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MeckE fm NlÄniss Beilage zu Nr. 10. Dienstag, den 22. Januar 1901. Macht Trunkenheit straflos? Von Or. jur. Ketschendorf. (Nachdruck verboten.) Unzählige Verbrechen werden in der Trunkenheit begangen und verschiedene Staaten,wie Schweden, England, Frankreich bedrohen diejenigen mit Strafe, die in W rthschaften, oder auf der Straße, an anderen öffentlichen Plätzen im Zustande offenbarer oder Aergeruiß erregender Trunkenheit gefunden werden. Anch in Deutschland hat man ein derartiges Ge setz geplant, ist jedoch damit nicht durchgedrungen. Sehr rigoros ist in dieser Hinsicht Amerika vorgegangen, wo vielfach der Verkauf aller spirituosen Getränke absolut ver boten ist. Aber nach Ansicht vieler Kenner der Verhält nisse hat dieses Verbot in keiner Weise seinen Zweck er reicht, sondern nur Heuchelei gezüchtet. Unser Reichsstrafgesetzbuch erwähnt die Trunkenheit ausdrücklich nur im 8 361 Nr. 5. Hier heißt es: Mit Haft wird bestraft: „wer sich dem Spiel, Trunk oder Müßiggang dergestalt hingiebt, daß er in einen Zustand geräth, in welchem zu seinem Unterhalte oder zum Unter halte derjenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, durch Vermittelung der Behörde fremde Hülfe in Anspruch genommen werden muß." Hat Jemand sonst ein Verbrechen in der Trunken heit begangen, so kann der 8 51 des Allgemeinen TheUs, der von den Strafausschließungsgründen handelt, in Be tracht kommen. Dieser lautet: „Eine strafbare Handlung ist nickt vorhanden, wenn der Thater zur Zeit der Begeh ung der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosig keit oder krankhafter Störung der Geistcsthäügkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war." Hierzu ist Folgendes zu bemerken: In der Praxis dürfte im Allgemeinen kein Zweifel darüber bestehen, daß, wenn Jemand sich selbstverschulder betrinkt und eine fahr lässige Handlung begeht, er wegen dieses fahrlässigen Ver- brechens bestraft werden kann; z. B. der betrunkene Kutscher überfährt einen Passanten und wird infolgedessen wegen fahrlässiger Tödtung bestraft. In der Wissenschaft ist diese Ansicht nicht unbestritten. Zweifel kann es ferner erregen, welches Stadium der Betrunkenheit der Gesetzgeber nn 8 51 im Auge gehabt hat, damit die Bestrafung eines vorsätzlichen Verbrechens ausgeschlossen ist. Streng genommen ist der Trunkene im Zustande der absoluten Bewußtlosigkeit am wenigsten gefährlich, da er dann in der Regel in einen tiefen Schlaf zu verfallen pflegt oder wenigstens zu gefährlichen Exzessen mcistmthcils unfähig ist. Deshalb herrscht vielfach die Ansicht, daß nicht dieser Zustand von dem Gesetzgeber ge meint sei, auch nicht der Rausch d. h. die affektartige Er regung, bei welcher aber das Bewußtsein noch seine Kon tinuität behält hier tritt unzweifelhaft Strafe ein — sondern das Stadium der Trunkenheit, wo das Bewußt sein zwar noch nicht gänzlich erloschen, aber doch so zu sammenhanglos geworden ist, daß sich Jrrthum und Un wissenheit hinsichtlich sonst bekannter Dinge nicht vermeiden lassen. Andere machen noch jkomplizirtcre Eintheiluugeu, die aber sämmtlich an dem großen Fehler leiben, daß sie für die Praxis völlig wcrthlos sind, da sich das Äorliegen des einen oder anderen Zustanvcs fast niemals seststellen läßt. Wie ost kommt eS vor, daß die Angaben der Zeugen oder der Polizisten über das Truukenheitsstadium des Ange klagten himmelweit auseinandcrgehen. Jedenfalls steht fest, daß, wenn der Verbrecher so sinnlos betrunken gewesen ist, daß seine freie