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WeMM fiir WiNrH Beilage zu Nr. 138. Mittwoch, den 21. November 1900. Vaterländisches. Wilsdruff, 20. November 1900. — Briefmarken als Zahlungsmittel. Seit dem auch die Briefmarken zu höheren Werthbeträgen an das Publikum verkauft werden — früher war dies mit den 2-Mark-Marken nicht der Fall, — findet eine Ver wendung derselben als Zahlungsmittel in erhöhtem Um fange statt. Es wird nun über mancherlei Unzutraglich- keiten geklagt, die ein solches Verfahren im Gefolge hat. Bekanntlich löst die Post die gekauften Marken weder in baar ein, noch auch tauscht sie dieselben gegen andere Werthzeichen um. Die Verwendung besonders derhöher- werthigen Marken ist aber im Privatverkehr mit vielen Schwierigkeiten verknüpft. Sehr oft kann der Empfänger die Marken selbst nicht verwenden: so kommt es denn, daß die Marken von Hand zu Hand weiter wandern, be schädigt und beschmutzt werden und schließlich zur Frank- irung überhaupt nicht mehr geeignet sind. Da die Ver sendung von Marken in undeclarirten Briefen außerdem eine unsichere und die Postanweisungstaxe eine billige ist, so sollte man, namentlich auch für Begleichung kleinerer Beträge, sich der billigeren und sicheren Baarübersendung durch Postanweisungen bedienen. Wenn auch im Han delsverkehr mitunter der Zahlungsausgleich durch Frei marken nicht zu vermeiden sein wird, so sollte man es sich doch, wie auch einige Handelskammern Vorschlägen, zum Grundsatz machen, nie Freimarken zu höherem Werthe als 50 Pfg. im Einzelnen zu verwenden und über einen mäßigen Gesammtbetrag nicht hinausgehen. - Das Jahr 1901 ist ein gewöhnliches Jahr von 365 Tagen. Der Aschermittwoch fällt aus den 20. Februar, weshalb der nächste Fasching kurz ist, er dauert 6 Wochen 2 Tage. Der Oster-Sonntag fällt aus den 7. April, der Pfingst-Sonntag auf den 26. Mai, der Frohn- leichnamstag auf den 6. Juni. Sonnenfinsternisse sind zwei (18. Mai und 11. November), Mondfinsteruiß eine (7. Oktober). — Blühende Maiglöckchen auf dem Weih nachtstisch. Man verschaffe sich spätestens bis Ende November blühende Keime der Garteamaiblumen und schneide die Wurzeln bis auf drei Längen ab. Alsdann werden die Keime in Töpfe, welche zur Hälfte mit Moos angefüllt sind, so gepflanzt, daß die Spitzen der Keime nur bis an den Rand des Topfes reichen. Jeder Topf wird mit einer Hand voll Moos und einem leeren Blumen topf bedeckt und in einem mit Wasser gefüllten Untersetzer an einen täglich geheizten Ofen oder eine warme Stelle des Küchenherdes gestellt. Sollte der Ofen zu heiß werden, so muß man Hacksteine unterlegen. Das Wasser muß stets nachgefüllt werden, und haben sich die Blumen ent wickelt, so' nimmt man Topf und Moos ab und stellt die Pflanze auf den Blumentisch. — Die Zeit des Einheizens ist wieder da! Da nun das Heizmaterial teuer ist, glaubt mancher recht sparsam zu sein, wenn er sein geheiztes Zimmer sorgsam verschlossen hält, bannt ja nichts von der kostbaren Wärme verloren geht. Das ist in doppelter Hinsicht verkehrt: Die ver dorbene und gar nicht erneute Luft schadet unendlich der Gesundheit. Es wird auch nicht gespart, wenn das Fenster verschlossen bleibt: im Gegentheil, ein Zimmer mit reiner Luit ist sechsmal so schnell zu erwärmen, als ein solches mit schlechter, ferner, reine Luft hält sich weit länger warm als verdorbene. Also von Zeit zu Zeit das Fenster auf, auch bei geheizten Räumen. Man spart an Gesundheit und Geld. — Aus Berlin wird unterm 17. d. M. geschrieben: Einige sächsische Blätter wollten wissen, daß König Albert mit tiefem Bedauern von dem Auftreten seines Neffen, des Prinzen Max, gegen die evangelischen Kenntniß ge nommen habe. Diese Nachricht ist, wie dem „Berl. Tagbl." aus Dresden