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Zweites Blatt. «MMi« «W Warandt, Massen, Sießenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für die Rgl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Forstrentamt zu Tharandt. Lokalblatt für Wilsdruff, Alttannebcrg, Birkenhain, Blankenstein, Braunsdorf, Burkhardtswalde, Groitzsch, Grumbach, Grund bei Mohorn, Helbigsdorf, Herzogswalde mit Landberg, Huhndorf, Kaufbach, Kesselsdorf, Kleinschönberg, Klipphausen, Lampersdorf, Limbach, Lotzen, Mohorn, Munzig, Neukirchen, Neutanneberg, Niederwartha, Oberhermsdorf, Pohrsdorf, Röhrsdorf bei Wilsdruff, Roitzsch, Rothschönberg mit Perne, Sachsdorf, Schmiedewalde, Sora, Steinbach bei Kesselsdorf, Steinbach bei Mohorn, Seeligstadt, Spechtshausen, Taubenheim, Unkersdorf, Weistropp, Wildberg. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen 1Mk.54 Pf. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittags 12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis 10 Pfg. pro viergespaltene Corpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion Martin Berger daieW. No. 139. Sonnabend, Sen 23. November 1991. 69. Jahrg. Zum Gedächtnis nnserer Todten. Zum Schlummer schickt sich an die müde Welt, Es nickt der kahle Strauch schon wie im Traume: Kein froher Ton in Garten, Wald und Feld, Im Wind verweht das letzte Blatt am Baume, In Nebelschleier hüllt sich Berg und Thal, klnd flüchtig nur grüsit noch ein Sonnenstrahl. Das dürre Laub dreht sich im lust'gm Tanz Gleich Faltern, regend ihre leichten Flügel, Du aber schmückst mit einem frischen Kran; Zum letztenmal heut einen thenem Hügel, Mahnt doch der Nord, der von den Bergen weht, Daß bald der Winter vor der Thüre steht. Und dir zu Füßen unter Moos und Stein In ernstem Schweigen rings ein tiefes Schlafen. Wie friedlich hat der Tod doch Groß und Klein Gebettet in der Nnhe sichrem Hafen! Hier liindcr, heimberusen von dem Spiel, Dort müde Wandrer, die ersehnt das Ziel. Und Kreuze, Blumen, Palmen drüber her Und schlichtes Grün von Tannen und Cypressen, Denn welches Herz wär' wohl so liebeleer, Daß seiner Todten je es könnt' vergessen? Ob auch nicht ewig brennen Schmerz und Leid — Erinn'rung lebt doch fort für alle Zeit. Horch, wie der Herbstwind in den Wipfeln klagt, Weil all die Pracht des Sommers mußt' vergehen! Du aber weißt, daß wieder Ostern tagt Und deine Todten selig auferstehen. Sticht ewig ward sein Liebstes dein geraubt, Der der Verheißung seines Heilands glaubt. Zum Tsdtenfeste. Rom. Ick, 7. 8: Unser keiner lebt ihm selber und keiner stirbt ihm selber. Leben wir, so leben wir den, Herm, sterben wir, so sterben wir dem Herm, dämm, wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Der letzte Sonntag im Kirchenjahre erinnert uns an unsere Vergänglichkeit, an Tod und Grab. Seine Predigt lautet: Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht. Wie oft haben auch in dem abgelaufencn Gnadchjahre die Todtenglocken geläutet! Wie manches neue Grab ist gegraben worden auf den Fried höfen! Noch blutet dein Herz an seiner frischen Wunde, oder eine alte Wunde bricht heute wieder auf in schmerz licher Erinnerung. Dieser Tag gehört dem treuen Ge danken der Verstorbenen. Aber er mahnt auch die Lebenden an ihre Verantwortung. Es ist nicht wahr, was die un gläubige Welt sagt, daß mit dem Tode Alles aus sei. Er macht wohl einen Punkt hinter unser Erdenleben, aber dann kommt die Verantwortung, und zwar die Verant wortung vor einem unbestechlichen Richter, der unser ganzes Leben und Treiben kennt und weiß. Unser Leben liegt vor ihm wie ein aufgeschlagenes Buch. Nichts ist ihm entgangen, nichts kannst du ihm verbergen. Unser keiner lebt ihn, seiber. Wir sind von all unserm Thun und Lassen Rechenschaft schuldig. Bedenkst du das? Hast du das rmmer bedacht? Zst nicht vielleicht gerade darum das Herzeleid ein gekehrt kN deinem Hause, weil der Herr dich in die Stille führen wollte, damit du zur Einkehr und zur Umkehr kämest? Damit es dir endlich klar würde, daß du nicht dir selbst lebst und leben darfst, sondern daß du dem Herr» Verantwortung schuldig