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Beilage zu Nr. 18. Donnerstag, den 11. Februar 1904. * * dem * * „Vor morgen früh bin ich bestimmt nicht zu Hause," sagte er. Gute Aussichten! Annel war in tiefen Gedanken. O, wenn man wissen könnte! Ob er wirklich verreiste? Sie glaubte nicht recht daran. Noch vor vierzehn Tagen hatte er von einem extravaganten Pierrotkostüm gesprochen, das ihm ganz außerordentlich gefiel. Und er geht doch auf die Red oute, das war ihre feste Ueberzeugung. Was tu»? Zu Haus bleiben? Ihn allein lassen auf der Re doute? Nein, auf keinen Fall Nicht um ihretwillen; sie konnte leichten Herzens auf solche Vergnügungen verzichten; aber sie mußte wissen, was er trieb, und — vor allem — wie er es trieb. Sie stürzte sich also über ihren ängstlich gehüteten Domino, änderte noch ein wenig daran und am Abend war sie auf der Nedoute. O, sie hatte Glück! Und recht obenein. Das war doch Heinrichs extravaganter Pierrot! Und sein Gang, seine Bewegungen, seine Figur, kurz, ein Zweifel war gar nicht möglich. Nun hatte ne ihn, nun blieb sie an seiner Seile, nun wollte sie einmal sehen, wie weit seine Schlech tigkeit ging. So hatte sie ihren ersehnten Pierrot gefunden und ließ ihn nun nicht mehr los. Erkennen konnte erste nicht, denn er hatte keine Ahnung, daß sie da war. * Ganz genau so hatte sich die Sache für Heinrich ab gespielt. Sein Plan glückte; und Recht hatte er ebenfalls obenein. Kaum war er am Abend in seinen Pierrot ge schlüpft unv einige Male die Räume hin und her prome niert, als er des bekannten Dominos ansichtig wurde. Annel mochte ihr köstliches Geheimnis noch so gut ver stecken, er hatte es doch herausbekommen. Nun hatte er sich also doch nicht getäuscht; sie war doch gekommen. Flugs war er an ihrer Seite und hatte die Verbindung angeknüpft. Nun wollte er einmal sehen, ein unerkannter Beobachter, was sie trüben würde und wie sie es trieb. Jetzt wollte er einmal auf eine für ihn ganz gefahrlose Weise seine Frau verführen. Es ist doch schön, wenn man seinen Partner kennt, aber selbst nicht gekannt wird. So dachte Pierrot-Heinrich. So dachte auch Domino-Annel. Und so verführten die Beiden lustig darauf los, mit vergnügtesten Gewissen der Welt n * 4b Vie LieberrrlMWg. Eine Maskenballgeschichte von Max Wundtke. (Nachdruck verboten.) Er war schließlich auch nicht anders als alle Männer; sie hatte es ihm schon oft genug gesagt. Genau so schlecht und um kein Deut besser. Gott, wie hatte sich Heinrich gehabt, als er noch Bräutigam war. Da konnte er sich nicht genug tun an Liebenswürdigkeit. Mein süßes Annel hier und mein Herzensannel da, und mindestens einmal täglich eine ausführliche und schwungvolle Liebeserklärung! Ach, damals! Wenn es ja auch schließlich nichts neues war, was er ihr da jeden Tag sagte — es war ja im Grunde immer dasselbe — so hörte sie es doch gern, und es machte sie so furchtbar glücklich, wieder und wieder zu hören, wie unbändig lieb er sie habe. Aber das kam nun nicht mehr vor, und doch waren sie noch kaum zwei Jahre verheiratet! Er war ja ganz nett gegen sie . . .beklagen konnte sie sich wirklich nicht: aber jetzt schien ihm Alles so selbstverständlich, daß es sich kaum verlohnte, ein Wort darüber zu verlieren. Und sie hätte ihn so gern wieder einmal von seiner Liebe sprechen hören; aber das lat er nicht. „Du hast mich gar nicht mehr