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meinen Vater zu fragen, ob wir arm oder reich seien, um ihn nicht an den Kummer, Cottiswalde haben verlassen zu müssen, zu erinnern; als ich, im Hinblick auf die Gesellschaft, Alice fragte, ob ich wohl meinen Vater bitten dürfe, mir ein für diese Gelegenheit passendes Kleid zu kaufen, meinte Alice zögernd, das sei wohl nicht nöthig — mein weißes Batistkleid erscheine ihr durchaus hübsch genug für eine Abendgesellschaft; sie wolle es schon Herrichten, daß es mir gefallen solle. Ich hatte nun freilich volles Vertrauen zu Alice und ihrem Geschick, allein ich hätte kein junges Mädchen sein müssen, wenn ich nicht für ein so großes Ereigniß, wie diese erste Abendgesellschaft, ein neues Gewand dem alten, schon ost gewaschenen Batistkleid vorgezogen hätte. Um so größer war meine freudige Ueberraschung, als ich, gegen sieben Uhr Abends in mein Zimmer tretend, um mich anzukleiden — Frau Bolder wollte mich um acht Uhr mit ihrem Wagen ab holen — ein wunderhübsches mattrosa und weißgestreiftes Seidenkleid fix und fertig auf meinem Bette ausgebrcitet er blickte. Wie geblendet starrte ich auf das schöne Wunder und erst als Alices Stimme an mein Ohr klang mit der leisen Frage: „Nun, Fräulein Cora — hab' ich's getroffen?" wandte ich mich um, und der braven Pflegerin meiner Kindheit, die strahlenden Blicks in der Thür stand, um den Hals fallend, rief ich entzückt: „O Alice — woher kommt das schöne Kleid?" Ein Schatten flog über das Gesicht der Getreuen. „Ihr Papa schenkte seiner Gattin zu dem letzten Geburtstag, den meine theure Herrin erleben durfte, diesen Kleiderstoff," antwortete sie dann leise, „es war wenige Wochen vor Ihrer Geburt, Fräulein Cora, und in dem neuen Festgewand sollte sie die Tauffeier des erhofften Erben von Cottiswalde begehen. Als dann alles so ganz anders kani, legte ich den Stoff bei feite, und jahrelang dachte ich nicht wieder daran, aber als neulich die Einladung für Sie kam, suchte ich den Seidenstoff hervor und trug denselben zur Schneiderin — hoffentlich paßt Ihnen das Kleid." Liebkosend strich ihre Hand über den Seidenstoff, während ich mir die Thränen heiß ins Auge steigen fühlte. Dann begann Alice mein Haar zu ordnen, und sie that dies in so geschickter Weise, daß ich sie ganz erstaunt anblickte. Das schöne Kleid paßte wie angegossen; aus dem zarten Spitzen gekräusel, welches die kurzen Puffärmel abschloß, sahen zu meiner Befriedigung volle weiße, wohlgeformte Arme hervor, und die auf meine entblößten Schultern fallenden lichtbrauncn Locken stachen vortheilhaft ab von dem zarten Rosa des Ge wandes. Mich im Spiegel betrachtend, mußte ich gestehen, daß derselbe kein häßliches Bild zurückwarf, und als ich zu meinem Vater hinabging, um mich in meinem neuen Staat zu präsentsten, hatte ich die Ueberzeugung, gut und vortheilhaft auszusehen. „Eins fehlt noch, Alice," sagte ich scherzend, indem ich die langen weißen Handschuhe anzuziehen begann, und auf ihre hastige Frage, was das wohl sei, entgegnete ich ihr, eine Rose von meinem Lieblingsbäumchen in Cottiswalde würde gerade zu meinem Kleide passen, worauf Alice mit geheimniß voller Miene erwiderte: bei nächster Gelegenheit werde sie auch dafür sorgen — ein Versprechen, welches ich natürlich nicht ernst nahm. Mein Vater blickte erstaunt auf, als ich in die Bibliothek trat: „Ei, Cora!" sagte er lächelnd, „hast Du wie das Aschenbrödel im Märchen ein Wunderbäumchen gefunden, welches Dir dies schöne Gewand herabgeworfen hat, als Du es schütteltest?" „Nein, Papa," versetzte ich leise, „Du selbst hast den Stoff seiner Zeit der seligen Mama geschenkt, und Alice, die ihn in Verwahrung hielt, ließ mir das Kleid machen — es ist Dir doch recht?" Anstatt zu antworten, strich mein Vater liebkosend über meine Wangen, und dann wandte er sich seufzend ab. Dann schien er sich plötzlich auf etwas zu besinnen, und ein Schränkchen aus Ebenholz öffnend, welches schon in Cottiswalde immer in der Bibliothek gestanden hatte und auch hier diesen Platz einnahm, zog mein Vater eine mit einem schwarzen Band umwundene Pappschachtel hervor und reichte mir dieselbe mit den Worten: „Hier, Coralie, nimm — das ist jetzt Dein Eigenthum; gebrauche den Inhalt mit Auswahl, aber erspare mir's heute Abend, Dich den Kasten öffnen und mustern zu sehen. Gute Nacht, Kind — unterhalte Dich gut und grüße Fran Bolder, wenn sie kommt, Dich abzuholen." In den Worten meines Vaters lag die deutliche Auf forderung, ihn jetzt allein zu lassen, und so schritt ich hinüber ins Speisezimmer. Da Frau Bolder noch auf sich warten lies, öffnete ich die Schachtel, um zu sehen, was sie enthalte, und zu meinem Erstaunen fiel mir eine Anzahl größerer und kleinerer rother Saffiankästchen in die Hand. Das erste Etui ümschloß eine altmodisch gefaßte Perlenbrosche; das zweite enthielt einen mit Türkisen besetzten breiten Fingerring, und diesen Schätzen reihten sich andere mehr oder minder werth- volle, aber sammt und sonders unmoderne Schmucksachen in Gestalt von Armbändern, Colliers, Haarnadeln und Schnallen an. Offenbar hatte mein Vater mir die Sachen gegeben, damit ich sie trage, und nach langem Ueberlegen wählte ich einen kleinen, mit funkelnden Brillianten besetzten Anhänger, der an einem dünnen, goldenen Halskettchen hing. Eben war ich damit zu stände gekommen, das Kettchen, welches ein alterthümliches Schloß besaß, um meinen Nacken zu legen, als der Wagen vorfuhr; ich eilte hinaus, nickte Alice, die mich leuchtend die Treppe hinab geleitet, einen hastigen Gruß zu und betrat bald darauf an Frau Bolders Seite den Salon der Frau Professorin, in welchem bereits eine zahlreiche Ge sellschaft versamnielt war. — Nachdem ich Frau Selwyn be grüßt hatte, musterte ich mit scheuem Blick die Anwesenden, die mir beinahe sämmtlich fremd waren. Seltsamerweise fand keine Vorstellung statt; als wir zu Tische gingen, bot mir ein älterer Herr den Arm, und ich glaube, er hat sich mindestens ebenso gelangweilt wie ich während der zwei Stunden, die wir bei Tafel verbrachten. Später ward musizirt, und während ich dem prächtigen von zwei Schwestern gesungenen Duett: „Ich wollt' meine Liebe ergösse sich" usw. usw. lauschte, legte sich plötzlich eine Hand auf meinen Arm, und Herrn Osbornes Stimme.sagte halblaut: „Siehe da — das Vögelchen ist flügge geworden — nun, Coralie — wie unterhalten Sie sich?" „Danke — ganz gut." „Hm — das freut mich — wo ist denn meine Schwester?" Ich erhob mich, um Herrn Osborne ins Nebenzimmer, wo Frau Bolder mit verschiedenen Bekannten saß, zu be gleiten — auf dem Wege dorthin ward der Gelehrte jedoch von einem alten Kollegen angesprochen, und so suchte ich allein meine Beschützerin auf, die mir freundlich die Hand eutgcgenstreckte. „Gut, daß Sie kommen, Kind," flüsterte sie mir zu; „denken Sic, Selwyns haben eine Berühmtheit aus London aufgegabelt — es ist Sir Alton, der berühmte Historiograph — sehen Sie, dort tritt er eben über die Schwelle." „Aber das ist ja ein ganz junger Mann," sagte ich erstaunt. „Jung — nein, das ist er nicht mehr Kind — er hat schon die Fünfzig überschritten. Ach — Sie meinen den jungen, schlanken Herrn, der dort am Tische steht und in den Photographien blättert — nein, Sir Alton ist der weißhaarige Herr, der eben mit Herrn Selwyn spricht. Der junge Herr ist mir übrigens fremd; er hat ein sehr hübsches, angenehmes Gesicht — wer mag's wohl sein? Ach — eben redet Frank ihn an — schnell Cora, sagen Sie meinem Bruder, ich wollte ihn sprechen — er soll mir sagen, wer der Fremde ist." Nicht eben erbaut von dem Auftrag, theilte ich Herrn Osborne die Bitte seiner Schwester flüsternd mit; Herr Osborne lachte vor sich hin und sagte dann gutgelaunt: „Ich komme schon — Fanny muß sich noch ein Weilchen gedulden." Damit schob er mir einen Sessel neben den des jungen Herrn, drückte mich in die weichen Kiffen und begab sich, einer Aufforderung der Hausfrau Folge leistend, ins Spiel zimmer, mich zu meiner Bestürzung allein mit dem Fremden lassend. Ich wäre in ein Mauseloch geschlüpft, und vielleicht sah der junge Herr mir das am Gesicht an, denn er bemühte sich, mir die Situation zu erleichtern, indem er auf die Photo graphie, die er eben betrachtet hatte, wies und mich fragte, ob ich mich für Ansichten von Cambridgeshire interessire. „O gewiß," sagte ich hastig, „Cambridgeshire ist ja meine Heimath."