bist? Es ist eine ernste Stunde, wenn der ewige Richter die Waage nimmt, um dich zu wiegen. In die eine Waagschale legt er deine Sünden, deine Uebertretungen, deine Unterlassungen, deine Versäumnisse, all deine entweihten Sonntage, all die nutz los gehörten Predigten, all die vergeblichen Versuche, dich durch Freud oder Leid hernmzuholen. Die Waage sinkt tief, tief herab. Seele, du bist verloren! Hast du nichts, was du in die andere Waagschale legen könntest? Du denkst an deine guten Werke. Aber der Richter bläst hinein, und da ist es Spreu, die der Wind verweht! Hast du nichts anderes? Was könnte denn sonst in die Waage gelegt werden? Das Blnt Jesu Christi! Wenn du dein Herz hast waschen lassen mit dem Blute Christi, das dir all deine Sünden vergab, dann sei getrost! Ein Tropfen dieses kostbaren Blutes wiegt schwerer, als die Last deiner ganzen großen Sünde! Ein Tropfen dieses Blutes — und du bist ge rettet! Liebe Seele, deine Zeit ist kurz. Du bist der Ewigkeit wieder um ein Jahr näher gekommen. Denk an die Verantwortung! Eile und errette deine Seele und siehe nicht hinter dich! Dann kannst du dich getrösten im Leben und im Sterben: Wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn! Am TsdisKfest. Skizze von B. Rittweger. (Nachdruck verboten.) Fabrikbesitzer Hartwig und seine Gattin, zwei äußer lich ganz besonders stattliche schöne Menschen, hatten sich vor vierzehn Jahren die Hand zum Bund fürs Leben gereicht, ohne daß es zuvor irgendwelche Schwierigkeiten zu überwinden gegeben hätte. Die Verbindung wurde von beiden Familien gewünscht und begünstigt; die Zuneigung der beiden jungen Leute war eine tiefe und innige. So wurde nach kurzem glücklichen Brautstand eine fröhliche Hochzeit gefeiert, und das Ehepaar bezog die eigens zu diesem Zweck gebaute hübsche Villa vor der Stadt, nicht allzufern der Fabrik, deren oberster Leiter von nun an der junge Hartwig sein sollte. Sein Vater wollte seine alten Tage in Ruhe verbringen. Doch mit dem Rath langjähriger Erfahrung stand er immer noch dem Sohn zur Seite. Zwei Knaben wurden dem Paar rasch nach einander geboren, prächtige, gesunde Kinder, beide gleicherweise glücklich begabt, körperlich und geistig. Ohne irgendwelche ernstere Krankheiten wuchsen sie heran, in einer Umgebung, so recht geschaffen zu fröhlicher Entfaltung. Reiche Mittel standen zu Gebot, und zärtliche Elternliebe wachte über den Söhnen, die sich außerordentlich ähnlich waren, im Aeußern und im Charakter. Niemals ließen die Eltern ihre Kinder für längere Zeit allein. Erst als sie soweit herangewachsen waren, daß man sie auf Reisen mitnehmen konnte, gestatteten sich der Fabrikbesitzer und seine Frau gemeinschaftliche Erholungsreisen. Immer günstiger entwickelte sich die Fabrik unter der besonnenen Leitung des eifrigen Mannes, immer sorgloser konnte man sich des Lebens freuen. „Denen geht's so gut wie Hartwigs," pflegte man zu sagen, wenn es galt, eine Familie als besonders vom Geschick begünstigt zu bezeichnen. Und dann kam ein Tag, da dieses vielgepriesene Glück in Trümmer ging. Wohlgemuth waren die beiden Jungen Nachmittags ausgezogen zur Badestunde. Ohne Sorgen sah die Mutter sie gehen, sie wußte, die Kinder schwammen wie die Fische. Wie es gekommen, das wußte nachher Niemand zu sagen. Rudi hatte eben noch lustig und fidel sich mit seinen Freunden im Wasser geneckt, dann war er plötzlich untergetaucht und als man ihn dem tück ischen Element entrissen hatte, war er eine Leiche. Ein Herzschlag hatte dem jungen Leben ein Ende gemacht. Das lebensstrotzende Kind, welches vor einigen Stunden das Haus verlassen, wurde den Eltern als Leiche wieder gebracht. Und tausendmal bitterer vielleicht, als viele andere, leidgewohntere Menschen, empfanden die Beraubten diesen Schlag. Sie vermochten es nicht zu fassen, sich nicht in das Unabänderliche zu fügen. Eine unsächliche schwere Zeit begann. Eine Zeit, da der Vater und Mutter sich mit trostlosem Blick die Hand zum Morgengruß reichten, da sie täglich zum Friedhof wanderten, sie und das ihnen gebliebene Kind. Bis sie Fritz nicht mehr Mitnahmen, weil