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Oie holländische Erbschaft. Roman von K. Nosenthat-ZSonin. ^Fortsetzung.» ^Nachdruck verboten.» Gaudentia brachte dem Bruder jetzt das Frühstück, und während er den Morgenimbiß eilig verzehrte, sprach sie zu ihm mit leiser, aber klarer und entschiedener Stimme: „Henry, ich habe mir die Sache mit Agnes überlegt. Ich halte : ez für das Beste, wenn wir vor ihr verborgen bleiben. Sie hat eine unbedachte, schnelle Art, sie handelt nie nach ruhigem Ueberlegen und I Denken, sondern stets fortgerissen von augenblicklichen Impulsen. Sie könnte, ohne es zu wollen, verrathen, wer Du bist. Wir können sie auch nicht gut in unser Unternehmen einweihen. Sie ist unberechen- i bar. Wer weiß, wie sie sich dazu stellte! Gelingt uns die Sache, so erhält sie ihren Antheil von mir, damit sie von diesem Berufe erlöst wird und anständig leben kann, dafür werde ich sorgen." Henry hatte seiner Schwester aufmerksam zugehört. „Das ist auch meine Ansicht von der Sache," erwiederte er, „zu demselben Resultat ! bin ich auch gekommen. Wir müssen aber große Vorsicht walten lassen, ! damit sie uns nicht entdeckt. Der Zufall ist oft bösartig, und jetzt ' heißt es, ihm nicht die kleinste Fingerspitze reichen. Das ist schwer!" „Das ist allerdings schwer," pflichtete die Schwester bei, „aber ich j gehe fast nie aus, lebe ganz im Verborgenen und werde aus meiner Einsamkeit nicht mehr heraustreten. Du, Henry, darfst Dich bei Deinen i Gewohnheiten freilich wohl zusammennehmen. Wie steht es übrigens mit dem Zeugen, dem Schiffskapitän?" „Wie bisher," brummte Henry. „Ich kann nicht mit der Thür m's Haus fallen, so etwas verlangt Vorsicht. Ich darf mich nicht vorzeitig entdecken, auch muß der Mann darnach sein. Ein ungeschickter Zeuge kann viel verderben, und ein sehr gescheidter mich für ewige Zeiten in den Klauen halten, die Sache ist schwierig." „Natürlich ist sie schwierig," meinte Gaudentia. „Das Beste wäre, ohne einen solchen Menschen zum Ziel zu kommen." „Eine Unmöglichkeit ist es nicht, wie inir rechtskundige Leute ver sichert haben. Schüre Du bei dem Doktor Rembold. Die Zeit drängt. Jede Minute scheint mir jetzt kostbar. Ich weiß nicht, warum." „Ich werde mein Möglichstes bei Rembold versuchen," meinte Gaudentia. — Der Tag verging für die Geschwister Büsum ruhiger, als sie dies geglaubt hatten. Mit höchster Ungeduld hatten sie den „Amsterdamer Courier" erwartet und mit fieberhafter Spannung das Blatt, als es endlich kam, entfaltet. Nun fanden sie den Bericht über den im Cirkus stattgehabten Vorfall, der den Vorgang, wie er sich ereignet hatte, erzählte, über das Befinden des Verunglückten jedoch in un klaren Wendungen sich erging. Die Verwundung an sich sei schwer, meß es, aber nicht absolut tödtlich. Der Gesammtzustand des Ver letzten hingegen gebe zu großen Besorgnissen Anlaß. An den Bericht schloß sich die Notiz, daß die Polizeibehörde auf das Sorgfältigste die traurigen Ereignisse im Cirkus untersucht und sestgestellt hatte, daß Hetzer irgend eine H-ahrlüssigkeit, noch ein Verbrechen vorläge; daß Wan Niemand eine Schuld beimessen könne, sondern ein Unglücksfall ^getreten sei, wie solche zwar selten, aber dennoch hier und da bei °em Naturell wilder Thiere vorkämen. Im Interesse der Cirkusmit- glieder wie des zuschaucnden Publikums hatte die Behörde aber die ! ferneren Vorstellungen des Cirkus untersagt. Dieser Bericht' wirkte wie ein tröstender, heilender Balsanr auf °'-e Geschwister. Henry entnahm aus dieser Darstellung, daß man ! keine Ahnung von der wahren Sachlage der Dinge hatte. ! ... „Das müßte seltsam zugehen, wenn da Jemand etwas heraus- tönde," dachte er höhnisch lachend bei sich. „Der Einzige, der mir ^jährlich werden könnte, hält deir Mund für immer. Bei dem Würfel- lMel hat das Schicksal für mich entschieden!" — „ Und Gaudentia athmcte auf, weil bei der Untersuchung nichts 'A ergeben hatte, was ihren schrecklichen Verdacht bestätigte und die Ewundung des