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WtilM für MW Beilage zu Nr 86. Dienstag, den 24. Juli 1900. Der neue deutsche Gesandte für Ehina. Zum diplomatischen Vertreter Deutschlands in China ist an Stelle des ermordeten Frelherrn von Ketteler der bisherige deutsche Gesandte in Luxemburg, Dr. Mumm von Sckwarzenstein, ernannt worden. Herr von Mumm stammt aus einer alten rheinischen Familie. Er war während seiner Thäligkeit als Gesandter in Luxemburg iu außerordentlicher Mission mehrere Ato nale mit der Vertretung des deutschen Botschafters iu Washington, Dr. v. Holleben, betraut. Es gelang ihm hier, in einer Reihe wichtiger Fragen eine für Deutschland günstige Lösung herbeizuführen. In maßgebenden Kreisen wurde man dadurch ganz besonders aufmerksam auf ihn, und man ernannte ihn nun zum Gesandten in China. KtrchM durch die Fünfer MtanMiW. Von Paul Lindenberg. (Nachdruck verboten.) Bronzen und Goldschmicde-Sachcn. — Einzelne Sammlungen. —„Das Feenreich der Diamanten. — Allerhand Uhren. — Die kleinsten Bücher. — Gobelin Ausstellung. — JdlMsche Winkel. Weiter wandernd, gelangen wir zu den Bronzen, und ein Meer von Schönheit und Grazie thut sich damit vor Iltis auf. Alle Amoretten und Nymphen scheinen losge lassen zu sein und sich hier-vereinigt zu haben, aber so groß auch die Fülle der entblößten Figuren ist, so kühn oft die Stellungen und Formen gewählt sind, nirgends trifft das Ange auf Häßliches und Verletzendes — die wahre Kunst weiß auch das Gewagteste zu adeln. Neben der Renaissance macht sich die Antike wieder geltend in Gestaltung der Vasen, Leuchter, Säulen re., in häufiger Verbindung sieht man Bronze mit Marmor sowie mit Golo, Silber und anderen Edelmetallen. Als Bildhauerin lernen wir hier Sarah Bernhardt kennen, die einen Schrank ge füllt hat mit in Bronze ausgcführten Meeruugethümen, mit barocken Schüsseln und Schalen und zwei recht guten Büsten, von denen die eine sie im Studium einer Rolle daistcllt. Nun blitzt und gleißt und glänzt es vor uns auf — wir sind zu deiz Goldschmieden gelangt. Auch hier, welch' Luxus, welch' Prunk, der all' das, was wir bisher gesehen, noch übertrifft. Aber es ist keine unangenehme, keine ver letzende Pracht, trotz der vielen goldenen und silbernen Waschgeräthe, der vollständigen Tafelaufbauten, der Thec- geschirre, der Schalen und Schüsseln, Teller und Vasen aus schwerstem Silber, bezügl. auch Gold mit reicher figür licher Zier. Etwas ganz Apartes sucht man freilich ver geblich, wohl trifft man verstreut auf sehr hübsche moderne Sachen, so auf graziöse Silbergeräthe in farbigen Ab tönungen, aber im ' allgemeinen wandelt die französische Goldschmiedekunst altgewohnte Bahnen, wie man aus dem in Schränken enthaltenen „Jahrhundert-Museum" erfährt mit kostbaren Stücken aus fürstlichem, staatlichem und privatem Besitz, darunter prächtige Tafelaufsätze, Kaffee- Service, Bestecke, die einst die Tische in den Tuilerien während der Regierung des dritten Napoleon geschmückt. Besonderes Interesse erweckt eine aus Christofle-Silber bestehende, etwa einen Nieter hohe und drei Meter lange große Gruppe von Göttinnen mit Kriegs- und Friedcns- wagcn, beschirmt von dem auf einer Weitkugel thronenden französischen Genius — „gefunden im Schutte des Schlosses von St. Cloud», steht darunter. Lic transit glonu manch! Anfangs der Plauderei hatte ich erwähnt, welch be deutenden Kaufmarkt das französische Knnstgcwerbe besitzt, in duffer Gruppe nun erhält man einen klemm Beweis davon: über cincm mäßig großen Glasschrank ließ man: „Sammlung