Willcnsbc- stimmung ausgeschlossen war, er nach 8 51 freigeiprochen werben muß, denn er war dann unzurechnungsfähig. Ist jemand hingegen nur angetrunken gewesen — wohl der gewöhnlichste Instand bei vielen, die ein Gesetz übertreten haben — so muß ihn nach dem Wortlaut des Gesetzes die Volle Strafe treffen, denn eine verminderte Zurech nungsfähigkeit ist unserem SUafgesetzbuche unbekannt. Es können ihm höchstens mildernde Umstände wegen seines Zustandes bewilligt werden, was auch in der Praxis regel mäßig geschieht. Hiergegen wird aber von vielen Seiten energisch protestirt, welche die Ai sicht vertreten, daß die Angetrunkenheit eher einen Strasschärfungs- als einen Strafmilderuugsgrund bilde. D l das Gesetz die mil dernden Umstände nicht aufzählt, so hängt die Entschei dung ganz von dem Ermessen des Richters ab. Je nach dem er Temperenzler ist oder dem Grundsatz huldigt: Wer niemals einen Rausch gehabt n. s. w., wird er eine hohe oder milde Strafe für angemessen erachten. Nur unser Reichsmilitärstrafgesetzbuch bestimmt in 8 49 ausdrücklich, daß bei Soldaten selbstverschuldete Trunkenheit kein Straf- mildernngsgrund >ei. Manche gehen soweit, daß, wenn der Thäter sich ab- sichtüch betrunken Hal, also sich den Muth zur That aus der Flasche geholt hat, sie ihn mit der vollen Strafe be legen wollen, auch wenn er sinnlos betrunken war. Dem Rcchtsgefühl entspricht diese Anschauung durchaus, aber ini Wortlaute des Gesetzbuchs hat sie keinen Stützpunkt. Man sieht, das Gebiet ist sehr bestritten, aber man kann wohl folgende Grundsätze als herrschend ansstellen: Wegen Fahrlässigkeit kann der Trunkene regelmäßig ge straft werden, wegen Vorsatz nur daun nicht, wenn sinn ¬ lose Trunkenheit vorliegt. Angetrunkenheit kann je nach der Anffassung des Richters äls Strafmilderungs- oder Strafschärfungsgrund aufgefaßt werden. Ein lehrreicher Fall aus der Praxis ereignete sich in der letzten Zeit. Jemand hatte in der Angetrunkenheit eine durchaus an ständige Dame belästigt und in seinem Aerger über die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen sie durch einen Schutz mann festnehmeu lassen, obwohl ihn der letztere ausdrück lich darauf aufmerksam machte, welche schweren Folgen eine ungerechtfertigte Anschuldigung nach sich ziehen würde. Die Berliner Strafkammer sah mit Rücksicht auf den Zu stand des Angeklagten diese That mit einer Geldstrafe hinreichend gesühnt, was vielfachen Widerspruch erweckte. Das Reichsgericht hob das Urtheil auf und überwies die Sache dem Landgericht Cottbus. Zeitungsnachrichten zu folge haben nun die Cottbuser Richter dieselbe That viel strenger beurtheilt, deun sie hielten eine Geldstrafe nicht am Platze, erachteten vielmehr eine Gefängniß strafe von neun Monaten für angemessen. Wegen der Ersatzpflicht des in der Trunkenheit ange-' richteten Schadens schreibt das neue Bürgerliche Gesetzbuch in 8 827 Folgendes vor: Wer im Zustande der Bewußt losigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung aus schließenden Zustand krankhafter Störung der Geistes- thätigkeit einem Anderen Schaden zugefügt, ist für den Schaden nicht verantwortlich. Hal er sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art versetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustande widerrechtlich verursacht, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den Zustand gerathen ist. Geht also auch der sinnlos Betrnnkene wegen seiner Missethaten straffrei aus, so bleibt er doch schaden ersatzpflichtig, falls er nicht unverschuldet inTrunkeu- heit