lieb," schmollte sie Er lachte dazu und sagte: „Kind, darüber sind die Akten längst geschlossen. Das steht in den Büchern des Standesamtes, höchst eigen händig von mir unterschrieben, und damit ist die Sache in Ordnung." „Du kannst es mir aber immerhin noch einmal sagen." „Nicht doch! Die Sache war beim ersten Male von so schwerwiegenden Folgen begleitet, daß man es gern nicht wieder tut." „Heinrich!" schrie sie drollig-zornig auf. „Annel?" fragte er harmlos zurück. „Du bist ein ganz schlechter Mensch!" „Das müßte ich erst bei Dir geworden sein; denn vorher war ich nach authentischen Berichten ein „ganz reizender junger Mann." „Da hast Du Dich eben damals sehr verstellt." „Nicht mehr als Du, mein treuer Engel! Denn da mals warst Du das frohlaunigste, nachgiebigste, zärtlichste Geschöpf auf Gottes Erdboden. Und heute? Na, sprechen wir nicht davon." „So," jammerte Annel, „ich hatte mich so gefreut auf die Redoute, und nun mutzt Du verreisen. Just an diesem Tag?" „Just an diesem Tag." „Wohin denn?" „Geschäftsgeheimnis!" „Du!" Wenn Du doch heimlich zur Redoute gingest, ohne mich?" „Dann rat' ich Dir, ebenfalls hinzugehen, um Dich zu überzeugen." „Allein? Danke bestens. Ich möchte meinen Gemahl nicht blosstellen." , * Der Tag der Redoute k«m und am Nachmittag reiste! Heinrich ab. ' „Ach, mein lieber Pierrot, Du sagst mir da so süße, zärtliche Dinge, und ich argloses Schäfchen nehm' Alles für bare Münze." „Süßer, angebeteter Domino, nein, glaube mir, ich liebe Dich!" Im Stillen lachte Heinrich über seinen Streich. Annel lachte auch. Das hatte sie lange nicht von ihm gehört. Wenn er wüßte, wem er diese Erklärung machte! „Geh", sagt der Domino. „Ihr Männer seid ohne Ausnahme schlecht. Während Du mir hier so zuckersüße Dinge sagst, hast Du vielleicht zu Hause eine Frau sitzen, die Du sonst mit Unliebenswürdigketten traktierst und die sich um Dich härmt und grämt." Der Hieb saß! Sie merkte, wie Pierrot betroffen wurde. Aber Pierrot war gar nicht betroffen; ihm fiel nur ein toller Gedanke ein. Warte, dachte er, jetzt wirst Du ihr einmal gehörig die Wahrheit sagen. Sie soll eine Lehre heut mit nach Hause nehmen. „Hm .... ja... . süßer Domino.... ich bekenne mich schuldig. . . ." „Siehst Du? Also Du bist verheiratet?" „Ja, leider! Aber was tut das hier? Dich liebe ich ganz allein. Schöne Maske, mach' mir doch nicht aus meinem Unglück noch einen Vorwurf . . . ." Anne! überlief es heiß. Wie Heinrich sprach . . . .! Und ein Unglück nannte er seine Heirat? Das hätte sie nie gedacht! „Warum . . . hast ... Du ... sie ... . denn .... geheiratet?" kam es fast schluchzend heraus. Ein heimliches Lachen flog durch Pierrots Seele. „Ja, weißt Du, sie machte es eben umgekehrt wie die Insekten." „Nanu?" „Bei diesen Tieren verwandelt sich die unansehnliche Raupe in einen herrlichen Falter. Bei meiner Frau war's anders. Der prächtige Schmetterling entpuppte sich in eine häßliche Raupe." „So, so." „Ja. Nachher, als sie mich glücklich am Rändchen hatte, da wars mit ihrem Eifer, mir zugefallen, vorbei. Sie hatte es ja nun nicht mehr nötig. Wenn wir vor der Hochzeit mal eine kleine Differenz hatten, dann ließ sie mich nicht verstimmt von sich gehen. Hatte sie Angst, ich könnte nicht wiederkommen? Jetzt denkt sie in solchem Falle: Er läuft mir nicht mehr weg; er kann ja nicht, und da wartet sie eben schmollend so lange, bis