eines Liebhabers der modernen französischen Kunst", und in den Gestellen findet mau die mannigfachsten Gegenstände, meist mäßigen Umfangs, in Gold, Silber, Bronze, Elfenbein, Marmor, Holz, Cmail, edlen Steinen, und zwar Figuren, Gerathe, Vasen, Dosen, Schüsseln, Kannen, Ringe, aber auch Messer, Gabeln, Notizbücher (in Gold), C garcttenbehältcr (in Silber), Kruzifixe rc. — jedes ist em Kunstwerk, manches auf die Anregung des Sammlers entstanden, bei dem nicht der Gegenstand an sich entschied, sonder» die Schönheit desselben. Und wie wird uns erst dieser Kaufmarkt vor Augen geführt, wenn wir in die benachbarte Abtheilung der Dia manten, der Edelsteine, der Schmncksachen gelangen — das funkelt und flimmert und schillert tausendfach üm uns herum wie in einem Feenreiche, und die Augen wissen nicht, was sie zuerst bewundern sollen. Bewundern und wundern sind hier eins, wundern, daß der Reichthum in derartiger, geradezu unerhörter Fülle vertreten ist, wo das alte Wort Wahrheit gewinnt: „wer's nicht gesehen, glaubt's nicht!" Da ist beispielsweise der am meisten umlagerte Pavillon eines der ersten Bijoutiers (Boucheron), der Werthsachen für 5 Millionen Francs birgt; und der Werth machts ja nicht allein, sondern die meisterhafte Ausführung in eigenartigster und gefälligster Stilisirung, die Seltenheit der Steine (neben großen gelben Diamanten ein kostbar gefaßter blauer Diamant von 22'/s Kar^t), ihre kunstfertige Behandlung — und in letzter Beziehung erregen das höchste Aufsehen die gravirten Diamanten, schöne Steine, welche in Verüefnng die zierlichsten Köpf chen von allerhand Göttinnen und ähnlichen reizvollen Damen aufweifen. Als einer unserer geschätztesten Berliner Goldschmiede, der in der deutschen Ausstellung Schmuck- sacheu im Werthe von „nur" 100000 Francs ausgestellt, diesen Pavillon sah, äußerte er: „Am liebsten möchte ich meinen ganzen Kram wieder einpacken und nach Hause fahren." Dabei dürfen unsere Juweliere durchaus nicht den Wettkampf mit den französischen scheuen, der Unterschied besteht nur darin, daß das, was bei den Deutschen als Ausnahme, als große Kostbarkeit gilt, hier in umfassend ster Auswahl vorliegt, als ob die Millionäre stets schock weise umherliefen. In Berlin versteht man ja auch zu leben und das Geld spielt häufig keine Rolle, aber — mit Respekt zu sagen — brillantbesetzte Strumpfbänder für 12000 Francs und von Juwelen übersäete Fächer für 30000 Francs sind für den Berliner Ben Akiba doch wohl etwas Neues, der Pariser dagegen lächelt blos ver- fchmitzt mid flüstert verständnißvoll: „Alles schon dage wesen!" — Aber selbst für diesen an Vieles gewöhnten Pariser Weisen ist doch neu der in einem Glaskasten (welcher Nachts in einen unterirdisch stählernen Behälter gelassen wird) auibewahrte Jubilee-Diamant, welcher, im Besitz des Diamanten-Shndikats von Jagersfoutein, als der größte Diamant der Welt gilt — er wiegt 239 Karat und sein Werth wird aus 7 Millionen Franks geschätzt. Dafür wird sich selbst in Paris nicht so leicht ein Käufer finden — ja, wenn etwa Mr. Vanderbilt König wäre und eine Krone tragen dürfte, dann würde sich die Sache schon leichter machen! — Wohl kein kunstgewerblicher Zweig wird so von dem modernen Geschmacke beeinflußt wie jener der Goldschmicdc- und Juwelierkuust, unter enger Verwendung pflanzlicher Formen und starker Hervorhebung mannigfacher Farben wirkungen, die man früher direkt als „verrückt" bezeichnet hätte. Das lehrt ein Vergleich mit der auch in dieser Gruppe enthaltenen, rückschauenden Ausstellung von Schmucksachen — mau denke nur an die ungefügen Brochen, die goldenen Ohrbommeln unserer Großmütter! Und wer weiß, wie in siebzig, achtzig Jahren das Urtheil über die heutigen, von uns freudig angestaunten Zierrathe lautet! Haben wir in diesen unteren Räumen viel Zeit nickt etwa versäumt (denn wer nur über etwa? längeren Urlaub verfügt, der richtet seine Schritte häufiger hierher und er wird stets Neues entdecken), sondern zugebracht, so können wir die Wanderung durch die oberen Galerieen destomehr beschleunigen, denn sie enthalten Gruppen, für die sich nur bestimmte Besucher näher interesfiren: Uhrmacherei, Necessaire- und Reise-Artikel, Papeterie, Lederwaaren, schließlich, wie schon erwähnt, noch Wohnungseinrichtungen und Gobelins. In den ersteren Gruppen fesseln die ge schichtlichen Ausstellungen von Spczial-Sammlern, die be sonders zahlreich auf dem Uhreu-Gebiet sind, darunter Sammlungen von hundert und mehr Stück, mit den Uhren Heinrichs UI., aus dem Jahre 1580 stammend, Ludwigs XVI. und Marats, des von Charlotte Corday ermordeten Revolutionsmauues; des letzteren silberne Taschenuhr, die "E in seiner Badezelle fand, trägt die Aufschrift: „Nur dem Gesetz gehorchen, nur das Vaterland lieben!" — Auf welche Sachen Sammler verfallen, zeigt die merkwürdigste aller Bibliotheken, die in der Papier-Aus stellung ihren Platz, nein, ihr Plätzchen gefunden, denn obgleich sie tausend Bändchen umfaßt, ist sie in einem schrank untergebracht, der kaum einen Meter im Geviert hat — besteht sie doch nur aus Miniatur-Büchlein, deren winzigste etwas über einen Centimeter (vier von ihnen bedecken gerade eine Briefmarke), deren größte fünf Centi meter hoch sind. Die ältesten dieser Merkchen, unter denen eine Zahl deutscher sind, stammen aus dem Anfang des XVII. Jahrhunderts, viele enthalten trefflichen Bilderschmnck. Den Schluß der oberen Galerien macht die unifang reiche Ausstellung der National-Gobelin-Manufaktur, und in der That ists ein würdiger Schluß — nach all' dem Blendenden und Verwirrenden vorher können sich in den stillen Sälen die Augen ausruhen an diesen herrlichen Wanddekorationen, die meist Nachbildung älterer Werke sind, vom Mittelalter an bis zum Beginn der Revolution, an voller, harmonischer Wirkung den farbenfrohesten Ge mälden gleichkommend. Zu den schönsten Stücken zählt jenes, welches uns Marie Antoinette mit ihren drei ältesten Kindern im vollsten Mutterglück zeigt — es ist eine Wieder gabe des bekannten zeitgenössischen Gemäldes der Madame Lebrun im Versailler Museum und ward vom Präsidenten Faure als Gesetzen! für die Kaiserin von Rußland bestellt. Hinaus wieder ins Freie — diesmal aber nicht in die menschengefüllte Jnvaliden-Esplanade, sondern in die sich an der Rückseite der eben durchwanderten Palaftreihe hinziehende Allee, in welcher man zwei Bretonische und Arlesische Dörfchen erbaut hat, mit kleinen Kapellen, Giebel- Häuschen, Lenksäulen, von Madonnenbildern beschirmten Ziehbrunnen und traulichen Schänken, in denen zum Klang der Fiedel und Trompete kühler Wein, schäumender Cider, goldglänzendes Bier von schmucken Dirnen in ihren fest licken heimathlichen Trachten kredenzt wird. Unter breit schattigen Bäumen, in denen Vögelschaarcn lustig konzer- tiren, nimmt man Platz — ach, wie thut die Ruhe wohl, wie mundet der frische Trunk, wie freut man sich, daß man dem Menschengewimmel entronnen, denn diese allerliebsten provinzialen Niederlassungen sind wenig bekannt und werden hauptsächlich von den in Paris weilenden Kindern der Bretagne und Provence aufgesucht. Und daß