gerieth z. B. weil ihm jemand berauschende Mittel heimlich in sein Getränk schüttete. Beim Manichäer. Humoristische Skizze von S. Halm. (Nachdruck verboten.) Herr Aronson lief aufgeregt in seinem düsteren, kleinen Kontor auf und nieder. Seine Rockschöbe flogen; seine Hände zitterten; sein Gesicht glühte. „Hat man erlebt je so was?" eiferte er, „bin ich doch gewesen ßeitlebens ä ordentlicher Manu, da kommen der Herr Baron . . ." „Lassen Sie dem Baron und mir meinen ehrlichen Namen." „Gott, wie Se werden gleich heftig! Woßu frag' ich Sie bloß? Aber hab ich nicht recht? Sind Sie nicht gekommen, mir ßu sagen häßliche Sachen? Hab ich doch auch mei Ehr' Herr Baron - — Gott verzeih'» Sie 'n alten Mann seine Vergeßlichkeit, wollte sagen also: Herr von Bevern. Haben wir nicht gemacht 's Geschäft als ehrliche Leit? Hab ich je ibervortheilt ven Herrn Ba . . . den Herrn von Bevern?" Der Kavalier schlug ein Bein über das andere. „Machen wir's kurz Aronson. Sie wissen, ich bin iin Interesse meines Freundes hier." „Ist 'n nobler Herr, ein feiner Herr Ihr Fremd! Gott mag mich strafen, wenn ich hab je das bestritten. Aber ich bin ü armer Mann, ä aller Mann, wer giebl mir Garantie, daß ich nicht muß beißen schon morgen in's Gras? Hab ich doch prolongirt schon zweimal dem Herrn Leituant. Hab ich da nicht ä Recht ßu bestehen aus die Zahlung. Machen 'S mich nicht unglücklich Herr Ba-... Herr von Bevern." Bevern schnitt mit der Hand durch die Luft. „Wozu das Geseires lieber Aronson. Die Sache liegt so. Mein Freund kann nicht zahlen Bestehen Sie auf Ihrer Forderung, so muß er den Abschied nehmen oder Schlimmeres." Aronson fuhr sich mit beiden Händen an den kahlen Schädel. „Reden 'S nich so grausliches Zeig, Herr von Be- Vern!! Bin ich ä gemeiner Wucherer ? Hab ich kei Herz? Aber woßu hat der Herr Leituant so'n vornehmen Freiud? Mit dem ßu machen Geschäftchen ist mir stets 'ne Ehr. Wenn Sie wollten gutsageu, Herr Baron." „Nein. Sparen Sie sich die Mühe." „Gott, wie der Herr von Bevern is doch immer gleich schroff! Nur so ä Federßug, nur vor die Hälfte Garantie." „Geben Sie sich keine Mühe." „Herr von Bevern sei'n Se nicht grausam" bettelte der Jude, „hab ich doch Frau und Kind, ä schänes Kind meine Isidore. Hab ich nicht geknickert und nicht gespart, hab ich lassen das Mädchen erziehen in ä feines Pensionat. Müßten Sie seh'n Herr von Bevern meine Isidore. „Ja, wer werd heirathen die Tochter vom Sally Aronson, der wird machen ä Rebbes." „Ich habe eine Frau, wie Sic wissen. Wozu also den Sermon, Monson?" „Gott, wie der Herr Baron doch können spaßen! Weiß ich, daß Sie haben ä Frau, ä schaue, ä junge Frau; weiß ich, baß wir nicht leben in de Türkei. Aber der Herr Leituant, was ist der Fremd vom gnädigen Herrn, der ist noch unbeweibt, soviel ich weiß." „Er ist verlobt, wie Sie wissen." Der Alte wackelte in unheimlicher Geschwindigkeit mit dem Kopse. „Gott, wo haißt verlobt? Ich weiß, ich weiß. Doch ich bist' Sie, was soll ä armen verschuldeten Leitnant an arme Braut und wär se ä Engel! Hab ich doch immer gesagt ßur Rebekka, meiner Frau: wie kann ich dem Hern Leituant noch länger prolougiren. Ja, wenn's Freilein wär 'ne gute Parthie, so wie unsre Isidore, ich gab mich ßnfricden mit die Garantie. Aber so " Herr von Bevern wurde ungeduldig. „Mit Ihnen ist nicht zu reden, Arons on. Ich werde es meinem Freunde sagen. Es thut mir leid, den un nützen Gang gemacht zu haben." Er wandte sich zum Gehen. Aronson hielt ihn am Arm fest. „Sei'n Se gut, Herr von Bevern, erbarmen Sie sich. Bin