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Beilage M No. 22. Sonnabend, den 19. Februar 1898. Di« Wege der Vsrsehung. Roman von Are! Albrecht. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Er behandelte seine Frau doch so zuvorkommend wie nur miglich, sagte er sich; er hatte alle ihre Wünsche erfüllt und auf die seinen verzichtet, doch sie schien seine Liebenswürdigkeit und Langmuth in ungehöriger Weise mißbrauchen zu wollen. Seine Geduld war aber auch bald erschöpft, meinte er, wenn ihre Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit keine Grenzen haben sollten. Wenn sie bei ihrem Starrsinn verbleiben wollte, dann sollte sie auch bald genug erfahren, daß er ihr Herr war. Wollte sie sich nicht gutwillig in ihre Pflichten fügen, nun so gab es ja noch Mittel, sie dazu zu zwingen. Er brannte darauf, ihr dies so bald wie möglich klar zu machen. Als er am letzten Abend nach der langen, folgenschweren Unterredung mit Heller noch Hause kam, war es schon ziemlich spät geworden. Er war jedoch sogleich auf das Zimmer seiner Frau gegangen, um ihr die frohe Mittheilunq von seinem be vorstehenden Eintritt als Theilhaber in das Geschäft seines Herrn Chefs zu machen. Doch ihr Zimmer blieb ihm verschlossen. In der Mein ung, daß sie schliefe, klopfte er leise an die Thür und sagte in den sanftestem, liebegirrenden Tönen: »Schläfst Du, mein Liebling?* Ein halb unterdrückter Seufzer war die einzige Antwort, die er erhielt. »Fühlst Du Dich jetzt etwas besser, mein Herzchen?* »Nein - gornicht besser,* flüsterte eine schwache, matte Stimme. »Bitte lasse mich jetzt allein. Morgen werde ich mich hoffentlich besser fühlen.' Ihre Worte klangen so bittend, der Ausdruck derselben «ar so flehend, daß sein Herz wunderbar bewegt wurde. Zwar lachte er leise vor sich hin, doch fügte er sich ihrem Wunsche. Er verstand sehr wohl, was die arme Frau leiden muhte. Darum wollte er ihr auch nicht widersprechen, um ihren Kummer und ihre Erregung jetzt nicht noch erhöhen. Er rief ihr daher ein leises, zärtliches »Gute Nacht* zu und schlich wieder von dannen. „Gut Ding will Weile hoben," tröstete er sich. Mit der Zeit mußte auch schon die Liebe kommen; er konnte ruhig darauf warten, denn sie war jetzt sein, und keine Macht der Welt konnte sie von ihm trennen. AIS er jedoch den Abend darauf aus dem Geschäft nach Hause kam und Alma wiederum nicht fand, redete er das Dienst mädchen im barschen Tone mit den Worten an: »Wo ist meine Frau?" »Sie ist in ihrem Zimmer.* »Geht eS ihr denn noch immer nicht besser?* fragte May weiter und versuchte, einen bereits halb gesprochenen Fluch zu unterdrücken. »Nein, Herr May; im Gegentheil — es geht ihr so schlecht — so schlecht, daß ich glaube —" »Wa« glauben Eie?* fuhr Walter des Mädchen an. »Ich wollte nur sogen — ich glaube, daß es am Besten wäre, wenn Sie zum Doktor schicken wollten.* »Unsinn,* rief er ärgerlich. »Bekümmern Eie sich um Ihren Dienst; weiter haben Sie gar nichts zu denken und zu glauben. — Ist meine Frau heute ausgefahren?* »Ja; es ging ihr heute Morgen viel besser. Aber als sie zurückkam, war sie wieder ganz krank. Ich glaube, Herr May — daß —* Eie zögerte wieder, weiter zu sprechen, und fürchtete, sich einen Tadel zuzuziehen. »Was glauben Sie?" »Ich glaube, daß ihr etwa« pasfirt ist, — wenigstens habe ich Braun so verstanden." »WaS soll ihr denn passtrt sein? — Schicken Sie mal sogleich Broun her.