ich sie gut mache. Na, da darf sie sich also auch nicht wundern, wenn ich dahin gehe, wo man mich liebenswürdiger be- handelt, nicht wahr?" „Wie zum Beispiel bei mir?" „Ja, schöne Maske; hast Du mich auch ein bis chen lieb?" „Du scheinst mir ein rechter Schmetterling. Schwöre mir erst Deine Liebe . . . ." „Das kann ich mit gutem Gewissen." „Wirklich? Mit gutem Gewissen?" „Mit allen rechtskräftigen Eiden." „Na, na! Also auf Deine Knie, mein Pierrot! Und nun los: Mein herziger Domino, ich ... ." „Nein, schöne Maske, nicht vorsagen! Eine Liebes erklärung muß aus freiem Herzen kommen. Sieh mich hier vor Dir auf meinen Knieen.... süßes Weib, Erfüllung Du aller meiner Träume. Ich liebe Dich mit all meiner Kraft; Dein bin ich mit allem, was ich bin und habe. Dich nur allein liebe ich, und nie soll je eine Andere in meinem Herzen Raum haben neben Dir . . . ." „Halt ein, halt ein, Du versprichst zu viel! Deine Frau . . Eine wirkliche Angst kam jetzt über sie. Er aber ließ sich nicht stören. Mit heimlichem Frohlocken liebeserkärte er weiter: „Nein laß mich! Bei Allem was wahr ist: Dir allein gehört meine ganze Liebe . . ." Jetzt war es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei. Die Angst, er könnte solche bitter ernste Worte an eine fremde Frau gerichtet haben, ließ sie aus ihrer selbstge- wäblten Rolle fallen. Wnmßikde. l l Roman von Gers egg. Als eine Folge des österreichisch-preußischen Krieges von 1866 glaubte die französische Regierung einen Krieg mit Preußen nicht vermeiden zu können, und dieses, ausreichend darüber informirt, mußte in Ermangelung einer genügenden Kriegsflotte vor Allem bestrebt sein, seine Küsten durch ge eignete Vorkehrungen gegen einen feindlichen Einfall sicher zu stellen. Der sehr reiche Graf von Thierry, auch in Österreich be gütert und in verwandtschaftlichen Beziehungen mit diesem Lande stehend — daher ihm wohl der eine seiner Taufnamen, Eberhard, zugefallen sein mdchte —, beherrschte die deutsche Sprache durchaus, und es wurde ihm, besonders auch aus Vieser Veranlassung, von sehr hoher Seite nabe gelegt sich vurch den Augenschein über die Art und den Umfang jener Vorkehrungen zu unterrichten. Der Graf verhelte sich das Heikle dieser Misson — bei der sich der Befehl selbstverständlich nur in die Form einer Anregung kleiden konnte — nicht; die militärische Schulung aber — die Lust an Gefahr und Abenteuern — das Ver gnügen des Kriegsspielens auf eigene Hand ließen die wider stiebenden Bedenken nicht zur Geltung kommen: C' la Duerrs I Die ethische Seite des Unternehmens steht hier nicht zur Erörterung; jedenfalls konnte, ganz abgesehen von der her- vo> ragenden technischen Befähigung des Grafen, eine geeignetere Perwnlichkeit dafür nicht gesunden werden. Fest und ernst m lemen^Berussgeschästen, deren Ausführung er bis in die kleinsten Details erwog und vorausberechnete, gab es auf der Welt abwlut nichts, was ihn überraschen, noch weniger, was ibn aus der Fassung bringen konnte; auf der anderen Seite eröffnete ihm >eine w^MnMchß BÜdMg, aevaart nüt seiner leichten Art, sich zu geben und sich VerhMmassen jeder Art anzupassen, den Zugang in die weitesten Kreise. In jedem Betracht ein wahrhaft schöner Mann, dem man seine 38 Jahre nicht ansah, von aristokratischer Haltung und Manieren, mit einer feinen Nuance von Gutmütigkeit, sorg losem Freimut und