ich doch ä armer Mann, machen Se mich nicht un glücklich. Brauch ich mein Geld, brauch ich ßum Leben. Wollen Se nicht wenigstens seh'n meine Isidore? Geb ich ihr doch mit rund 100 Mille." Bevern lachte spöttisch. „Sie armer Mann!" Der Jude wand sich. „120 Mille wenn's nicht anders will der Herr Leit uant." „Schacherjude!" „Mögen der Herr von Bevern schimpfen mich, ä Schacherjnd', ä Manichäer; aber seh'n der Herr Baron sich an meine Isidore." Dem Junker begann die Sache Spaß zu machen. „Schön, Sie Nimmersatt, ich werde mir das Pracht exemplar von vergoldeter Tochter ansehen. Wo ist sie?" Der Alte stürzte schon zur Thür. „Haben Se Geduld ä Momentwen. Isidore, Isidore!" Seine Stimme gellte durch das alte Haus. Droben ging irgendwo eine Thür. „Was soll's, Vater?" hörte man eine Frauenstimme fragen. - - „Kind, mein Seelchen, komm' doch herunter g'schwind, der Herr Baron will uns machen die Ehr', Dich zu be grüßen." „Gleich," scholl es von oben, dann ein Thürschlagen, flüchtige Schritte und auf der Schwelle stand Isidore Aronson. Bevern machte ein sehr verdutztes Gesicht. Er sah nicht den schmierigen Wucherer, der händereibend den Ein druck. den die Tochter machte, beobachtend hinter seinem Sprößling stand, er sah nur das wundervolle, rassige Weib mit den ebenholffchwarzeu Haaren, den Glutaugen, den schwellenden Lippen, der junonische^Gestalt. Er war wie betäubt, sprachlos. Wie kam Sally Aronson zu diesem Wunder einer Tochter? „Mein Fräulein, — ich — habe schon so viel von Ihnen gehört, daß ich allerdings den lebhaften Wunsch verspürte, Sie persönlich kennen zu lernen." Alle Gewandheit schien den Kavalier verlassen zu haben. Stotternd brachte er die wenigen Worte hervor. Isidore lächelte und dies Lächeln grub um ihren üppigen Mund einen Zug, der sie unzweifelhaft als Se mitin kennzeichnete. Sie schien sich des Eindrucks ihrer Schönheit bewußt und deren gewöhnt zu sein. „Anch ich habe von Ihnen gehört. Mein Vater," sie deutete rückwärts, „hat mir manches erzählt." Wieder das Lächeln. Bevern empfand es fatal. Aber ihre Stimme war schön; ihr Accent rein vom jüdischen Lispeln. „Nun Herr Baron, hab ich gesagt ßu viel? Ist se nich sch än wie die medizinische Venus? Ist se nicht werth ä Leitnant ßu vergolden das bischen Leben? Hat se nicht Meß wie ä Liliputmädchen? Hat se nicht Augen wie ßwei Sonnen. Blüht se nich wie 'n Appel? Hat se nicht Finger wie'ne Heroine? Und Haare hat die Isidore, Mädchen mach' se los die Haare, damit der Herr Baron kann sehen, daß Dn nicht brauchst Chignons und sonstige-Kunstmittelchen." Und sehr bereitwillig that Isidore, wie ihr geheißen. Verführerisch lächelnd präsentirte sie sich Bevern im entfesselten Schmuck ihres natürlichen Haares. Lächelnd, ! mit kindlichem Augenanfschlag, sah sie ihn an. „Nun, übertreibt der Baler etwa? Bin ich nicht schön?" fragten ihre stummen Lippen. Bevern wurde es ungemüthlich. Diese Tochter Abrahams schien den Spaß ja wirklich für Ernst zu nebmen. „Liebstes Fräulein", sagte er scheinheilig, die Hand auf die Herzgegend legend, „leider bin nicht ich der Glück liche, dem Sie werden das Leben vergolden können." „Aber Se werden ä gutes Wörtchen einlegen bei Ihrem Freiud" treischte schon Aronson. „Se werden ihm öffnen die Augen und werden ihm machen Vorschläg' zur Güt'." Bevern wurde immer unbehaglicher. Der Jude schien nicht locker lassen zu wollen und diese schölte Judit, ach nein Isidore hieß sie ja wohl war auch gerade kein Weib, an dem sein Freund, dessen Herz so leicht zu entzünden, unachtsam vorüberging.