* Das Mädchen eilte hinaus, froh der unliebsamen Nähe ihrer Herrn entfliehen zu können; nach wenigen Minuten trat der Kutscher Braun ein. »Wohin ist meine Frau heute Morgen gefahren?' frug Moy barsch. »In die Haide, Herr May.' »Ist irgend etwas Besonderes vorgefallen?' „Nein — nur — nur —* »Also doch etwa«? Was war'« denn? Seid Ihr alle verrückt geworden? Was war's? Heraus damit.' Braun, der bei May als Kutscher, Diener und Gärtner diente, war ein alter geborener Wallstädter, und kannte seine jetzige Herrin schon von Kind auf. Ebenso war ihm auch Albert Ebel bekannt, und er wußte, daß dieser und Alma ver lobt waren. Die dramatische Begegnung der Beiden im Walde hatte daher auch seine lebhafteste Theilnahme hervorgerufen. Darum wurde ihm sein Bericht sehr schwer, denn er wollte weder seinen Herrn kränken, noch auch die Schwäche seiner Herrin bloßstellen. »Sprechen Sie doch, Mensch!' sagte Moy ungeduldig. »Albert Edel trat un« plötzlich in den Weg.' May sprang von seinem Stuhle auf, als wenn er von einer Natter gebissen wäre. »Albert Ebel!' rief er, »Eie müssen sich geirrt haben!" »Nein, Herr May, ich habe mich nicht geirrt; ich weiß e« ganz genau." Moy kämpfte seinen Schreck nieder, setzte sich wieder hin und fragte ruhig: „Und dieser Ebel? Was sagte, »der was that er?" „Ec schien fast von Sinnen zu sein; er sah uns wild an und fragte dann die gnädge Frau, wer sie sei. Dann fiel er wie ohnmächtig hin; ich sah mich nachher noch einmal um und sah ihn immer noch unbeweglich liegen." »Weiter nichts?' fragte May mit einem bitteren Lächeln. »Es ist gut, Braun; Sie können gehen." Der Kutscher ging hinaus und kaum hatte er di- Thür hinter sich geschlossen, als May noch lauter lachte. Ja, er lachte aus vollem Halse über die Szene, die Braun soeben be schrieben hatte. WaS hätte er darum gegeben, wenn er diese Begegnung mit angesehen hätte, wenn er an Alma's Seite im Wagen ge sessen hätte! Es würde ein Hauptspaß für ihn gewesen sein, die Gesichter Beider bei dieser köstlichen, unbezahlbaren Szene beobachtet zu haben. Jeder von Beiden hielt den Anderen für todt, mit was für Gefühlen mußten sie sich so unerwartet gegenüber getreten sein. Diese unverhoffte Begegnung verursachte May die voll kommenste, befriedigendsteG-nugthuung. Jetzt endlich warmer und Ebel quitt. Das Rachegelübde, daS er ihm an jenem Abende an der alten Brücke geschworen hatte, war voll und ganz eingelöst. Er hatte seinen Feind sogar mehr und furcht barer gestraft, als er sich dies damals träumen lassen konnte. Daß sich Alma jetzt krank und elend fühlte, das wollte er gern glauben. Da lag und weinte sie nun in der Einsam keit ihre« Brautgemaches über den verlorenen und wiederge fundenen Liebsten, der für sie doch immer verloren blieb und ihr nie mehr etwas sein durfte. „Laß sie jammern und weinen,' sagte er Hönisch zu sich selbst. „Die Zeit wird ihr wundes Herz heilen. Alma ist meine Frau und Ebel ist vernichtet. Und dann habe ich außer Alma doch noch einen anderen Preis gewonnen, der noch mehr wcrth ist als ihr schöne« Gesicht. Die Theilhaberschaft an einem Geschäfte von 2 Millionen ist eine schöne Mitgift!" Er war in diesem Augenblick vollkommen berauscht von seinen Erfolgen; das Gefühl, seine Rache befriedigt zu haben, stürzte ihn fast in einen Freudentaumel. Er hatte ein gefähr liches Spiel gewagt — doch einen hohen Preis gewonnen. Was fehlte ihm noch zu seinem Glück? Er war jetzt zu sehr benommen von seinem eigenen Werthe, als daß irgend welche Bedenken in ihm wach geworden wären. Albert's Rückkehr schreckte ihn nicht; er brannte sogar darauf, ihn zu sehen, um sich an der Verzweifelung deS vernichteten Gegners zu weiden. Er hatte keine Ahnung von der unbändigen Leidenschaft, deren Albert's Natur fähig war, und kein Berständniß dafür, daß Albert in seiner Raserei vor nichts mehr zurückschrecken würde, um seine Roche zu befriedigen. Ein leises Klopfen weckte May aus seinen Träumereien. Das Dienstmädchen brachte einen zusammengefalteten Zettel und überreichte ihn Herrn May mit den Worten: »Ein Junge