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Sollte vielleicht gar schon ein dann so weiß wie die Wand, gegen die sie sich, einer Ohnmacht nahe, lehnen mußte. Doch nur einen Augenblick dauerte diese Schwäche. — Wenn sie Jemand in diesem Aufzuge erblickte! Sie hätte ja versinken müssen vor Scham! Schon hörte sie das leise Pfeisen des Bäcker jungen, der au? dem obersten Stockwerk herunterkam. Verzweifelt setzte sie die Glocke in Bewegung, doch das war, wie sie sich so gleich sagen mußte, vergebens. In der Wohnung befand sich, oder vielmehr schlief momentan nur ihr Mann, und den hätte selbst eine der berühmten Posaunen von Jericho nicht aus dem besten Morgenschlas erweckt. Inzwischen kam der Bäckerjunge näher und sah mit Staunen aus die seltsame Erscheinung, die ihm jetzt den Rücken zukehrte, die Hände vors Gesicht nahm und in eine hockende Stellung zu sammensank. Als Heller Berliner machte der Junge bald ein pfiffiges Gesicht, als ob er wüßte, woran er sei, ging dann auf die zu sammengesunkene Gestalt zu, faßte sie an der Schulter und rief: „Sie woll'n woll hier det Frieschtick mausen, Madameken!? Mach'n Se man blos fix, det Se runter komm'n, sonst hol' ick'n Schutz mann!" Und mit einem energischen Ruck riß er ihr den Bröichen- beutel aus derHand,den sie in ihrerAngst krampfhaft festgehalten hatte. „Ich bin doch die Frau Müller," hauchte sie, das Gesicht noch immer zwischen den Händen- „Sie kennen mich doch, Sie bringen mir ja alle Tage die Frühstücksbrötchen!" „Ach, Quasselei! Erstens bringe ick heute zum ersten Mal hier Frieschtick, und zweetens kenne ick den Zauber; det mach'n die Spitzbuben alle so! — Jbrigens," lenkte er dann ein, „Sie kcnn'n doch' die Frau Müllern überhaupt nicht sind; anständige Leute komm'n doch nicht so spät in so'n Uffputz zu Hause!" Großer Gott! Zu allem Unglück auch noch ein fremder Bäckerjunge, der sie nicht kannte! Letzterer verschwand unterdessen mit den Worten: „Warten Se'n Oogenblick!" Er schien wirklich einen Schutzmann zu holen! — Da mußte sie vorher unbedingt noch in die Wohnung. Und sie klingelte und klopfte mit verzweifelter Anstrengung, bis endlich — ungefähr ein Dutzend Flurnachbarn von allen Seiten erschienen, die ebenso er- stannt auf die wieder znsammenhockende Gestalt in der Ecke sahen, wie vorher der Bückerjunge. Ein junger Architekt, der früh verreisen wollte, wurde zuerst Herr der Situation, und bedeckte das arme Opfer zunächst mit seinem langen Mantel, woraus ihn Frau Müller schnell mit einigen Worten aufklürte. Aber zu ihrem lebhaften Erstaunen befand sich heute der Brötchenbcutel nicht an der Klinke. Spitzbube oben gewesen sein? Doch dort hing der Beutel ja an einem in die Wand ge schlagenen Nagel. Jedenfalls mar der Bäckerjunge heute etwas zerstreut, so etwas soll ja nicht nur allein den Professoren passiren. Beruhigt über das Schicksal des Brötchenbeutels trat Frau Katharina auf den äußeren Korridor hinaus und nahm ihn an sich. In demselben Moment trat die natürliche Konsequenz des in folge des offenen Fensters entstandenen Durchzuges ein: die Thür schmg hinter ihr zu! Frau Katharina stieß einen Schreckensruf aus und wurde Unterdessen kam der Bäckerjunge mit einem Schutzmann und rief schon von unten: „Da schteht se! Halten Se ihr seste, Herr Wachmeester! Hier is det Korps dilekti, wat se gestohlen hat!" Er übergab dem Schutzmann mit wichtiger Miene den Brötchen beutel und entfernte sich mit der Bemerkung: „Warte, Kaneiüe, Dir wer'n se orndlich eens auswisch'n!" Das geschah nun selbstredend nicht, denn der Beamte ent fernte sich nach der ihm gewordenen Erklärung der Sachlage so fort wieder. Ungefähr um dieselbe Zeit erwachte zufällig Herr Müller aus seinem todtenähnlichen Schlafe und hörte dann natürlich auch den Lärm vor seiner Wohnung. „Katharina!" rief er nach dem Bette seiner Gattin hinüber. „Was ist denn da draußen los? Hast Du noch nichts gehört?" Herr Müller wunderte sich, daß feine sonst so leise schlafende Frau nun auf einmal nicht zu hören schien und richtete sich auf. Jetzt sah er, daß das andere Bett leer war. „Das ist ja merkwürdig," brummte er vor sich hin, „wo steckt denn Katharina?" Dabei war er aber schon mit einem großen Satz bei seinen Kleidern und in wenigen Augenblicken an der Korridorthür, hinter der es noch immer ziemlich laut herging. „Endlich!" hörte Herr Müller beim Oeffnen eine Stimme rufen, und eine Gestalt im langen grauen Hohenzollermnantel