freundlicher Heiterkeit, war er den Frauen sehr gefährlich, um so mehr, als auch er, in der Vollkraft seines Mannesalters, mit seinen künstlerischen Neigungen und seinem Sinn für das Schöne, für die Reize des weiblichen Geschlechts wohl empfänglich war und eine am Wege blühende Blume nicht ungern pflückte — es soll aber gesagt sein, daß bei seinen hohen Begriffen von männlicher und weiblicher Ehre er es durchaus vermied, sich in Verhältnisse ernsterer Natur zu begeben, bei denen sein Seelenfriede oder de? anderer Personen auf dem Spiele stand. So verabschiedete sich Herr Eberhard für längere Trenn ung von seiner Gemahlin — etwas, woran freilich die beiden Gatten durch den Beruf des Mannes einigermaßen gewöhnt waren — und begab sich nach Deutschland, wo wir ihm in Stüdemünde, im Hotel de Prusse, begegnen. * * Am anderen Morgen war der gräfliche Maler zeitig munter. Nachdem er seinen Kaffee genommen und der Kellner das Geschirr wieder abgetragen halte, schob er den Riegel vor die Tür seines Wohnzimmers, dessen nach der Seeseite be legene Fenster Niemandem einen Einblick gestatteten, und ent nahm den Tiefen seines Reisekoffers eine große Specialkarte, auf der er das kleine Teilstück „Stüdemünde — Putziger Wiek" eifrig studirte und dann Wege und Stege und Ufer desselben mit kleinen, unscheinbaren Strichen in seinem Notiz buche abzeichnete. Die große Karte legte er sorgfältig an ihren Platz: „es beweist ja an sich nichts, wenn sie gesunden würde," murmelte er, „aber besser ist besser." Daun kMete er sich einer längeren Fußtour entsprechend an: Einen weiten, wasserdichten, sogenannten Radmantel, be quemes Fußzeug und einen breitrandigen, weichen, rothbrauneu Filzhut, in die eine Tasche des Mantels steckte er ein Marine glas, in die andere versenkte er einen Revolver vou ansehn lichen Dimensionen, in der Hand trug er sein Skizzenbuch: So war er reisefertig. Im Hauseingange stand der unvermeidliche Herr Schiemer. „Guten Morgen, Herr Steinberg! Schon munter? — Eine Tour über Land machen? Recht so, das ist das Wetter dazu! Ein Bischen kühl, ein Bischen windig (es stürmte fast), aber Sie werden sehen, weiterhin, wenn die Sonne durchbricht, wird es schön! — Wohin soll denn die Reise gehen, wenn ich fragen darf?" ,,Jch will ein Bischen nach der Landseite-zu; von der See habe ich für ein paar Tage genug. — Das Gut Stal sitten soll ja prachtvoll im Walde gelegen sein,, wie mir er zählt worden ist; das will ich einmal aussuchen. Vielleicht finde ich da ein hübsches Moüv sür mein Skizzenbuch." „Herr Steinberg wollen malen? — Ja, heute sehen Sie nun auch wirklich 'mal wie ein Dialer aus, mit dem Mantel und dem Schlapphut! — In der Tat, wenn man es nicht gerade wüßte, würde kein Mensch Sie in Ihren gewöhnlichen Anzuge sür einen Maler halten! Eher für einen Architecten oder einen Marineoffizier oder dergleichen." Der Maler lachte: „Spotten Sie nur! Als seekranker Marineoffizier würde ich eine hübsche Figur machen!" „Es ist eine tüchtiges Ende Weges nach Schloß Stal sitten," sagte Herr Schiemer. „Volle zwei Meilen und mehr Der Weg ist aber gut; bis Glöwitz ist eine prachtvolle, schat tige Chaussee, und dort sängt schon der Wald an, lauter Buchen. In Glöwitz müssen Sie übrigens frühstücken; nach her giebt es kein Wirtshaus mehr." „Werd's besorgen," antwortete der Maler. „Zu welchem Tore gehe's hinaus?" > ' - . /