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Aus Sachsen, Wilsdruff, 23. November 1904. Bei dem Deckeneinsturz im Festsaale desPalmen- aartens in Leipzig, der einer Dame aus Stettin das Leben kostete, wurde ein Fräulein Wichura schwer verletzt. Nachdem im September 1903 die bauausführenden Archi tekten freigesprochen waren, hat jetzt Fräulein Wichura — nach drei Jahren — die Aktiengesellschaft „Leipziger Palmengarten", die Bauräte Johfige und Schmidt, sowie die Stadtgemeinde Leipzig auf Schadenersatz verklagt. Sie macht u. a. geltend, die Baupolizei der Stadt Leipzig habe eine zu leichte Dachkonstruktion zugelassen, gegen die Anbringung einer schweren Stuckoecke keine Einwendungen erhoben und das Gewicht der Kronleuchter nicht geprüft. Sie Verlangt 8975 Mk- Schadenersatz und eine jährliche Rente von 1200 Mk. Der Nat der Stadt Leipzig muß diese Klage über sich ergehen lassen, hat aber seinerseits beschlossen, zugleich die für die Deckenarbeiten in Betracht kommende Firma Boscrau k Knauer regreßpflichtig zu machen. In Leipzig spielte sich auf der Kochstraße 49 eine Liebestragödie ab. Dort fand man in einer Wohnung des 2. Stockwerkes die Leiche eines 18jährigen Mädchens, namens Elsa Kloster, und des 32jährigen Arbeiters Dabergow vor. Die Entseelten trugen Schußwunden an sich. Ob beide freiwillig aus dem Leben geschieden, oder ob Mord oorliegt, wird die Untersuchung ergeben, letztres scheint aber der Fall zu sein. Daberkow, der verheiratet war, aber von seiner Frau getrennt lebte, unterhielt mit dem Mädchen ein Liebesverhältnis, das nicht ohne Folgen blieb. Zur Errichtung eines Kinderheims in Zittau hat die Zittauer Maschinenfabrik und Eisengießerei, Aktien gesellschaft, 10000 Mk. gespendet. Aeußerst zuvorkommend seinen politischen Wider sachern gegenüber hat sich ein Rechtsanwalt in Zittau gezeigt. In dieser freisinnigen Stadt, in der es bei den Wahlen der Stadtverordneten hitziger! zuj gehen pflegt als anderSwo, sind persönliche Angriffe und Verdäch tigungen ein beliebtes Kampf, und Agitationsmittel. Der erwähnte, der nationalen Kruppe der Stadtver ordnetenkandidaten angehörende Rechtsanwalt, hat nun, um solchen Machenschaften von vornherein die Spitze ab- zubrechen, ein mit gutem Humor abgcfaßteS „Eingesandt" i im Zittauer Amtsblatt losgelassen, in dem cs u. a. heißt: „Wer gegen mich agitieren will, mag überhaupt meinen Beruf auS dem Spiele lassen. Sonst mag man meinet- wegen gegen mich schreiben und reden, was man will. Nichts wird mich belästigen, manches vielleicht belustigen. Ich erteile in dieser Hinsicht gern die vollkommenste Preß- und Redefreiheit und bin, wenn's gewünscht wird, bereit, mit beiden Händen zu unterschreiben, daß ich schon im Voraus auf jeden Strafantrag verzichte. Sollte der Stoff auSgehen, so bin ich auch erbötig, über mein Vorleben jede gewünschte Auskunft zu geben, und um dem geschätzten Herrn Redner oder Schriftsteller die Arbeit nach Möglich- leit zu erleichtern, werde ich auf Wunsch die Tatsachen in entgegenkommendster Weise gleich selbst ins Gegenteil über- setzen. Dr. R. Menzel." Beim Adgraben einer Wiese auf Fichtenberger Flur wurde in einer Tiefe von etwa 1 Meter einige 20 menschliche Gerippe gefunden. Die Zähne im Ober- und Unterkiefer waren noch gut erhalten. Es dürfte sich um Soldaten handeln, die im Jahre 1813 hier begraben wurden, als die vereinigten Preußen und Russen m hiesiger Gegend kämpften. Eine Sekretärs-Ehefrau in Zwickair hat ans einem dortigen großen Warenhause nach und nach Waren der verschiedensten Art im Werte von etwa 600 Mark gestohlen. Schließlich wurde die Sache entdeckt.. Die gestohlenen Gegenstände, zu deren Transport Lie Polizei einen Wage» nehmen mußte, waren für