hat soeben diesen Zettel gebracht; er sagte, daß Herr Aßmann ihn ihm gegeben hätte." »Wartet der Junge auf Antwort?" »Nein, Herr May." „Es ist gut." Er öffnete den Zettel und las folgende flüchtig geschriebenen Zeilen: »Albert Ebel ist zurück und befindet sich in Wallstadt. Er weiß, daß Alma lebt. Was sollen wir thun? Ich muß Sie sprechen, denn sie überredeten mich damals, jenen Brief zu schreiben. Ich erwarte Sie heute Abend um 8 Uhr im Walde bei dem alten Kohlenschacht; dort wird uns Niemand stören. Max Aßmann." »Der Thor hat Angst vor dem bösen Gespenst, ehe er es nur gesehen hat", sagte Moy, höhnisch lachend. Doch was geht mich die Sache an. Er hat den Brief geschrieben — nicht ich." Dennoch war es ihm nicht angenehm, daß Ebel gerade jetzt zurückzekehrt war. Ein paar Wochen später würde er keinerlei Unbequemlichkeiten mehr gefüchtet haben. Jetzt konnte aber Ebels Rückkehr doch seine eigene Stellung Alma gegenüber erschweren. Wenn sie auch seine Frau war, so hatte ihr Be nehmen doch keinen Zweifel darüber gelassen, daß er in ihrem Herzen keinen Platz gefunden hatte. Und jetzt, wo Albert plötzlich wieder auf der Bildfläche erschien, war es nur zu wahrscheinlich, daß sie sich ihren Pflichten zu entziehen suchen würde. Sie war sehr energisch und willens stark, das wußte er von früheren Erfahrungen; wenn sie nun den Betrug erfahren sollte, so war es bei ihrem Charakter aller dings möglich, daß sie ihm folgenschwere Szenen machen würde. Ja, er mußte Aßmann sprechen und einen Plan mit ihm entwerfen, um Albert aus Wallstadt zu entfernen. Jedenfalls durfte dieser Alma nie wiedersehen, dies mußte auf irgend eine Weise verhindert werden. 44. Kapitel. Äug' in Äug'. Es begann zu dunkeln. Die Sonne versank fern im Westen am Horizont und tiefer Schatten herrschte unter dem dichten Laubdach des Waldes. Walter Moy schritt durch den Park, um mit Aßmann an der verabredeten Stelle zusammen zu treffen und mit ihm über die nächsten Pläne zu berathen. Jetzt hatte er die alte Brücke, die Über den kleinen Bach führte, erreicht, und unlieb same Erinnerungen wurden in ihm wachgerufen. Er eilte schnell vorüber und schlug den wenig betretenen Fußpfad ein, um nach dem Kohlenschachte zu gelangen. Er war wieder bei sehr guter Laune; mit seinem leichten Spazierstvck fuchtelte er in der Luft herum und hieb die Spitzen von den überhängenden Zweigen ab. Zwischen den Lippen hielt er eine brennende Zigarre, und sein unermüdlich regsamer Geist war bereits damit beschäftigt, einen Plan zu entwerfen, um Albert zu entfernen. Ebel war ein armer Mann. Ein paar tausend Mark waren ein Vermögen für ihn. Diese paar tausend Mark würden genügen, um ihn eben so schnell wieder aus Wallstadt zu ent fernen, als er dahin gekommen war. Aßmann mußte fraglos diesen ebenso einfachen wie sicheren Plan billigen, und er war auch der geeignetste Mann dazu, um das Geschäft abzuschließen. Daß Albert dieses Anerbieten mit tausend Freuden annehmen würde, daran zweifelte er keinen Augenblick. Jetzt hatte er den Kohlenschacht erreicht und war sehr er staunt, Aßmann noch nicht vorzufinden. Er blieb stehen und blickte auf die Uhr; doch plötzlich fuhr er erschreckt zusammen, als eine große Figur sich vor dem Schatten der Bäume abhob und gerade auf ihn zutrot. »Albert Ebel!" platzte er heraus und taumelte einen Schritt zurück. »Ja, Albert Ebel. Ich bin eS selbst. Endlich kann ich Ihnen Äug' in Äug' gegenübertreten. Wie oft habe ich diesen Augenblick seit heute Morgen herbeigesehnt! Gott hat Sie in meine Hand gegeben. — Rühren Sie sich nicht vom Flecke oder ich schieße!" Ein Angstschrei entrang sich Walters"blassen Lippen, als er die gespannte Pistole in Alberts weit vorgestreckter Hand erblickte. »Um Gottes Willen