unheilvolle Spielerei mit Schußwaffen. Der Diener Timm auf dem Gute Gantschendors bei Demmin spielte mit dem Gewehre seines Herren und legte scherzweise auf den Gärtner Putz an. Plötzlich entlud sich das Gewehr und die volle Schrotladung drang dem Putz in dem Kopf, der sofort tot war. Tod im Berufe. Der angesehene Arzt Dr. Alb recht in Salzburg wurde in dem Augenblick, als er eine geburtshilfliche Operation bei einer Patientin eben glück lich vollzogen hatte, vom Schlage gerührt. Der Winter in Spanien. Infolge des starken Schneefalls in Spanien Haden sich verschiedene Unglücks fälle ereignet. In ganz Spanien herrscht heftiger Sturm. Mehr als 20000 Menschen sind beschäftigungslos. Der König, die Behörden und die Zeitungen unterstützen sie durch Zuwendungen. Schiff-Unglück. Auf dem Dampfer Orczaba ist, nach einer Hamburger Meldung, auf der Heimreise ein Dampfrohr geplatzt; fünf Heizer wurden getötet. Verschüttete Bergleute. Auf der Zeche Gottes- fegen bei Essen wurden zwei Bergarbeiter verschüttet; einer wurde schwer verletzt, der andere wurde getötet. Masern-Epidemie. Die Masern-Epidemie, von der in Asch in Böhmen Hunderte von Kindern in den letzten Wochen befallen wurden, ist nun endlich im Er löschen begriffen. In dem nahen Ort Steinpöhl ist die Schule noch geschlossen. Erschlagen. In einem Strohschober bei Branik in Böhmen wurde der Arbeiter Zalenka erschlagen auf gefunden. Von dem Täter fehlt jede Spur. Liedestragödie. In Berlin versuchten der 22- jährige Kaufmann Richard Neumann und seine Geliebte Berlin aus Jauer sich in einem Hotel mittels Lysol zu vergiften. Beide wurden bewußtlos aber noch lebend nach der Charit6 gebracht. Das Motiv zur Tat ist unbekannt. Das finanzielle Ergebnis der St. Louiser Weltausstellung. Die Londoner „Daily Mail" meldet aus St. Louis: Der Ueberschuß der jetzt geschlossenen Weltausstellung wird auf 200000 Pfd. Sterl, (über vier Millionen Mark) geschätzt, was eine Dividende von sechs Prozent ergibt. Im Ganzen wurde die Ausstellung von 19 Millionen Personen besucht. Die Ausgaben betragen 10 Millionen Pfd. Sterl. Der Regierungsvorschuß von 200000 Pfd. Sterl, wurde zurückgezahlt. Einem Wilderer ein Ohr entzweigerissen hat der herrschaftliche Förster in Pappenreuth anläßlich eines Zusammenstoßes bei einem Pürschgange. Der Wilderer konnte verhaftet werden. Seine Frau und Kinder ermordet hat der Zimmermann Beck in Jnneringen, dem „Schwarzwald- Boten" zufolge. Erdbeben. Aus Bad Einöd an der steirisch-kärn tischen Grenze wird berichtet, daß dort ein heftiges Erd beben stattfand. Zimmerdecken und Mauern zeigen Sprünge. Gistmordprozeß gegen einen Arst. Ein Aufsehen erregender Giftmordprozeß ist jetzt nach zehntägiger Verhandlung vor dem Schwurgericht in Bukarest zu Ende gegangen. Im vorigen Jahre starb in Plojescht die Gattin des dortigen Arztes vr. Jacobsohn nach kurzem Krankenlager, und die Umstände, unter welchen dieser Tod erfolgte, ließen den Verdacht aufsteigen, daß er gewaltsam herbeigeführt worden sei. Or. Jacobson, der aus Plojescht stammt, hatte sich nach Beendigung seiner Studien im Auslande in seiner Vaterstadt als praktischer Arzt nieder gelassen. Er wohnte zunächst mit seinem Vater zusammen, da er nur über geringe Einkünfte verfügte und sich die erwartete gute Praxis nicht einstellen wollte. Um seine Verhältnisse zu verbessern, suchte er eine wohlhabende Frau, und durch Vermittlung eines Schadchens kam auch eine solche Partie zu Stande. Seine Gattin brachte eine Baarmitgift von 12,000 Fr., sowie eine Hypothek von 18000 Fr. mit. Die