die Frau zumeist völlig wertlos. Durch Fahrlässigkeit eines 15jährigen Dienstknechts war im August das Ziegersche Gut in Sachsenburg niedergebrannt, wodurch ein Schaden von etwa 19000 Mt. entstanden war. Der Bursche wurde jetzt unter mildernden Umständen zu 30 Mk. Geldstrafe oder 10 Tagen Gefängnis verurteilt. Ein Zigarrenfabrikant in Waldheim hat 10000 Stück Zigarren als Geschenk für die in Südwestafrika kämpfenden deutschen Soldaten zum Versand gebracht. EmBubenstreich ist in Plauen i.V. ausgeführt worden. Zwei der Speditionsfirma K. Baum gehörende, je neun Meter lange Möbeltransportwagen sind von un bekannter Hand in Brand gesteckt worden. Die Wagen standen etwa 80 Meter von einander entfernt und waren verschlossen. Die Täter haben die Schlösser abgeschlagen und aus diese Weise die Wagen geöffnet. Zur Löschung des Brandes waren die Mannschaften zweier Feuermelde stellen gerufen worden und erschienen. Gerettet konnte nichts weiter werden als das eiserne Gerippe der Wagen; die Holzteile sind durchgebrannt oder stark angekohlt. Die Wagen waren versichert. Ein Neapolitaner, der ohne sein Wissen verheiratet ist. Aus Rom wird dem „Berl. Lok.-Anz." geschrieben: Der Held einer höchst eigenartigen Ehekomödie ist der 36jährige Kutscher des Onorevole Placido, mit Namen Antonio Grotta, die Heldin dessen Exgeliebte, Elisabetta Andreozzi, Weißnäherin. Grotta hatte die Elisabetta kennen gelernt, als er noch bei der Marchesa Rosst tätig , war, in deren Haus das Mädchen ebenfalls wohnte. Vierzehn Monate lebten sie miteinander nach den Grund sätzen der freien Liebe, da begann Elisabetta ihren Antonio zu bestürmen, sie zu heiraten, aber er wollte nichts vom Standesamt und Priester wissen und schlug ihr die Er füllung ihres Wunsches rund heraus ab. Sie aber gab sich nicht für besiegt und sagte zu sich: „Heiratet er mich nicht mit seinem Willen, so wird er es ohne seinen Willen tun", und als Antonio seinen Herrn in der Villeggiatur von Portici spazieren fahren mußte, besorgte sie alle not wendigen Dokumente, auch die militärische Entlassungs urkunde für ihren Geliebten, und erschien vor den Behörden mit einem „Ersatzmann", einem falschen Antonio Grotta, mit dem sie nach allen Regeln des Gesetzes die Ehe ein- ging. So wurde der Kutscher mit seiner Geliebten ver- wählt, ohne daß er einen Schimmer von Ahnung hatte. Inzwischen kehrte er aus seiner Sommerfrische zurück und begann, ohne sich lange nm seine „Frau" zu kümmern, einem anderen Mädchen den Hof zu machen. Da stellte ihn jene eines Tages und erinnerte ihn an seine Pflichten als ... Ehemann. Antonio lachte sie aus und amüsierte sich höchlichst über den Scherz Elisa bettas. Der aber war es bitterer Ernst und sie schrie: „Was, du willst nicht mein Mann sein? Sieh dieses Blatt Papier hier, was sagt es?" — „Es sagt, daß Du verrückt bist!" — „Nein, es sagt, baß wir Eheleute sind!" Da entriß ihr Antonio starr vor Er staunen den regelrecht ausgestellten Trauschein, auf dem er las, daß er mit Elisabetta vor dem Standesbeamten Capece und dessen Sekretär Schettini am 15. September die Hochzeit gefeiert hatte. „Und wer hat für mich unter schrieben?" schrie Antonio. „Niemand, weil der Trau schein sagt, daß der Gatte Analphabet ist. Er hat ein Kreuz darunter gemalt!" — „Ein Krenz? auch noch diese Beleidigung für einen Kutscher, der lesen und schreiben kann!" Wutschnaubend ließ Antonio seine Frau stehen, ging zum Richter und zeigte sie, ohne durch so viel An hänglichkeit gerührt zu sein, an. Wer bei dieser Komödie mit dem vergewaltigten Ehegatten nicht lacht, ist der Richter, weil nach dem Standcsamtsregister der Kutscher regelrecht verheiratet ist und die Näherin gegen alles Leugnen des Gatten an der Behauptung