sein nach Kinderart allmählich wieder fröhlicher werden des Gesicht sie in ihrer Trauer störte. Fritz Ult gewiß schmerzlich unter dem Verlust des geliebten Bruders, aber er war noch zu jung, um den Kummer festhalten zu können, wie die Eltern. Und noch etwas kam dazu, eine Empfindung, die ihm nach und nach des Todten minder freundlich ge denken ließ. Nie hatten die Eltern einen Unterschied zwischen den Söhnen gemacht; ohne Parteilichkeit hatten sie ihre Liebe beiden in gleicher Weise zu theil werden lassen. Nun war das anders. Seit Rudi tot war, schien es, als sei er der bessere von beiden gewesen. Schon bei den Kondolenzbesuchen hatte Fritz häufig vom Nebenzimmer au^ solche Reden der Eltern hören müssen. „Ach, daß es gerade unser Rudi sein mußte —" so klagte wohl die Mutter — „der begabte, liebe, prächtige Junge. Es ist nicht zu fassen!" Oder der Vater versicherte den Theil nehmenden, auf Rudi habe er alle seine Hoffnungen gesetzt, denn der habe ein hervorragendes Talent zumZeichnen gehabt. Gewiß würde der einst für die Fabrik Außerordentliches ge leistet haben. Fritz staunte, denn niemals war früher die Rede davon gewesen, daß Rudi ein besserer Zeichner als er. „Nie hat er uns betrübt — er war zu gut für diese Welt," so hieß es. Und Fritz erinnerte sich doch genau, daß Rudi so gut wie er selbst gescholten worden war wegen irgend einer Unart. Noch kurz vor seinem Tod hatte er sogar 'mal gelogen, um die Uebertretung eines väterlichen Verbots zu verbergen. Damals hatte der Vater gesagt: „Sieh', niemals hat Fritz das gethan — nimm Dir ein Beispiel an Deinem Bruder." Und nun? Wie klang das Alles so ganz anders. Seit Rudi tot war. Nur darum. Da muß man ja wünschen tot zu sein, so dachte der arme Junge, und die nach des Bruders Tod allmählich wieder erwachte Fröhlichkeit schwand ganz aus seinem Wesen. Finster und mürrisch schlich er umher, und die Eltern sagten sich täglich, daß Rudi all ihr Glück mit ins Grab genommen habe, der liebe muntere Knabe! Sie suchten gar nicht nach dem Schlüssel zu der Veränderung in Fritz' Art. Es war förmlich, als thäte es ihnen wohl, immer mehr den Unterschied der Knaben zu Gunsten des Tobten hcrvorzuheben. Auch in der Schule ließ Fritz' Eifer nach. Wozu sollte er fleißig sein? Die Eltern lobten ihn ja doch nicht. Brachte er ein paar Fehler im Exercitium nach Hause, so mußte er sicher hören: „Rudi würde niemals solche Fehler gemacht haben." Und Rudi hatte doch häufig schlechtere Arbeiten geliefert. „Ja, sterben muß man, dann ist man geliebt, dann ist man gut, dann ist man glücklich zu preisen! Das Todtenfest kommt heran. Im Mai ist Rudi geschieden — nun ist's November. Nicht Trauer nm den Bruder, sondern Neid und Groll erfüllen Fritz' junges Herz. Und er ist froh, daß die Eltern ibn gar nicht auffordern, mit ihnen ans Grab zu gehen. Es ist am Nachmittag des Todtensonntags. Grauer Nebel liegt über der Stadt und feiner Sprüh regen ist in der Luft. Der Fabrikbesitzer und seine Gattin sind mit Blumen beladen eben weggegangen. Am Vorabend schon hat der Gärtner in ihrem Auftrag das Grab geschmückt, aber sie können sich's nicht versagen, dem tobten Kind selbst noch Kränze zu bringen. Fritz hat den Eltern vom Fenster aus nachgeschaut, dann drückt er sich, ohne irgend Lust zu einer Beschäftig ung zu haben, in die Sofaecke. Thräne um Thräne rollt über seine Wangen; er fühlt sich grenzenlos verlassen und einsam. Sehnsucht nach Liebe ist in seinem jungen Herzen, und sie steigert sich von Minute zu Minute. Noch nie hat er die traurige Veränderung so bitter em pfunden, als heute, am Fest der Todten! Es vergeht lange Zeit. Dämmerung erfüllt den Raum. Die Augen fallen dem in trübes Sinnen versunkenen Knaben zu, und als er erwacht, ist's ganz dunkel um ihn. Nur aus dem Wohnzimmer nebenan fällt Lichtschein. Das Mädchen hat wohl Alles zurechtgemacht für die Rückkehr der Herr schaft. Fritz kann gar nicht glauben, daß er geschlafen hat. Aber es muß so sein, denn Tyras, der alte gute Tyras, der erst nicht im Zimmer war, liegt jetzt zu seinen Füßen und reibt den zottigen Kopf an den Knieen des