Einnahmen aus diesem Kapital reichten jedoch nicht hin, um die durch die Verheiratung gesteigerten Bedürfnisse des Arztes zu befriedigen, und die Praxis wollte noch immer nicht den erwarteten Aufschwung nehmen. So wurde denn die Barmitgift angegriffen, und als diese zu Ende war, der Verkauf des Haufes, auf welchem die Hypothek von 18000 Fr. ruhte, veranlaßt. Hierbei ergab sich jedoch ein erheblicher Ausfall, so daß Or. Jacobfon nur einen Teil dieser Hypothek realisieren konnte. So sah er sich kaum ein Jahr nach seiner Ver heiratung wieder der alten Geldnot gegenüber. In dieser Lage versicherte er das Leben seiner Frau bei einer LebensversicherungsgesellsLaft für 30,000 Fr., trotzdem er die Versicherungsprämie dafür kaum aufbringen konnte, und kurz darauf fing die Dame an zu kränkeln. Sie war bis dahin vollkommen gesund gewesen. Or. Jacobsohn berief einen Kollegen zur Behandlung seiner Frau, der der Krankheit zunächst keine weitere Bedeutung beimaß, dann aber, als sich plötzlich eine Wendung zum Schümmen zeigte, die Diagnose auf ein Magengeschwür stellte und noch einen zweiten Arzt herbeirief. In dem letzten Stadium der kurz verlaufenden Krankheit benach- richtete Or. Jacobsohn auch die Verwandten der Frau von deren Erkrankung, und diese konnten sich des Ver dachtes nicht erwehren, daß die Leidende ein Opfer des Gatten sei. Als die Kranke starb, konstatierten die Ver- wandten, daß Lippen und Zunge der Verschiedenen ganz schwarz waren, und es kam schon an der Leiche zu einer sehr häßlichen Szene zwischen den Angehörigen der Frau und,vr. Jacobsohn, infolge deren der letztere sich zu dem Hohe Schule. Nomau von C. von Dorn au. 87) (Nachdruck verboten.) Sie sah ernsthaft zu ibm auf. „Ich babe oft an das ge dacht, was Sic mir zum Abschied sagten, Georg!" sagte sie gedankenvoll. „Ich habe vieles gelernt und manches verlernt in diesen vier Jahren — ich war Io weltunknndig damals! Aber „müde geflattert", wie Sie an jenem Tage sagten, bat sich der Zugvogel noch lange nicht! Er weiß jetzt, wie viele Netze und Fallen die böse Welt stellt, und wie unbarmherzig sie sein kann. Aber er nimmt deshalb nicht minder fest und unbeirrt seinen Flug — das glauben Sie mir!" Sie warf stolz das Köpfchen in den Nacken und erhob sich. Frau Lallini kam auf sie zu und musterte erstaunt den Fremden, der sich da so eifrig mit ihrem Schützling unterhielt. Sie machte sich Vorwürfe, das junge Mädchen so allein gelassen zu haben. Sie batte unter den Kleinstädtern, die bewundernd das Denkmal umstanden, alte, liebe Jugeudbekannte getroffen und sich mit ihnen „festgeschmatzt". Die sanfte, kleine Frau war ganz beschämt ob ihrer Unterlassungssünde und ent schuldigte sich lebhaft bei Lola, nachdem sie dem stumm da- nebenstehenden Radeck eine linkische Verbeugung gemacht hatte. (Hohe Schule 37. Nr. 7.) .Mir ist es ebenso gegangen, wie Ihnen, liebe Frau Ballini", sagte Lola lächelnd mit der liebevollen Freund lichkeit, die sie der guten Frau stets erwies. „Ich babe auch einen alten Frennd ganz unvermutet ge troffen — Herr von Nadeck ist einer meiner ältesten Be kannten!" 