sefthält, daß sie von Antonio persönlich zum Standesbeamten und Priester begleitet worden sei und daß dieser jetzt das in Abrede stelle, um eine andere Frau zu heiraten. Wie wird nun Grotta sein Alibi beweisen? Die Trauzeugen wurden befragt, da aber diese berufsmäßigen Zeugen für das Standesamt sind, die sich dem Publikum an den Türen zur Verfügung stellen und Trinkgeld dafür erhalten, so verlief das Verhör ergebnislos. Antonio wird also nachweisen müssen, daß er sich nm die Stunde der Heirat nicht auf dem Standcsamte befunden hat, um die so seltsam angetraute Frau wieder los zu werden. Vermischtes. * Die Berner Bären a ls Erben. Aus Bern wird der Nat.-Ztg berichtet: Nor zwei Jahren starb in Pruntrut ein Junggeselle namens Bron; er war mit einem körperlichen Gebrechen behaftet und glaubte, daß er deshalb von der menschlichen Gesellschaft ausgestoßeu und verachtet werde, was aber durchaus nicht der Fall war. Tatsache ist cs, daß er sich von dem Umgang mit den Menschen ängstlich fern hielt und nur seiner Berufs arbeit lebte; er war das Muster eines pflichttreuen Be amten, und bei seiner Bescheidenheit und Sparsamkeit gelang es ihm, einige tausend Mark zusammenzubringe«. Bei seinem Tode fand man ein Testament, das recht deutlich die menschenfeindlichen Ideen des Sonderlings offenbarte. „Die Menschen", schrieb er, „haben mich im Leben verachtet, deshalb sollen sie auch nach meinem Tode nichts von mir haben. Ich vermache daher mein Vermögen den Berner Mutzen, den Bären im Berner Bärengraben. Falls aber die Berner Regierung die den Bären zufallende Erbschaft ausschlägt, soll die ganze Summe der römisch-katholischenKircheugemeinde in Pruntrut gehören." Da die ersten Sätze mit Bleistift ausgcstrichcn waren, beschritt die katholische Gemeinde von Pruntrut den Prozeßweg, um sich den Besitz der 9000 Frcs. be- < Hohr Schule. Roman von C. von Dornan. 29s (Nachdruck verboten.) „Wollen Sic es noch einmal mit Ihrem schlechten Führer Wauen?' fragte er bittend. Sie stand schon an seiner Seite. „Es bleibt mir ja nichts anderes übrig", antwortete sie neckisch. „Sie sprachen vorhin ven Wunsch nach einem kühlen Trunk aus", fuhr Bergen nm sich blickend fort. „Ist hier . nicht irgendwo in der Nähe die Quelle, die Dr. Lüders ent deckt bat?' (Hohe Schule 29. Nr. 7.) „Sie muß wenige Minuten von hier, direkt am Wege nach Walddorf sein", meinte Lola: „aber wir haben ja kein ' Trinkgefäß, da hilft sie uns nichts." „Einen rusammenlegbaren Becher trage ich stets bei mir", rief Bergeit erfreut. 85 „O, bas trifft sich ja herrlich! Hören Sie, hier mnrmelt schon die Quelle dicht neben uns. Wollen Sie mir, bitte, . Ihren Becher leihen?" „Wenn Sie die Güte haben wollten, ihn sich selber aus meiner linken Brusttasche zu ziehen — ich kann leider mit meiner verbundenen Hand nicht hiueingelangen." Er blieb stehen, und sie trat mit einem leisen Erröten ... vor ibn nnd holte den kleinen Behälter, in dem der Becher steckte, ans der Tasche, die er mit der Linken für sie offen dielt. Ihre Hand zitterte, nnd sein Herz klopfte heftig. „Hier ist das Etuil" sagte sie kaum hörbar. Er trat mit einem tiefen Atemzuge zurück und erklärte ihr dann mit ruhiger Stimme, wie sie das kleine Trinkgefäß zusammensetzen müsse. Dann bückte er sich über die Quelle und bot ihr den gefüllten BeLer. Sie trank in durttigen Zügen und gab dann den Becher zurück. Er füllte ibn von neuem, und als sie dankte, setzte er ihn an die Lippen und . leerte ihn mit einem Zuge, und es dünkte ihm, als ob ihm noch nie rin Trunk so wohlgetan wie dieser. „Margareceuguelle hat der Doktor dies köstliche Wasser getauft", sagte Lola weiterschreitend. „Nach seiner Frau! — Er sagte einmal, sie wäre gerade so klar, erfrischend und ursprünglich, wie dieses Quellwasser!" „Man sollte garuicht denken, daß er sie so innig liebt, wenn man sicht, wie er sich hier mit jedem Bauernmädchen berumneckt", meinte Bergen nachdenklich. „Ja, das kann er nun einmal nicht lassen — es steckt noch ein Stück Korpsstudent in ihm", sagte Lola lachend. „Ich glaube auch, daß seine Frau selber herzlich darüber lacht." „Würden Sie es leiden mögen, gnädiges Fräulein?" „Was denn, Herr von Bergen?" 