schönen Bändigers nicht als eine absolut tödtliche ^gestellt war. Er konnte noch gesund werden. Möglicherweise liebte er auch die Schwester nicht; sie selbst war schön und stattlich, zwar wahrscheinlich einige Jahre älter als der Mann, aber er schien eine ruhige, gute, stille Natur, ein Gemüthsmensch; solche bevorzugen that- kräftige, entschiedene, klar denkende Frauen, wie sie eine war. Sie wollte den Mann ihrer Schwester nicht streitig machen, falls diese dessen Herz besaß, sie mußte entsagen, es koste ihr was es wolle, ach, und es würde ihr dann die einzige Freude, den einzigen reinen Hoffnungsstern des Lebens kosten; war dies jedoch nicht, so — dann konnte dieser Strahl des Himmelslichtes noch auf sie fallen und ihr dunkles Leben erleuchten. Vorläufig hatte es das Geschick so gefügt, daß der Mann hier wenigstens in derselben Stadt mit ihr blieb. Der Himmel würde ihn sicher nicht sterben lassen. Vielleicht konnte er von jetzt an seinen Beruf nicht mehr ausüben, hatte keine Existenz, und wenn sie dann reich war, eine halbe Million Gulden besaß... Gaudentia's Augen leuchteten bei dieser Vorstellung, ihr Gesicht ward wieder jugendlich rund, sie war wirklich schön in diesem Moment. Juffrouw Büsum beschloß also mit wiederauflebendem ver doppeltem Eifer, den Doktor Rembold in ihrer großen Angelegenheit anzuspornen. Am nächsten Morgen führte Gaudentia wieder eine Unterhaltung über die Erbschaftssache Oswald Braun mit dem jungen Rechtsanwalt herbei. „Der Herr Erich Reinkens scheint keinen Schiffskapitän, bei dem er in Dienst war, aufsinden zu können," meinte sie so leichthin mit niedergeschlagenen Augen und rosigen Wangen. „Ja, es dauert sehr lange; vielleicht sind diese Leute längst ge storben und verdorben, eine Beute der Haifische, des gelben Fiebers geworden, und es bleibt unmöglich, einen derartigen Zeugen aufzu finden." „Dann wäre die Erbschaft für ihn verloren?" frug Gaudentia leise bedauernd und mit einein liebevollen Augenaufschlag fort. „Und für Sie Zeit, Mühe und Kosten verloren?" „Das ist nicht sicher," meinte Rembold. „Wenn das Richter kollegium sich überzeugt, daß kein Zeuge beizubriugen ist und sonst sich Niemand, der bessere Ansprüche aufweist, meldet, wird nach Ver lauf einer bestimmten Zeit und nachdem noch einmal Aufrufe erlassen sind, die Summe dem Herrn ausbezahlt. Vorher wird aber den Ver wandten gemeldet, daß der Erbe da ist." „Das kann noch lange dauern," ließ Gaudentia sanft vernehmen. „Ein Jah.r wohl noch." „Und wenn die Verwandten Einspruch gegen den Erben erheben?" „So müssen sie diesen Einspruch hinreichend begründen und den Beweis führen, daß jener Mann der Erbe nicht sein kann. Das dürfte ihnen in diesen» Fall sehr schwer werden," erklärte Rembold. „So halten Sie Herrn Reinkens wirklich für den Erben?" frug Gaudentia weiter. „Das unterliegt für mich gar keinem Zweifel. Ich bin der An sicht, daß die Ausbezahlung der Erbschaft an jenen Herrn nur noch durch formale Bedenken, wie ich sie Ihnen eben angedeutet, verhindert wird. Ich halte die Ansprüche mit aller Macht aufrecht, betreibe die Angelegenheit energisch, lasse sie nicht einschlafen und glaube nach der gesetzmäßigen Frist am Ziele zu sein." „Es wäre so hübsch für Sie und den Herrn, wenn das geschähe," äußerte Gaudentia milde. „Ich hoffe es mit Sicherheit," versetzte der junge Rechtsgelehrte, „ich werde übrigens heute wieder eine Besprechung mit einer der maß gebenden Persönlichkeiten haben und meinen Antrag auf das Fallen lassen der nicht zu erfüllenden Zeugenforderung erneuern." „Ja, ich glaube, das wäre gut," meinte Gaudentia. „Der Herr ist durch die Plackereien schon ganz ungeduldig geworden und hat von einer Abreise nach Australien gesprochen." „Das wäre sehr ungünstig," fiel Otto Rembold eifrig ein. „Reden Sie ihm das aus, Juffrouw Büsum. Ich mag dem Manne, der stets so wenig erbaut von der ganzen Angelegenheit ist, nicht wieder lästig fallen."... Einige Stunden nach dieser Unterhaltung machte Doktor Otto