geschrieben wird, in der Hauptsache unrichtig. In der königl. Familie habe man selbstverständlich Kennt- niß von der Thätigkeit des Prinzen Max, aber man habe bisher UIN so weniger Veranlassung, dieselbe zu bedauern, als Prinz Max bekanntlich gegenüber dem Gewährsmanne der Dresdner „Neuesten Nachrichten" lebhaft bestreitet, daß die angegriffenen Worte in der in Plauen gehaltenen Rede gegen die Evangelisch-Lutherischen oder überhaupt gegen eine Religionsgemeinschaft gerichtet gewesen seien. Am königlichen Hofe in Dresden habe man natürlich keinen Anlaß, irgend einer anderen Stelle mehr glauben zu schenken, als dem Prinzen Max. — In 'raffinirter Weise tritt in Deutschland ein von Hamburg aus steckbrieflich verfolgter, etwa 46 Jahre alter, gewisser Hurlebusch auf. Als angeblicher Theilnehmer angesehener Handelsfirmen kauft bezw. bestellt er bei Ge- schüftslcuteu Brillanten, Zigarren, Motorfahrzeuge. Er bezahlt sofort mit gefälschten Wechseln und fordert mit Erfolg den überschießeuden Betrag der Wechsel. Seine Betrügereien führte er stets Sonnabends nach Geschäfts schluß der Banken aus, so daß die Güte der Wechsel nicht mehr durch telephonische Anfrage, die er übrigens allemal selbst empfiehlt, geprüft werden kann. — Auf einem Felde unweit Casabra bei Oschatz sind germanische Gräber aufgcfunden worden. Die in einer- Tiefe >on 45 Centimeter liegenden Urnen und Beigefäße waren flcider durch die Bearbeitung des Bodens meist zer ¬ drückt. Nach Aufdeckung der Grabstätten wurden sie photo graphisch ausgenommen. Ein Grab mit drei größeren Urnen und acht Beigefäßen war gut erhalten. Die Urnen von brauner, rother oder schwarzer Farbe zeigten die ver schiedensten Formen und Verzierungen. Verschlungene Lebenswege. Original-Roman von Gustav Lange. (Fortsetzung.) Rechtsanwalt Dr. Egloffstein hatte eben am Stamm tisch eine schnurrige Geschichte zum Besten gegeben und die mit einer neuen Auflage „Echtem" erschienene Kellnerin fragte so nebenher, ob die Herren einem armen, elenden Maune gestatten wollten, der mit seinem Kasten draußen stehe, einen Augenblick einzutreten und seinen Krimskram feilzubicten. „Aber Kathi, wir treiben doch am Abend keine Schacher- geschäfte," meinte der etwas knickrige Apotheker. „Sagen Sie dem Manne, er mag am Tage kommen." „Aber Herr Apotheker, am Tage sind die Herren doch nicht hier," meinte die Kellnerin, die nun einmal von Mitleid für den armen Manu erfaßt, „und er schaut so armselig aus zum Erbarmen." „Die Kathi hat recht!" riefen mehrere Herren, „mag hereinkommen." Das Mädchen entfernte sich und ließ den Hausirer eintreten, der sich nur auf Krücken fortbewcgen konnte und unter der Last eines großen schwarzen Hausirkastens keuchte. Es war ein Mann Anfangs der dreißiger Jahre, ein dichter, wenig gepflegter Vollbart umrahmte sein abge zehrtes Antlitz. Als er in den Lichtkreis getreten, da wischte er erst mit der Hand über die Augen, blendete ihn das Lampenlicht oder konnte er den Rauch von den Cigarren der Stammgäste nicht vertragen, der den Raum anfüllte. Dieser Mann war so ganz anders wie die meisten Händler, welche in Restaurants gehen und dort den Gästen die verschiedenartigsten Artikel aufzudrängen suchen und dies merkten an ihm auch sofort die Stammgäste. „Mit in Frankreich gewesen?" fragte ihn einer der Herren und zeigte auf den Beinstumpf. „Mit welchem Regiment haben Sie denn den Feldzug mitgemacht." DerHausirer stellte behutsam seinen Kasten auf einen leeren Tisch; merkwürdig, wie wenig er doch Lampenlicht und Cigarrenrauch vertragen konnte, denn abermals wischte er nach dieser Frage in die Augen und erst nach einer kleinen Weile erwiderte er bescheiden: „Nein, dies war mir nicht vergönnt, Leute mit einem halben Bein