88 „Daß Ihr Gatte noch anderen, wenn auch nur im Scherze, huldigte, nachdem Sie ihm Ihr Herz zu eigen gegeben?" „Sollte ich da gar eifersüchtig werden?" „Warum nicht? Ich könnte das wohl verstehen — ich neige selber sehr zur Eifersucht — iÄ litt schon als Kind wahre Qualen, wenn meine geliebte Mutter eiueu anderen Knaben auch nur aulächelte, und ich machte ihr daun oft maßlos heftige Szenen und die leidenschaftlichsten Vorwürfe. Warum schütteln Sie das Haupt?" „Ich kann mir garnicht vorstellen, daß Sie heftig und maßlos sein können!" „Weshalb nicht, gnädiges Fräulein?" „Weil — nun, weil der erste Eindruck, den Sie machen, eher etwas Kühles, Gemessenes hat", sagte Lola nicht ohne Schalkhaftigkeit: „mir ist, als ob Sie nie die Herrschaft über sich selbst verlieren könnten!" «Der Schein trügt", sagte Bergen sehr ernsthaft; „das, was Sie mein kaltes, gemessenes Benehmen nennen, habe ich mir unter harten Kämpfen altgewohnt, gerade weil ich den schlummernden Feind in mir kenne nnd fürchte!" Sie schwiegen beide ei» paar Minuten lang, daun sagte Lola aus ihren Gedanken heraus: „Ich glaube, daß das Lüderssche Ehepaar sehr glücklich ist und der Tvktvr seine Frau außerordentlich lieb halt" „Er spricht sehr wenig von ihr", sagte Bergen nachdenklich. „Ist das nicht ein Beweis für meine Behauptung?" „Sie haben recht — man spricht nicht viel, wo man viel fühlt", versetzte Bergen nach einer kleinen Pause mit leise hebender Stimme. 87 Und sie gingen wieder schweigend weiter, bis der Wald sich plötzlich vor ihnen öffnete und das Tal vor ihnen war im schneeigen Glanze des Mondlichts. Zu ihren Füßen lag da? Dorf, in seine Wiesen und Garten eingebettet, die empor- stiegeu bis zu deu Höben, auf denen der stolze Wald empor« ragte und über alles, über Bäume, Dächer nnd Wiesen rieselte nnd tropfte das weiße Licht des Vollmonds. Es batte etwas Körperliches an sich, wie weiche Hände, die sich segnend ausbresteu: und etwas Vergeistigtes wieder, wie unhörbare Sphärenmusik. Uud durch dies schimmernde, fließende Licht gingen die beiden Menschen hinab ins Tal von der lichten Höbe, auf der sie ebeu noch gestanden — und das Licht war um sie uud in ihnen, uud spauu sie ein in seinen wunder baren Märcheuzauber. Stumm schieden sie vor dem Hause des alten Pfarrers in der totenstillen Dorfstraße. Ein langer Blick, ein scheuer Händedruck, ciu flüchtiges Sichueigen — uud wenige Minuten später stand das Mädchen oben am Fenster ihres Zimmers, preßte die Hände auf das pochende Herz und fragte sich, was mit ihr geschehen sei. Nichts, nichts ist ge schehen! sagte ihr grübelnder Verstand. Aber weshalb schlug dauu ihr Herz so ruhelos dabei, daß es fast schmerzte? Und was war das für ein Gefühl, halb des Wehes, halb der unsäglichen Wonne! Lola Astier war fünfundzwanzig Jahre alt — nnd sie hatte noch nie geliebt! Das spröde, stolze Mädcbeubcrz ergab sich nicht ohne weiteres der übermächtigen Gewalt, cs rang heiß dagegen uud wollre sich nicht besiegt er klären. Aber Vergangenheit nnd Zukunft — Erfahrungen uud Hoffnungen — die Gegenwart selbst uud alles, was sie erfüllte — es erschien ihr wesenlos, schattenhaft, - hinweg- gedrängt, verschlungen von einer cinzigeu Emvsiudung — einem grenzenlosen, betäubend süßen Glücksgelühl. (F. f.)