rannte ihn zunächst um, um dann, wie von Furien gejagt, ins Schlafzimmer zu stürzen. Einen Augenblick später flog der Hohen- zollernmantel wieder heraus, und darauf wurde die Thür von innen verriegelt. Nun erst erfuhr der erstaunte Ehemann von dem Besitzer des Mantels den Sachverhalt und mußte lachen, daß ihm die Thränen aus den Augen liefen. — — Vorläufig schwieg Herr Müller, doch nach einigen Wochen er wähnte er so beiläufig: „Du machst ja jetzt jeden Abend die Fenster zu, Kathrinchen, und bindest den Brötchenbeutel immer an der Thürklinke fest." Ohne zu antworten fiel ihm Frau Katharina um den Hals und drückte das erröthende Gesicht an seine Brust. „Gleiche Kiücler, gleiche Wappen!" (Zu dem Bilde S. 1.) „Wie der Acker, so die Ruben, Wie der Vater, so die Buben"; was dies alte Reimwort spricht, Ist doch so ganz ohne nicht. — Seht die zwei da, keck und sinnig, Einmal laut und einmal innig, Bischen stolz und doch bescheiden, Etwas Unterschied die Beiden: Weiß der Klaus es schon ein wenig, Was der Bauer, was der König, Weiß der Herbert nichts vom Staat, Ganz nach Straßendemokrat; Doch des Emen Lust und Leid Theilt der Andre jederzeit. Drum vor Mutter Maries Augen Beide eben gleichviel taugen, Beiden folgt ihr fromm Gebet, Morgens früh bis abends spät; Und wenn Beid' was ausgebrütet, Was sie schließlich schlecht „behütet", Was, trotz der Verschiedenheit, Zeuge ihrer Einigkeit, Lächelt still ihr gut Gesicht, Und, dem Gatten zugericht', Nickt sie: Anton, sieh ihr Wappen: „Gleiche Brüder, gleiche Kappen". Z)ev Jägev. (Zu dem Bilde S. 4.) Man sieht es der drallen Schenkin an, daß der schmucke Jäger ihr ein gar lieber Gast ist. Freudig leuchten ihre Augen, wenn er eintritt, und höchst betrübt würde sie das Köpfchen hängen lassen, wenn er 'mal einen Tag ausbliebe. Aber das braucht die verliebte Dirne nicht zu fürchten. Nach langem Umherstreifen ein so frischen Trunk von einem so frischen Mädel kredenzt — das läßt sich ein rechter Waidmann nimmer entgehen! WLücHev bei Gcruö 1813. (Zu dem Bilde S. b.) Wenn die Geschichte des großen Befreiungskrieges mit ihrem gewaltigen Ringen an unserm geistigen Auge vorüberzieht, so wird unser Herz wie magisch immer von einer Gestalt angezogen werden: der deutschesten unter den deutschen, dem alten Blücher. Und wahrlich, die Zeit bedurfte solcher Männer! — Denn sie war sehr groß, aber auch sehr klein. Wie der große Befreiungsgedanke in Preußen aus der Seele des Volkes emporgewachsen war und erst das Königthum durch die Macht und Gluth seiner Idee mit fortriß — so geht durch den ganzen Krieg der verbündeten Mächte derselbe Zwiespalt. Im Heer, in der großen Masse der Glaube ans Glück, der rücksichtslos wagende Muth — doch im Bannkreis der Throne die fast ängstliche Vorsicht, das unsichere Tasten. Die Diplomatie verdarb nur zu oft, was das Schwert gethan. Selbst als Leipzig geschlagen war und Napoleon nur mit Roth bis über den Rhein durchbrach, war man im Lager der Verbündeten sich noch keineswegs klar, ob man dem Löwen in seine Höhle folgen dürfe, oder ob man ihm fast alles lassen solle, was er zusammen geraubt. Da wetterte der alte Blücher. Er verstand die Feder fuchser nicht, die immer wägten und niemals wagten. Ueber den Rhein, nach Frankreich, nach Paris — und da dem großen Sündenbabel mit Zinsen zurückbezahlt, was es an Europa ge sündigt: das war der Rachewunsch seines deutschen Herzens. Und gerade am Rhein wollte die Diplomatie Halt machen. Es bedurfte der staatsmännischen Wucht des Freiherrn v. Stein, den Ueber- gang durchzudrücken. In der Reujahrsnacht 1813/14 überschritt die schlesische Armee unter Blücher den Rhein bei Caub zwischen Bingen und Coblenz. Den „Marschall Vorwärts" in dieser Neujahrsimcht zeigt uns das Bild. Es ist ein elendes Quartier, das der flackernde Kandelaber erleuchtet. Auf dem plumpen Tisch wird die Karte Frankreichs entrollt. Ein Ordonnanzoffizier von den Todtenkopfhusaren hat eine Meldung gebracht. Blücher ist in patriotischer Wallung, er hat die Marschroute der Armee auf französischem Boden gezeigt. Jetzt ruht sein Finger auf dem dunklen Punkt, der Paris markirt. Sein schönes Auge flammt. Denn erst in Paris darf der Friede geschlossen werden, nachdem man den entthronten Kaiser aus seinen Tuilerien gejagt und der eitlen Nation den Stahlfuß auf den Nacken gesetzt hat. — Neben Blücher Gneisenan, der Chef seines Generalstabs, der feinste Kopf in der schlesischen Armee.