konnte der König nicht gebrauchen." „Dann haben Sie also das Lein schon früher ver loren, und wie ist denn das zugegangen?" fragte der be treffende Stammgast weiter. „Ja, Herr, schon als zwölfjähriger Knabe und wie es zugegangen ist, unter einen Wagen bin ich gekommen," war der Bescheid. „Darf ich mir erlauben, den Herren einiges zur Auswahl vorzulegen, alles nur Sachen, die im alltäglichen Leben immer gebraucht werden," setzte der Hausirer etwas schüchtern hinzu. Dr. Egloffstein, in einem eifrigen Gespräch mit seinem Tischnachbar begriffen, hatte zuerst beim Eintritt des Hausirers nicht auf diesen geachtet, jetzt erst bei diesem kurzen Gespräch wurde er aufmerksam, musterte den Fremden mit einem forschenden Blick und trat dann an ihn heran, seine Hand auf dessen Schulter legend. „Wie heißen Sie denn und woher sind Sie gebürtig?" fragte der Rechtsanwalt und eine seltsame Hast lag in seinen Worten. DerHausirer wurde sichtlich verlegen, bei dieser offen bar unerwarteten Frage nnd vergebens bemühte er sich, diese Verlegenheit zu verbergen. „O, Herr, fragen Sie mich nicht danach," preßte er endlich heraus. „Ich bin ein ehrlicher Mensch, dies können Sie mir glauben." „Mann, daran zweifle ich gar nicht, aber jeder Chri stenmensch hat doch schließlich einen Namen, den will ich wissen und wo Eure Wiege gestanden hat!" „Unterm Muttergottesbild auf der Thürschwelle haben die Leute mich gefunden und aus Barmherzigkeit haben sie mich ausgenommen — einen Namen, einen Namen haben sie mir halt nicht geben können, so, nun wissen Sie es!" Diese Worte hatte der Hausirer mit Heftigkeit her vorgestoßen; anfänglich nur verwirrt, in Verlegenheit gerathen, hatte schließlich eine gewisse Gereiztheit bei ihm Platz gegriffen, was hatte man ihn denn nach all dem zu fragen, was die längst begrabenen Sachen, wenn auch unbewußt wieder aufzurütteln. Als er aber sich daran machen wollte, seinen Kasten zusammenzupacken, um schnell fortzukommen von hier, wo man ihn mit solchen Fragen guätte, da hinderte ihn der Rechtsanwalt daran. „Dann heißen Sie Emeran, Mensch, reden Sie!" drang Dr. Egloffstein in den Hausirer und schüttelte ihn unwillkürlich ziemlich derb an der Schulter. Wäre ein Geist oder eine schreckhafte Gestalt neben dem Hausirer erstanden und hätte ihn angesprochen, sein Gesicht konnte keinen entsetzteren Ausdruck anuehmen, wie bei den letzten Worten des Rechtsanwalts. „Emeran, so haben sie mich früher gerufen," stotterte er verlegen und suchte die Hand des Rechtsanwalts von sich abzuschütteln. „Was wollen Sie von mir — erinnern Sie mich nicht mehr an die vergangenen Zeiten." Mit Erstaunen sahen die anderen Anwesenden bald aus den Hausirer, bald auf den Rechtsanwalt, welch letz terer vor Freude ganz und gar die Fassung verloren zu haben schien, bis ihm aus der Mitte der Stammgäste zugerufen wurde: „Aber, Herr Doktor, was ist Ihnen denn heute widerfahren?" Erst jetzt besann sich der Angerufene wieder auf sich selbst und den widerstrebenden Hausirer näher in das Zimmer und auf einen Stuhl drängend, erwiderte er: „Könnte man denn nicht gleich vor Freude aus dem Häuschen gerathen! Jahrelang habe ich nach diesem Manne geforscht, habe keine Kosten gescheut und heute Abend führt ihn mir der Zufall zu. Ja, meine Herren, wunderbare Fügung des Schicksals! Der Mann hier, der vor wenigen Minuten froh gewesen wäre, wenn wir ihm um einige Nickel etwas von seinen Sachen abgekauft hätten, der bis zur Stunde ein kümmerliches Dasein ge führt, nicht einmal einen Namen gehabt hat, ist reicher vielleicht wie einer unter uns!" Verdutzte Gesichter seitens der Stammgäste, starres j Entsetzen bei dem Hausirer gab es nach den Worten des Rechtsanwalts; vergebens bemühte sich der erstere, vom Stuhle