thun Sie die Pistole weg!" „Was sind Sie doch für ein Feigling! Fürchten Sie so sehr den Tod? Und doch haben Sie mich in ein Elend ge stürzt, dos zehnmal schlimmer ist, als der Tod." »Haben Sie den Zettel geschrieben?" Diese Frage kam fast unbeabsichtigt von Walters Lippen, der dadurch nur seine Gedanken unwillkürlich zum Ausdruck brachte, denn er fühlte, daß er in eine Falle gelockt war. »Ja. Ich wollte noch ein Wort mit Ihnen sprechen, be- vor ich Sie tödte. Sie meinten, Sie würden Max Aßmann hier treffen? Nun, Sie sollen ihn bald genug an einem anderen Orte treffen! In der Hölle könnt Ihr über «eitere Schand- thaten zusammen berathschlagen — auf Erden werdet Ihr kein Unheil mehr anrichten!" , Haben Sie mich hierher gelockt, um mich zu ermorden, nun so thun Sie es." Der Anblick von Albert und der geladenen Pistole hatte Walters Nerven im ersten Augenblicke in große Aufregung ver setzt, doch jetzt wurden sie durch verzweifelten Muth und starre Festigkeit gestählt. Er wollte das Gespräch unter allen Um ständen in die Länge ziehen, in der Hoffnung, daß ihm unter dessen vielleicht irgend welche Hülfe käme. »Ermorden?!' wiederholte Albert mit bewunderungs würdiger, kalter Ruhe. »Sollte es vor Gott ein Verbrechen sein, Sie zu tödten? Wird es die Welt selbst als ein Ver brechen anschen, wenn sie hört, von welchem Schurken ich sie befreit habe? Wenn Sie hundert Leben hätten und ich würde sie Ihnen alle nehmen, dann würde das immer noch keine ausreichende Strafe für Ihre Schandthaten sein!' „Was habe ich denn gethan?" »Großer Gott! Sie fragen auch noch? Was haben Sie gethan? Durch Lug und Trug haben Sic die Existenz eine« Mannes vernichtet und Sie fragen noch, was Sie gethan haben? — Jener schändliche Lügenbrief . . ." »Ich habe ihn nicht geschrieben." »Doch Sie haben Aßmann dazu veranlaßt." „Ich liebte Alma und hatte ein Recht so gut wie jeder Andere, sie zu gewinnen." »Aber nicht durch solche teuflische Höllenmittel, die Sie an gewandt haben." „Sie sind nicht mein'Richter", sagte May entschlossen. „Ich bin ihr Richter und Scharfrichter in einer Person." »Werfen Sie die Pistole weg und treten Eie mir in gleichem Kampfe, Mann gegen Mann, gegenüber, wenn Sie Muth dazu haben.' (Forts, folgt.) Vaterländisches. — Dresden. Unter der Spitzmarke „Auch ein Dienst mädchen" veröffentlicht das hiesige sozialdemokratische Blatt den Inhalt einer Postkarte, auf welcher ein Dienstmädchen in aller dings sehr kernigen Worten, aber mit voller Namensunterschrift ihrem Herzen über die niederträchtige Verhetzung, wie sie feiten« der sozialdemokratischen Abgeordneten betrieben wird, Luft ge- macht. Für jeden Unbefangenen ist die Karte nur ein Beleg dafür, daß io den Kreisen, welche die Sozialdemokratie stet« für sich in Anspruch nimmt, noch genug Einsicht herrscht, um das frevelntbche Treiben jener Agitatoren zu durchschauen; dem sozialdemokratischen Blatte dient die Karte natürlich nur al« Anlaß zu dem Versuch, die Schreiberin wegen ihrer drastischen Ausdrucksweise lächerlich zu machen. Das, wie gesagt, nicht sehr salonfähige Schreiben lautet: „d. 1O.!2. 98, Ammonstr. 3. Herrn Abgeordneten Goldstein z. Z. hier. Im »Dresdner An zeiger" v. 9. d. M. lese ich, daß Sie sich so sehr für Dienst boten erwärmen, aber in einer Weise, welcher jeden Dienstperson auffällig machen muß. Ich habe z. B. einen Dienst, wo ich's viel besser habe, als meine Schwester, welche einen Schlosser bei Seidel und Naumann geheirathet hat, der Sozialdemokrat ist und sein Geld bei den Versammlungen versäuft; von säwmtl. Mädchen, welche mit mir im Jungfrauen-Verein sind, hat keine bis 11 Uhr zu arbeiten (wie sie auftischen), sondern sind um 8 Uhr fertig und stecken die Beine untern Tisch, bei guter ganz