109 Die kleine Direktorsgattin erwiderte Georgs Grub mit einem abermaligen, ziemlich unbeholfenen Knix und sagte dann ängstlich: „Wir müsse» nun wohl ins Hotel zurück?" Der vornehme, elegante Herr schüchterte sie eint „Darf ich die Damen begleiten?" fragte Georg hastig. „Aber natürlich!" Lola faßte den Arm der alten Frau , und sah ihr lächelnd tn die Slugen. „Vor Herrn von Radeck brauchen Sie sich nicht zu fürchten, liebe Signora!" fuhr sie neckend fort. „Er kennt Sie schon ganz genau aus meinen Briefen!" „Und weiß, mit welcher mütterlichen Güte Sie meiner Jugendfreundin stets entgegengekommen sind. Ich bin Ihnen innig dankbar dafür, verehrte Fran!" setzte Radeck mit warmer Freundlichkeit hinzu. Und die Worte kamen ihm vom Herzen. Er sah nicht das komisch Altfränkische im Aeußern und Wesen der ein fachen Frau, sondern nur die unendliche Güte und Sanft mut, die aus ihren Augen strahlte und des geliebten Mädchens Leben wärmer und Heller gemacht hatte. Die alte Frau fühlte, daß es kein leeres Kompliment sei, was ihr da gesagt wurde. Sie errötete vor Freude und drückte den Arm ihres Lieblings an sich. Dann trippelte sie schweigend neben ihr dahin und freute sich im stillen, wie heiter und angeregt die beiden miteinander plauderten. „Ihre letzten Nachrichten erhielt ich aus Walddorf", sagte Georg jetzt. „Der Brief wurde mir durch unsern Bremer Vertreter nach meiner Heimat nachgeschickt — ich bin auf der Reise dorthin ganz in der Nähe Ihres Sommeranfeuthaltes vorbeigekommen; hätte ich damals schon gewußt, daß Sie in Walddorf waren, so hätte ich natürlich erst einen Abstecher nach Ihrem stillen Waldidhll gemacht — Sie wollten dort doch vier Wochen bleiben? Mein Brief aber, den ich Ihnen sofort nach meiner Ankunft beim Onkel schrieb, kam als un bestellbar zurück!" ? 110 „Eigentlich ja —", versetzte Lola jäh erblassend: „aber wir reisten doch schon früher ab, Mlle. H^ricoun und ich, und trennten uns nach einem kurzen Aufenthalte in einem andern Gebirgsorte —" „Und ich blieb eine ganze Weile ohne jede Nachricht von Ihnen", vollendete Georg strafend; „als ich schließlich aus den Zeitungen erfuhr, wo sich augenblicklich der Zirkus Ballini befand, starb mein alter Onkel, und es war mir un ¬ möglich, Sie sofort aufznsuchen. Als ich endlich frei wurde, eilte ich hierher Sie batten mir damals mitgeteilt, daß Sie Ende September bicrhcrkommen würden —" „Wir sind gestern abend eingetroffen!" „Sehen Sie, das nennt man Glück! Ich erwartete Sie schon seit drei oder vier Tagen; jetzt endlich verkündeten die Zeitungen die Ankunft des Zirkus, ich stürzte nach Ihrem Hotel, das ich endlich glücklich ausfindig machte, hörte, daß Sie mit der Signora ausgegangen, deponierte für Sie meine Karte mit meiner Hoteladresse, nahm eine Droschke auf Zeit und ließ mich durch die Anlagen spazieren fahren. Vielleicht ist der Himmel dir gnädig, und du siehst sie unterwegs, dachte ich." „Und der Himmel war so gnädig", lachte Lola; „doch jetzt sind wir vor unserer bescheidenen Herberge angelangt und müssen uns für heute trennen — ich sehe Sie doch morgen?" „Welche Frage! Diesen schönen Anblick eines kaffeebraun gebrannten Kaffeehäudlers können Sie so viel haben, wie Sie nur irgend wünschen und befehlen, meine Gnädigste — — hoffentlich befehlen Sie recht oft! Wann darf ich mich morgen nach Ihrem Befinden erkundigen?" 111 „Morgen vormittag habe ick Neitprobe, und dann wollen wir auf die Wohnungssuche geben — nicht wahr, Frau Ballini?" „Und natürlich darf ich den Damen dabei behilflich sein! Ich werde mich gleich morgen früh nach passenden Wohnungen nmsehen und Ihnen eine Liste aufsctzen und mitbringcn. Wann und wo soll ich Sie abüolen?" Lola lachte über seine energische Art und Weise, ihre Interessen zu den seinen zu machen. „Sie sind doch noch ganz der alle, gute, stürmische, eigenwillige Georg!" „Ich wollte Fräulein Astier nm zwölf vom Zirkus- gebände abholen — wir trafen uns dann vor dem Hauvt- eiugang", bemerkte Frau Ballini schüchtern, (Fortsetzung folgt.)