aufzukommen, vergebens bat, flehte er, mit ihm armen Mann keinen Spott zu treiben und ihn seines Weges gehen zu lassen, denn hier liege sicher ein Jrrthum vor, aber der Rechtsanwalt ließ ihn nicht wieder los, dieser war froh, ihn gefunden zu haben. „Nein, nein, mein Lieber daraus wird nichts," mit diesen Worten hielt Dr. Egloffstein den Hausirer zurück. „Habe ich nicht soeben gesagt, daß ich schon lange nach Ihnen forschen ließ. Einer schwergeprüften Frau habe ich es hoch und heilig versprechen müssen, dies zu thun. Reiche Belohnung wartet auch meiner und ob ein Jrrthum vorliegt, wird sich morgen erweisen, eher glaube ich alles Andere als dies, denn es stimmt doch Alles überein, wie ich schon aus diesen Andeutungen entnommen habe." Von allen Seiten wurde nun der Rechtsanwalt mit Fragen über dieses seltsame Ereiguiß von der Auffindung eines verschollenen Erben und über die reiche Erbschaft selbst bestürmt, nachdem bei ihm aber der Freudenrausch verflüchtet, wurde er sehr ernst und lehnte entschieden jede weitere Auskunft ab. „Meine Herren, bei jedem Menschen stellen sich Augenblicke ein, in welchem die Versuchung in irgend einer Form an ihn herantritt — wohl kein Mensch ist gegen alle Versuchungen gefeit. Wie ein armes Weib der Ver suchung unterlegen ist, müßte ich Ihnen erzählen — er lassen Sie mir dies, hoffentlich ist es jetzt möglich, zum Theil wieder gut zu machen, was verschuldet worden ist." Gegeu diese Worte des Rechtsanwalts machte Nie mand Einwendungen, waren sie doch so bestimmt ge sprochen, daß auch gar nicht daran zu denken war, er würde von denselben abweichen und das Drama aufrollen. Das Gartenhäuschen mit den geschlossenen grünen Fensterläden, welches in den letzten Jahren nur von einem Hausverwalter bewohnt gewesen und in Stand ge halten worden war, hatte wieder einen rechtmäßigen Be sitzer, der es bewohnte — Emeran, der heimathlose Krüppel, war nach Erfüllung der gesetzlichen Formalitäten als rechtmäßiger Erbe anerkannt worden; durch Dr. Egloff stein hatte er die Lebensgeschichte seiner Mutter erfahren, er besaß nun einen ehrlichen Namen und Reichthum, aber als ihm beschieden, was er sich früher so oft gewünscht hatte — glücklich wurde er nicht. Dasselbe einfache Zimmerchen, welches seine Mutter in den letzten Jahren bewohnt, hatte auch er bezogen. Die neuen Verhältnisse behagten ihm gar nicht. Wie von einer Unruhe getrieben, war er in den letzten Jahren umhergewandert; er hatte gerade darum den Hausirerberuf gewählt, weil er sich an keine bleibende Stätte gewöhnen konnte. Die wechselnden Bilder, die nuf seinen Wanderungen an ihm vorüberzogen, lenkten seine trüben Gedanken ab und so war es ihm möglich, seinen Schmerz zu vergessen, sich nach und nach mit der Vergangenheit auszusöhnen. Ganz anders jetzt, wo er sich an die Scholle gefesselt fühlte, die Einsamkeit und Verlassenheit, die die kaum vernarbten Wunden wieder aufriß. Wohl gestattete es ihm der so unverhofft in den Schooß gefallene Reichthum, sich manche Freuden und Genüsse des Lebens zu bieten, aber er war nicht im Stande dazu, sein verdüstertes Gemüth ließ ihn vor allen diesen Freuden und Genüssen nur Ekel und Abscheu empfinden, den inneren Frieden und das ent schwundene Glück konnte er doch nicht wieder zurücker langen. 8. Kapitel. War das wirklich die einst so schöne, aber auch stolze Therese, der Abgott ihrer Eltern, das blasse, abgehärmte Weib mit den oft rothgeweinten Augen, die wie ein Schatten einherging? Sie war es; die fünf Jahre ihrer Ehe war eine Zeit ununterbrochener Leiden gewesen, nicht eine ein zige freudvolle Stunde hatte sie währenddem erlebt und mit ihren vier Kinderchen ging sie einer noch viel trauri geren Zukunft entgegen. Wer hätte ihr das vor ihrer