es so idyllisch Punkte in dieser gewaltigen Ausstellungsstadt giebt, das gehört mit zu ihren liebenswürdigsten Vorzügen. Ankrant, oder: Der Gemeindefranz. Skizze von Wilhelm Maaß. (Fortsetzung.) Liese, ein hocbanfgeschossencs Mädchen, mit eckigen Formen, das Gesicht von tiefen Pockennarben verunstaltet, war das einzige menschliche Wesen, welches den Franz leiden mochte. Der kräftige rosige Junge mit dem braunen verwilderten Lockenkopte, den trotzig blickenden Augen, hatte dem armen häßlichen Ding mit dem stroh gelben dünnen Haar gleich am ersten Tage ihres Zu sammenseins ausnehmend gefallen. Wohl war Franz anfangs auch gegen sie grob gewesen, wie er es ja gegen jedermann war; doch da sie alles geduldig hinnahm und höchstens, wenn er es ihr zu arg machte, mit einem Strom Thränen antwortete, so änderte er allmählich sein Betragen und endlich hörten seine Ungezogenheiten ganz auf. Be sonders viel trug zu dieser Aenderung folgender Vorfall bei. In der Saatzeit ereignete es sich, daß eine Kuh, ohne von Franz bemerkt zu werden, sich von der Herde weg- statzl und in das grünende Roggenfeld ging, wo sie nicht unbedeutenden Schaden anrichtete. Als Rübenkarl den selben bemerkte, war er außer sich. Ehe Franz sich be sonnen halte, was er auf die wüthende Frage seines Herrn antworten solle, sagte Liese: „Ich bin die Schuldige. Eines Morgens, wo ich den Franz vertrat, war ich ein wenig eingenickt und unter dessen war der Schaden geschehen." „Du faules, verschlafenes, nachlässiges Ding Du!" schrie mit wilder Geberde der Rübenkarl, wurde jedoch so fort von seiner klugen Frau unterbrochen. „Schrei doch nicht so! Dadurch änderst Du nichts mehr," sagte sie und fuhr, zu dem Mädcheu gewendet, fort: v „Aengstige Dich nicht, Kind, dergleichen kann Jedem Vorkommen — Deine Mutter wird schon den Schaden bei der Kartoffelernte abvcrdienen. Doch nächstens sei acht samer." Damit war die Angelegenheit erledigt. „Weshalb hast Dn die Schuld auf Dich genommen?" fragte Franz, als er mit der Liese allein war, „den Schaden hätte doch ich tragen sollen." „Ja, Du!" versetzte Liese, „dreifach hättest Du ihn ersetzen und obendrein eine Predigt anhören müssen, die länger gewesen wäre wie sie der Pastor ans der Kanzel hält." „Aus Rübenkarls Predigten »räch' ich mir gar nichts, ob der da hustet oder spricht, ist mir eins!" „Aber er hätte Dir unrecht gethan! Würde er ge glaubt haben, daß die.Kuh gegen Deinen Willen den Acker zerstampft hat? Nie? Und ich kann's nicht leiden, daß man Dich schlechter macht, als Du bist!" Ein dankbarer Blick aus Franzens Augen belohnte Liese für diese Worte; von diesem Augenblick an herrschte Freundschaft zwischen den Beiden, eine Freundschaft, welche immer fester und inniger wurde. » * Der Frühling verging; es wurde Sommer. Die Fluren färbten sich smaragdgrün, rothe Erdbeeren schim merten an Hecken und Waldrändern, überall zeigte sich lebenathmende Fülle. Das Wetter war prächtig, dann und wann kam erfrischender Regen und brachte Abwechslung in die Gleichmäßigkeit der sonnigen Tage. Franz und Liese wanderten abwechselnd mit der Vieh herde umher. Sic sprachen nicht viel, aber sie saßen oft beisammen, sie an einem Strumpfe oder Handschuh strickend, er einen Löffel oder dergleichen schnitzend, während der kleine zottige Waki zu ihren Füßen lag. Am liebsten waren Liese die Vormittage. Während die Kühe und Schafe ruhig im taufrischen Grase weideten, konnte entweder Liese oder Franz schlafen. Manches Mal, wenn Franz rnhig athmcnd mit zurückgebogeuem Haupte dalag, überkam sie das Ver,